Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Werbungskosten bei Indienreise einer Pastorin
Leitsatz (NV)
Die Aufwendungen einer Pastorin für eine etwa dreiwöchige Reise nach Indien, der kein unmittelbarer beruflicher Zweck oder konkreter Auftrag des Arbeitgebers zugrunde gelegen hat und die sich auch auf touristisch interessante Orte mit Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten erstreckt, sind nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt und können deshalb nicht als Werbungskosten abgezogen werden.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1, § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Pastorin einer evangelischen Kirchengemeinde. Vom 15. Februar bis 8. März unternahm sie eine Reise nach Indien, die von der Frauenbeauftragten des Missionswerkes geleitet wurde und an der noch drei Ehefrauen zukünftiger Missionare teilnahmen. Die Reise diente dazu, die Frauen arbeit der evangelischen Partnerkirche in Indien kennenzulernen und Verständnis für dortige Kleinprojekte zu gewinnen, die von den hiesigen Gemeinden gefördert werden könnten. Außerdem sollten sich die Ehefrauen der zukünftigen Missionare auf das Leben in Indien vorbereiten. Die Klägerin sollte dabei seelsorgerische Aufgaben wahrnehmen. Das Landeskirchenamt genehmigte die Reise als Auslandsdienstreise und bewilligte der Klägerin einen Reisekostenzuschuß von 800 DM. Es verfügte, daß die Klägerin sich ein Drittel der Reisetage auf den Erholungsurlaub anrechnen lassen mußte.
Die Reise führte in das Gebiet von Madras, Tranquebar und Thanjavur in Südostindien. Die Klägerin war entweder in kirchlichen Instituten oder bei Familien untergebracht. Sie lernte verschiedene soziale Einrichtungen kennen, besuchte den "Women's Desk"der evangelischen Kirche von Indien sowie eine theologische Fakultät und nahm am alltäglichen Leben in den Familien teil. Außerdem wurden Sehenswürdigkeiten wie Tempelanlagen und Museen besichtigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten bei deren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht eine nahezu ausschließlich berufliche Veranlassung der Indienreise der Klägerin bejaht und die Aufwendungen für diese Reise als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des FG haben bei der Indien reise der Klägerin Gesichtspunkte, die der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen sind, eine nicht untergeordnete Rolle gespielt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führen Auslandsreisen nur dann zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten, wenn die Reisen ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im betrieblichen oder beruflichen Interesse unternommen werden, wenn also die Verfolgung privater Interessen, wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; BFH-Urteil vom 18. Oktober 1990 IV R 72/89, BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92). Anderenfalls sind die gesamten Reisekosten nicht abziehbar, soweit sich nicht ein durch den Beruf veranlaßter Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen läßt (BFH-Urteile vom 14. Juli 1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19; in BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92, 93).
Für die Beurteilung der Frage, ob für eine Reise in nicht unerheblichem Umfang Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle gespielt haben, hat der BFH in erster Linie auf ihren Zweck abgestellt (BFH-Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; BFH-Urteil in BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92). Reisen sind in der Regel nur dann ausschließlich der beruflichen oder betrieblichen Sphäre zuzuordnen, wenn ihnen offensichtlich ein unmittelbarer beruflicher oder betrieblicher Anlaß zugrunde liegt. Das ist bei Auslandsgruppenreisen regelmäßig nicht der Fall. Der Anlaß für solche Reisen besteht vielmehr im Interesse an allgemeiner Information und allgemeiner beruflicher Fortbildung. Zudem kommt Auslandsgruppenreisen meistens auch ein gewisser Erlebniswert zu (vgl. BFH-Urteil vom 22. Januar 1993 VI R 64/91, BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat eine dreiwöchige Studienreise von Juristen nach Japan trotz straffer Reiseorganisation und des Besuchs von Gerichten und anderer Institutionen sowie von Vorträgen und der Durchführung beruflicher Diskussionen nicht als nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt gewertet; der Besuch eines fernöstlichen Landes und der Kontakt mit japanischen Kollegen bedeute selbst nach heutigen Maßstäben eine Erweiterung des individuellen Gesichtskreises und damit eine nachhaltige persönliche Bereicherung. Die Anerkennung einer nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung hätte unter diesen Umständen vorausgesetzt, daß die Reise gerade durch die besonderen Belange des Berufes und der speziellen Tätigkeit veranlaßt