Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung an den Inhalt des Erbscheins bei gewichtigen Gründen
Leitsatz (amtlich)
Finanzbehörden und Finanzgerichte haben regelmäßig von dem Erbrecht auszugehen, wie es im Erbschein bezeugt ist. Werden gewichtige Gründe erkennbar, die gegen die Richtigkeit des Erbscheins in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sprechen, sind sie berechtigt und verpflichtet, das Erbrecht und --bei Miterben-- die Erbanteile selbst zu ermitteln.
Orientierungssatz
1. Die Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins kann jederzeit und in jeder Weise durch Gegenbeweis widerlegt werden. Der Erbschein muß hierzu nicht vom Nachlaßgericht aufgehoben werden. Der Gegenbeweis kann auch durch eine andere Auslegung des Testaments geführt werden (Abweichung vom BFH-Urteil vom 25.10.1957 III 248/56 des früher für Erbschaftsteuer zuständigen III. Senats des BFH).
2. Ziel eines für die Besteuerung verbindlichen Erbvergleichs ist die einvernehmliche Beseitigung streitiger Erbrechtsverhältnisse einschließlich etwa bestehender Ungewißheiten über einzelne Erbteile oder über die den Erben zufallenden Beträge (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 2361 Abs. 1; AO 1977 § 88; FGO § 76 Abs. 1, §§ 82, 155; BGB § 2365; ZPO § 292 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der im Mai 1985 verstorbene Erblasser hinterließ ein privatschriftliches Testament, in dem er seine Ehefrau, seinen Bruder, die Klägerin und den Testamentsvollstrecker in der Weise bedachte, daß er ihnen jeweils im einzelnen genau bezeichnete Gegenstände seines Vermögens namentlich zuordnete. Danach sollte die Klägerin "Alleinerbin" eines Einfamilienhauses in L sowie einer in B befindlichen Eigentumswohnung sein. Im September 1985 trafen die vier testamentarisch bedachten Personen eine notariell beurkundete Vereinbarung. Darin hielten sie zunächst fest, wer von ihnen aufgrund letztwillig verfügter Erbfolge welche Aktivwerte und Schulden "... erhalten würde". Als Wert des auf die Klägerin entfallenden Grundvermögens wurde hiernach ein von den Beteiligten geschätzter Betrag von insgesamt 365 000 DM (165 000 DM für die Eigentumswohnung + 200 000 DM für das Einfamilienhaus) angesetzt, dem von ihr zu übernehmende Verbindlichkeiten in Höhe von 10 293 DM gegenüberstanden. Darüber hinaus einigten sie sich, die Erteilung eines (gemeinschaftlichen) Erbscheins zu beantragen, der sie als Miterben zu unterschiedlichen Erbquoten auswies. Deren Höhe ermittelten sie unter Zugrundelegung der Verkehrswerte der ihnen vom Erblasser zugewiesenen Vermögensgegenstände abzüglich der jeweiligen Schulden. Dabei ergab sich ein auf die Klägerin entfallender Anteil von 12,19 % am Gesamtnachlaß der Erbengemeinschaft, der --antragsgemäß-- in den Erbschein vom Oktober 1985 übernommen wurde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berechnete --ausgehend von diesem auch in der Steuererklärung angegebenen Prozentsatz-- den Wert des auf die Klägerin entfallenden steuerpflichtigen Erwerbs zunächst mit 108 000 DM und setzte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Erbschaftsteuer in Höhe von 28 000 DM gegen sie fest.
