Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977; Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO 1977 greift nicht bei Steuerfahndungsprüfung ein
Leitsatz (NV)
1. Der Grundsatz von Treu und Glauben verbietet es dem FA, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu erlassen, wenn dem FA die Tatsache vor dem Erlass des zu ändernden Bescheids infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) verborgen geblieben ist. Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift aber nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241). Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel die Verantwortung den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BStBl II 1995, 293).
2. Nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 können abweichend von § 173 Abs. 1 AO 1977 Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Bei einer Steuerfahndungsprüfung handelt es sich nicht um eine Außenprüfung in diesem Sinne (Anschluss an BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 56/94, BStBl II 1998, 367).
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2; EStG § 10e Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde für das Streitjahr (1992) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Ehefrau erwarb im Jahre 1988 das bebaute Wohngrundstück Y-Straße in X. Die Eheleute bewohnten zunächst die Wohnung im Dachgeschoss des Hauses; die anderen Wohnungen wurden vermietet. Ab dem Veranlagungszeitraum 1988 gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Eheleuten antragsgemäß die Wohneigentumsförderung gemäß § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
In der im Jahr 1995 abgegebenen Einkommensteuererklärung 1992, die unter Mitwirkung einer Steuerberatungsgesellschaft erstellt wurde, errechneten der Kläger und seine Ehefrau einen Abzugsbetrag nach § 10e EStG in Höhe von 7 068 DM.
Im Zuge einer auch das Streitjahr 1992 betreffenden Steuerfahndungsprüfung, die vornehmlich die vom Kläger erzielten gewerblichen Einkünfte betraf, wurden anhand der vorliegenden Einkommensteuererklärungen auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und die Berechnung der Abzugsbeträge nach § 10e EStG überprüft. Dabei ermittelte der Prüfer den Abzugsbetrag nach § 10e EStG für 1992 abweichend von der Steuererklärung mit 6 680 DM (vgl. Steuerfahndungsbericht vom 18. Februar 1997, S. 4 und Anlage 2 und 3).
Den Feststellungen der Steuerfahndung folgend erließ das FA am 2. Mai 1997 den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1992, in welchem die Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung mit 6 680 DM berücksichtigt wurde.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen für 1994 und 1995 teilte der Kläger dem FA am 7. Juli 1997 mit, dass er mit seiner Familie seit 1991 die Wohnung im Obergeschoss des Hauses nutze und die Dachgeschosswohnung seither vermietet sei.
Das FA erließ daraufhin einen auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteueränderungsbescheid 1992, in dem der Abzugsbetrag gemäß § 10e EStG nicht mehr berücksichtigt wurde.
Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wendete sich der Kläger gegen die im angefochtenen Änderungsbescheid versagte Wohneigentumsförderung. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1475 veröffentlichten Urteil statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als diese das Streitjahr 1992 betrifft.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 19. Februar 2004 einen die streitigen Besteuerungsgrundlagen nicht berührenden Einkommensteueränderungsbescheid 1992 erlassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass dem Erlass des ursprünglich angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheides 1992 vom 6. August 1998 die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegengestanden habe. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtens.
1. Die Revision führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese das Streitjahr 1992 betrifft. Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren noch der Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 6. August 1998 und die Einspruchsentscheidung vom 1. August 2000. An deren Stelle ist der während des Revisionsverfahrens erlassene Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 19. Februar 2004 getreten, der den Regelungsgehalt der vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen in sich aufgenommen hat. Da dem angefochtenen FG-Urteil noch der Einkommensteueränderungsbescheid vom 6. August 1998 und die Einspruchsentscheidung vom 1. August 2000 zugrunde lagen, ist das FG-Urteil, soweit es das Streitjahr 1992 betrifft, durch den Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 19. Februar 2004 gegenstandslos geworden (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. Mai 2001 VI R 85/00, BFH/NV 2001, 1291). Gleichwohl sind dadurch die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht weggefallen (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1291).
2. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 für eine Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 vom 2. Mai 1997 lagen im Streitfall vor. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide zu ändern, "soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen".
a) Der Umzug der Familie des Klägers von der Dachgeschosswohnung in die Obergeschosswohnung vor Beginn des Streitjahrs 1992 bewirkte nach der zutreffenden Auffassung des FA, dass die Wohneigentumsförderung für die Dachgeschosswohnung als bisheriges Förderungsobjekt i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG nicht endete. Anders als § 7b Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. fördert § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG nicht eine bestimmte Gebäudeart ("Einfamilienhaus", "Zweifamilienhaus", "Eigentumswohnung"), sondern die Nutzung einer bestimmten eigenen Wohnung zu eigenen Wohnzwecken als eines steuerrechtlich selbständigen Gebäudeteils. Dabei ist ohne Belang, ob diese Wohnung zivilrechtlich (z.B. als "Eigentumswohnung") verselbständigt ist oder lediglich einen unselbständigen Teil eines Zwei- oder Mehrfamilienhauses darstellt (vgl. z.B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 10e Rz. 6; Stephan, Der Betrieb --DB-- 1986, 1141, 1142; ders., Die Wohneigentumsförderung, 6. Aufl., S. 44 f.). Der zu entscheidende Sachverhalt des Wechsels der Wohnung kann dem Fall der Veränderung der Wohnung durch Umgestaltung nicht gleichgesetzt werden, für den unter Ablehnung des Erstarrungsprinzips die Verhältnisse des jeweiligen Veranlagungszeitraums maßgeblich sind, so dass sich die Bemessungsgrundlage ändern kann. Der Umzug stellte daher eine "Tatsache" dar, die i.S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu einer "höheren Steuer führte".
Die Gewährung der in Rede stehenden Steuervergünstigung setzt nach dem Wortlaut des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG voraus, dass der Steuerpflichtige die im eigenen Haus belegene Wohnung im jeweiligen Jahr des Abzugszeitraums "zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat". Daran fehlte es im Streitjahr, weil der Kläger und seine Ehefrau nach eigener Bekundung des Klägers bereits vor dessen Beginn aus der Dachgeschosswohnung ausgezogen waren und diese vermietet hatten. Entgegen der Ansicht des Klägers ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass seine Familie nunmehr eine andere Wohnung im selben Haus nutzte, weil es sich hierbei nicht mehr um dasselbe Förderobjekt i.S. von § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG, sondern vielmehr um ein anderes Objekt handelte.
b) Das FA erfuhr von der --wie dargelegt förderungsrelevanten-- Tatsache des Wohnungswechsels erst durch die schriftliche Mitteilung des Klägers vom 7. Juli 1997 und damit nach Erlass des durch den Einkommensteuerbescheid vom 6. August 1998 geänderten ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 vom 2. Mai 1997.
Maßgebend ist insoweit die Kenntnis derjenigen Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom 1. April 1998 X R 150/95, BFHE 186, 70, BStBl II 1998, 569, unter 1. b, m.w.N.). Dies waren im Streitfall der Vorsteher des FA sowie der Sachgebietsleiter und der Sachbearbeiter der zuständigen Veranlagungsstelle (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220, unter II. 2.; vgl. ferner die Nachweise aus der BFH-Rechtsprechung bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO 1977 Rz. 32).
Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen von dem in Rede stehenden Umzug der Familie des Klägers bereits vor Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 Kenntnis erlangt hatten, hat das FG nicht festgestellt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Weder die vom Kläger und seiner Ehefrau am 2. Mai 1995 beim FA eingereichte Einkommensteuererklärung 1992 nebst beigefügten Anlagen noch der den zuständigen Veranlagungsbeamten bei Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 vorliegende Steuerfahndungsbericht vom 18. Februar 1997 deuteten auf den Wohnungswechsel hin.
