Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlassung von Wochenmarkt-Standplätzen an Markthändler als einheitliche Vermietungsleistung
Leitsatz (NV)
Die Überlassung von Standplätzen durch den Veranstalter von Wochenmärkten an die Markthändler kann als einheitliche Vermietungsleistung anzusehen sein (Abgrenzung zu den BFH-Urteilen vom 7. April 1960 V 143/58 U, BFHE 93, 393, BStBl II 1969, 94).
Normenkette
UStG 1999 § 4 Nr. 12 Buchst. a; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. b
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 14.12.2004; Aktenzeichen 6 K 702/03) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine eingetragene Genossenschaft. Ihre Geschäftstätigkeit bestand darin, in Gemeinden Wochenmärkte zu organisieren und durchzuführen. Die Klägerin hatte ferner Fahrzeuge geleast, die auch privat genutzt wurden.
Nachdem die Gemeinden der Klägerin im Wege der Sondernutzungserlaubnis oder auf mietvertraglicher Basis das zeitlich und räumlich begrenzte Nutzungsrecht über den jeweiligen Marktplatz für die Dauer des Wochenmarktes überlassen hatten, schloss die Klägerin über ihre vor Ort tätigen Marktmeister mit den einzelnen Händlern mündlich sog. Marktverträge ab. Durch Abschluss des Marktvertrages wurde der Händler zum Wochenmarkt zugelassen und erhielt das Recht, an dem Wochenmarkt teilzunehmen. Die Klägerin stellte den Händlern zeitlich und räumlich begrenzte Teilbereiche (Standplätze) für deren Verkaufstätigkeiten zur Verfügung. Der Marktmeister vereinnahmte im Laufe des Markttages das sog. Standgeld in bar, das sich nach dem in Anspruch genommenen laufenden Meter Standfläche (Verkaufsfront) bemaß; er stellte den Marktteilnehmern hierüber eine Quittung ohne gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer aus.
Außerdem sorgte die Klägerin für die Stromversorgung der Händler durch Bereitstellung von Stromverteilerkästen. Die entstehenden Kosten wurden zu Lasten der stromverbrauchenden Händler nach Pauschalen umgelegt. Schließlich übernahm die Klägerin auf einzelnen Wochenmärkten die Organisation der Endreinigung des Wochenmarktplatzes und verteilte die dabei entstehenden Kosten auf die beteiligten Händler. Auf einem Wochenmarkt wirkte ein Drehorgelspieler mit.
Für den Streitzeitraum (September 2002) gab die Klägerin zunächst eine Umsatzsteuer-Voranmeldung ab, in der sie steuerpflichtige Umsätze aus den Leistungen an die Händler erklärte und die zu einer Vorbehaltsfestsetzung führte.
In der berichtigten, zustimmungsbedürftigen Voranmeldung behandelte die Klägerin diese Umsätze als nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) steuerbefreit.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass 25 % der Standgelder Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung seien, während 75 % der Standgelder hingegen Entgelt für eine nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 steuerfreie Vermietung von Grundstücken seien. Ferner seien umsatzsteuerrechtlich "Sachbezüge" für die private PKW-Nutzung anzusetzen. Am 21. Februar 2003 erließ das FA einen entsprechend geänderten Vorauszahlungsbescheid für September 2002.
Dagegen erhob die Klägerin Klage ohne Vorverfahren (Sprungklage), der das FA gemäß § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtzeitig zustimmte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die Umsätze der Klägerin gegenüber den Händlern seien nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei. Die Überlassung der Standplätze sei die Hauptleistung, die übrigen Leistungen der Klägerin lediglich Nebenleistungen. Ferner sei die private Nutzung der Kfz nicht steuerbar.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Nunmehr ist das FA der Ansicht, die Zulassung zum Markt gebe den Leistungen der Klägerin an die Händler "das Gepräge". Ebenso wie die Überlassung von Sportstätten nach dem Urteil des Senats vom 31. Mai 2001 V R 97/98 (BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658) regelmäßig nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 falle, so seien hier weder die gesamten Leistungen der Klägerin an die Händler noch ein Teil davon nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei.
