Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Feststellungslast und ihrer Umkehrung
Leitsatz (NV)
1. Zur Feststellungslast, wenn der Kläger den Zufluß von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit bestreitet.
2. Zu der Frage, ob eine Umkehrung der Feststellungslast angenommen werden kann, wenn der Kläger den Zufluß begründende Umstände erst im Klageverfahren bestritten hat.
3. Zum Zeitpunkt des Zuflusses bei der Hingabe von Schecks.
Normenkette
EStG §§ 8, 19; FGO § 96
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Arbeitnehmer, zum Teil als Geschäftsführer der X GmbH. Er bezog Gehälter und Provisionen. Streitig ist im vorliegenden Revisionsverfahren nur noch die Höhe seiner Bezüge seitens der GmbH für das Streitjahr.
Der Kläger gab zunächst trotz wiederholter Aufforderung eine Einkommensteuererklärung nicht ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte deshalb Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einspruch blieb erfolglos, weil der Kläger ihn nicht begründet hatte.
Während des Klageverfahrens reichte der Kläger eine Einkommensteuererklärung ein. Das FA wich in dem Einkommensteuer-Berichtigungsbescheid - unter Berücksichtigung von Ergebnissen einer Prüfung bei der GmbH - von den Angaben in der verspätet eingereichten Einkommensteuererklärung nicht unerheblich ab. Es setzte die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit mit . . . DM fest.
Der Kläger machte den Berichtigungsbescheid zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens. In der Sache machte er geltend: Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien um 25 000 DM zu erhöhen, weil ihm dieser Betrag erst im Streitjahr - und nicht wie das FA meine bereits im Vorjahr - zugeflossen sei. Diese Einkünfte seien aber gleichzeitig um 145 000 DM zu kürzen. Die als Sachbezug von 58 000 DM berücksichtigte Übereignung eines Grundstücks sei tatsächlich nicht erfolgt. Auch habe er bei der Provisionsabrechnung den Betrag von 45 000 DM von seinem Arbeitgeber nicht bar, sondern darüber nur zahlungshalber einen Scheck erhalten, der aber bei Fälligkeit nicht eingelöst worden sei. Das gleiche gelte für zwei weitere vordatierte Schecks über jeweils 8 000 DM und für sechs Wechselakzepte über insgesamt 26 000 DM, die sämtlich von der GmbH nicht eingelöst worden seien.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es führte im wesentlichen aus: Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien um 58 000 DM zu mindern, da das Eigentum hinsichtlich eines bestimmten Grundstücks jedenfalls nicht im Streitjahr übertragen worden sei. Der nicht weiter belegten Behauptung des Klägers, Schecks und Wechsel über insgesamt 87 000 DM seien nicht eingelöst worden, könne indessen nicht gefolgt werden. Denn nachdem das FA seinerzeit bei seinen Ermittlungen auch unter Mitwirkung des Klägers den Zufluß dieser Einnahmen festgestellt gehabt habe, ohne daß der Kläger bereits damals sofort die Nichteinlösung behauptet oder sonstwie geltend gemacht hätte, genüge das schlichte Bestreiten des Zuflusses nicht. Aufgrund seines früheren Verhaltens habe der Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht im Steuerfestsetzungsverfahren diese Behauptungen unter Angabe entsprechender Beweismittel näher darlegen müssen. Das sei ihm auch zuzumuten und möglich gewesen. Denn er sei zum einen an dem damaligen Geschehensablauf unmittelbar beteiligt gewesen; zum anderen sei zu bedenken, daß sowohl das Wechselgesetz als auch das Scheckgesetz für den Fall der Nichteinlösung entsprechender Papiere zur vereinfachten Durchsetzung der Ansprüche ein besonderes Verfahren ermögliche. Danach hätte es am Kläger gelegen, entsprechende Unterlagen beizubringen oder die Vorgänge im einzelnen genau darzustellen. Ihm obliege insoweit die objektive Beweislast. Den erforderlichen Beweis habe der Kläger aber nicht erbracht.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, er habe bereits mit Schriftsatz vom . . . an das FG vorgetragen, daß die drei Schecks über zusammen 61 000 DM nicht eingelöst und daß die sechs Wechsel gar nicht erst ausgestellt worden seien. Das FG habe hierauf den Prozeß vertagt, um dem FA die Möglichkeit zur Nachprüfung zu geben. Das FA habe danach zwar die Nichtglaubhaftmachung des Ausfalls der Scheckzahlungen bemängelt, die behauptete Nichtausstellung der sechs Wechsel über insgesamt 26 000 DM aber nicht in Zweifel gezogen.
