Leitsatz (amtlich)
1. § 19 GewStDV ist auf Pfandleihunternehmen weder unmittelbar noch sinngemäß anwendbar.
2. Der Senat schließt sich dem Urteil des VI. Senats vom 12. Dezember 1969 VI R 289/67 (BFHE 98, 436, BStBl II 1970, 436) an, wonach Schulden, die ein Pfandleihunternehmen zur allgemeinen Refinanzierung von Ausleihungen aufnimmt, der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, soweit sie eine Laufzeit von mehr als einem Jahr haben.
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1; GewStDV § 19
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist bei den Gewerbesteuerveranlagungen, ob bei der Ermittlung des Gewerbeertrags dem Gewinn gemäß § 8 Nr. 1 GewStG Zinsen für Dauerschulden und bei der Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG Dauerschulden hinzuzurechnen sind.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte, eine KG, betrieb in den Streitjahren das Pfandleihgewerbe, d. h. sie gewährte Darlehen gegen die Überlassung von Faustpfändern. Für die Darlehnsforderungen berechnete die KG Zinsen, für die Verwahrung der Pfänder erhob sie Gebühren. Zur teilweisen Refinanzierung des Pfandleihgeschäfts nahm die KG verzinsliche Darlehen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr bei privaten Gläubigern auf. In ihren Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre wies die KG diese aufgenommenen Darlehen als Dauerschulden und die dafür gezahlten Zinsen als Dauerschuldzinsen aus. Der Beklagte und Revisionskläger, das FA, veranlagte die KG nach Maßgabe ihrer Steuererklärungen und rechnete demgemäß bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der KG dem Gewinn die erklärten Zinsen und bei der Ermittlung des Gewerbekapitals der KG dem Einheitswert die erklärten Schulden gemäß § 8 Nr. 1 und § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG hinzu. Im Wege des Einspruchs gegen diese Gewerbesteuerbescheide machte die KG unter Hinweis auf zwei finanzgerichtliche Entscheidungen geltend, bei Pfandleihunternehmen seien die zur Refinanzierung von Ausleihungen aufgenommenen Darlehen keine Dauerschulden. Demgemäß seien die ausgewiesenen Schulden und Zinsen entgegen den abgegebenen Steuererklärungen bei der Ermittlung des Gewerbekapitals und des Gewerbeertrags nicht hinzuzurechnen. Die Einsprüche der KG waren erfolglos.
Den Klagen der KG gab das FG in vollem Umfange statt. Das FG vertrat die Auffassung, zwar sei § 19 GewStDV auf Pfandleihunternehmen nicht anwendbar, weil derartige Unternehmen nicht den Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 - KWG - (BGBl I 1961, 881) unterlägen. Aus dem Grundgedanken der gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungsvorschriften ergebe sich jedoch, daß die Verbindlichkeiten von Kreditinstituten, zu denen auch Pfandleihunternehmen gehörten, unabhängig von den Voraussetzungen des § 19 GewStDV nicht zurechnungspflichtig seien, weil sie nicht der dauernden Verstärkung des Betriebskapitals dienten. Wirtschaftlich gesehen seien die von einem Kreditinstitut hereingenommenen Gelder nicht Mittel der Finanzierung, sondern Gegenstand des Geschäftsbetriebs.
Mit der Revision beantragt das FA, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen als unbegründet abzuweisen. Das FA rügt insbesondere, das FG habe die Grundsätze des urteils des BFH vom 12. Dezember 1969 VI R 289/67 (BFHE 98, 436, BStBl II 1970, 436) nicht beachtet. Danach seien nicht nur die zur Finanzierung von Anlagegütern und Betriebsmitteln aufgenommenen Kredite, sondern auch allgemeine Geschäftskredite Dauerschulden, es sei denn, diese Schulden stünden im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einzelnen laufenden Geschäftsvorfällen. Für die Kreditaufnahme der Pfandleiher treffe dies jedoch nicht zu. § 19 GewStDV sei auf die in dieser Vorschrift genannten Unternehmen beschränkt.
Die KG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie nimmt in erster Linie Bezug auf ein umfangreiches Rechtsgutachten, das sie einreichte. Die Klägerin macht danach geltend, die von einem Kreditinstitut im allgemeinen und von einem Pfandleihunternehmen im besonderen aufgenommenen Darlehen seien, soweit ihnen Ausleihungen gegenüberstünden, keine Dauerschulden, weil die erlangten und wieder ausgeliehenen Mittel das Betriebskapital nicht verstärkten. Darüber hinaus gebiete der Gleichheitssatz, Pfandleihunternehmen in die Begünstigung des § 19 GewStDV einzubeziehen (vgl. auch FR 1971, 3 ff. und 42 ff.; StuW 1971, 18 ff.).