Das FA beantragt, die angegriffene Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Würdigung des FG, dass die Leistungen der Klägerin an die Händler nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 steuerfreie Vermietungen von Grundstücken sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 setzt die gemäß Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vorgesehene Befreiung der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken um.
Entsprechend der danach gebotenen richtlinienkonformen Auslegung gilt als wesentliches Merkmal des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs der "Vermietung", dass dem Mieter auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, einen Gegenstand so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 12. Juni 2003 Rs. C-275/01, Sinclair Collis Ltd., Slg. 2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216 Rz 22, 25; vom 3. März 2005 Rs. C-428/02, Fonden Marselisborg Lystbadehavn, Slg. 2005, I-1527, BFH/NV Beilage 2005, 175 Rz 27, 30; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. April 2004 V B 108/03, BFH/NV 2004, 1301).
2. Die Überlassung der Standplätze an die Händler erfüllt diese Voraussetzungen.
a) Das FG beurteilte die Leistungen der Klägerin ohne Rechtsverstoß als eine einheitliche Vermietungsleistung, die nicht in eine steuerpflichtige und eine steuerfreie Leistung aufzuteilen war.
Für die Annahme einer einheitlichen Leistung sind im Wesentlichen folgende Grundsätze maßgeblich: Jede Dienstleistung ist in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten; andererseits darf aber eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung nicht künstlich aufgespaltet werden (z.B. EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96, Card Protection Plan Ltd., Slg. 1999, I-973, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1999, 157 Rz 29 ff.; BFH-Urteil vom 2. März 2006 V R 25/03, BFHE 213, 134, BStBl II 2006, 788, unter II.2.a bb). Nach dem Wesen des fraglichen Umsatzes ist zu ermitteln und festzustellen, ob eine einheitliche Leistung oder mehrere Leistungen vorliegen; eine Leistung ist dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat.
Die Rechtsprechung des Senats (z.B. BFH-Urteile vom 7. April 1960 V 143/58 U, BFHE 71, 41, BStBl III 1960, 261, unter 2.; vom 25. April 1968 V 120/64, BFHE 93, 393, BStBl II 1969, 94), wonach bei Wochenmärkten, Jahrmärkten und ähnlichen Veranstaltungen unter Umständen eine Aufteilung in Betracht zu ziehen ist, ist mit dem Urteil des BFH in BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658, unter II.1. überholt. Wie das FA inzwischen selbst einräumt, gilt diese Entscheidung nicht nur für Sportstätten, sondern allgemein für die Beurteilung einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 (BFH-Beschluss vom 13. September 2002 V B 51/02, BFH/NV 2003, 212, unter II.2.a). Danach ist für die Steuerbefreiung entscheidend, ob eine einheitliche Leistung vorliegt, und wenn dies zutrifft, ob die Vermietungsteilleistung prägend ist.
b) Das FG ging von diesen Grundsätzen aus. Es würdigte den Sachverhalt dahingehend, dass die Überlassung der Standplätze das wesentliche Element der Leistungen der Klägerin an die Händler sei. Die darüber hinaus erbrachten Leistungen der Klägerin seien Nebenleistungen. Dem jeweiligen Händler komme es gerade darauf an, unter Ausschluss anderer Händler für die Dauer des Marktes eine Standfläche zu erhalten, von der aus er sein Warensortiment vertreiben könne. Die Organisationsleistung der Klägerin sowie die Bereitstellung von Strom und die Reinigung des Marktplatzes seien für die Händler nur im Hinblick auf die Verkaufsmöglichkeit im Rahmen ihres Standplatzes von Nutzen. Die besondere Bedeutung der Standplätze für die Händler sowie die Abhängigkeit der "Serviceleistungen" von dem Zur-Verfügung-Stellen der Standplätze rechtfertigten es, diese auch dann als Nebenleistung zu einer dann einheitlichen steuerfreien Leistung anzusehen, wenn die Attraktivität eines Wochenmarktes durch die Mitwirkung eines Drehorgelspielers gesteigert worden sei.
