Leitsatz (amtlich)
1. Eine Überschuldung i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist nur dann gegeben, wenn die Schulden der Kapitalgesellschaft den Wert ihres Aktivvermögens übersteigen.
2. Die Beseitigung einer Überschuldung setzt stets die Zuführung neuen Aktivvermögens ohne Rückzahlungsverpflichtung voraus. Für eine analoge Anwendung des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist dann kein Raum, wenn der nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerbare Rechtsvorgang die Überschuldung weder beseitigt noch mindert.
3. Ein Verlust an dem festgesetzten Kapital i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist gegeben, wenn der Aktivsaldo zwischen dem (Brutto-)Vermögen und den Schulden der Kapitalgesellschaft niedriger als das gezeichnete Kapital ist.
4. Ein Rechtsvorgang i.S. des § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 dient nur dann der Deckung des Verlustes am gezeichneten Kapital i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972, wenn die Leistung des Gesellschafters geeignet ist, den Verlust auszugleichen. Daran fehlt es stets, wenn ein Gesellschafter mit seiner Leistung nur zusätzliche Gesellschaftsrechte erwirbt.
5. Für eine analoge Anwendung des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist kein Raum, wenn der nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerbare Rechtsvorgang in keinem Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung steht.
Normenkette
KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 8 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine mit einem Stammkapital von 2 Mio DM ausgestattete GmbH. Alleingesellschafter war B.
Die Klägerin erlitt bis zum Ende des Wirtschaftsjahres 1978/79 am 30.Juni 1979 einen Bilanzverlust in Höhe von ... DM. Deshalb schloß sie mit ihrem Gesellschafter B am ... 1980 einen Vertrag über die Errichtung einer atypisch stillen Gesellschaft ab. Auf Grund dieses Vertrages erbrachte B Sacheinlagen im Werte von ... DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in dem Abschluß des Vertrages über eine atypisch stille Gesellschaft einen gemäß § 2 Abs.1 Nr.1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG 1972) steuerpflichtigen Rechtsvorgang. Er setzte die Gesellschaftsteuer durch Bescheid vom 20.August 1982 auf ... DM fest.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid Einspruch mit dem Ziel ein, eine Besteuerung nur mit dem halben Steuersatz (§ 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972) zu erreichen. Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab jedoch der Klage statt, weil es eine Gesetzeslücke annahm und § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 entsprechend anwandte.
Gegen das Urteil hat das FA die vom FG zugelassene Revision eingelegt, mit der es Verletzung des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 rügt.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen dessen Entscheidung nicht.
1. a) Nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 unterliegt der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber der Gesellschaftsteuer. Nach § 5 Abs.1 Nr.3 KVStG 1972 sind GmbH Kapitalgesellschaften i.S. des § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972. Gemäß § 6 Abs.1 Nr.3 KVStG 1972 begründen auch Forderungen, die eine Beteiligung am Gewinn oder am Liquidationsvermögen der Gesellschaft gewähren, Gesellschaftsrechte i.S. § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972.
b) Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in einer den erkennenden Senat bindenden Weise (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß die Klägerin am 11.März 1980 mit B einen Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft an ihrem Handelsgewerbe abgeschlossen hat. Auf Grund des Vertrages erhielt B eine Forderung auf Beteiligung am Gewinn der Klägerin als einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 5 Abs.1 Nr.3 KVStG 1972. Damit erwarb er erstmalig Gesellschaftsrechte i.S. des § 6 Abs.1 Nr.3 KVStG 1972. Der Erwerb war nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerpflichtig.
2. Gemäß § 8 Satz 1 Nr.1 Buchst.a KVStG 1972 wird die Gesellschaftsteuer vom Wert der Gegenleistung berechnet, wenn --wie im Streitfall-- eine solche zu bewirken ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) betrug der Wert der Gegenleistung (Einlage als stiller Gesellschafter) des B im Streitfall ... DM. Dieser Betrag ist deshalb Steuermaßstab.
3. a) Gemäß § 9 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972 beträgt der Steuersatz grundsätzlich 1 v.H. des Steuermaßstabes. Gemäß § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ermäßigt sich der Steuersatz um 50 v.H., wenn der nach § 2 Abs.1 Nrn.1 bis 4 KVStG 1972 steuerpflichtige Rechtsvorgang entweder zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem gezeichneten Kapital erforderlich ist. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um mindestens eine dieser alternativen Voraussetzungen für den Streitfall zu bejahen.
b) Eine Überschuldung i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist nur gegeben, wenn die Schulden der Kapitalgesellschaft den Wert ihres Aktivvermögens übersteigen. Da das FG die Höhe der Schulden der Klägerin zum ... 1980 in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt hat, läßt sich die Überschuldung der Klägerin für diesen Stichtag revisionsrechtlich nicht überprüfen.
