Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Klage auf Aufhebung der Abgabe einer Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft ist der Finanzrechtsweg ausgeschlossen.
2. Eine Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten im Sinne von § 33 Abs. 1 FGO liegt nicht schon dann vor, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der von ihm angegriffenen Maßnahme mit der Verletzung des Steuergeheimnisses begründet.
2. Verfügungen des FA im Strafverfahren nach §§ 420 ff. AO sind bis zur Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft keine Maßnahmen der Justizbehörden im Sinne von § 23 EG GVG.
Normenkette
AO §§ 22, 400, 420-422; FGO § 33 Abs. 1, 2 S. 2, § 34 Abs. 3; EGGVG § 23 Abs. 1
Tatbestand
Das FA leitete am 31. März 1964 aufgrund einer Betriebsprüfung gegen den Kläger ein Steuerstrafverfahren ein. Anläßlich der Mitteilung hierüber wies das FA den Kläger am 6. April 1964 auf die Möglichkeit der Unterwerfung nach § 445 AO a. F. hin. Am 20. Mai 1964 gab es die Strafsache an die Staatsanwaltschaft ab.
Für die am 20. Dezember 1966 erhobene Klage gegen die Abgabe der Strafsache und auf Feststellung, daß durch diese Abgabe das Steuergeheimnis verletzt sei, hielt das FG den Finanzrechtsweg nicht für gegeben. Es handle sich um eine steuerstrafrechtliche Maßnahme, durch die die Zuständigkeit zur Verfolgung der Steuerstraftaten auf die Staatsanwaltschaft übergehe. Das FG verwies die Sache auf den hilfsweise gestellten Antrag des Klägers an das Landgericht.
Mit der Revision rügt der Kläger mangelnde Sachaufklärung durch das FG.
Entgegen dem Klageantrag könne zwar die Abgabeverfügung nicht mehr förmlich aufgehoben werden, da sie sich durch die abschließende Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft erledigt habe. Jedoch könne er die Rechtswidrigkeit des in der Abgabeverfügung liegenden hoheitlichen Handelns feststellen lassen.
Der zweite Klageantrag betreffe nicht (Steuer-)Strafrecht, sondern (Steuer-)Verwaltungsrecht, weshalb § 33 Abs. 2 letzter Satz FGO den Finanzrechtsweg nicht ausschließe.
Der Rechtsweg nach § 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EG GVG) sei verschlossen, weil das FA keine Justizbehörde sei, und zwar auch dann nicht, wenn man es für die Entschließung vor Abgabe des Verwaltungssteuerstrafverfahrens als Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft ansehen wollte. Denn gegen Akte der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft sei der Rechtsweg nach § 23 EG GVG nicht gegeben (siehe Schäfer in Löwe-Rosenberg, Anm. 2c zu § 23 EG GVG). Im übrigen gehe es im Streitfall nicht um die Abgabe der Sache wegen steuerstrafrechtlicher Vorwürfe, sondern ausschließlich um die Verletzung des Steuergeheimnisses wegen der Mitteilung nichtsteuerlicher Verdachtsmomente. Insoweit könne das FA nicht "im Steuerstrafverfahren" tätig werden. Damit habe die Verletzung des Steuergeheimnisses nichts zu tun. § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO beziehe sich nur auf das inzwischen für verfassungswidrig erklärte Verwaltungssteuerstrafrecht.
Das FA ist der Ansicht, das FG habe die Sache nicht an das ordentliche Gericht verweisen dürfen. Die beiden Klageanträge hätten nur im Verfahren nach §§ 23 ff. EG GVG behandelt werden können. Die Ausschlußfrist nach § 26 EG GVG sei aber bereits bei Klageerhebung verstrichen gewesen. Da der Kläger diesen möglichen Rechtsweg nicht wahrgenommen habe, sei auch keine Verweisung an das ordentliche Gericht im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG möglich. Das FG habe die Klage abweisen müssen, weil es die Voraussetzungen der §§ 23 ff. EG GVG selbst hätte prüfen und dabei die Fristversäumnis feststellen müssen. Das FA habe keine Revision eingelegt und die Hauptanträge gestellt, weil die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs von Amts wegen zu prüfen sei.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO seien Maßnahmen der FÄ im Steuerstrafverfahren als Maßnahmen der Justizbehörden anzusehen, weshalb §§ 23 ff. EG GVG anzuwenden seien.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt nur hinsichtlich des Verweisungsantrags zur Änderung der Vorentscheidung.
I.
Das FG hat den Finanzrechtsweg zutreffend nicht für gegeben gehalten, weil es sich bei der am 20. Mai 1964 erfolgten Abgabe der Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft nach § 425 AO a. F. um eine Maßnahme des Verwaltungssteuerstrafverfahrens im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO a. F. (vor dem Inkrafttreten des 2. AOStrafÄndG vom 12. August 1968, BGBl I, 953) bzw. des Straf- und Bußgeldverfahrens im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO n. F. handelt. Dem Kläger war am 6. April 1964 mitgeteilt worden, daß gegen ihn ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist. In diesem Verfahren nimmt das FA die Ermittlungen anstelle der sonst dafür zuständigen Staatsanwaltschaft vor (siehe Hartung/Hübner in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, vor § 420 AO Anm. 1, 6). Die Befugnis des FA, die Sache an die zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, war in § 425 AO a. F. im Abschn. "Strafverfahren" des Dritten Teils der AO geregelt. Sonach kann kein Zweifel bestehen, daß der Gegenstand der Klage, nämlich die Abgabe der Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft aufzuheben, eine Maßnahme des Verwaltungssteuerstrafverfahrens war.
Entgegen der Meinung des Klägers ist der Finanzrechtsweg nicht deshalb gegeben, weil die Strafsache angeblich unter Verletzung des Steuergeheimnisses an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden ist. Zwar ist in § 22 Abs. 2 AO bestimmt, wer sich einer Verletzung des Steuergeheimnisses schuldig macht, und in § 400 AO die Verletzung des Steuergeheimnisses unter Strafe gestellt. Deshalb ist das Delikt auch als Steuervergehen anzusehen (siehe Hartung/Hübner in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 400 AO Anm. 4 mit Schrifttumshinweisen). Gleichwohl liegt eine Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten im Sinne von § 33 Abs. 1 FGO nicht schon dann vor, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der von ihm angegriffenen Maßnahme mit der Verletzung des § 22 Abs. 1 AO begründet. Vielmehr kommt es auf die Rechtsnatur des Klagebegehrens an (vgl. auch Entscheidungen des BGHZ 29, 187; 34, 349; Entscheidungen des BVerwGE 12, 64). Ist dieses wie im Streitfall auf die Aufhebung einer strafrechtlichen Maßnahme bzw. auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit gerichtet, so stellt die Frage der Verletzung des Steuergeheimnisses anläßlich der Abgabe der Steuerstrafsache lediglich eine Vorfrage dar, die von dem für das Klagebegehren zuständigen Gericht zu entscheiden ist. Denn § 22 Abs. 1 AO, der ein allgemeines Gebot zum Schutz des Steuergeheimnisses enthält, ist von allen Gerichten zu beachten und anzuwenden. So ist für auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses gestützte Schadensersatzansprüche nach Art. 34 GG in Verbindung mit §§ 823 Abs. 2, 831, 839 BGB der Zivilrechtsweg gegeben. Soll gegen Beamte wegen Verletzung des § 22 Abs. 1 AO ein Strafverfahren eingeleitet werden, so scheidet der Finanzrechtsweg nach § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO aus. Dies gilt auch, wenn - wie der Kläger behauptet - das Steuergeheimnis dadurch verletzt wurde, daß vor der Abgabe der Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft die Angaben über die nichtsteuerlichen Straftaten nicht aus den Akten des FA ausgesondert wurden. Denn die Abgabeverfügung ist, wie oben ausgeführt wurde, eine Maßnahme des Verwaltungssteuerstrafverfahrens. Da der Kläger erklärt hat, daß sein Feststellungsantrag nicht bezwecke, einen Amtshaftungsprozeß zu erübrigen oder vorzubereiten, und daß er erst zu gegebener Zeit darüber entscheiden wolle, kann insoweit nicht festgestellt werden, ob der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten in Betracht kommt. Es bleibt daher nur übrig, die angegriffene Abgabeverfügung in Zusammenhang mit der Verletzung des Steuergeheimnisses als eine Maßnahme des (Verwaltungssteuer-)Strafverfahrens im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO anzusehen. Das FG braucht hierzu nicht die vom Kläger behaupteten Tatsachen über den Grund der Abgabe an die Staatsanwaltschaft aufzuklären.