c) Die Würdigung des FG ist möglich und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2 FGO).
aa) Das Urteil des EuGH vom 9. März 2006 C-114/05, Gillan Beach (Slg. 2006, I-2427, BFH/NV Beilage 2006, 278) steht ihr nicht entgegen. In dieser Entscheidung hatte der EuGH über den Ort von komplexen, eine Vielzahl verschiedenster Dienstleistungen umfassenden Leistungen, der Veranstaltung von Schiffsmessen, zu entscheiden. Dabei ging es um die Frage, ob es sich hierbei um Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnliche Tätigkeiten, einschließlich derjenigen der Veranstalter solcher Tätigkeiten sowie ggf. der damit zusammenhängenden Tätigkeiten handelte (Art. 9 Abs. 2 Buchst. c 1. Gedankenstrich der in den Streitjahren geltenden Fassung der Richtlinie 77/388/EWG). Hierzu führte er in Rz 25 seines Urteils aus: "Eine Ausstellung oder Messe ist unabhängig von ihrem Thema darauf gerichtet, einer Vielzahl von Empfängern grundsätzlich an einem einzigen Ort und zu einer bestimmten Zeit verschiedene, komplexe Dienstleistungen zu erbringen, um u.a. Informationen, Waren oder Ereignisse so zu präsentieren, dass für sie bei den Besuchern geworben wird." Im Gegensatz hierzu erbrachte die Klägerin im Streitfall an die Händler --neben der Überlassung der Standplätze-- nur unwesentliche Nebenleistungen.
bb) Soweit das FA vorträgt, die Zulassung zum Markt sei für die Leistungen der Klägerin an die Händler prägend, greift es lediglich die mögliche Würdigung des FG an. Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze hat das FA damit nicht vorgebracht. Das Urteil des Senats in BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658, wonach die Überlassung von Sportstätten regelmäßig nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 fällt, steht der Würdigung des FG nicht entgegen. Denn im Streitfall führte die Klägerin keine derartigen Leistungen aus.
3. Zu Recht hat das FG auch entschieden, dass die private Nutzung der Fahrzeuge nicht steuerbar ist.
Nach § 3 Abs. 9 a Satz 1 UStG 1999 werden einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt:
1. die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen;
2. die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.
Unabhängig davon, ob Leistungen aufgrund von Leasingverträgen als Lieferungen oder sonstige Leistungen beurteilt werden, wäre in keinem der beiden Fälle die private Nutzung der Kfz steuerbar:
a) Wären solche Leistungen als Lieferungen anzusehen, wäre die private Nutzung der Kfz die Verwendung von Gegenständen für Zwecke außerhalb des Unternehmens (§ 3 Abs. 9 a Satz 1 Nr. 1 UStG 1999). Diese ist nur steuerbar, wenn der Gegenstand zum teilweisen oder vollständigen Vorsteuerabzug berechtigt hat. Daran fehlt es hier. Denn nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 ist vom Vorsteuerabzug die Steuer für Lieferungen ausgeschlossen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet, die --wie hier-- keine Umsätze i.S. des § 15 Abs. 3 UStG 1999 sind. Die Klägerin führte ausschließlich Umsätze aus, die nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei waren, und verwendete hierfür die Fahrzeuge.
b) Wären die Leistungen aufgrund der Leasingverträge als sonstige Leistungen anzusehen, so wäre die private Nutzung der Kfz nach § 3 Abs. 9 a Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 zu beurteilen. In diesem Fall wären diese Eingangsumsätze (Leasing der Fahrzeuge) bereits bei Leistungsbezug in einen unternehmerischen und einen nicht unternehmerischen Teil aufzuteilen (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 1994 V R 94/91, BFH/NV 1995, 452, unter II.1.c bis e). Damit wäre die private Nutzung der Fahrzeuge keine für die Steuerbarkeit nach § 3 Abs. 9 a Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 erforderliche Leistung aus dem Unternehmen (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 1993 V R 87/89, BFHE 172, 546, BStBl II 1994, 200, unter II.2.).
Fundstellen