Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Solidaritätszuschlag auf gemäß § 10 Abs. 5 EStG 1990 erhobene Nachsteuer
Leitsatz (NV)
- Die gemäß § 10 Abs. 5 EStG 1990 erhobene Nachsteuer ist eine nachträglich erhobene Steuer für vorangegangene Veranlagungszeiträume und bezweckt die Korrektur der seinerzeit festgesetzten tariflichen Einkommensteuer.
- Bis zur Neuregelung des § 2 Abs. 6 EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 war auf nach § 10 Abs. 5 EStG 1990 erhobene Nachsteuer kein Solidaritätszuschlag zu erheben.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2; SolZG § 3; EStG 1990 § 2 Abs. 6, § 10 Abs. 5, §§ 32a, 51a; EStDV §§ 30-31
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 1995, 42) |
Tatbestand
I. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 1991 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 86 362 DM ergab sich als Einkommensteuer ein Betrag von 17 992 DM. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) versteuerte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung außerdem die den Klägern 1991 vor Ablauf der Sperrfrist zurückgezahlten Bausparbeiträge gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 1990 in der für das Streitjahr 1991 geltenden Fassung (EStG 1990), §§ 30, 31 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1990 (EStDV) nach und errechnete für die Jahre 1983 bis 1990 Nachsteuer in Höhe von 4 550 DM, darunter für 1983 bis 1985 im einzelnen 290 DM, 760 DM und 654 DM. Unter Einbeziehung der Nachsteuer setzte das FA die Einkommen-steuer 1991 auf 22 542 DM fest und ermittelte auf dieser Grundlage den Solidaritätszuschlag.
Mit ihrer Klage machten die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren geltend, die Einkommensteuer 1991 sei herabzusetzen, da bei der Berechnung der Nachsteuer die nachträgliche Erhöhung der Kinderfreibeträge nach § 54 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1991 (StÄndG 1991) vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322) für die Jahre 1983 bis 1985 zu berücksichtigen sei. Außerdem sei auf die Nachsteuer kein Solidaritätszuschlag zu erheben.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage hinsichtlich der Einkommensteuer 1991 ab, weil die nachträgliche Erhöhung der Kinderfreibeträge bei der Ermittlung der Nachsteuer nicht zu berücksichtigen sei. Der Klage bezüglich des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer 1991 gab es dagegen statt, weil die Nachsteuer nicht für den Veranlagungszeitraum 1991 festgesetzt werde, sondern lediglich zusammen mit der Einkommensteuer 1991 nacherhoben werde. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 42 veröffentlicht.
Die Kläger und das FA haben jeweils Revision wegen Verletzung materiellen Rechts eingelegt. Die Kläger tragen vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe entschieden, bei der Berechnung der Nachsteuer nach § 10 Abs. 5 EStG 1990 sei § 177 der Abgabenordnung (AO 1977) zu berücksichtigen. Die nach § 54 EStG erhöhten Kinderfreibeträge seien daher anzusetzen.
Das FA macht geltend, nach Verwaltungsauffassung (Finanz-Rund- schau ―FR― 1992, 351) und herrschender Lehre sei die Nachsteuer in die festzusetzende Einkommensteuer einzubeziehen.
Die Kläger beantragen, die Einkommensteuer 1991 unter Aufhebung des FG-Urteils und Abänderung des Einkommensteuerbescheides auf 20 910 DM herabzusetzen und die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Kläger als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Revision der Kläger
Die Revision der Kläger wegen Einkommensteuer 1991 ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zu Recht bei der Berechnung der Nachsteuer für die Jahre 1983 bis 1985 gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 die nach § 54 Abs. 1 EStG erhöhten Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 8 EStG nicht steuermindernd berücksichtigt.
a) Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in der für die Jahre 1983 bis 1989 bzw. für 1990 geltenden Fassung sind Beiträge an Bausparkassen zur Erlangung eines Bauspardarlehens als Sonderausgaben in voller Höhe ―bzw. in 1990 zu 50 %― abziehbar. Werden vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluß die geleisteten Beiträge ganz oder zum Teil zurückgezahlt, so ist gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I, 297, 301, vgl. § 52 Abs. 13 a Satz 7 EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992) eine Nachversteuerung durchzuführen. Nach der hierzu aufgrund der Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 3 EStG erlassenen Rechtsverordnung ist die Nachversteuerung für den Veranlagungszeitraum durchzuführen, in dem der steuerschädliche Tatbestand i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 verwirklicht ist. Zu diesem Zweck ist die Steuer zu berechnen, die festzusetzen gewesen wäre, wenn der Steuerpflichtige den Beitrag nicht geleistet hätte. Der Unterschiedsbetrag zwischen dieser und der festgesetzten Steuer ist als Nachsteuer zu erheben (§ 31 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStDV).
