Entscheidungsstichwort (Thema)
Kaufvertrag mit Nachlaßpfleger über Nachlaßgrundstück; Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs
Leitsatz (amtlich)
Durch den Abschluß eines Kaufvertrages mit einem Nachlaßpfleger über ein zum Nachlaß gehörendes Grundstück wird i.S. von § 23 Abs.1 GrEStG 1983 ein Erwerbsvorgang nicht verwirklicht, bis die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt ist und der Nachlaßpfleger dem anderen Vertragsteil hiervon Mitteilung gemacht hat.
Orientierungssatz
1. Ein Erwerbsvorgang i.S. des § 23 GrEStG 1983 ist verwirklicht, wenn das auf einen Erwerbsvorgang abzielende Wollen in rechtsgeschäftliche Erklärungen umgesetzt worden ist, wenn also die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden sind. Diese Voraussetzungen können auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen von dem Eintritt einer Bedingung oder der Erteilung einer Genehmigung abhängen. Die Parteien eines solchen Rechtsgeschäfts sind im Regelfall durch den Vertragsabschluß gebunden und können die Vertragsbeziehung nicht mehr einseitig lösen.
2. Die für den Bereich des Zivilrechts vorgesehene Rückwirkung der Rechtsfolgen der Genehmigung nach § 184 BGB ist grunderwerbsteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen (siehe auch § 14 GrEStG 1983). Eine Verkehrsteuer, die an einen einzelnen Rechtsvorgang anknüpft, kann nicht rückwirkend entstehen.
Normenkette
GrEStG 1983 § 23 Abs. 4, § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Dok.-Nr. 0144546; EFG 1998, 894) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) schloß am 18. Dezember 1996 mit Rechtsanwalt A in seiner Eigenschaft als Nachlaßpfleger einen notariell-beurkundeten Kaufvertrag über ein zum Nachlaß gehörendes Grundstück zu einem Kaufpreis von 650 000 DM. Das Nachlaßgericht genehmigte die Erklärungen des Nachlaßpflegers am 10. März 1997. Dieser unterrichtete die Klägerin daraufhin, daß die Genehmigung erteilt worden sei.
Das früher sachlich zuständige Finanzamt X setzte gegen die Klägerin durch Bescheid vom 13. Mai 1997 unter Anwendung eines Steuersatzes von 3,5 v.H. nach § 11 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 (JStG 1997) vom 20. Dezember 1996 (BStBl I 1996, 2049) Grunderwerbsteuer in Höhe von 22 750 DM fest. Es ging davon aus, daß der Erwerbsvorgang erst nach dem 31. Dezember 1996 verwirklicht worden sei.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin eine Steuerfestsetzung nach dem bis Ende 1996 geltenden Steuersatz von 2 v.H. begehrte, blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 894 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 23 Abs. 4 GrEStG 1983. Sie ist der Auffassung, der Erwerbsvorgang sei vor dem 31. Dezember 1996 verwirklicht worden. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, daß die Rechtsfolgen der erteilten Genehmigung zivilrechtlich mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eingetreten seien.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen die Grunderwerbsteuer auf 13 000 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat zu Recht erkannt, daß nach § 23 Abs. 4 Satz 1 GrEStG 1983 auf den hier streitigen Erwerbsvorgang die Vorschrift des § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 i.d.F. des JStG 1997 anzuwenden ist. Nach § 23 Abs. 4 Satz 1 GrEStG 1983 ist § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 i.d.F. des JStG 1997 erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1996 verwirklicht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein Erwerbsvorgang i.S. von § 23 GrEStG 1983 verwirklicht, wenn das auf einen Erwerbsvorgang abzielende Wollen in rechtsgeschäftliche Erklärungen umgesetzt worden ist, wenn also die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden sind (vgl. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234, und vom 17. September 1986 II R 136/84, BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35, m.w.N.).
