Leitsatz (amtlich)
Erklärt das FA die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, so kann es, wenn ihm mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen zustehen, die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen.
Das FA ist --ebenso wie der Steuerpflichtige-- nicht gehalten, bei der Aufrechnung seine Ansprüche nach der Fälligkeit zu ordnen und zunächst die älteren Ansprüche zum Erlöschen zu bringen.
Orientierungssatz
Für die Entstehung von Säumniszuschlägen kommt es nicht allein darauf an, daß die Steuer festgesetzt oder angemeldet ist; sie muß auch fällig sein (Literatur).
Normenkette
AO 1977 § 225 Abs. 1-2, § 226 Abs. 1, §§ 34, 69, 191; BGB § 366 Abs. 1-2, § 396 Abs. 1; AO 1977 § 240 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 22.02.1984; Aktenzeichen V 6428/82 L) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG (KG), über deren Vermögen am 4.März 1980 das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm ihn durch Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung für von der KG nicht abgeführte Steuerabzugsbeträge aufgrund der Lohnsteueranmeldung für Dezember 1979 in Anspruch. Die hiergegen gerichtete Klage hatte im wesentlichen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 594 veröffentlicht ist, führte im wesentlichen aus: Der Kläger erfülle die Haftungsvoraussetzungen der §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977), da er als Geschäftsführer der KG seine Verpflichtung zur Abführung der streitigen Steuerabzugsbeträge zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Die Heranziehung des Klägers sei aber insoweit ermessensfehlerhaft, als die rückständigen Steuerschulden deshalb noch bestünden, weil das FA Steuererstattungsansprüche der KG nicht mit den hier strittigen Abzugsbeträgen, sondern mit den Abzugsbeträgen aus der Lohnsteueranmeldung der KG für Januar 1980 verrechnet habe. Die hier strittigen Lohnsteuer- und Kirchensteuerforderungen seien früher fällig gewesen; deshalb hätte bei sachgerechter Ausübung des Ermessens mit diesen Steuerforderungen gegen die vorgenannten Erstattungsansprüche der KG aufgerechnet werden müssen. Durch die fehlerhafte Aufrechnung (Verrechnung) sei der Kläger als Haftungsschuldner beschwert. Denn für die Abzugsbeträge aus der Lohnsteueranmeldung der KG für Januar 1980 hätte er als Haftender nicht in Anspruch genommen werden können, weil die Lohnzahlungen, die dieser Anmeldung zugrunde lägen, erst im Februar 1980 erfolgt, die Abzugsbeträge mithin erst im März 1980 nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG anzumelden und zu entrichten gewesen seien.
Mit der --vom FG zugelassenen-- Revision rügt das FA Verletzung der §§ 225, 226 AO 1977. Es meint, nach § 226 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 396 Abs.1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimme das FA als aufrechnender Teil die Forderung, mit der aufgerechnet werde. Die in § 225 Abs.1 und 2 AO 1977 vorgegebene Tilgungsreihenfolge, auf die das FG abgestellt habe, sei bei der Aufrechnung nicht zu beachten, da sie nach dem Gesetz nur auf freiwillige Zahlungen des Steuerschuldners anzuwenden sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Haftungssumme auf 5 510,12 DM festzusetzen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist im wesentlichen begründet.
1. Das FG hat mit Recht die Haftung des Klägers als ehemaliger Geschäftsführer der KG für die hier streitigen Steuerabzugsbeträge und Säumniszuschläge gemäß §§ 34, 69 AO 1977 dem Grunde nach bejaht. Da von den Beteiligten insoweit Einwendungen gegen die Vorentscheidung nicht erhoben worden sind, nimmt der Senat auf die Begründung des FG Bezug.