Die Beseitigung einer Überschuldung setzt stets die Zuführung neuen Aktivvermögens ohne Rückzahlungsverpflichtung voraus. Dies gilt für die Kapitalzufuhr durch den Anteilseigner gleichermaßen wie für die durch einen typisch oder atypisch stillen Gesellschafter. Beruht die Kapitalzufuhr auf einer Erhöhung des Kapitals der inländischen Kapitalgesellschaft, so ist § 9 Abs.2 Nr.1 Satz 2 KVStG 1972 zusätzlich zu beachten.
Da § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 dem Ziel dient, die Aufnahme neuen Kapitals zur Sanierung notleidend gewordener Kapitalgesellschaften zu begünstigen, ist die Vorschrift auf die Einlage eines typisch stillen Gesellschafters regelmäßig unanwendbar. Dessen Einlage kann gemäß § 341 des Handelsgesetzbuches (HGB) a.F. (§ 236 HGB n.F.) im Konkurs der Kapitalgesellschaft zurückgefordert werden. Sie erfüllt deshalb regelmäßig nicht den von der Vorschrift begünstigten Zweck. Eine andere Rechtslage kann sich für den Ersterwerb der Rechte eines atypisch stillen Gesellschafters dann ergeben, wenn dessen Einlage zur Sanierung des Unternehmens der Kapitalgesellschaft geleistet wird und die Rückforderung der Einlage von der vorherigen Entstehung entsprechender Gewinne abhängig ist (vgl. Egly/Klenk, Gesellschaftsteuer, 4.Aufl., Herne/Berlin 1982, Rdnr.478a). In einem solchen Fall entsteht die Rückzahlungsverpflichtung aufschiebend bedingt erst, nachdem das Ziel der Sanierung erreicht wurde. § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 kann deshalb unter den übrigen Voraussetzungen der Vorschrift grundsätzlich zur Anwendung gelangen. Jedoch kann der Senat der Überlegung im Streitfall nicht weiter nachgehen, weil es auch insoweit an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlt.
Für die Annahme einer Gesetzeslücke besteht so lange kein Raum, als der nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerbare Rechtsvorgang nicht geeignet ist, eine Überschuldung in dem o.g. Sinne zu beseitigen oder zu vermindern.
c) Ein Verlust an dem durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung festgesetzten Kapital ist gegeben, wenn der Aktivsaldo zwischen dem (Brutto-)Vermögen und den Schulden der Kapitalgesellschaft niedriger als das gezeichnete Kapital ist. Dabei sind nicht die in der Bilanz ausgewiesenen, sondern die "wahren" Vermögenswerte maßgebend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.August 1968 II R 82/67, BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781; Egly/Klenk, a.a.O., Rdnr.468; Brönner/Kamprad, Kapitalverkehrsteuergesetz, 4.Aufl., Köln 1986, § 7 Rdnr.24; Kinnebrock/Meulenbergh, Kapitalverkehrsteuergesetz, 5.Aufl., München 1983, § 9 Rdnr.9; Klein, Kapitalverkehrsteuergesetz, Neuwied 1976, § 9 S.117).
Ein Rechtsvorgang i.S. des § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 dient der Deckung des Verlustes am gezeichneten Kapital i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972, wenn die Leistung des Gesellschafters geeignet ist, den Verlust auszugleichen. Daran fehlt es stets, wenn ein Gesellschafter mit seiner Leistung nur zusätzliche Gesellschaftsrechte erwirbt. Eine nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 steuerbare Kapitalerhöhung führt nur dann zur Anwendung des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972, wenn sie im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung steht. Eine Kapitalerhöhung ohne Kapitalherabsetzung dient nie der Deckung eines Verlustes am gezeichneten Kapital (vgl. Erlaß des Finanzministerium Nordrhein-Westfalen vom 4.April 1978 S 5110-4-VA 2, Der Betrieb 1978, 915).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) wurde im Streitfall für die Klägerin keine Kapitalherabsetzung beschlossen. Hieran scheitert eine analoge Anwendung des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972. Bei dieser Sachlage bedarf es nicht der weiteren Prüfung, ob nicht die Rückzahlungsverpflichtung der atypisch stillen Einlage als Schuld der Klägerin auszuweisen war, weshalb der Einlage die Eignung fehlte, den Verlust am gezeichneten Kapital auszugleichen.
4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die atypisch stille Einlage des B (teilweise) der Beseitigung einer Überschuldung der Klägerin diente. Die dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, ist Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 62109 |
BStBl II 1989, 161 |
BFHE 155, 149 |
BFHE 1989, 149 |
BB 1989, 688-690 (LT1-5) |
DB 1989, 307-308 (LT) |
HFR 1989, 201 (LT) |
WPg 1989, 213 (ST) |
StRK, R.4 (LT) |
Information StW 1989, 188 (T) |
DStZ/E 1989, 71 (K) |
GmbH-Rdsch 1989, 218-219 (ST) |
UVR 1989, 122 (LT) |