Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der Fassung des Kuponsteuergesetzes erweitert nicht den Umfang der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte über den Rahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 5b EStG hinaus.
Normenkette
EStG 1965 § 43 Abs. 1 Nr. 6, § 49 Abs. 1 Nr. 5b; LAG § 252 Abs. 3
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte hatte im Streitjahr ihren Wohnsitz in Brüssel, wohin ihr Ehemann vom Bundesminister für Verteidigung zur Dienstleistung an der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol) abgeordnet war. Als Anspruchsberechtigte auf Hauptentschädigung nach dem LAG hatte sie sich zur Erfüllung ihres Anspruchs gemäß § 252 Abs. 3 LAG Schuldverschreibungen des Ausgleichsfonds aushändigen lassen. Die diese Schuldverschreibungen verwaltende Kreis- und Stadtsparkasse G. hat aus den Erträgen dieser Schuldverschreibungen im Jahre 1966 nach dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 25. März 1965 - Kuponsteuergesetz - (BGBl I 1965, 147; BStBl I 1965, 103) 9 DM an Kapitalertragsteuer einbehalten und an den Revisionskläger (das FA) abgeführt. Den Antrag der Revisionsbeklagten auf Erstattung des einbehaltenen und abgeführten Betrages hatte das FA mit Bescheid vom 26. Mai 1966 abgelehnt; auch ihr Einspruch blieb ohne Erfolg. Zwar seien gemäß Abschn. 8 Abs. 1 Nr. 2 EStR 1965 Zinsen aus Schuldverschreibungen im Sinne des § 252 Abs. 3 LAG steuerfrei; gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der Fassung des Kuponsteuergesetzes unterlägen sie jedoch dem Steuerabzug vom Kapitalertrag, da die Revisionsbeklagten im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Unter die Sonderregelung für bestimmte Personenkreise gemäß Abschn. B I 3 des gleichlautenden Ländererlasses betreffend den Steuerabzug vom Kapitalertrag nach den Vorschriften des Kuponsteuergesetzes vom 16. Juni 1965 (BStBl II 1965, 82) falle sie nicht.
Die Klage der Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das FG führte aus:
Nach § 252 Abs. 3 Satz 2 LAG unterlägen die streitigen Erträge den Steuern vom Einkommen nicht.
Durch Neufassung der Vorschriften des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG durch das Kuponsteuergesetz seien jedoch gewisse Einkünfte aus Kapitalvermögen der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterworfen worden. Diese Erweiterung des Kreises der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen in § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG sei Voraussetzung gewesen für die zentrale neue Vorschrift des Kuponsteuergesetzes (nämlich Art. I Nr. 1 = § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1965), nach der die in § 49 Abs. 1 Nr. 5b EStG genannten (nunmehr auch der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden) Einkünfte bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erfaßt würden.
Wenn nun auch durch das Kuponsteuergesetz Steuerausländer in erweitertem Umfang der beschränkten Einkommensteuerpflicht und der Kapitalertragsteuerpflicht unterworfen worden seien, so könne doch ihre materielle Steuerpflicht (hinsichtlich ihrer inländischen Einkünfte im Sinne des § 1 Abs. 2 EStG) nach wie vor nicht mehr an Einkünften erfassen als bei unbeschränkt Steuerpflichtigen (nämlich ihre sämtlichen Einkünfte: § 1 Abs. 1 EStG). Beschränkt einkommensteuerpflichtig könnten mithin grundsätzlich nur solche Einkünfte sein, die auch bei unbeschränkt Steuerpflichtigen einkommensteuerpflichtig wären, und kapitalertragsteuerpflichtig könne - da die Kapitalertragsteuer nur eine Erhebungsform der Einkommensteuer sei - nur sein, was überhaupt einkommensteuerpflichtig sei. Steuerfreie Einnahmen wie z. B. solche im Sinne von § 3 EStG könnten somit, da sie bei der Ermittlung sämtlicher Einkünfte nicht erfaßt würden, weder zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften gehören noch dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfen werden. Das folge zwingend aus dem System der Einkommensteuer. Die erschöpfenden Sondervorschriften für beschränkt Steuerpflichtige (§ 50 EStG) enthielten zwar einige in der Natur der Sache liegende Verschärfungen der Besteuerung, aber keine Vorschrift, nach der irgendwelche positiven Einkunftsteile, wie z. B. Zinszuflüsse, im Gegensatz zu einer für unbeschränkt Steuerpflichtige gültigen Befreiungsvorschrift steuerpflichtig sein sollten. Ihre Heranziehung zur Steuer wäre aber ohne eine gesetzliche Vorschrift nicht zulässig.