Auch der Kläger selbst vermochte Gegenteiliges nicht substantiiert zu behaupten. Soweit er im FG-Verfahren geltend gemacht hat, dem FA sei der Umzug bereits vor Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheides 1992 bekannt gewesen, stützt er dies allein auf die Tatsache, dass am 22. Juli 1992 "ein Beamter der Steuerfahndung bei ihm gewesen" sei. Der Senat kann offen lassen, ob sich der Fahndungsbeamte bei seiner Überprüfung des Steuerfalles über den zu dieser Zeit bereits seit längerem vollzogenen Wohnungswechsel im Klaren war. Das FA hat hierzu im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, dass der "mit der Fahndungsprüfung befasste Beamte nicht an der Durchsuchung der privaten Wohnräume des Klägers beteiligt gewesen (sei)". Auch enthält der von ihm erstellte Fahndungs(kurz)bericht vom 18. Februar 1997 --wie schon ausgeführt-- keinen Hinweis auf den Umzug. Selbst wenn aber der Fahndungsbeamte im Rahmen seiner Prüfung von dem Wohnungswechsel erfahren hätte, wäre dieses Wissen nach ständiger Rechtsprechung des BFH den für die Entscheidung über den Steuerfall (allein) zuständigen Veranlagungsbeamten nicht zuzurechnen (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 186, 70, BStBl II 1998, 569, unter 1. b, m.w.N., betreffend Außenprüfer; vgl. ferner z.B. BFH-Urteile vom 9. November 1984 VI R 157/83, BFHE 142, 402, BStBl II 1985, 191, unter 1. b, betreffend Lohnsteueraußenprüfer; vom 3. Mai 1991 V R 36/90, BFH/NV 1992, 221, unter 1. b, betreffend Außenprüfer; vom 4. Mai 1972 IV 251/64, BFHE 105, 449, BStBl II 1972, 672, unter III., betreffend Betriebsprüfer; vom 20. April 1988 X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, unter II. 1. b aa, betreffend Umsatzsteuersonderprüfung und Lohnsteueraußenprüfung; vom 13. April 1989 IV R 20/88, BFH/NV 1990, 477, unter 2., betreffend Außenprüfer und Angehörige der Betriebsprüfungsdienststelle; vom 19. Juni 1990 VIII R 69/87, BFH/NV 1991, 353, 354, mittlere Spalte, betreffend Außenprüfer). Daran vermag auch die Pflicht der Betriebsprüfungs- bzw. Steuerfahndungsstelle und der Veranlagungsstelle zur Zusammenarbeit und zum Erfahrungsaustausch nichts zu ändern (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1992, 221, unter 1. b, und in BFH/NV 1991, 353, 354, mittlere Spalte).
c) Das FA muss die streiterhebliche Tatsache des Wohnungswechsels auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben als ihm bereits bei Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides bekannt gegen sich gelten lassen.
aa) Der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben verbietet allerdings dem FA, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu erlassen, wenn dem FA die Tatsache vor dem Erlass des zu ändernden Bescheides infolge Verletzung der ihm obliegenden Ermittlungspflicht (zunächst) verborgen geblieben ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11. Juli 1978 VIII R 120/75, BFHE 125, 488, BStBl II 1979, 57; vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241; vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585). Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift indes nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241; vom 11. November 1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115; in BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585). Das FA verletzt seine Ermittlungspflicht (§ 88 AO 1977), wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht (BFH-Urteile in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241; in BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585; in BFH/NV 1992, 221, unter 1. c).
Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des FA kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen, insbesondere darauf an, ob der Steuerpflichtige dem FA die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung unterbreitet hat. Ist dies zu verneinen, kann sich der Steuerpflichtige --unabhängig von einem eventuellen eigenen Verschulden-- nicht auf eine Nachlässigkeit des FA bei der Ermittlung der für die Besteuerung wesentlichen tatsächlichen Verhältnisse berufen. Dies gilt in besonderem Maße für beantragte Steuervergünstigungen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. März 1974 VIII R 224/72, BFHE 112, 444, BStBl II 1974, 538, unter 2.).