Im März 1987 fand eine Außenprüfung statt, die zu einer Höherbewertung des in den Nachlaß gefallenen, dem Erblasser gehörenden Betriebsvermögens führte. Nachdem der Testamentsvollstrecker das für die Erbschaftsteuerveranlagung der Klägerin zuständige (beklagte) FA hierüber informiert hatte, erließ dieses --abermals unter dem Vorbehalt der Nachprüfung-- einen auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid, durch den es unter Zugrundelegung eines auf 181 800 DM erhöhten Werts des steuerpflichtigen Erwerbs die Erbschaftsteuerschuld der Klägerin auf nunmehr 54 540 DM heraufsetzte. Zur Erläuterung verwies es auf die dem Bericht über die Außenprüfung zu entnehmende Erhöhung des Werts des Betriebsvermögens und damit des Gesamtnachlasses; die Erbquote der Klägerin ließ das FA unverändert. Eine auf der Berücksichtigung weiterer Nachlaßverbindlichkeiten beruhende Ermäßigung der Änderungsveranlagung erfolgte durch den --angefochtenen-- Bescheid vom September 1988, in dem --ausgehend von einem steuerpflichtigen Erwerb der Klägerin in Höhe von 180 300 DM-- die von ihr zu entrichtende Erbschaftsteuer auf 54 090 DM herabgesetzt wurde.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin Aufhebung der Erbschaftsteuerfestsetzung und Besteuerung nach den Einheitswerten der ihr zugewandten Grundstücke, hilfsweise nach dem infolge der Werterhöhung des Gesamtnachlasses verminderten Erbteil, begehrte, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) bestätigte die in der Einspruchsentscheidung vertretene Auffassung des FA, daß die Klägerin als Miterbin mit entsprechend ihrem (wertmäßig bestimmten) Anteil am Nachlaß der Erbschaftsteuer unterliege. Die Höhe des Erbteils übernahm das FG aus dem vom Nachlaßgericht erteilten Erbschein; solange in dem hierfür vorgesehenen Verfahren kein neuer Erbschein erteilt sei, sei es an den Inhalt des Erbscheins vom Oktober 1985 gebunden.
Mit der Revision rügt die Klägerin Nichtgewährung rechtlichen Gehörs, unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das FG sowie Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und entsprechend dem Antrag erster Instanz zu entscheiden, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt --unter Aufrechterhaltung seiner Rechtsauffassung--, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Zu Unrecht hat das FG seiner Entscheidung den Erbteil der Klägerin ungeprüft mit der Quote zugrundegelegt, die sich aus dem gemeinschaftlichen Erbschein vom Oktober 1985 ergeben hat. Es wäre vielmehr berechtigt und verpflichtet gewesen, die Höhe des Erbteils selbst zu ermitteln und danach die von der Klägerin geschuldete Erbschaftsteuer zu berechnen.
1. Es trifft nicht zu, daß das FG solange an den Inhalt des Erbscheins gebunden war, bis der Erbschein im Erbscheinsverfahren durch das Nachlaßgericht abgeändert worden ist. Nach § 2365 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird zwar vermutet, daß demjenigen, welcher in dem Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zustehe und daß er nicht durch andere als die angegebenen Anordnungen beschränkt sei; die Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins erstreckt sich danach insbesondere auf das Erbrecht und die Größe des Erbteils; dies gilt auch im Steuerrecht. Gegen die Vermutung des § 2365 BGB ist jedoch der Gegenbeweis zulässig (vgl. für das gerichtliche Verfahren § 155 FGO. i.V.m. § 292 Satz 1 der Zivilprozeßordnung); sie kann jederzeit und in jeder Weise widerlegt werden (W. Schlüter in Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., § 2365 Rz. 2; Edenhofer/Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 2365 Rz. 5). Der Erbschein ist kein ausschließliches Beweismittel für die Erbfolge, der Erbe kann sein Erbrecht auch auf andere Weise nachweisen. Etwas anderes ist, abgesehen von § 35 Abs. 1 Satz 1 der Grundbuchordnung, weder im Zivilrecht noch im Abgabenrecht vorgeschrieben. Danach hat der Inhalt des Erbscheins zwar die Vermutung der Richtigkeit für sich, eine Bindung an den Inhalt des Erbscheins besteht jedoch weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht. Die Finanzbehörden und die Finanzgerichte haben deshalb regelmäßig von dem Erbrecht auszugehen, wie es im Erbschein bezeugt ist. Werden jedoch gewichtige Gründe erkennbar, die gegen die Richtigkeit des Erbscheins sprechen, so sind sie berechtigt und verpflichtet (§ 88 AO 1977, § 76 Abs. 1 FGO), das Erbrecht und --bei Miterben-- die Erbanteile selbst zu ermitteln; der Erbschein muß weder durch das Nachlaßgericht aufgehoben werden (§ 2361 Abs. 1 BGB) noch muß ein neuer Erbschein ausgestellt werden. Soweit sich aus dem Urteil des --damals für die Erbschaftsteuer zuständigen-- III.Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Oktober 1957 III 248/56 (Betriebs-Berater 1958, 35) etwas anderes ergibt, folgt dem der erkennende Senat nicht; insbesondere kommt auch eine andere Auslegung des Testaments in Betracht.