Das FA hat die angefochtenen Steuerbescheide während des Revisionsverfahrens geändert. Die KG hat gemäß § 68 FGO beantragt, die geänderten Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Abweisung der Klagen.
1. Nach § 35c Nr. 2 Buchst. e GewStG in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über die Beschränkung der Hinzurechnung von Dauerschulden bei Kreditinstituten nach dem Verhältnis des Eigenkapitals zu Teilen des Anlagevermögens. Nach § 19 GewStDV 1961 sind bei Unternehmen, für die die Vorschriften des KWG gelten, (sowie für private Bausparkassen, ihnen gleichgestellte Geschäftsbetriebe und öffentlich-rechtliche Bausparkassen) Dauerschulden nur insoweit anzunehmen, als der Ansatz der zum Anlagevermögen gehörenden Betriebsgrundstücke (einschließlich Gebäude) und dauernden Beteiligungen das Eigenkapital überschreitet.
Beide Parteien des Rechtsstreits stimmen mit der Vorentscheidung darin überein, daß § 19 GewStDV auf Pfandleihunternehmen unmittelbar nicht anwendbar ist, weil die Vorschrift ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut nach voraussetzt, daß für das begünstigte Unternehmen die Bestimmungen des KWG 1961 gelten oder das begünstigte Unternehmen eine private Bausparkasse, ein dieser gleichgestellter Geschäftsbetrieb oder eine öffentlich-rechtliche Bausparkasse ist, und Pfandleihunternehmen diesen Erfordernissen nicht genügen, insbesondere die Bestimmungen des KWG für sie nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 9 KWG nicht gelten.
Die KG meint aber im Gegensatz zur Vorentscheidung, § 19 GewStDV sei auf Pfandleihunternehmen analog anzuwenden. Dieser Ansicht kann der Senat nicht beipflichten. Eine Analogie setzt eine Lücke in der gesetzlichen Regelung voraus. Von einer Lücke im Gesetz kann aber nur dann gesprochen werden, wenn das Gesetz (hier im materiellen Sinne verstanden) "gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wenn seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung (auf bestimmte Tatbestände) widerspricht" (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. S. 357 bis 358). Eine Lücke in diesem Sinne enthält jedoch das Gewerbesteuerrecht nicht. Vielmehr muß angenommen werden, daß eine analoge Anwendung des § 19 GewStDV auf Pfandleihunternehmen die gesetzliche Regelung in einer Weise ergänzen würde, die der vom Gesetz gewollten Beschränkung der Begünstigung auf bestimmte Unternehmen widerspricht. Daß die Beschränkung der Begünstigung auf bestimmte Unternehmen, zu denen Pfandleihunternehmen nicht gehören, gewollt ist, schließt der Senat in erster Linie aus der teilweise enumerativen Wortfassung der Bestimmung. Aus der ausdrücklichen Benennung der Bausparkassen als begünstigte Unternehmen folgt, daß dem Verordnungsgeber die eventuelle Notwendigkeit nicht verborgen geblieben sein kann, auch Unternehmen, für die das KWG nicht gilt, in die Begünstigung einzubeziehen, und daß er diese Notwendigkeit gleichwohl nur für Bausparkassen bejaht hat.
Die KG meint ferner, der im GG verankerte Gleichheitssatz gebiete es, auch Pfandleihunternehmen zu begünstigen, sei es im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 19 GewStDV, sei es durch eine Erweiterung des Geltungsbereichs der Vorschrift im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung, weil ein Ausschluß der Pfandleihunternehmen verfassungswidrig wäre und der Gesetzgeber bei Kenntnis des Verfassungsverstoßes mit Sicherheit die Vorschrift auf Pfandleihunternehmen ausgedehnt hätte. Auch dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen.
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 19 GewStDV in dem Sinne, daß die Vorschrift auch für Pfandleihunternehmen gilt, scheitert schon daran, daß eine solche Auslegung mit dem möglichen Wortsinn der Vorschrift schlechthin unvereinbar ist.
