Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die entgeltliche übernahme von Rentenverpflichtungen unterliegt der Umsatzsteuer.
Normenkette
UStG § 1 Ziff. 1, § 4 Ziff. 8; UStDB § 7 Abs. 1; UStG § 3/8
Tatbestand
Anläßlich der Auflösung der ihr angeschlossenen, rechtlich selbständigen Versorgungskasse übernahm die Steuerpflichtige im Jahre 1951 Rentenverpflichtungen der Kasse im Betrage von 77.933 DM im Wege der Verrechnung mit einer Darlehnsschuld der Steuerpflichtigen gegenüber der Kasse. Streitig ist, ob die Schuldübernahme der Umsatzsteuer unterliegt.
Das Finanzamt hat die Frage bejaht, weil in der Schuldübernahme eine entgeltliche Leistung der Steuerpflichtigen gegenüber der Versorgungskasse im Sinne des § 1 Ziff. 1 UStG zu erblicken sei. Dagegen hat das Finanzgericht die Steuerpflichtige mit dem Betrag von 77.933 DM von der Umsatzsteuer freigestellt. Nach Ansicht des Finanzgerichts handelt es sich im Streitfalle um eine nach § 4 Ziff. 8 UStG umsatzsteuerfreie Geldforderung. Das Finanzgericht führt hierzu aus:
""Nach § 4 Ziff. 8 UStG sind von der Umsatzsteuer befreit die Umsätze von Geldforderungen. Und um eine solche Darlehnsforderung handelt es sich hier. Umsatzsteuerlich gesehen hat die Bfin. eine gegen sie selbst gerichtete Geldforderung erworben und durch die Schuldübernahme bezahlt. Für die Anwendung der Befreiungsvorschrift kommt es nur darauf an, was sie, die Bfin., von der Kasse erwarb, was also an sie "geliefert" oder "geleistet" wurde. Und das war die Darlehnsforderung. Ob diese sich gegen die Bfin. richtete oder gegen eine dritte Person, muß für die umsatzsteuerliche Betrachtungsweise gleichgültig bleiben. Es geht nicht an, einen solchen Fall anders zu behandeln, je nachdem die Darlehnsforderung durch Vereinigung von Gläubiger und Schuldner erlischt oder noch bestehen bleibt. Für die Anwendung des § 4 Ziff. 8 UStG ist es auch gleichgültig, durch welche Gegenleistung die Forderung erworben wurde. Ihre Eigenart ist nur von Bedeutung für die Frage, ob der Empfänger der Gegenleistung seinerseits umsatzsteuerpflichtig ist oder nicht.""
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat Erfolg.
Das Hauptproblem des Falles besteht darin, ob eine sogenannte private (befreiende) Schuldübernahme eine "sonstige Leistung" im Sinne des § 1 Ziff. 1 UStG in Verbindung mit § 7 UStDB darstellt. Dieser Begriff ist dem weitgespannten Leistungsbegriff des § 241 BGB nachgebildet. Eine Leistung im Sinne des allgemeinen Rechtes kann unter anderem in der Vornahme von Rechtshandlungen sowie in der Begründung von Schuldverhältnissen bestehen, die ihrerseits Leistungen zwischen Leistungsverpflichteten und Leistungsberechtigten zum Inhalt haben. Zu den Leistungen dieser Art gehören die Forderungsabtretung und ihr Gegenstück, die Schuldübernahme (vgl. Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., Schuldverhältnisse I. Teil S. 24). Bei dem abstrakten Rechtsgeschäft der Schuldübernahme besteht die Leistung des übernehmers der Schuld (Zweitschuldners) darin, daß er sein Vermögen mit einem Passivposten belastet und dem Erstschuldner durch Befreiung von der Schuld (Leistungsverpflichtung) einen Vermögenswert zuwendet. Im Streitfalle haben sich durch die übernahme der Rentenverpflichtungen die Passiva in der Vermögensübersicht der Steuerpflichtigen erhöht und die Passiva in der Vermögensübersicht der Versorgungskasse entsprechend verringert. Die Steuerpflichtige hat der Versorgungskasse zu Lasten ihres eigenen Vermögens Vermögenswerte in Höhe von 77.933 DM zugeführt. Derselbe Vorgang mit umgekehrten Vorzeichen hat sich dadurch abgespielt, daß die Versorgungskasse die Steuerpflichtige in derselben Höhe von ihrer Darlehnsschuld ihr gegenüber befreite. Dadurch hat die Versorgungskasse der Steuerpflichtigen gegenüber eine Leistung erbracht. Es stehen sich Leistung und Gegenleistung gegenüber. Es hat ein Leistungsaustausch stattgefunden.
