Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezeichnung des Streitgegenstands in der Klageschrift
Leitsatz (NV)
1. Mit der Bezeichnung der angefochtenen Einspruchsentscheidung in der Klageschrift wird zugleich der ihr zugrundeliegende ursprüngliche Verwaltungsakt als Gegenstand der Anfechtungsklage eindeutig benannt.
2. Das Stellen eines bestimmten Klageantrages ist auch nach Ablauf der Klagefrist zulässig.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 2, § 65 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Für das Streitjahr hatten sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) gegenüber u.a. einen Verlust nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erklärt, der ihnen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Geschäftsanteilen einer GmbH entstanden war. Das FA berücksichtigte diesen Verlust bei der Einkommensteuerveranlagung unter Hinweis auf § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage ,,wegen Einspruchsentscheidung des FA vom . . . in der Einkommensteuersache Steuer-Nr. . . . Rechtsbehelfsliste . . ." und beantragten, ,,die Beklagte zu verurteilen, die Einspruchsentscheidung vom . . . aufzuheben".
Nachdem der Vorsitzende des zuständigen Senats beim Finanzgericht (FG) auf seine Zweifel an der Zulässigkeit der Klage hingewiesen hatte, stellten die Kläger den Antrag, ,,die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom . . . den Einkommensteuerbescheid . . . vom . . . dahingehend abzuändern, daß ein Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von . . . DM berücksichtigt wird".
Die Kläger führten dazu aus, daß sie diesen Antrag lediglich als Präzisierung im Rahmen des bereits bestehenden Antrages verständen. Die Klage habe sich von Anfang an nicht nur gegen die Einspruchsentscheidung, sondern auch gegen den Einkommensteuerbescheid gerichtet. Da sich die Einspruchsentscheidung ausdrücklich und ausschließlich auf den Einkommensteuerbescheid beziehe, sei auch im Hinblick auf § 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die besondere Erwähnung des Einkommensteuerbescheides im Klageantrag nicht erforderlich.
Das FG, dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 316 veröffentlicht ist, hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Kläger hätten in Anbetracht des klaren Wortlauts des Klageantrages nur die Einspruchsentscheidung angefochten. Eine Auslegung dahingehend, daß auch der Einkommensteuerbescheid mitangefochten sei, komme nicht in Betracht, da sich für einen solchen Erklärungsinhalt in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden ließen. An einer isolierten Anfechtung der Einspruchsentscheidung hätten die Kläger kein berechtigtes Interesse.
Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision machen die Kläger geltend, das FG habe zu Unrecht durch Prozeßurteil entschieden. Die Klage richte sich dem Wortlaut des § 44 Abs. 2 FGO entsprechend gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden habe. Die Einspruchsentscheidung habe nur den einen Sachverhalt enthalten, so daß nach dem Hinweis auf die Einkommensteuersache unter der Steuernummer der Kläger keine Verwechslung möglich gewesen sei. Innerhalb der Klagefrist seien damit alle notwendigen Mindestanforderungen erfüllt worden, um den angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend zu bezeichnen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, und vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, da sie dem Klageantrag einen ihm nicht zukommenden Inhalt beigemessen und damit über das tatsächliche Klagebegehren sachlich nicht entschieden hat. Der BFH ist als Revisionsgericht bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden (BFH-Urteile vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5, und vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731).
2. Der Senat folgt dem FG nicht in seiner Auslegung des Klageantrags, die Kläger hätten lediglich die Einspruchsentscheidung angefochten und deren isolierte Aufhebung beantragt. In der Klageschrift wenden sich die Kläger mit der Anfechtungsklage gegen die ,,Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom . . . in der Einkommensteuersache Steuer-Nr. . . .". Diese Einspruchsentscheidung bezieht sich ausschließlich auf den Einkommensteuerbescheid für das Jahr . . . vom . . .. Gemäß § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Die Vorschrift legt damit fest, gegen welche Einzelfallregelung die Klage zu richten ist, und mit welchem Inhalt die angefochtene Einzelfallregelung in das Verfahren eingeht (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 44 Randziff. 31 f.). Entsprechend bestimmt § 65 FGO bei Anfechtungsklagen die Angabe des angefochtenen Verwaltungsakts oder der angefochtenen Entscheidung zum notwendigen Inhalt der Klageschrift. Diesem Erfordernis sind die Kläger im Streitfall nachgekommen mit dem Hinweis, es handele sich um eine Einkommensteuersache, sowie der Bezeichnung der angefochtenen Einspruchsentscheidung, womit zugleich der dieser zugrunde liegende ursprüngliche Verwaltungsakt als Gegenstand der Anfechtungsklage eindeutig benannt wurde (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1971 III R 79/67, BFHE 103, 400, BStBl II 1972, 59, und vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532).
3. Eine Beschränkung der Anfechtungsklage allein auf die Einspruchsentscheidung ergibt sich auch nicht daraus, daß die Kläger in der Klageschrift beantragt haben, ,,die Einspruchsentscheidung vom . . . aufzuheben". Daraus läßt sich zwar nicht erkennen, inwiefern die Kläger eine Änderung des Einkommensteuerbescheids anstreben. Das läßt jedoch unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Klageschrift nicht den Schluß zu, die Kläger erstrebten ausschließlich die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung. Aus der Klagebegründung ergibt sich vielmehr eindeutig, daß die Kläger die inhaltliche Änderung des Einkommensteuerbescheides zu erreichen suchen. Diese Klarstellung war auch noch nach Ablauf der Klagefrist zulässig. Das ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Muß- und Sollanforderungen in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO und der in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehenen Frist zur Ergänzung einer unzulänglichen Klageschrift (BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99).
Nach dem BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87 (BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) ist die Zulässigkeit der Klage nicht davon abhängig, daß innerhalb der Klagefrist das Klagebegehren vorliegt oder ein Klageantrag gestellt wird. Bis zum Ende der Klagefrist müssen lediglich die Erfordernisse beachtet werden, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klage qualifizieren läßt. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben.
4. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das FG die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht getroffen hat. Die Sache muß deshalb an das FG zurückverwiesen werden, das nunmehr über das Klagebegehren sachlich zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 418490 |
BFH/NV 1993, 31 |