In § 49 EStG seien nur Einkünfte genannt, die auch ein unbeschränkt Steuerpflichtiger versteuern müsse. Ein in § 3 EStG aufgeführter Tatbestand befreie auch hier von der (beschränkten) Steuerpflicht. Da in § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG keine erweiterte Einkommensteuerpflicht, sondern nur ein erweiterter Kapitalertragsteuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen, d. h. mithin: in den Grenzen des § 49 EStG, vorgeschrieben worden sei, unterlägen nach §§ 3 und 3a EStG steuerfreie Zinsen auch nicht der Kuponsteuer. Der letzte Satz in § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG ("Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Kapitalerträge, die nach §§ 3 und 3a steuerfrei sind ...") sei deshalb sachlich überflüssig, solle indes wohl der Vermeidung unrichtiger Steuerabzüge dienen. Auch Zinsen, die aufgrund anderer Vorschriften als der des EStG einkommensteuerfrei seien, so z. B. Zinserträge nach § 252 Abs. 3 LAG, könnten weder der beschränkten Einkommensteuerpflicht noch der Kuponsteuer unterworfen werden. Die (sachlich überflüssige) Erwähnung solcher Zinsen in § 43 Abs. 1 Nr. 6 letzter Satz EStG sei offenbar versehentlich unterblieben. Auch in den Gesetzesmaterialien finde sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die in den §§ 3 und 3a EStG nicht erwähnten steuerfreien Einnahmen der Kuponsteuer unterworfen werden sollten. Das würde auch nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Entsprechendes habe deshalb für alle Zinsen aus Anleihen und Forderungen zu gelten, die nach deutschem Steuerrecht einkommensteuerfrei seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene, vom FA form- und fristgerecht eingelegte Revision, zu deren Begründung es vorträgt:
Der Auffassung des FG, daß der Kuponsteuerabzug nach § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG auch dann nicht vorgenommen werden dürfe, wenn Zinsen aufgrund anderer als einkommensteuerrechtlicher Vorschriften, so z. B. aufgrund der Vorschrift des § 252 Abs. 3 LAG, von der Steuer befreit, diese Vorschriften aber nicht in § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG ausdrücklich aufgeführt worden seien, sei zuzustimmen. Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG solle nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz lediglich das Steuerabzugsverfahren regeln, jedoch nicht den Umfang der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte erweitern. Die bisher zu diesem Punkt vertretene Auffassung werde nicht mehr aufrechterhalten.
Aus dem vom FG dargestellten Sachverhalt ergebe sich, daß der Ehemann der Revisionsbeklagten vom Bundesminister für Verteidigung zur Dienstleistung bei der Eurocontrol in das Ausland abgeordnet worden sei. Aus der Verwendung des Begriffs "Abordnung" durch das FG könne geschlossen werden, daß der Ehemann der Revisionsbeklagten nicht aus seinem Dienstverhältnis zum Verteidigungsministerium ausgeschieden sei, sondern daß sich lediglich sein Dienstort im Ausland befinde. Es sei deshalb zunächst zu prüfen, ob nicht die Ehegatten aufgrund des § 14 Abs. 2 StAnpG als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln seien. Sei diese Frage zu bejahen, so würde die Kuponsteuer nach § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht zu erheben sein.