gewesen sei. Die Tatsache, daß die Reise von deutschen Justizbehörden unterstützt und gefördert worden sei, lasse einen Schluß auf besondere dienstliche Belange der Reise nicht zu (BFH-Urteil in BFHE 170, 528, BStBl II 1993, 612, 613). Die Aufwendungen eines Hochschul-Geographen für eine Gruppenreise ins Ausland hätten nach der Rechtsprechung des Senats nur dann als Werbungskosten anerkannt werden können, wenn dieser einen engen Bezug der Reise zu seiner beruflichen Tätigkeit nachgewiesen hätte, insbesondere dadurch, daß er bezüglich der geographischen Verhältnisse des besuchten Landes einen Forschungsauftrag gehabt oder anschließend eine Semestervorlesung an der Hochschule durchgeführt oder hierüber ein wissenschaftliches Buch verfaßt hätte (Urteil vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575). Die Aufwendungen eines Dozenten im Fach katholische Theologie für eine Gruppenreise nach Israel bzw. zu religionsgeschichtlich bedeutsamen Zielen hat der Senat nicht als nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt gewertet, weil die Reise zu einer Vielzahl touristisch attraktiver Stätten geführt hat, deren Besuch für jeden anderen Reisenden auch interessant gewesen wäre. Das allgemeine berufliche Interesse, durch Kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes die Lehrtätigkeit besser ausüben zu können, reiche nicht aus, um den Aufwendungen den Charakter von Werbungskosten zu geben (Urteil vom 12. Oktober 1990 VI R 179/87, BFH/NV 1991, 371, 372). Die Reise einer Lehrerin, die an der Grundschule auch türkische Kinder unterrichtet, durch die Türkei mit Aufenthalten in touristisch interessanten Städten ist der privaten Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG zugeordnet worden. Es ist als entscheidend beurteilt worden, daß das Interesse der Klägerin nicht über den Bereich der allgemeinen beruflichen Bildung hinausgegangen sei, der eine nahezu ausschließlich berufliche Veranlassung nicht zu begründen vermöge (Urteil vom 24. April 1992 VI R 9/89, BFH/NV 1992, 730, 731).
2. Unter Berücksichtigung der aus den angeführten Urteilen ersichtlichen Merkmale und Maßstäbe hat das FG im Streitfall zu Unrecht eine nahezu ausschließlich beruf liche Veranlassung der Indienreise der Klägerin bejaht. Vielmehr haben bei dieser Reise Gesichtspunkte, die der allgemeinen Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen sind, eine nicht untergeordnete Rolle gespielt. Der Reise der Klägerin, die Pastorin in einer Kirchengemeinde ist, hat kein unmittelbar beruflicher Zweck oder konkreter Auftrag ihres Arbeitgebers zugrunde gelegen. Dementsprechend wurde auch ein Drittel der Reisetage auf den Erholungsurlaub der Klägerin angerechnet. Die Reise hat sich -- wie das FG festgestellt hat und sich aus der eigenen Reisebeschreibung der Klägerin ergibt -- auf mehrere touristisch interessante Orte mit Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten erstreckt. Auch diejenigen Tätigkeiten oder Besichtigungen während der Reise, die einen kirchlichen Bezug aufweisen, betreffen nur die allgemeine berufliche Bildung der Klägerin und nicht die Erledigung einer speziellen Aufgabe. Die Verwertung der Reiseerlebnisse in einem Gemeindebrief, im Konfirmandenunterricht oder einem Vortrag im Gemeindehaus ist keine spezielle berufliche Aufgabe in diesem Sinne. Allgemeine berufliche Interessen reichen nach den dargestellten Grundsätzen aber nicht aus, um die Kosten einer Auslandsreise als Werbungskosten anzuerkennen (vgl. auch BFH-Urteil vom 21. August 1995 VI R 47/95, BFHE 179, 37, BStBl II 1996, 10, 11).
Soweit das FG bei seiner rechtlichen Würdigung der festgestellten Tatsachen zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt ist, hat es sich dabei insbesondere auf den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vermittelten Eindruck berufen. Es hat außerdem ausgeführt, die Klägerin habe dargelegt, sie habe die Reise nicht angetreten, um beliebte Ziele des Tourismus aufzusuchen, sondern es sei ihr im wesentlichen darum gegangen, das Leben der christlichen Minderheit in Indien kennenzulernen und diese Erkenntnisse dann in ihre Gemeindearbeit in Deutschland einzubringen. Die Klägerin habe glaubhaft versichert, daß sie einen Erholungsurlaub nicht nach Indien unternehmen würde. Entgegen der Auffassung des FG kommt es auf diese subjektiven Vorstellungen der Klägerin für die Entscheidung des Streitfalles nicht an. Lassen die festgestellten objektiven Tatsachen unter Berücksichtigung der dafür von der Rechtsprechung aufgestellten Merkmale und Maßstäbe nicht die rechtliche Wür digung zu, daß die Auslandsreise nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt ist, dann vermögen die subjektiven Motive des Steuerpflichtigen für die Durchführung der Reise an dieser Beurteilung nichts zu ändern.
Da die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen