Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen können durch eine Kapitalherabsetzung die steuerlichen Folgen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit Rückwirkung beseitigt werden.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 2 Ziff. 1, § 43 Abs. 2
Tatbestand
An der mit einem Stammkapital von 40 000 DM gegründeten Beschwerdeführerin (Bfin.) waren der Kaufmann X mit 36 000 DM und seine Ehefrau mit 4 000 DM beteiligt. Durch Gesellschaftsbeschluß vom 2. August 1950 wurde das Stammkapital der Bfin. von 30 000 DM auf 70 000 DM erhöht. Zur übernahme des neuen Anteils war nur der Gesellschafter X berechtigt. Im Gesellschafterbeschluß wurde erklärt, daß der neue Stammanteil voll eingezahlt sei. Zum Zwecke der Einzahlung wurde auf Anweisung des Gesellschafter- Geschäftsführers ein Betrag von 30 000 DM von dem Gewinnvortrag 1949 auf Stammeinlagekonto verbucht.
Die Kapitalerhöhung und die entsprechende Satzungsänderung wurden ins Handelsregister eingetragen.
Als der Bfin. auf Grund des Kapitalertragsteuerbescheids und der Einspruchsentscheidung bekannt wurde, daß das Finanzamt in der Kapitalerhöhung eine kapitalertragsteuerpflichtige Gewinnausschüttung an den Gesellschafter X sah, versuchte sie, auf verschiedenen Wegen die Kapitalerhöhung rückgängig zu machen. Ihre Anträge beim Registergericht, die eingetragene Kapitalerhöhung als gegen das Gesetz verstoßend und unwirksam zu löschen, blieben ebenso wie die gegen den ablehnenden Bescheid des Registergerichts eingelegten Beschwerden erfolglos. Im Dezember 1955 vermerkte die Bfin., ohne daß ein entsprechender Gesellschafterbeschluß ergangen war, in den Büchern, daß das Stammkapital in den Bilanzen vom 31. Dezember 1949 und 31. Dezember 1950 nur 40 000 DM betrage. Dementsprechend wies sie in ihrer Bilanz vom 31. Dezember 1955 ein Stammkapital von 40 000 DM aus.
Die Vorbehörden sahen in der Kapitalerhöhung aus der Rücklage eine kapitalertragsteuerpflichtige Gewinnausschüttung an den Gesellschafter X. Sie bezogen sich dabei auf die feststehende Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs. Das Finanzgericht stellte dementsprechend in dem angefochtenen Zwischenurteil fest, daß die Kapitalerhöhung ein kapitalertragsteuerpflichtiger Vorgang sei.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) der Bfin. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Es handelt sich um eine durch Eintragung ins Handelsregister wirksam gewordene Kapitalerhöhung zu Lasten einer offenen Rücklage, die zu einer unentgeltlichen Aushändigung des neu geschaffenen Geschäftsanteils an den die Bfin. beherrschenden Gesellschafter führte. Zur Entscheidung der steuerlichen Frage, ob dem Gesellschafter durch den Freianteil ein Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 2 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), von dem nach § 43 Abs. 2 EStG 1950 der Steuerabzug vom Kapitalertrag vorzunehmen ist, zugeflossen ist, kann es dahingestellt bleiben, ob es sich nach bürgerlichem Recht um eine Sachgründung handelt, die durch Verrechnung des Einzahlungsanspruchs der Bfin. aus der Kapitalerhöhung mit dem sich aus einer unterstellten Ausschüttung ergebenden Anspruch des Gesellschafters gegen die Bfin. (Doppelmaßnahme) durchgeführt worden ist, ob eine Bargründung vorliegt, bei der die Einzahlung noch aussteht, oder ob der Registerrichter im Gegensatz zur Auffassung des Bundesgerichtshofs (Beschluß II ZB 15/54 vom 9. Dezember 1954, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Bd. 15 S. 391) und des Oberlandesgerichts Celle (9 W x 3/55 - 16 T 4/55 - vom 21. April 1956, Rundschau