2. Für den Streitfall ergibt sich hieraus, daß das FG dem Vorbringen der Klägerin hätte nachgehen müssen, wonach ihr Anteil am Nachlaß mit 12,19 % zu hoch bemessen sei, weil eine Erhöhung des Gesamtwerts des Nachlasses aufgrund eines höheren Wertansatzes für das Betriebsvermögen, bei unverändertem Umfang der der Klägerin angefallenen Nachlaßgegenstände eine Verminderung ihres (wertmäßig bestimmten) Anteils als Miterbin (§ 1922 Abs. 2 BGB) zur Folge habe. Dies hat das FG nunmehr nachzuholen. Dabei hat das FG zu beachten, daß sich eine Änderung des Erbanteils der Klägerin nicht aus den nach steuerrechtlichen Grundsätzen ermittelten (Steuer-)Werten, sondern nur aus den Verkehrswerten sämtlicher zum Nachlaß gehörender Vermögensgegenstände ergeben kann. Maßgeblicher Stichtag für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt des Erbfalls (§ 1922 Abs. 1 BGB, § 11, § 9 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes 1974).
Zu Recht ist das FG im übrigen davon ausgegangen, daß die Klägerin zusammen mit den anderen vom Erblasser bedachten Personen als Miterbin und nicht als Vermächtnisnehmerin eingesetzt worden ist; denn der Erblasser hat über sein gesamtes Vermögen verfügt. Es besteht eine Erbengemeinschaft, bei der --verbunden mit einer Teilungsanordnung-- die Höhe der Mitberechtigung am Gesamtnachlaß durch den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände ausgedrückt wird (§§ 2087 Abs. 1, 2048 Satz 1 BGB; vgl. hierzu auch M. Schmidt in Ermann, a.a.O., § 2087 Rz. 3 mit Nachweisen aus der Zivilrechtsprechung). Die unter den Miterben vereinbarte Übereinkunft vom September 1985 enthält auch keinen für die Besteuerung verbindlichen Erbvergleich. Ziel einer derartigen Regelung wäre die einvernehmliche Beseitigung streitiger Erbrechtsverhältnisse einschließlich etwa bestehender Ungewißheiten über einzelne Erbteile oder über die den Erben zufallenden Beträge (vgl. BFH-Urteile vom 1. Februar 1961 II 269/58 U, BFHE 72, 358, BStBl III 1961, 133, und vom 24. Juli 1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972, 886). Diese Fragen waren jedoch nicht Gegenstand des vorgenannten Vertrags; denn dessen Zweck erschöpft sich im wesentlichen darin, die im Testament durch Teilungsanordnung bereits --unzweifelhaft-- festgelegten Erbteile gemäß dem Antragserfordernis des § 2357 Abs. 2 BGB in Prozent- oder Bruchzahlen auszudrücken.
Fundstellen
Haufe-Index 65598 |
BFH/NV 1996, 142 |
BFH/NV 1996, 142-143 (LT) |
BStBl II 1996, 242 |
BFHE 179, 436 |
BFHE 1996, 436 |
BB 1996, 888 |
BB 1996, 888-889 (LT) |
DB 1996, 918-919 (LT) |
DStR 1996, 742-743 (KT) |
DStZ 1996, 575 (K) |
HFR 1996, 416 (L) |
StE 1996, 282 (K) |
WPg 1996, 413-414 (LT) |
Information StW 1996, 381 (KT) |
LEXinform-Nr. 0132546 |
NJW 1996, 2119 |
NJW 1996, 2119 (LT) |
GStB 1996, Beilage zu Nr 5 (L) |
KFR, 1/96, S 185 (H 7/1996) (LT) |
UVR 1996, 153-155 (KT) |
BuW 1996, 323 (K) |
FamRZ 1996, 1144-1145 (LT) |
ZAP, EN-Nr 423/96 (L) |
ZEV 1996, 198-199 (LT) |