Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsrechtliche Bindung an Auslegung von Landesrecht
Leitsatz (NV)
Die Auslegung des FG, dass es sich bei einer landesrechtlichen Wiederherstellungsklausel nicht um eine Fälligkeitsvoraussetzung, sondern um eine aufschiebende Bedingung für das Entstehen eines Brandentschädigungsanspruchs handelt, ist revisionsrechtlich nicht nachprüfbar. Der BFH kann lediglich prüfen, ob die Auslegung des Landesrechts durch das FG mit Bundesrecht übereinstimmt und bundesrechtlichen Auslegungsregeln entspricht.
Normenkette
BewG § 95 Abs. 1, § 109 Abs. 4; FGO § 118 Abs. 1 S. 1, § 155; VVG §§ 97, 193; ZPO § 562
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 1998, 349) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb einen Gewerbebetrieb. Durch einen Brand am … Dezember 1991 wurde ein Betriebsgebäude zerstört; die übrigen Betriebsgebäude wurden beschädigt. Die Oldenburgische Landesbrandkasse, bei der die Klägerin gegen Brandschäden versichert war, ermittelte in einem Schadenschätzungsprotokoll vom … Dezember 1991 einen Neuwertschaden in Höhe von 2 172 581 DM. Die Entschädigungssumme wurde später auf 2 427 136 DM festgesetzt. Die Klägerin aktivierte in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1991 eine Forderung in Höhe dieses Betrages und bildete zugleich eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe von 1 981 456 DM.
In der Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1992 setzte die Klägerin den in der Bilanz ausgewiesenen Anspruch auf die Versicherungsentschädigung in gleicher Höhe als Forderung an. Die Rücklage für Ersatzbeschaffung zog sie als Schuldposten ab.
Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 1990 bis 1992 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1992 nachträglich auf 2 366 000 DM fest, wobei er den Anspruch auf die Versicherungsentschädigung erklärungsgemäß berücksichtigte, die Rücklage für Ersatzbeschaffung aber nicht zum Abzug zuließ. Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass der Anspruch gegen die Brandkasse weder in der Bilanz noch in der Vermögensaufstellung anzusetzen gewesen sei, weil er unter der aufschiebenden Bedingung des Wiederaufbaus des durch den Brand zerstörten Gebäudes stehe, hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für begründet und stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens unter Änderung des Bescheides vom 22. Februar 1995 auf ./. 61 000 DM fest. Es beurteilte die Forderung der Klägerin gegen die Brandkasse als einen durch den Wiederaufbau des zerstörten Gebäudes aufschiebend bedingten Anspruch, bei dem die Bedingung bis zum Ablauf des 31. Dezember 1991 nicht eingetreten sei. Aufschiebend bedingte Ansprüche seien nicht zu aktivieren. Demgemäß habe bis zum Bedingungseintritt auch keine Kapitalforderung i.S. von § 109 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der im Jahre 1992 geltenden Fassung bestanden. Das FG bezog sich dabei auf § 51 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes, betreffend die Oldenburgische Landesbrandkasse (OLbkG) vom 28. April 1910 (Oldenburgisches Gesetzblatt Bd. 37, S. 525; vgl. auch Slg. des bereinigten Niedersächsischen Rechts Bd. III, S. 377). Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 349 veröffentlicht.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht. Nach den Grundsätzen über die steuerliche Gewinnermittlung, auf die § 109 Abs. 4 BewG verweise, sei eine Forderung zu aktivieren, wenn ein Anspruch bürgerlich-rechtlich entstanden sei oder die für seine Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden seien und der Kaufmann mit der künftigen Entstehung des Anspruchs sicher rechnen könne. Auf die Fälligkeit oder die Durchsetzbarkeit des Anspruchs komme es nicht an. Die Brandkasse habe ihre Einstandspflicht durch die Schadensschätzung vom … Dezember 1991 anerkannt und eine entsprechende Forderung festgesetzt. Die Klägerin habe daher am 31. Dezember 1991 mit einem Schadensausgleich sicher rechnen können. Das FG habe zu Unrecht nicht zwischen der Entstehung des Anspruchs und seiner Fälligkeit unterschieden. Die vom FG herangezogenen, im V. Teil des OLbkG enthaltenen Vorschriften (§§ 51 bis 56) seien, wie schon die Überschrift des V. Teils zeige, reine Fälligkeitsregelungen. Die Entstehung des Anspruchs sei dagegen im IV. Teil des OLbkG (§§ 38 bis 50) geregelt.
Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 2. September 1997 I 194/95 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Das Urteil des FG verletzt entgegen der Auffassung des FA kein Bundesrecht.
Der Ansatz des Entschädigungsanspruchs in der Vermögensaufstellung richtet sich allerdings nicht nach der vom FG herangezogenen Vorschrift des § 109 Abs. 4 BewG (in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung), sondern nach § 95 Abs. 1 BewG. § 109 Abs. 4 BewG regelt lediglich, mit welchem Wert ein Anspruch, der nach § 95 Abs. 1 BewG zum Betriebsvermögen gehört, anzusetzen ist (Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 109 BewG bis 1992 Anm. 45). Nach § 95 Abs. 1 BewG gehören zum Betriebsvermögen alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die dem Betrieb eines Gewerbes als Hauptzweck dient, soweit die Wirtschaftsgüter dem Betriebsinhaber gehören. Wirtschaftsgüter, deren Erwerb vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängt, sind gemäß § 4 Abs. 1 BewG erst zu berücksichtigen, wenn die Bedingung eingetreten ist.
Das FG hat § 51 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 1 OLbkG dahin ausgelegt, dass es sich bei dem Entschädigungsanspruch gegen die Oldenburgische Brandkasse um einen aufschiebend bedingten Anspruch handelt. Der Senat ist an diese Auslegung des Inhalts des OLbkG gebunden, weil es sich bei den Vorschriften des OLbkG um Landesrecht handelt (§ 562 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 155 FGO). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat als Revisionsgericht lediglich zu überprüfen, ob das Landesrecht in der Auslegung, die es durch das FG gefunden hat, mit (höherrangigem) Bundesrecht übereinstimmt und ob die Auslegung durch das FG bundesrechtlichen Auslegungsregeln entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1983 III R 112-113/79, BFHE 139, 88, BStBl II 1983, 657; Senatsurteile vom 8. März 1995 II R 10/93, BFHE 177, 276, BStBl II 1995, 432, und vom 25. Oktober 1995 II R 90/94, BFH/NV 1996, 296). Rechtsfehler der Vorentscheidung sind insoweit nicht ersichtlich.
Bundesrecht ist im Streitfall auch nicht unter dem Gesichtspunkt von § 97 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) berührt. Danach kann der Versicherungsnehmer, wenn der Versicherer nach den Versicherungsbestimmungen nur verpflichtet ist, die Entschädigungssumme zur Wiederherstellung des versicherten Gebäudes zu zahlen, die Zahlung erst verlangen, wenn die bestimmungsmäßige Verwendung des Geldes gesichert ist. § 97 VVG enthält aber selbst keine Wiederherstellungsklausel, sondern setzt voraus, dass eine solche in den Versicherungsbestimmungen enthalten ist (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl., § 97 Rn. 1). Die Rechtsnatur einer Wiederherstellungsklausel bestimmt sich folglich ausschließlich danach, wie die Versicherungsbestimmungen, d.h. hier das OLbkG, zu verstehen sind (vgl. auch § 193 VVG).
Die Vorentscheidung lässt schließlich weder einen Verfahrensfehler erkennen, soweit es um die Ermittlung des irrevisiblen Rechts geht (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 45), noch einen Verstoß gegen das Gebot bundesrechtskonformer Auslegung des Landesrechts (Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 13).
Fundstellen
BFH/NV 2000, 859 |
HFR 2000, 507 |