Die im Haftungsbescheid des FA in der Fassung der Einspruchsentscheidung gegen den Kläger festgesetzte Haftungsschuld ist nicht durch Verrechnung mit Steuererstattungsansprüchen der KG erloschen, weil nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) das FA die Aufrechnung (Verrechnung) der Erstattungsansprüche der KG mit den Steuerabzugsbeträgen vorgenommen hat, die die KG für den Monat Januar 1980 angemeldet hatte. Die Steuern, für die der Kläger in Anspruch genommen wird, beruhen dagegen auf der Lohnsteueranmeldung der KG für den Monat Dezember 1979. Soweit sie noch rückständig geblieben sind, ist eine Verrechnung mit Steuererstattungsansprüchen der KG nicht erfolgt.
2. Das FG hält aber die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für die auf der Lohnsteueranmeldung für Dezember 1979 beruhenden Steuerrückstände insoweit für ermessensfehlerhaft, als das FA diese Rückstände durch Verrechnung mit überzahlten Steuern der KG hätte tilgen können. Es meint, das FA hätte unter Beachtung der in § 225 Abs.2 AO 1977 für Steuerschulden vorgeschriebenen Tilgungsreihenfolge zunächst mit den streitbefangenen Steuerrückständen aufrechnen müssen, bevor es die Erstattungsansprüche der KG mit den erst später fällig gewordenen Abzugsbeträgen aus der Lohnsteueranmeldung für Januar 1980 verrechnen durfte. Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Eine kassentechnische Verrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis durch das FA führt nur dann zu deren Erlöschen, wenn ihr eine wirksame Aufrechnung zugrunde liegt (vgl. § 47 AO 1977) oder die Beteiligten einen Aufrechnungs- (Verrechnungs-)Vertrag abgeschlossen haben. Die Aufrechnung durch die Finanzbehörde mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis stellt nicht --wie das FG meint-- einen Verwaltungsakt i.S. des § 118 Satz 1 AO 1977, sondern eine empfangsbedürftige rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar, mit der das FA dem Steuerpflichtigen nicht hoheitlich, sondern auf einer gleichgeordneten rechtlichen Ebene gegenübertritt (Urteil des Senats vom 2.April 1987 VII R 148/83, BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das FA nach diesen Grundsätzen mit seinen Ansprüchen aus der Lohnsteueranmeldung für Januar 1980 gegenüber den Erstattungsansprüchen der KG wirksam aufgerechnet hat und ob hierbei Ermessensgrundsätze (vgl. § 5 AO 1977) zu beachten waren. Für den Streitfall ist allein entscheidend, daß jedenfalls die Steuerrückstände aufgrund der Lohnsteueranmeldung für Dezember 1979, für die der Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, nicht durch Aufrechnung erloschen sind. Selbst wenn hinsichtlich der später fälligen Steuerabzugsbeträge eine wirksame Aufrechnung vorliegen sollte, wäre entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Ermessensentscheidung, die nach § 191 Abs.1 AO 1977 bei der Heranziehung des Klägers als Haftungsschuldner vom FA zu treffen war, nicht fehlerhaft. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das FA bei seiner Ermessensentscheidung hinsichtlich der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners überhaupt verpflichtet ist, die Zulässigkeit der von ihm gegenüber einem anderen --hier gegenüber der KG-- erklärten Aufrechnung in seine Erwägungen miteinzubeziehen. Unabhängig davon ist das FA jedenfalls nicht verpflichtet, bei der Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis diese nach der Reihenfolge ihrer Fälligkeit zu ordnen und zuerst die älteren Ansprüche zum Erlöschen zu bringen.
b) Nach § 226 Abs.1 AO 1977 gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Anwendbarkeit des § 396 Abs.1 Satz 1 BGB, der bei mehreren zur Aufrechnung geeigneten Forderungen dem aufrechnenden Teil die Befugnis gibt, die Forderungen zu bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen, wird durch die Regelungen der AO 1977 nicht ausgeschlossen. Das Bestimmungsrecht des Aufrechnenden über die durch Aufrechnung zu tilgenden Forderungen entspricht der Regelung des § 366 Abs.1 BGB, wonach bei mehreren Schulden und für sämtliche Schulden nicht ausreichender Tilgungsleistung diejenige Schuld getilgt wird, welche der Schuldner bei der Leistung bestimmt. Dieser Rechtsgrundsatz gilt nach § 225 Abs.1 AO 1977 auch bei der freiwilligen Zahlung eines Steuerpflichtigen, der mehrere Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu erfüllen hat. Es ist deshalb gerechtfertigt, auch bei der Aufrechnung mit und gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dem Aufrechnenden gemäß § 226 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 396 Abs.1 Satz 1 BGB das Bestimmungsrecht hinsichtlich der zu tilgenden Forderungen zuzubilligen.