Das FA braucht den Angaben des Steuerpflichtigen nicht mit Argwohn und Misstrauen zu begegnen, sondern kann regelmäßig von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Steuererklärung ausgehen (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585; in BFH/NV 1992, 221). Dies gilt in verstärktem Maße dann, wenn die Steuererklärung --wie im Streitfall-- unter Mitwirkung eines steuerlichen Beraters angefertigt wurde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1988 VIII R 184/84, BFH/NV 1989, 726, unter II., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteil in BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115, unter II. 2., m.w.N.). In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, unter II. 6., m.w.N.; vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293, unter II. 1. a; vom 17. Dezember 1997 III R 39/93, BFH/NV 1998, 812, 813, rechte Spalte, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2000 III B 43/00, BFH/NV 2001, 744, unter 2.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH-Urteil in BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, unter II. 6., m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben stand der Grundsatz von Treu und Glauben einer Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 vom 2. Mai 1997 nicht entgegen. Die für den Steuerfall zuständigen Bearbeiter der Veranlagungsstelle haben ihre Ermittlungspflicht nicht verletzt. Die unter Mitwirkung von Steuerberatern gefertigte Einkommensteuererklärung 1992 und die ihr beigefügten Anlagen enthielten keinerlei Hinweis darauf, dass die Familie des Klägers bereits vor Beginn des Streitjahres aus der Dachgeschosswohnung ausgezogen war. Zeile 1 der "Anlage FW", wo nach der Lage der nach § 10e EStG begünstigten Wohnung gefragt wurde, war nicht ausgefüllt worden. In Zeile 30 derselben Anlage wurde die Anzahl der in dem Haus vorhandenen Wohnungen mit "4" beziffert. In der Zeile 2 der das nämliche Grundstück betreffenden Anlage V wurden Mieteinnahmen für das Erdgeschoss sowie für das 1. und 2. Obergeschoss angegeben. Die in derselben Zeile befindliche Spalte "+ weitere Geschosse" enthielt keine Eintragung.
Mithin konnten und mussten die zuständigen Bearbeiter der Veranlagungsstelle des FA davon ausgehen, dass hinsichtlich des seit 1988 nach § 10e EStG geförderten Objekts "Dachgeschosswohnung" keine tatsächlichen Veränderungen eingetreten waren. Von dieser --unzutreffenden-- Sachlage waren die steuerlichen Berater des Klägers bei der Fertigung der Einkommensteuererklärung 1992 augenscheinlich selbst ausgegangen. Anders lässt sich nicht erklären, warum sie noch in ihrem Schreiben an das FA vom 3. Juli 1997 auf dessen Anfrage zu den für den Veranlagungszeitraum 1994 geltend gemachten, die Dachgeschosswohnung betreffenden Reparaturkosten mitgeteilt haben, diese Kosten sollten nicht angesetzt werden, "da die Dachgeschosswohnung eigengenutzt (werde)".
Unter diesen Umständen brauchten die zuständigen Bearbeiter der Veranlagungsstelle, zumal auch der vorliegende Steuerfahndungsbericht vom 18. Februar 1997 insoweit keinerlei Anhaltspunkte enthielt, vor Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1992 keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des in Rede stehenden Wohnungswechsels anzustellen.
cc) Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Steuerfahndungsprüfer seine Ermittlungspflicht (vgl. § 208 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 88 AO 1977) verletzt hat. Selbst wenn dies zuträfe, so wäre dieser Ermittlungsfehler jedenfalls schon deswegen folgenlos, weil er den für die Vornahme der Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten des FA (Vorsteher, Sachgebietsleiter und Sachbearbeiter der Veranlagungsstelle) nicht zuzurechnen wäre. Der erkennende Senat folgt auch insoweit der vom BFH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht, dass es für die Frage des "Kennens" (vgl. dazu schon unter II. 2. b, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung) ebenso wie auch für die hier maßgebliche Frage des "Kennenmüssens" grundsätzlich allein auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalles organisatorisch berufenen Dienststelle des FA (hier: Veranlagungsstelle), nicht hingegen auf diejenige des Prüfers ankommt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, unter II. 1. b aa, m.w.N., und in BFHE 142, 402, BStBl II 1985, 191, unter 1. b, m.w.N.).
dd) Auf den etwaigen --nach Auffassung des erkennenden Senats nahe liegenden-- Verstoß des Klägers gegen seine Mitwirkungspflicht kommt es bei der gegebenen Sachlage für die Beantwortung der Frage, ob dem angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstanden, nicht mehr an.
3. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung wird die Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 im Streitfall nicht durch § 173 Abs. 2 AO 1977 ausgeschlossen.
a) Nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 können abweichend von § 173 Abs. 1 AO 1977 Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Bei der im Streitfall stattgefundenen Fahndungsprüfung handelt es sich nicht um eine Außenprüfung in diesem Sinne. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der bisherigen Rechtsprechung des BFH (grundlegend: BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 56/94, BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367; vgl. ferner auch BFH-Beschluss vom 4. September 2000 I B 17/00, BFHE 192, 260, BStBl II 2000, 648, betreffend den in gleicher Weise wie im Rahmen des § 173 Abs. 2 AO 1977 auszulegenden Begriff der Außenprüfung i.S. des § 30a Abs. 3 AO 1977) und der ihr folgenden herrschenden Lehre an (vgl. z.B. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO 1977 Rz. 324 f.; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO 1977 Rz. 134; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 173 Rz. 142; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 173 Rz. 111; Schöll/ Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 173 Rz. 69; a.A. FG Münster, Urteil vom 20. März 1981 VII 1465/79 E, EFG 1981, 486; Günther, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1985, 514; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 91; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 173 AO 1977 Anm. 7).
b) Gegen die Subsumtion der auf § 208 Abs. 1 AO 1977 gestützten Steuerfahndungsprüfung unter dem Begriff der "Außenprüfung" i.S. von § 173 Abs. 2 AO 1977 sprechen nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung und die Gesetzesmaterialien. Zur näheren Begründung verweist der erkennende Senat insoweit auf die grundlegenden Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367 (unter II. 2. c aa und cc), denen er sich anschließt. Beide Prüfungen unterscheiden sich auch von ihrem Inhalt her. Hierzu wird im BFH-Urteil in BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367 (unter II. 2. c bb) zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 208 Abs. 1 AO 1977 der Steuerfahndung eine Doppelfunktion, nämlich eine steuerstrafrechtliche (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) und eine steuerliche (§ 208 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AO 1977), zugewiesen ist (vgl. auch BTDrucks 7/4292). Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass der Steuerfahndung neben der Erforschung von Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten auch die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen --und zwar im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten-- übertragen worden ist. Dabei besteht die Aufgabe der Steuerfahndung in erster Linie in der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) gehört unmittelbar zur Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten und ist deren nicht abtrennbarer Teil. Sie ist dem Bereich des Strafverfahrens bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahrens zuzurechnen, für den der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist.
Dagegen ist die Außenprüfung nach den §§ 193 ff. AO 1977 als Ermittlungsmaßnahme Teil des Besteuerungsverfahrens. Primäre Aufgabe des Außenprüfers ist es, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind.
c) Sinn und Zweck des § 173 Abs. 2 AO 1977 bestätigen dieses Ergebnis. Die Vorschrift "dient dem Rechtsfrieden nach einer Außenprüfung" (vgl. BTDrucks VI/1982 S. 153). Sie will einem aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheid erhöhte Rechtsbeständigkeit verleihen. Dies erfordert es, die Änderungssperre davon abhängig zu machen, dass die Prüfungsmaßnahmen auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt sind (Senatsurteil vom 11. November 1987 X R 54/82, BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307). Eine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 ist deshalb jede beim Steuerpflichtigen durchgeführte, als solche besonders angeordnete und umfassende Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Besteuerung und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).
Eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) ist für eine Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 nicht gesetzlich vorgeschrieben. Sie muss nur dann erlassen werden, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle gemäß § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde eine Außenprüfung durchführt. Maßgebend für den Umfang der Sperre nach § 173 Abs. 2 AO 1977 ist aber der Inhalt der Prüfungsanordnung (BFH-Urteil in BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367, unter II. 2. c dd).