b) Die Nachversteuerung nach § 10 Abs. 5 EStG 1990 i.V.m. §§ 30, 31 EStDV, die ihrem Begriff nach voraussetzt, daß für das Jahr der Beitragszahlung bereits eine bestandskräftige Veranlagung vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1964 IV R 160/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1965, 263), stellt eine Spezialregelung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zugrundeliegenden Rechtsgedankens dar (vgl. BFH-Urteile vom 1. Juni 1994 X R 90/91, BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849, und vom 26. August 1986 IX R 6/81, BFHE 148, 240, BStBl II 1987, 164; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, Stand Januar 1999, § 10 EStG Anm. 303; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor § 172 AO 1977 Rz. 58; Szymczak in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., Vor § 172 Rz. 5). Ohne sie wären im Falle einer steuerschädlichen Verwendung die Veranlagungen der Jahre nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, in denen die entsprechenden Beiträge verausgabt worden sind.
c) Die ―zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung erlassene (BFH-Urteile in BFHE 148, 240, BStBl II 1987, 164; HFR 1965, 263; Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, Stand Mai 1999, § 10 Rz. 420)― Sonderregelung in § 10 Abs. 5 EStG 1990, §§ 30, 31 EStDV sieht demgegenüber vor, eine Nachversteuerung für den Veranlagungszeitraum durchzuführen, in dem der steuerschädliche Tatbestand verwirklicht worden ist. Dabei werden ohne Durchbrechung der Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide die Veranlagungsjahre der entsprechenden Beitragsleistungen rein rechnerisch wieder aufgerollt und es wird im Jahr der Nachversteuerung die entsprechende Nachsteuer erhoben. Dabei handelt es sich zwar um eine Korrektur der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen für die Jahre, in denen die Beiträge geleistet worden sind, eine Änderung der betreffenden Steuerfestsetzungen unterbleibt aber. Die vom Gesetzgeber angeordnete punktuelle Berichtigung der steuermindernden Auswirkung der seinerzeit als Sonderausgaben abgezogenen Beiträge rechtfertigt es nicht, die Nachversteuerung einer formellen und materiellen Durchbrechung der Bestandskraft der seinerzeitigen Steuerfestsetzungen gleichzusetzen. Die Nachversteuerung ist ein vereinfachtes ("summarisches") Verfahren, das darauf beschränkt ist, die Steuerminderung durch die in früheren Veranlagungszeiträumen abgezogenen Beiträge rückgängig zu machen. Die bestandskräftig gewordenen Bescheide der früheren Jahre bleiben von der Erhebung der Nachsteuer unberührt; für eine ―wenn auch nur entsprechende― Anwendung des § 177 AO 1977 ist kein Raum.
Der Senat weicht mit dieser Entscheidung vom Urteil des X. Senats in BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849 ab. Eine Anfrage beim X. Senat ist nicht erforderlich, da der Senat seit dem 1. Januar 1999 für Einkommensteuer betreffend Sonderausgaben gemäß § 10 EStG ―von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen― ausschließlich zuständig ist.
d) Im Rahmen der Ermittlung der Nachsteuer für die Jahre 1983 bis 1985 können nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen bei der entsprechend § 30 EStDV vorzunehmenden Berechnung der Steuer, die festzusetzen gewesen wäre, wenn die Kläger die Bausparbeiträge nicht geleistet hätten, die später nach § 54 EStG für das Streitjahr erhöhten Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 8 EStG nicht zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden.