Das muß auch dann gelten, wenn das FA die Aufrechnung erklärt und ihm mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen aus dem Steuerschuldverhältnis zustehen. Denn die Aufrechnung des FA stellt ebenso wie diejenige des Steuerpflichtigen die Ausübung eines rechtsgeschäftlichen Gestaltungsrechts und keinen Verwaltungsakt dar (Urteil des Senats in BFHE 149, 482, BStBl II 1987, 536). Aus diesem Grunde entfällt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung auch insoweit, als der Finanzbehörde mehrere Forderungen zur Aufrechnung zur Verfügung stehen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Auflage, § 226 AO 1977, Tz.19). Da sich das FA und der Steuerpflichtige in den Fällen der Aufrechnung --gleichgültig von welcher Seite diese erklärt wird-- auf gleicher rechtlicher Ebene gegenüberstehen, ist es nicht gerechtfertigt, bei mehreren zur Aufrechnung geeigneten Forderungen dem Steuerpflichtigen als Aufrechnenden das Bestimmungsrecht nach § 396 Abs.1 Satz 1 BGB zuzubilligen, dagegen das FA --wie die Vorentscheidung verlangt-- mit seiner Aufrechnung an die Tilgungsreihenfolge des § 225 Abs.2 AO 1977 zu binden.
c) Die in § 225 Abs.2 AO 1977 bestimmte Reihenfolge der Tilgung greift nur ein, wenn der Steuerpflichtige bei freiwilliger Zahlung keine Bestimmung trifft, welche Schuld mit seiner Leistung getilgt werden soll. Es kann dahinstehen, inwieweit und aus welchen Gründen diese Regelung in der AO 1977 von der in § 366 Abs.2 BGB für das Zivilrecht bestimmten Tilgungsreihenfolge bei mangelnder Leistungsbestimmung durch den Schuldner abweicht. Denn die hier maßgebliche Rechtsfrage, ob der Aufrechnende bei mehreren zur Aufrechnung geeigneten Forderungen die Forderungen bestimmen kann, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen, steht in keinem Zusammenhang mit den Vorschriften über die Reihenfolge der Tilgung bei mangelnder Leistungsbestimmung. Letztere --die §§ 366 Abs.2 BGB, 225 Abs.2 AO 1977-- knüpfen an die Tatsache an, daß der Schuldner/Steuerpflichtige bei seiner Leistung keine Bestimmung darüber getroffen hat, welche Schuld getilgt werden soll, und enthalten die für diesen Fall notwendige Problemlösung. Das Gesetz geht aber sowohl bei der Zahlung als auch bei der Aufrechnung des Schuldners davon aus, daß es zunächst Sache des Leistenden ist, zu bestimmen, welche Schuld mit seiner Leistung getilgt werden soll (vgl. §§ 225 Abs.1 AO 1977, 366 Abs.1, 396 Abs.1 Satz 1 BGB). Da auch das FA mit seiner Aufrechnungserklärung unter Preisgabe seines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis eine Leistung erbringt, die zur Tilgung seiner eigenen Verbindlichkeit führt (vgl. §§ 389 BGB, 47 AO 1977), ist es geboten, auch ihm das Recht einzuräumen, die Forderungen zu bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Erst für den --hier nicht vorliegenden-- Fall, daß die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt wird oder der andere Teil unverzüglich widerspricht, findet nach § 396 Abs.1 Satz 2 BGB die bei mangelnder Leistungsbestimmung geltende Vorschrift des § 366 Abs.2 BGB entsprechende Anwendung. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob in den Fällen der Aufrechnung nach § 226 AO 1977 bei mangelnder Bestimmung der Aufrechnungsforderungen durch den Aufrechnenden eine entsprechende Anwendung des § 225 Abs.2 AO 1977 näher läge als die entsprechende Anwendung des § 366 Abs.2 BGB; denn nach den Feststellungen des FG hat das FA im Streitfall bestimmt, welche Forderungen miteinander verrechnet werden sollten.