II.
Im Hinblick auf den Hilfsantrag des Klägers, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, hatte das FG zu prüfen, ob ein anderer Rechtsweg zulässig ist. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des BGH V ZR 83/61 vom 28. November 1962 (BGHZ 38, 289) insoweit an, als das verweisende Gericht zu etwaigen Streitfragen über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu einer anderen Gerichtsbarkeit nicht abschließend zu entscheiden habe und diese Entscheidung dem anderen Gericht überlassen könne. Es genügte jedoch nicht, daß das FG die Sache ohne nähere Prüfung an das Landgericht verwiesen und dies lediglich damit begründet hat, daß für Maßnahmen auf dem Gebiet des Steuerstrafverfahrens die ordentlichen Gerichte zuständig seien. Da aber mit der Klage keine richterliche Entscheidung im Strafverfahren angegriffen worden war, war zu prüfen, ob eine Verfügung oder sonstige Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Sinne des § 23 EG GVG Streitgegenstand war und damit das OLG zuständig ist oder ob der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.
Gesetzlich ist nicht geregelt, ob die FÄ bei der Abgabe von Steuerstrafsachen als Justizbehörden im Sinne von § 23 EG GVG anzusehen sind. Ob der Begriff "Justizbehörde" im organisationsrechtlichen (ressortmäßigen) Sinn (so Schäfer in Löwe-Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung, und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Anm. 2c zu § 23 EG GVG) oder im funktionellen Sinn (so Kleinknecht, Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 30. Aufl., Anm. 2 zu § 23 EG GVG) zu verstehen ist, ist bestritten. Auch ist bestritten, inwieweit die Tätigkeit der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (Polizei) durch die ordentlichen Gerichte oder auf dem Verwaltungsrechtsweg nachprüfbar ist (siehe o. a. Kommentare zur StPO).
Für das Strafverfahren wegen Steuervergehen gelten gem. § 420 AO die allgemeinen Gesetze über Strafverfahren, namentlich die StPO und das GVG, soweit in §§ 421 AO ff. nichts anderes bestimmt ist. Das FA ist aber für die Ermittlungen bei dem Verdacht eines Steuervergehens nach § 421 Abs. 1 AO grundsätzlich zuständig, und zwar unter eigener Verantwortung und unabhängig von Weisungen der Staatsanwaltschaft. Erst mit der Abgabe der Strafsache an die Staatsanwaltschaft erlischt die Ermittlungskompetenz des FA (siehe Hartung/Hübner in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 421 AO, Anm. 2, 13). Bis zu diesem Zeitpunkt übt demnach das FA nicht etwa eine Hilfstätigkeit für die Staatsanwaltschaft aus. Nach Ansicht des erkennenden Senats können daher Verfügungen des FA bis zur Abgabe der Strafsache an die Staatsanwaltschaft nicht als Maßnahmen einer Justizbehörde, auch nicht im funktionellen Sinn, angesehen werden. Für diese Auffassung spricht auch Sinn und Zweck des § 179 der VwGO, mit dem § 23 in das EG GVG eingefügt wurde. Damit sollte nicht die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Justizverwaltungsakten zugelassen werden, was bereits aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG zulässig war, sondern die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte wegen des inneren Sachzusammenhangs anstelle der an sich materiell und gem. § 40 VwGO generell zuständigen Verwaltungsgerichte (VG) begründet werden. Nach der Stellungnahme des Bundesrats in der Bundestagsdrucksache 55, 3. Wahlperiode, S. 61, auf die im wesentlichen die Einfügung des § 23 EG GVG zurückzuführen ist, sollte "die Nachprüfung der spezifisch justizmäßigen Verwaltungsakte der Justizverwaltung den ordentlichen Gerichten übertragen werden, da diese über die für die Nachprüfung erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen". Anders liegt es bei den steuerstrafrechtlichen Ermittlungen. Diese sind den FÄ gerade wegen ihrer besonderen Kenntnisse auf dem Gebiet des Steuerrechts übertragen worden. Da nach allem, insbesondere mangels eines hierauf gerichteten Klagebegehrens, eine Verweisung an die ordentlichen Gerichte ausscheidet, bleibt nur die Verweisung an das zuständige VG des 1. Rechtszuges, nämlich an das VG. ...
Fundstellen
BStBl II 1972, 286 |
BFHE 1972, 187 |