Aber auch eine Erweiterung des Geltungsbereichs der Vorschrift im Wege einer vom Gleichheitssatz getragenen richterlichen Rechtsfortbildung ist nicht möglich. Ihr steht in erster Linie entgegen, daß § 19 GewStDV dem Gleichheitssatz nicht widerspricht. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des VI. Senats an.
Der Senat stützt seine Ansicht auf folgende Gründe.
a) Art. 3 Abs. 1 GG stellt ein den Gesetzgeber bindendes Willkürverbot dar. Er verbietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich zu behandeln. Dabei muß jedoch grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen werden, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Der Gesetzgeber hat dabei eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sein Spielraum endet erst dort, wo ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt, es sich also um eine Regelung handelt, die unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheint, so daß die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung evident ist. Erst wenn Gesetzlichkeiten, die in der Sache selbst liegen, mißachtet werden, liegt ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor (Leibholz-Rinck, Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., Art. 3 Anm. 9 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG).
b) Der Senat läßt dahingestellt, ob nicht bereits der Umstand, daß die Mehrzahl aller Kreditinstitute im Gegensatz zu Pfandleihunternehmen in ihrem Passivgeschäft als Geldsammelstellen tätig sind und demgemäß eine andersartige Kapitalstruktur aufweisen, einen hinreichenden Grund dafür bildet, die Zurechnung von Dauerschulden nach Maßgabe des § 19 GewStDV zwar bei Kreditinstituten, nicht jedoch bei Pfandleihunternehmen zu beschränken. Wenn die KG hiergegen einwendet, der erwähnte Umstand reiche für eine Rechtfertigung der differenzierten Behandlung nicht aus, weil es auch begünstigte Kreditinstitute, die nicht Geldsammelstellen seien, gebe, so verkennt sie, daß dieser Einwand ihrer Klage keinesfalls zum Erfolg verhelfen könnte. Denn selbst wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, daß in einem Teilbereich ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche gewerbesteuerliche Regelung fehlt, so könnte § 19 GewStDV nicht ohne weiteres auf Pfandleihunternehmen ausgedehnt werden. Denn der Verordnungsgeber könnte die dann gebotene Gleichbehandlung ebensogut durch eine Beschränkung des § 19 GewStDV auf jene Kreditinstitute herstellen, die als Geldsammelstellen tätig sind. Eine weitere Vertiefung dieser Frage erübrigt sich jedoch.
c) Entscheidend ist, daß Kreditinstitute, die dem KWG unterliegen (einschließlich Teilzahlungsbanken), und Bausparkassen einerseits und Pfandleihunternehmen andererseits, obwohl ihnen die Gewährung von Krediten gemeinsam ist, doch im Kernbereich durchaus verschiedenartige Tätigkeiten entfalten, die beträchtliche Unterschiede in ihrer Kostenstruktur und in ihrer Preisgestaltung bedingen. Diese im folgenden darzustellenden Unterschiede reichen aus, um den Verordnungsgeber vor dem Vorwurf zu schützen, er habe mit der Beschränkung des § 19 GewStDV auf Kreditinstitute und Bausparkassen im Verhältnis zu Pfandleihunternehmen wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt.
Der Pfandleiher gewährt dem Verleiher ein Darlehen gegen Faustpfand. Bereits dieser Darlehnsvertrag ist insofern von besonderer und anderer Art, als der gewerbliche Pfandleiher keinen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens hat und sich nur aus dem Pfand befriedigen kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher vom 1. Februar 1961, BGBl I 1961, 58). Im Zusammenhang mit dieser Kreditgewährung besonderer Art erbringt der Pfandleiher weitere Leistungen, die zwar, wie die KG zu Recht hervorhebt, nur Nebenleistungen zur Kreditgewährung sind (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juli 1970 V R 32/70, BFHE 99, 325, BStBl II 1970, 645), die aber jedenfalls in ihrer Zusammenfassung erhebliches Gewicht haben, insbesondere mit beträchtlichen Kosten für den Pfandleiher verbunden sind und deshalb eines besonderen Entgelts bedürfen. Solche Nebenleistungen sind insbesondere die Schätzung, die Aufbewahrung und die Versicherung des Pfandobjekts. Anders als bei Kreditinstituten sind für die Entgelte, die der Pfandleiher fordern darf, aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Rechtsverordnung Höchstbeträge festgesetzt (§ 34 Abs. 2 GewO in Verbindung mit § 10 der Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher vom 1. Februar 1961). Danach durften die Pfandleiher in den Streitjahren höchstens Zinsen von monatlich 1 v. H. des Darlehnsbetrages und bei Darlehnsbeträgen bis zu 500 DM höchstens degressiv gestaffelte Vergütungen für die Kosten des Geschäftsbetriebs fordern, die z. B. bei einem Darlehnsbetrag von 100 DM monatlich 3 DM ausmachten, also entsprechend der besonders kostenträchtigen Eigenart des Pfandkredits ein Vielfaches der eigentlichen Vergütung für die befristete Überlassung von Geld darstellen. Für ein Darlehen von z. B. 100 DM durfte der Pfandleiher in den Streitjahren somit jährlich 12 v. H. Zinsen und 36 v. H. Vergütungen für die Kosten des Geschäftsbetriebs fordern.