Leistung und (oder) Gegenleistung im Rechtssinne unterliegen aber nur insoweit der Umsatzsteuer, als sie auch Leistungen im wirtschaftlichen Sinne sind. Denn nur solche werden von der Umsatzsteuer erfaßt. Die bloße Entgeltsentrichtung, insbesondere die Geldzahlung der - überweisung, ist keine "sonstige Leistung" nach § 1 UStG. So kommt es, daß in den meisten Fällen des Leistungsaustausches nur eine der beiden Leistungen zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist, während die andere als reines Entgelt aus der Besteuerung ausscheidet. Gelegentlich sind sogar beide Leistungen im Rechtssinne, weil sie keine wirtschaftlichen Folgen auslösen, nicht umsatzsteuerbar (z. B. beim Wechseln einer Banknote in Kleingeld). Umgekehrt können Leistung und Gegenleistung wirtschaftliche Leistungen sein und daher der Umsatzsteuer unterliegen (insbesondere beim Tausch und bei tauschähnlichen Leistungen).
Bei der Schuldübernahme kommen beide Formen von Leistungen vor: Sie sind entweder solche nur im Rechtssinne oder zugleich solche im wirtschaftlichen Sinne. Das hängt davon ab, ob die Leistung ausschließlich Entgelt ist oder ob darüber hinaus durch sie ein wirtschaftlicher Effekt angestrebt wird. In der Regel wird die Schuldübernahme reinen Entgeltscharakter haben. Ob jemand eine gekaufte Ware in bar bezahlt oder statt dessen eine ihm gegen einen Dritten zustehende Geldforderung an den Verkäufer der Ware abtritt oder dessen Schuld (z. B. an Vorlieferer) übernimmt, macht wirtschaftlich gesehen keinen Unterschied aus, der eine abweichende umsatzsteuerrechtliche Behandlung rechtfertigte. Es handelt sich in diesen Fällen bei der Forderungsabtretung und bei der Schuldübernahme nur um einen besonderen Zahlungsmodus, der meistens aus praktischen Gründen gewählt wird, z. B. um doppelte Zahlungen zu vermeiden oder um Zahlungsfristen auszunutzen oder weil es dem Zahlungsverpflichteten an Bargeld fehlt.
Es gibt aber auch Fälle, in denen der Zweitschuldner durch die Schuldübernahme nicht bloß eine Zahlungsverpflichtung erfüllen will, sondern in erster Linie ein eigenes wirtschaftliches Ziel verfolgt. Das trifft gerade bei der übernahme von Pensions- und Rentenverpflichtungen zu. Durch solche Zukunftsicherungen sollen die Sorgen, die Alter und Krankheiten mit sich bringen, für die Pensions- oder Rentenberechtigten verringert und sie selbst eng mit dem Unternehmen des Arbeitgebers verbunden werden. übernimmt ein Unternehmer beim Eintritt neuer Arbeitskräfte vom früheren Arbeitgeber gegen Entgelt die diesem obliegenden Pensions- oder Rentenverpflichtungen, so tut er das weitgehend im eigenen Interesse. Dasselbe gilt, wenn ein Unternehmer - wie im Streitfalle - derartige Verpflichtungen übernimmt, weil eine seinem Unternehmen angegliederte, aber rechtlich selbständige Versorgungskasse aufgelöst wird. Durch die Schuldübernahme will der Unternehmer hauptsächlich die Bande zu dem Rentenberechtigten erhalten oder verstärken. Die Schuldübernahme bildet in diesen Fällen einen Hauptgegenstand des Geschäftes. Sie hat nicht bloß Entgelts-, sondern auch Leistungscharakter.
Daß Leistungen im Rechtssinne, auch soweit sie regelmäßig Entgeltscharakter haben, Leistungscharakter besitzen können, zeigt die Steuerbefreiung der Umsätze von Geldforderungen (ß 4 Ziff. 8 UStG). Diese Befreiungsvorschrift wäre überflüssig, wenn die Abtretung von Geldforderungen niemals als "sonstige Leistung" in Betracht käme. Daraus, daß die Schuldübernahme das Gegenstück zur Forderungsabtretung ist, ergibt sich, daß auch die Schuldübernahme, sofern - wie im Streitfalle - der Entgeltscharakter zurücktritt, eine sonstige Leistung im Sinne des § 1 Ziff. 1 UStG ist.
Die Annahme des Finanzgerichts, die übernahme der Rentenverpflichtungen durch die Steuerpflichtige falle unter § 4 Ziff. 8 UStG, geht fehl. Die Steuerpflichtige hat nicht eine Geldforderung umgesetzt (abgetreten), sondern eine Schuld übernommen. Die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 8 UStG betrifft nicht - wie das Finanzgericht anzunehmen scheint - den Erwerber der Forderung (der durch den Forderungserwerb überhaupt keinen Umsatz tätigt), sondern denjenigen, der die Forderung abtritt. Da die Schuldübernahme im Streitfalle eine wirtschaftliche Leistung darstellt und für sie (im Gegensatz zur Forderungsabtretung) eine Befreiungsvorschrift nicht besteht, hat das Finanzamt die Steuerpflichtige mit dem Betrage von 77.933 DM zu Recht zur Umsatzsteuer herangezogen.
Unter Aufhebung der Vorentscheidung war daher die Sprungberufung der Steuerpflichtigen gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410448 |
BStBl III 1962, 292 |
BFHE 1963, 67 |
BFHE 75, 67 |