In diesem Falle wäre jedoch zu prüfen, ob die an die Revisionsbeklagte gezahlten Zinsen aus den Schuldverschreibungen des Ausgleichsfonds steuerfrei seien. Denn nach § 252 Abs. 3 Satz 2 LAG unterlägen diese Zinsen nur bei einem Zinssatz von 4 v. H. nicht den Steuern vom Einkommen und Ertrag. Dieser Zinssatz sei zwar in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes ausschließlich zugelassen gewesen. Durch das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 27. Februar 1961 (BGBl I 1961, 133) sei jedoch die Möglichkeit eröffnet worden, für Schuldtitel des Ausgleichsfonds einen höheren Zinssatz zu wählen, weil für langfristige Kapitalmarktmittel der ursprüngliche Zinssatz nicht mehr marktüblich gewesen sei und auch die Befreiung der Zinsen von den Steuern vom Einkommen und Ertrag, die in den ersten Jahren nach der Währungsreform zur Förderung des Kapitalmarktes in erheblichem Umfang zugelassen worden sei, mit fortschreitender Normalisierung der Verhältnisse zunehmend auf Bedenken gestoßen sei. Der Gesetzgeber habe es daher der Bundesregierung überlassen, zu entscheiden, ob sie bei der Ausgabe von Schuldtiteln nach § 252 Abs. 3 LAG mit 4 v. H. verzinsliche steuerfreie oder mit einem höheren Zinssatz ausgestattete Tarifbesteuerte Titel ausgeben wolle. In der zu § 252 Abs. 3 LAG erlassenen Rechtsverordnung (der Einundzwanzigsten Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz vom 8. November 1963, BGBl I 1963, 788, in der Fassung der Verordnung vom 31. März 1966, BGBl I 1966, 199) habe sich dann die Bundesregierung für einen jährlichen Zinssatz von 6 v. H. und damit für die Tarifbesteuerung entschieden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der Senat ist mit dem FG der Auffassung, daß das Eurocontrol betreffende internationale Übereinkommen vom 13. Dezember 1960 (BGBl II 1962, 2274), bestätigt durch das Gesetz vom 14. Dezember 1962 (BGBl II 1962, 2273), keine Fiktion des inländischen Wohnsitzes der bei Eurocontrol in Brüssel beschäftigten Bediensteten enthält. Der gleichlautende Ländererlaß vom 16. Juni 1965 (a. a. O.) erwähnt in seiner Anlage 4 Nr. 18 zwar Eurocontrol unter den steuerbefreiten internationalen Organisationen, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland haben, nimmt aber in Abschnitt B I 3 Buchst. a) bb) auf die bei Eurocontrol beschäftigten Bediensteten deutscher Staatsangehörigkeit nicht Bezug. Das FG wird jedoch gleichwohl keine Veranlassung haben zu prüfen, ob der Ehemann der Revisionsbeklagten als Beamter, Angestellter oder Arbeiter des Bundes zur Dienstleistung in das Ausland entsandt ist und seine Dienstbezüge aus einer inländischen öffentlichen Kasse erhält (§ 14 Abs. 2 StAnpG, Abschn. B I 3 Buchst. a) aa) des Erlasses vom 16. Juni 1956). Denn wie die Revisionsbeklagte in ihrer Klageschrift ausgeführt hat, ist ihr Ehemann als deutscher Bundesbeamter von der Bundesrepublik Deutschland ohne Dienstbezüge beurlaubt und im dienstlichen Interesse zur Eurocontrol entsandt worden, nach deren Bestimmungen er zur Verlegung seines Wohnsitzes an seinen Dienstort (Brüssel) verpflichtet war. Darüber hinaus ist es indes nach nunmehr übereinstimmender Auffassung von FA und FG unerheblich, ob die Revisionsbeklagte als unbeschränkt oder als beschränkt steuerpflichtig anzusehen ist. Denn wie beide übereinstimmend zutreffend erkannt haben, soll die Vorschrift des § 43 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1965 nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz lediglich das Steuerabzugsverfahren regeln, jedoch nicht den Umfang der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte erweitern. Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG erfaßt aber als inländische Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen keine Einkünfte, die bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen im Rahmen seiner sämtlichen Einkünfte nicht der Steuer unterliegen würden.
2. Die Zurückverweisung der Sache ist jedoch deshalb erforderlich, damit das FG prüfen kann, ob die vom FA der Steuer unterworfenen Zinsen mit 4 v. H. verzinsliche steuerfreie oder mit 6 v. H. verzinsliche steuerlich nicht befreite Einkünfte sind.
Fundstellen
Haufe-Index 68692 |
BStBl II 1969, 729 |
BFHE 1969, 532 |