d) Räumt man --wie der erkennende Senat für zutreffend hält-- im Falle der Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis auch dem FA als Aufrechnenden gemäß § 226 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 396 Abs.1 Satz 1 BGB das Recht ein, die Forderungen zu bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen, so liegt darin kein Verstoß gegen die Wertordnung der AO 1977. Es werden vielmehr, wie oben ausgeführt, sowohl der Steuerpflichtige und das FA als auch die Schuldtilgung durch Zahlung und diejenige durch Aufrechnung gleich behandelt. Die Tatsache, daß aufgrund der verfahrensrechtlichen Gestaltung des Steuerrechts (z.B. Vorauszahlungen, Steuerabzug vom Arbeitslohn) in zahlreichen Fällen Steuererstattungsansprüche entstehen, die der Steuerpflichtige oft nicht vermeiden kann und die dem FA dann die Möglichkeit zur Aufrechnung bieten, spricht nicht dagegen, auch dem FA für seine Aufrechnung das Bestimmungsrecht hinsichtlich der Aufrechnungsforderungen zuzubilligen. Der Senat hat für den Fall der Aufrechnung des FA gegen einen Steuererstattungsanspruch, dessen Entstehung darauf zurückzuführen war, daß der Steuerpflichtige einen Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) erst bei der Veranlagung, nicht aber schon während des laufenden Lohnsteuerabzugsverfahrens geltend machen konnte (§ 39a EStG), entschieden, daß darin keine unzulässige Rechtsausübung liegt (Urteil vom 19.Oktober 1982 VII R 64/80, BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541). Aus der uneingeschränkten Befugnis des FA, eine Aufrechnungslage, die sich aufgrund der Besonderheiten des Steuerverfahrensrechts ergibt, auszunützen, folgt auch dessen Recht, die Forderungen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen, zu bestimmen.
Auch die nachteilige Rechtsposition des Steuerpflichtigen gegenüber dem FA, die sich daraus ergibt, daß das FA aufgrund der Steuerfestsetzung früher als der Steuerpflichtige von dem Erstattungsanspruch und damit von der Aufrechnungsmöglichkeit Kenntnis erlangt und daß der Steuerpflichtige nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen kann (§ 226 Abs.3 AO 1977), muß für die hier maßgebliche Rechtsfrage außer Betracht bleiben. Da dieses Interessenungleichgewicht die Aufrechnung durch das FA nicht hindert (vgl. BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541, 542), kann es auch den Rechtsgrundsatz, daß der Aufrechnende die aufzurechnenden Forderungen bestimmt (§ 396 Abs.1 Satz 1 BGB), nicht tangieren.
Das FA war somit befugt, mit den --später fällig gewordenen-- Steueransprüchen aufgrund der Lohnsteueranmeldung für Januar 1980 gegen die Erstattungsansprüche der KG aufzurechnen. Es brauchte folglich diese Aufrechnungsmöglichkeit bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für die Steuerabzugsbeträge, die aufgrund der Lohnsteueranmeldung der KG für Dezember 1979 rückständig sind, nicht mehr zu berücksichtigen. Die Heranziehung des Klägers ist folglich nicht aus den von der Vorentscheidung angeführten Gründen ermessensfehlerhaft. Das Urteil des FG war deshalb aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 61596 |
BStBl II 1988, 117 |
BFHE 151, 340 |
BFHE 1988, 340 |