für GmbH 1956 S. 187) die unmittelbare Umwandlung der offenen Rücklage in Stammkapital im Wege der nominellen Kapitalerhöhung anerkannte. Denn in jedem Fall ist nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, der sich der Senat anschließt, die Aushändigung von zu Lasten offener Rücklagen geschaffener Freianteile an den Gesellschafter eine kapitalertragsteuerpflichtige Gewinnausschüttung in Höhe des Nennbetrags der Freianteile, wenn die Kapitalerhöhung ins Handelsregister eingetragen worden ist und die Beteiligten an ihr ohne Rücksicht auf die bürgerlich-rechtliche Rechtslage festhalten. In dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil I 165/54 S vom 17. September 1957 1) gibt der Senat eine ausführliche Begründung dafür, warum er hinsichtlich der Besteuerung der Freianteile im Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs folgt. Die Schaffung und Erhöhung des Nennkapitals einer Kapitalgesellschaft, das bei Rückzahlung an den Gesellschafter steuerfrei ist, fordert eine Einlage. Steuerlich muß deshalb unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Auffassung davon ausgegangen werden, daß die Rücklage an den Gesellschafter ausgeschüttet und der Ausschüttungsbetrag als Einlage eingezahlt worden ist. Im übrigen wird auf die Begründung des oben bezeichneten Urteils I 165/54 S verwiesen.
Ist die Kapitalerhöhung durchgeführt und halten die Beteiligten an ihr fest, so können sie sich grundsätzlich nicht darauf berufen, daß sie eine Ausschüttung und Wiedereinzahlung mit der Folge der Steuerpflicht der Freianteile bei dem Gesellschafter nicht gewollt hätten (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 925/31 vom 13. Mai 1931, Slg. Bd. 28 S. 326). Es kann in der Regel auch nicht zugelassen werden, daß eine solche Kapitalerhöhung, wenn sie einmal durchgeführt ist und steuerliche Auswirkungen gehabt hat, von den Beteiligten mit steuerlicher Wirkung wieder rückgängig gemacht wird (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1933/32 vom 29. November 1933, Reichssteuerblatt - RStBl - 1934 S. 370, und Urteil des Bundesfinanzhofs IV 38/53 U vom 5. November 1953, Slg. Bd. 58 S. 231), Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 4). Bei der Kapitalerhöhung ist die Auswirkung, nämlich der Eintritt der Steuerpflicht beim Gesellschafter, grundsätzlich mit der Eintragung ins Handelsregister eingetreten. Diese Eintragung rechtfertigt im allgemeinen auch die Schlußfolgerung, daß die Beteiligten die Kapitalerhöhung im Ergebnis gewollt haben und an ihr festhalten.
Ausnahmsweise kann eine durchgeführte und ins Handelsregister eingetragene Kapitalerhöhung mit steuerlicher Auswirkung rückgängig gemacht werden, wenn begründete Zweifel an der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit der Kapitalerhöhung bestehen, die Beteiligten schon kurze Zeit nach der Eintragung alle bürgerlich-rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kapitalerhöhung beseitigen und damit in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung den vor der Kapitalerhöhung bestehenden Zustand wiederherstellten. So hat der Reichsfinanzhof im Urteil VI A 685/36 vom 26. Mai 1937, Slg. Bd. 41 S. 319, RStBl 1937 S. 976, eine durch eine eingetragene und damit durchgeführte Kapitalerhöhung eingetretene steuerliche Auswirkung als mit rückwirkender Kraft beseitigt angesehen, weil der Registerrichter im Einvernehmen mit den Beteiligten die von ihm bürgerlich- rechtlich für unwirksam gehaltene Eintragung im nächsten Jahre mit rückwirkender Kraft löschte. Dieser eng begrenzten rückwirkenden Beseitigung steuerlicher Folgen