Zudem wird aufgrund der Fahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 häufig nicht der gesamte Steuerfall aufgerollt, sondern es werden nur bestimmte Schwerpunkte geprüft, hinsichtlich derer mit der Aufdeckung einer Steuerstraftat zu rechnen ist. Die Beurteilung, ob nur eine punktuelle Prüfung erfolgt ist oder ob der Steuerfall in seiner Gesamtheit geprüft wurde, ist oftmals auch anhand des Prüfungsberichts nicht eindeutig zu entscheiden. Weitere Ermittlungen zu dieser Frage stünden dem von § 173 Abs. 2 AO 1977 bezweckten Rechtsfrieden entgegen.
Schließlich sind die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen nicht verpflichtet, eine Fahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 AO 1977 mit einer --dem Rechtsfrieden dienenden-- Schlussbesprechung nach § 201 Abs. 1 AO 1977 abzuschließen. Eine Schlussbesprechung, in der insbesondere strittige Sachverhalte sowie die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern sind (vgl. § 201 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), ist nur dann abzuhalten, wenn die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle nach § 195 Satz 2, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit einer Außenprüfung beauftragt worden ist (BFH-Urteil in BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367, unter II. 2. c dd).
d) Danach erfüllte die im Streitfall durchgeführte Steuerfahndungsprüfung die von § 173 Abs. 2 AO 1977 gestellten Anforderungen an eine "Außenprüfung" im dort gemeinten Sinne entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Ansicht eindeutig nicht. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Steuerfahndungsstelle i.S. von § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde beim Kläger eine Außenprüfung durchgeführt hätte. Dies trifft im Streitfall nicht zu. Anlass und Grund für die vorgenommene Fahndungsprüfung bildete der Verdacht einer Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der gewerblichen Tätigkeit des Klägers (§ 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977). Ohne Belang ist entgegen der Auffassung des FG der Umstand, dass der Fahndungsprüfer im Rahmen seiner schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der gewerblichen Einkünfte liegenden Ermittlungsmaßnahmen "anhand der zur Einkommensteuererklärung 1988 eingereichten Übersicht … und anhand der Steuererklärungen" auch "die Berechnung des Abzugsbetrages aufgrund der Wohneigentumsförderung" überprüfte und änderte (vgl. Fahndungsbericht vom 18. Februar 1997, S. 4, mit Anlage 2). Denn dies ändert nichts daran, dass die in Rede stehende Fahndungsprüfung weder den unter II. 3. b dargelegten formellen noch den materiellen Anforderungen an einer Außenprüfung i.S. von § 173 Abs. 2 AO 1977 entsprach.
Die in § 173 Abs. 2 AO 1977 angeordnete erhöhte Bestandskraft der aufgrund einer Außenprüfung erlassenen Steuerbescheide und der dadurch geschaffene Vertrauensschutz und Rechtsfrieden beruhen auf der Erwägung, dass die Außenprüfung als eine als solche besonders angeordnete zusammenhängende sowie auf intensive und umfassende Sachprüfung angelegte Maßnahme (vgl. z.B. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 310 und 318; v. Wedelstädt in Beermann, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 121) für beide Seiten des Steuerrechtsverhältnisses die begründete Erwartung auslöst, die daraufhin vorgenommenen Steuerfestsetzungen seien grundsätzlich "das letzte Wort in dieser Angelegenheit" (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 310). Die Gewährung dieses erhöhten Vertrauensschutzes setzt nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit voraus, dass sich der Umfang der Sperrwirkung des § 173 Abs. 2 AO 1977 nicht nach dem nicht selten nur schwer feststellbaren tatsächlichen Ausmaß der im konkreten Einzelfall vorgenommenen Prüfungsmaßnahmen, sondern --ebenso wie im Bereich des § 171 Abs. 4 AO 1977-- nach der Prüfungsanordnung richtet (vgl. auch von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 325, m.w.N.; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz. 142). Diesen Anforderungen wurden die im Streitfall durchgeführten Steuerfahndungsmaßnahmen nicht gerecht.
Fundstellen
BFH/NV 2004, 1502 |
HFR 2004, 1200 |
HFR 2004, 947 |
NWB 2005, 3303 |