Sein seinerzeitiger Prozeßbevollmächtigter habe bei Überreichung des vorerwähnten Schriftsatzes darauf hingewiesen, daß sich die Buchführungsunterlagen durch eine Beschlagnahme seitens der Steuerfahndung in den Händen der Finanzverwaltung befänden und daß man daraus die Nichteinlösung der Schecks sowie der Wechsel ersehen könne. Das FA hätte ohne große Mühe feststellen können, daß diese Schecks und Wechsel tatsächlich nicht eingelöst worden seien. Statt dessen habe es einfach seine Angaben bestritten, obwohl ihm mangels Unterlagen ein Nachweis nicht möglich gewesen sei. Die Provisionsabrechnung sei lediglich als ,,Vorschlag" aufgestellt worden; es handle sich insoweit also nicht um eine Empfangsbestätigung. Dies werde nicht zuletzt daraus deutlich, daß auch die darin bezeichnete Wohnung . . . im Werte von 58 000 DM - wie das FG nun auch festgestellt habe - dem Kläger jedenfalls im Streitjahr nicht übergeben worden sei.
Soweit das FG ausführe, das FA habe unter Mitwirkung des Klägers den Zugang dieser Einnahmen festgestellt, sei das nicht zutreffend. Das FA hätte beweisen müssen, daß die sechs Wechsel ausgestellt und eingelöst worden seien. Das FG hätte also dem FA die Beweislast auferlegen müssen, weil diesem die Beweisführung am leichtesten möglich gewesen wäre.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des FG-Urteils wegen ungenügender Sachaufklärung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit liegen dann vor, wenn dem Arbeitnehmer Geld oder geldeswerte Güter für eine Beschäftigung im privaten (oder öffentlichen) Dienst zugeflossen sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39 unter 2.).
I. Im Streitfall ist nicht in ausreichendem Maße geklärt, ob dem Kläger im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der (Wechsel-)Betrag in Höhe von 26 000 DM zugeflossen ist. Das FG durfte die Beweislosigkeit insoweit nicht dem Kläger zum Nachteil gereichen lassen.
Das FG ist in seiner Entscheidung unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75 (BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562) davon ausgegangen, der Kläger habe u. a. die objektive Beweislast ,,hinsichtlich des behaupteten Nichtzuflusses" der Einnahmen in Höhe von 26 000 DM. Da er diesen Beweis nicht erbracht habe, müsse dieser Betrag als zugeflossen behandelt werden. Dem kann der erkennende Senat nicht folgen.
a) Lassen sich im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung bestimmte Umstände nicht mit der gebotenen Sicherheit klären, müssen die Folgen der Beweislosigkeit, die Feststellungslast, geregelt sein. Nach dem Urteil in BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562 gilt im Steuerprozeß im allgemeinen, daß
(1) der Steuergläubiger die objektive Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, die den Steueranspruch begründen, und
(2) der Steuerpflichtige mit der objektiven Beweislast für diejenigen Tatsachen belastet ist, die eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 96 FGO Tz. 17; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 FGO Anm. 44 ff.).
b) Demnach muß das FA grundsätzlich auch den Zufluß von Einnahmen nachweisen; denn er gehört zur Begründung eines Steueranspruchs. Diesen Zufluß hat der Kläger im Streitfall aber gerade bestritten. Er hat hinsichtlich der Wechsel nicht nur den Erhalt des Wechselbetrags von 26 000 DM, sondern bereits die Ausstellung der Wechsel in Abrede gestellt. Er habe auch nicht die Mittel gehabt, insoweit einen - noch dazu vielleicht nicht aussichtsreichen - Prozeß zu führen. Demnach hat der Kläger den Zufluß der Wechselsumme verneint. Das FG durfte bei dieser Sachlage den Zufluß - entgegen der vorstehenden Beweislastregel - nicht unterstellen.
c) Allerdings gilt die wiedergegebene Beweislastregel nicht uneingeschränkt. Die objektive Beweis- und Feststellungslast wird vielmehr bei Vorliegen bestimmter Erfahrungssätze umgekehrt. Das heißt, der nach einem Erfahrungssatz wahrscheinliche Sachverhalt wird bis zum Beweis des Gegenteils berücksichtigt. Dadurch ist der andere Beteiligte genötigt, den Gegenbeweis zu führen oder jedenfalls eine von der Typizität abweichende Besonderheit darzutun (vgl. List, a. a. O., § 96 FGO Anm. 48; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 3258).
d) Das FG ist im Streitfall - ohne dies so auszusprechen - offensichtlich davon ausgegangen, es spreche ,,erfahrungsgemäß" vieles dafür, daß dem Kläger die 26 000 DM, über die ihm Wechsel ausgestellt worden seien, auch zugeflossen seien; er habe deshalb den Gegenbeweis zu führen. Der erkennende Senat kann dem aber nicht folgen.