Die Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs setzt somit stets rechtsgeschäftlich wirksame Willenserklärungen der Vertragsschließenden voraus, durch die eine Bindung der Beteiligten an das vorgenommene Rechtsgeschäft eingetreten ist. Bei einem unbedingten bzw. keiner Genehmigung bedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluß gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen (z.B. Entstehung eines Eigentumsverschaffungsanspruchs) von dem Eintritt einer Bedingung oder der Erteilung einer Genehmigung abhängen. Denn auch das bedingte oder genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft ist tatbestandlich vollendet und voll gültig, nur seine Rechtswirkungen befinden sich bis zum Eintritt der Bedingung oder der Erteilung der Genehmigung in der Schwebe (vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Aufl., Einf. Vor § 158 Anm. 8). Die Parteien eines genehmigungsbedürftigen oder bedingten Rechtsgeschäfts sind im Regelfall durch den (vorausgesetzt wirksamen) Vertragsabschluß gebunden und können die Vertragsbeziehung nicht mehr einseitig lösen (vgl. Harm Peter Westermann, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 158 Rdnr. 39), vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treuepflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verpflichtet.
Eine derartige gegenseitige Bindung an das vorgenommene Rechtsgeschäft entstand im Streitfall zwischen den Vertragsparteien (der Klägerin und dem unbekannten Erben) durch den Abschluß des Grundstückskaufvertrages am 18. Dezember 1996 (noch) nicht. Die Vertragserklärungen des Nachlaßpflegers bedurften nach § 1960 Abs. 2, § 1915 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Abs. 1 Nr. 4, § 1829 Abs. 1 Satz 1 BGB der Genehmigung durch das Nachlaßgericht. Bis zur Erteilung und Mitteilung der Genehmigung gegenüber der Klägerin im Jahre 1997 fehlte es an einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Erklärung des (unbekannten) Erben, so daß nur die Klägerin, nicht jedoch der Erbe als Grundstücksveräußerer gebunden war. Die Klägerin konnte sich nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 1829 Abs. 2 bzw. des § 1830 BGB wieder vom Vertrag lösen, während der Nachlaßpfleger gegenüber der Klägerin völlig frei von Bindungen und Haftungsfolgen weder verpflichtet war, die Genehmigung des Nachlaßgerichts einzuholen, noch die erteilte Genehmigung durch Mitteilung an die Klägerin wirksam zu machen. § 162 BGB ist nicht anwendbar (vgl. Schwab in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1829 Rdnr. 5, 9, m.w.N.). Die ohne vorgängige nachlaßgerichtliche Genehmigung namens des unbekannten Erben abgegebene Willenserklärung des Nachlaßpflegers erzeugte somit gegen den Erben noch keine Rechtsbindungen in bezug auf das vorgenommene Rechtsgeschäft.
Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht daraus, daß zivilrechtlich die Rechtsfolgen der vom Nachlaßgericht erteilten Genehmigung gemäß § 184 BGB auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirken (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 28. September 1933 IV 178/33, RGZ 142, 59, 62). Denn die für den Bereich des Zivilrechts vorgesehene Rückwirkung der Rechtsfolgen der Genehmigung ist grunderwerbsteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen. Ob eine solche Rückwirkung der Rechtsfolgen dazu führt, daß bereits eingetretene oder --wie im Streitfall-- noch nicht eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern (entfallen oder eintreten), bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 1/92, BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894, und GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Das GrEStG 1983 enthält keine entsprechende Vorschrift. Vielmehr ergibt sich aus § 14 Nr. 2 GrEStG 1983, daß der Gesetzgeber für die Frage des Zeitpunktes der Entstehung der Steuer derartigen zivilrechtlichen Rückwirkungen grunderwerbsteuerrechtlich keine Bedeutung zugemessen hat. Damit ist der Gesetzgeber dem allgemeinen Grundsatz gefolgt, daß eine Verkehrsteuer, welche an einen einzelnen Rechtsvorgang anknüpft, nicht rückwirkend entstehen kann (BFH-Urteil vom 19. November 1981 II R 51/80, BFHE 134, 459, BStBl II 1982, 168). Unter diesen Umständen verbietet es sich, bei der Frage des Zeitpunkts der Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs eine andere Beurteilung vorzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 56250 |
BFH/NV 1999, 1562 |
BStBl II 1999, 606 |
BFHE 188, 453 |
BFHE 1999, 453 |
BB 1999, 1644 |
DB 1999, 1685 |
DStRE 1999, 639 |
DStRE 1999, 639-640 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1999, 819 |