Wenn der Gesetzgeber Höchstbeträge für die Entgelte der Pfandleiher festsetzte, so ging er dabei von der Annahme aus, daß der Verleiher jedenfalls im Bereich des Kleinkredits eines besonderen Schutzes bedarf, weil bei der geringen Zahl der Pfandleiher ein Markt, in dem sich ein Wettbewerb entfalten könnte, fehlt, und weil sich die Konkurrenz der Kreditinstitute und Abzahlungsgeschäfte erst bei höheren Darlehnsbeträgen auswirkt (vgl. Janssen, Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher, 1961, S. 16 bis 17). Wenn aber der Gesetzgeber für das Gewerberecht der Pfandleiher die Wettbewerbssituation in den Streitjahren so sehen durfte, so muß ihm zugebilligt werden, hieran auch für das Gewerbesteuerrecht festzuhalten, d. h. davon auszugehen, daß angesichts der auffälligen Unterschiede in der Kostenstruktur und der Preisgestaltung ein ernstlicher Wettbewerb zwischen Pfandleihern und Kreditinstituten im Bereich der Kleinkredite nicht gegeben ist und darüber hinaus angesichts der durch die Eigenart des Pfandkredits bedingten und bei Kleinkrediten besonders spürbaren Höhe der allgemeinen Kosten des Geschäftsbetriebs von eventuellen Unterschieden in der Gewerbesteuerbelastung für Dauerschulden nicht entscheidend beeinflußt wird.
Berücksichtigt man, daß die KG in keiner Weise dargetan hat, sie sei anders als alle übrigen Pfandleiher (vgl. Janssen, a. a. O.) überwiegend nicht im Bereich der Kleinkredite tätig gewesen, so kann es keinesfalls als willkürlich angesehen werden, daß Pfandleihunternehmen im allgemeinen und die KG im besonderen nicht in die Begünstigung des § 19 GewStDV einbezogen sind. Dies gilt um so mehr, als die volkswirtschaftliche Funktion der Kreditinstitute einschließlich der Teilzahlungsbanken und der Bausparkassen einerseits und der Pfandleihunternehmen andererseits durchaus verschieden akzentuiert ist, wie sich aus der Eigenart des Pfandkredits und des durch diese Eigenart angesprochenen Personenkreises und ihres Kreditbedürfnisses ergibt.
Der von der KG in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht gestellte Antrag auf Vernehmung eines Sachverständigen war als unzulässig abzulehnen, weil der BFH als Revisionsgericht Beweisaufnahmen nur vornehmen kann, soweit das Vorhandensein von Prozeßvoraussetzungen in Frage steht. Für den Senat bestand auch keine Möglichkeit, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen, damit dieses den Sachverständigen vernehme. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die unter Beweis gestellten Behauptungen der KG neues tatsächliches Vorbringen enthalten, denn sie sind entweder nicht hinreichend substantiiert oder rechtsunerheblich. Insbesondere konnte sich die KG angesichts der dargelegten Motivierung für die gesetzliche Beschränkung ihrer Entgelte nicht mit der allgemein gehaltenen Behauptung begnügen, daß ein ausgeprägtes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Pfandleihunternehmen und anderen Zweigen des Kreditgewerbes bestehe bzw. in den Streitjahren bestanden habe. Dies gilt um so mehr als die von der KG in den Streitjahren ausgewiesenen Ergebnisse schlechthin undenkbar erscheinen lassen, daß die KG noch günstigere Ergebnisse erzielt hätte, wenn sie in ihrer Preiskalkulation die Gewerbesteuerbelastung der Dauerschulden nicht einbezogen, also entsprechend weniger als die Höchstsätze nach der Verordnung gefordert hätte.