2. Revision des FA
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend die nach den §§ 30, 31 EStDV ermittelte Nachsteuer nicht in die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag des Streitjahres einbezogen.
a) Nach § 3 des Gesetzes zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags vom 24. Juni 1991 ―SolZG― (BGBl I 1991, 1318) bemißt sich der Solidaritätszuschlag nach der für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 festzusetzenden Einkommen-steuer, soweit eine Veranlagung zur Einkommensteuer vorzunehmen ist. Nach § 51a EStG i.d.F. des StÄndG 1991 ist Bemessungsgrundlage für Steuern, die nach der Einkommensteuer bemessen werden (Zuschlagsteuern), die festgesetzte Einkommensteuer nach Abzug von 150 DM bzw. 300 DM für jedes Kind, für das ein Kinderfreibetrag von 1 512 DM bzw. 3 024 DM gewährt wird. § 2 Abs. 6 EStG 1990 bestimmt als festzusetzende Einkommensteuer "die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die Steuerermäßigungen". Um eine Steuerermäßigung handelt es sich bei der Nachsteuer nach § 10 Abs. 5 EStG 1990 offensichtlich nicht.
Die tarifliche Einkommensteuer ergibt sich nach § 32a EStG 1990 durch die Anwendung der Einkommensteuer-Tarifformel auf das im Einzelfall maßgebende zu versteuernde Einkommen des Veranlagungsjahres unter Berücksichtigung der in § 32a EStG genannten weiteren Vorschriften (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 2 Anm. 58, Blümich/Stuhrmann, a.a.O., § 2 Rz. 75). Die Nachsteuer i.S. des § 10 Abs. 5 EStG 1990 gehört demnach nicht zur tariflichen Einkommensteuer. Sie wird weder in § 2 Abs. 6 EStG 1990 noch in § 32a EStG 1990 erwähnt, noch bildet sie einen Teil des zu versteuernden Einkommens (vgl. § 2 Abs. 5 EStG 1990).
b) Die Einbeziehung der Nachsteuer in die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags ergibt sich auch nicht aus dem Charakter der Nachsteuer.
Nach der Konzeption der Nachversteuerung, wie sie sich aus den Regelungen in § 10 Abs. 5 EStG 1990, §§ 30, 31 EStDV ergibt, führt die steuerschädliche vorzeitige Verfügung über die Bausparbeiträge nicht zu einem steuerpflichtigen Zufluß im Jahr des steuerschädlichen Ereignisses. Bei der Berechnung der Nachsteuer wird vielmehr die Steuer berechnet, die festzusetzen gewesen wäre, wenn der Steuerpflichtige die betreffenden Bausparbeiträge nicht geleistet hätte. Sie ist eine nachträglich erhobene Steuer für die vorangegangenen Veranlagungszeiträume, in denen die Bausparbeiträge geleistet wurden (vgl. Handzig in Littmann/Bitz/Hellwig, a.a.O., § 2 EStG Anm. 189; Blümich/Hutter, a.a.O., § 10 Rz. 420) und bezweckt die Korrektur der seinerzeit festgesetzten tariflichen Einkommensteuer.
Ohne die ―insbesondere der Verfahrensvereinfachung dienende― Regelung des § 10 Abs. 5 EStG 1990 wären nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 die jeweiligen Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume zu ändern, in denen Bausparbeiträge steuermindernd geltend gemacht wurden (vgl. oben 1. b). Im Falle einer Änderung dieser früheren Veranlagungsjahre käme eine Erhebung des Solidaritätszuschlages auf die sich daraus ergebenden Steuernachforderungen nicht in Betracht.
c) Der Senat kann ―wie schon der X. Senat in BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849― offen lassen, ob die zu erhebende Nachsteuer in die Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum, in dem die Nachversteuerungsvoraussetzungen verwirklicht sind, einbezogen werden durfte oder ob sie durch einen getrennten Bescheid hätte festgesetzt werden müssen. Das Gesetz schreibt nur vor, daß die Steuer als Nachsteuer zu erheben ist.
Die Verwaltung bezieht die Nachsteuer regelmäßig in die Steuerfestsetzung des Nachversteuerungsjahres ein (vgl. R 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 1993), wofür Praktikabilitätsüberlegungen sprechen mögen. Soll die Hinzurechnung der Nachsteuer allerdings die Belastung der Nachsteuer mit dem Solidaritätszuschlag rechtfertigen, so findet sich hierfür ―anders als nach § 2 Abs. 6 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996― im für das Streitjahr geltenden Gesetz keine Grundlage.
Der Senat entscheidet durch Gerichtsbescheid (§§ 121, 90a Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 425472 |
BFH/NV 2000, 942 |
HFR 2000, 496 |