liegt u. a. die Erwägung zugrunde, daß es Fälle gibt, in denen die von den Beteiligten nicht erkannte steuerliche Auswirkung der Kapitalerhöhung so schwerwiegend und entscheidend ist, daß ohne weiteres unterstellt werden kann, daß die Beteiligten die Kapitalerhöhung bei Kenntnis der steuerlichen Auswirkungen nicht beschlossen hätten. Bei der Schwierigkeit und Unübersichtlichkeit des heutigen Steuerrechts sind Fälle denkbar, in denen das ausnahmslose Festhalten an dem Grundsatz, daß der Steuerpflichtige das Steuerrecht kennen muß, daß Rechtsirrtümer zu seinen Lasten gehen und daß die einmal eingetretene Steuerpflicht durch einen Irrtum über die steuerlichen Auswirkungen des Verhaltens des Steuerpflichtigen nicht mehr beeinflußt werden können, mit Treu und Glauben nicht vereinbar ist. Allgemeine Grundsätze darüber, wann ein solcher Ausnahmefall anerkannt werden kann, lassen sich nicht aufstellen. Sie hängen von den Umständen des Einzelfalles ab.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so erscheint es unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben vertretbar, der Bfin. und ihren Gesellschaftern die Möglichkeit zu geben, die im Jahre 1950 durchgeführte Kapitalerhöhung innerhalb einer angemessenen Frist nach Zustellung dieses Urteils durch eine formelle Kapitalherabsetzung und Wiederherstellung des vor der Kapitalerhöhung bestehenden Zustandes steuerlich mit rückwirkender Kraft zu beseitigen. Dabei darf die Kapitalherabsetzung nicht zu einer Ausschüttung der zur Kapitalerhöhung verwandten Rücklagen führen. Im vorliegenden Fall hat der Registerrichter die von den Beteiligten kurz nach der Eintragung der Kapitalerhöhung beantragte Löschung abgelehnt. Hätte der Registerrichter den Wünschen der Beteiligten entsprochen und die Eintragung mit rückwirkender Kraft gelöscht, so wären die Vorbehörden unter Bezugnahme auf das Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 685/36 bereit gewesen, die steuerliche Rückwirkung der Löschung anzuerkennen. Bei der außerordentlich weittragenden steuerlichen Auswirkung der Kapitalerhöhung nicht nur auf die Einkommensteuer des Gesellschafters, sondern auch auf die Mindestbesteuerung der Bfin. erscheint es zweifelhaft, ob steuerlich die rückwirkende Beseitigung der Kapitalerhöhung ausschließlich von dem Verhalten des Registerrichters abhängig gemacht werden kann. Die Beteiligten haben nach der Einspruchsentscheidung über die Steuerpflicht des Vorgangs unter erheblichem Kostenaufwand in zahlreichen Gerichtsverfahren versucht, die Löschung der Kapitalerhöhung zu erreichen. Es trifft zu, daß der nach dem Scheitern aller Bemühungen in den Büchern gemachte Vermerk über die Herabsetzung des Stammkapitals keine rechtlichen Wirkungen hat. Es konnte aber der Bfin. und ihren Gesellschaftern vor der endgültigen Entscheidung über die zweifelhafte steuerliche Rechtslage nicht zugemutet werden, eine formelle Kapitalherabsetzung zu beschließen und auf diese Weise alle tatsächlichen und rechtlichen Folgen der Kapitalerhöhung rückgängig zu machen. Denn sie konnten nicht übersehen, ob die Steuergerichte dieser formellen Kapitalherabsetzung steuerliche Wirkungen auch hinsichtlich der Kapitalerhöhung beimessen werden würden. Nach den besonderen im Streitfall gegebenen Verhältnissen hält es der Senat unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben noch für vertretbar, eine Kapitalherabsetzung anzuerkennen, die die Kapitalerhöhung mit steuerlicher Wirkung ex tunc rückgängig macht.
Fundstellen
Haufe-Index 408792 |
BStBl III 1957, 400 |
BFHE 1958, 433 |
BFHE 65, 433 |
BB 1957, 1097 |
DB 1957, 1089 |