Der Umstand, daß der Kläger früher die Nichtausstellung und erst recht die Nichteinlösung der Wechsel nicht geltend gemacht habe, läßt noch nicht den Schluß zu, daß ihm die Wechselbeträge ,,erfahrungsgemäß" zugeflossen sind. Ihm insoweit die Beweislast - in Umkehr von der Regel - aufzuerlegen, erscheint auch deshalb bedenklich, weil negative Umstände (Nichtausstellung und Nichteinlösung) regelmäßig nicht nachweisbar sind.
Es kommt hinzu, daß der Kläger dem FG durch seinen seinerzeitigen Prozeßbevollmächtigten vorgetragen hat, die Provisionsabrechnung sei in Gegenwart dieses Prozeßbevollmächtigten aufgestellt worden. Es hätte deshalb nahegelegen, diesen Prozeßbevollmächtigten von Amts wegen als Zeugen dazu zu hören, ob die ,,Provisionsabrechnung" - wie der Kläger behauptet - nur ein Vorschlag war und ob bei dieser Abrechnung auch die bezeichneten Wechsel ausgestellt und übergeben worden seien.
Insbesondere konnten sich dem FG an dem Zufluß des Wechselgesamtbetrags von 26 000 DM auch deshalb Zweifel aufdrängen, weil die ,,Provisionsabrechnung" vom 2. April stammte und darin von einer Barzahlung über 40 000 DM am 3. April - also von einer künftigen Zahlung - die Rede war. Nicht zuletzt hat das FG die ,,Provisionsabrechnung" selbst nicht uneingeschränkt für zutreffend erachtet. Denn es hat die darin mit dem Wert von 58 000 DM erwähnte Wohnung entgegen dieser ,,Provisionsabrechnung" nicht als Zufluß des Streitjahres behandelt.
Danach konnte unter Beachtung des Vortrags des Klägers, der ,,Provisionsabrechnung", der Behauptung, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers bei der Aufstellung der Provisionsabrechnung zugegen war, und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß das FA selbst die behauptete Nichtausstellung der sechs Wechsel ausdrücklich nicht mehr in Zweifel gezogen hatte, kein Erfahrungssatz des Inhalts gewonnen werden, der Kläger habe die in der Provisionsabrechnung aufgezählten Wechselbeträge in Höhe von 26 000 DM im Streitjahr auch tatsächlich erhalten. Das FG hätte den Zufluß dieser Summe also nicht ohne weiteres zu Lasten des Klägers unterstellen dürfen.
Da das FG von anderen Erwägungen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
II. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch nochmals zu prüfen haben, ob dem Kläger die Scheckbeträge von insgesamt 61 000 DM tatsächlich zugeflossen sind. Insoweit könnte der Kläger allerdings beweispflichtig sein. Denn er hat nicht in Abrede gestellt, Schecks - wenn auch vordatierte - über insgesamt 61 000 DM erhalten zu haben. War er aber im Besitz dieser Schecks, so hätte er deren Nichteinlösung durch Vorlage gegenüber dem FA belegen können. Davon geht grundsätzlich auch das BFH-Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 97/78 (BFHE 132, 410, BStBl II 1981, 305) aus. Danach ist ein Scheckbetrag grundsätzlich nicht erst mit der Einlösung des Schecks, sondern bereits mit dessen Hingabe zugeflossen. Etwas anderes gilt nach dieser Entscheidung nur, wenn der sofortigen Vorlage des Schecks zivilrechtliche Abreden entgegenstehen oder wenn davon ausgegangen werden kann, daß die bezogene Bank im Falle der sofortigen Vorlage des Schecks den Scheckbetrag wegen fehlender Deckung nicht auszahlen oder gutschreiben würde. Für derartige von der Erfahrung abweichende Geschehensabläufe hat indessen der Scheckinhaber die Beweislast.
Fundstellen
Haufe-Index 414756 |
BFH/NV 1987, 162 |