Der Senat kann es bei dieser Sach- und Rechtslage offenlassen, ob es nicht etwa unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von Treu und Glauben ausgeschlossen erscheint, die KG für die Streitjahre von einer Gewerbesteuerbelastung zu entbinden, die in den Höchstsätzen der Vergütung für die Kosten des Geschäftsbetriebs berücksichtigt und damit von der KG auch vereinnahmt ist.
2. Der Revision ist auch darin beizupflichten, daß die in Frage stehenden Verbindlichkeiten der KG entgegen der Ansicht der Vorinstanz Schulden sind, "die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen" und demgemäß die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 8 Nr. 1 und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG erfüllen.
Das von der KG vorgelegte Gutachten geht zu Recht davon aus, daß der Tatbestand des § 8 Nr. 1 GewStG und demgemäß auch der Tatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG drei Tatbestandsmerkmale umfaßt: die Schuldaufnahme, die Verstärkung des Betriebskapitals durch die Schuldaufnahme und den Dauercharakter ("nicht nur vorübergehend") dieser Verstärkung. Der Senat ist jedoch im Gegensatz zu diesem Gutachten der Auffassung, daß die von der KG aufgenommenen Darlehen der Verstärkung des Betriebskapitals dienten und diese Verstärkung des Betriebskapitals nicht nur vorübergehender Natur war.
a) In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, daß grundsätzlich jede Schuldaufnahme im Rahmen eines Gewerbebetriebs eine Verstärkung des Betriebskapitals darstellt, es sei denn, daß es sich um einen durchlaufenden Kredit im Sinne der von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 1966 I 66/63, BFHE 86, 768, BStBl III 1967, 27) handelt. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Daß die besonderen Voraussetzungen für die Annahme eines durchlaufenden Kredits im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind, ist zwischen den Prozeßparteien nicht streitig.
Für die Frage, ob die Schuldaufnahme einer Verstärkung des Betriebskapitals dient, ist unerheblich, ob die durch die Schuldaufnahme erlangten Gegenwerte dem Anlagevermögen oder dem Umlaufvermögen zuzuordnen sind. Aus der Mittelverwendung können sich lediglich Anhaltspunkte dafür ergeben, ob die durch die Schuldaufnahme eingetretene Verstärkung des Betriebskapitals ihrer Natur nach nur vorübergehend war; bejahendenfalls entfällt dann aber nicht das zweite (sachliche), sondern das dritte (zeitliche) Tatbestandsmerkmal des § 8 Nr. 1 GewStG. Auch Schulden aus dem Erwerb z. B. von Waren führen deshalb zu einer Verstärkung des Betriebskapitals. Die herkömmliche Unterscheidung zwischen zurechnungspflichtigen Dauerschulden und nichtzurechnungspflichtigen Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs betrifft nicht das Tatbestandsmerkmal der Verstärkung des Betriebskapitals, sondern vielmehr die zeitliche Komponente im Tatbestand des § 8 Nr. 1 GewStG. Der KG kann deshalb nicht darin gefolgt werden, daß die von einem Kreditinstitut aufgenommenen Fremdmittel nicht der Verstärkung des Betriebskapitals dienen, weil diese Mittel wieder ausgeliehen werden. Auch der Forderungsbestand eines Gewerbebetriebs, gleichgültig, ob dieser Produktion von Waren, den Handel mit Waren oder eine andere gewerbliche Betätigung zum Gegenstand hat, gehört zum Betriebskapital, ebenso wie z. B. der Warenbestand oder bare Mittel Teile des Betriebskapitals sind. Wenn, wie die KG offenbar annimmt, dem Begriff des Betriebskapitals immanent wäre, daß die damit geschaffenen Gegenwerte für den Betrieb dauernd benötigt werden und diesem dauernd dienen, so käme den Worten "nicht nur vorübergehend" in der Tatbestandsfassung des § 8 Nr. 1 GewStG kein selbständiger rechtlicher Wert zu (vgl. dazu Haarländer, DB 1972, 114 ff.); derartige leerlaufende Tatbestandsbestimmungen können dem Gesetzgeber nicht ohne zwingenden Grund unterstellt werden. Durch einen Vergleich der von einem Kreditinstitut aufgenommenen Fremdmittel mit der Warenbeschaffung durch ein Handels- oder Produktionsunternehmen, so wie er der Vorinstanz offenbar vorschwebt, ist aus diesem Grunde jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung des Betriebskapitals für die im Streitfall zu entscheidende Frage nichts gewonnen.
b) Es kommt somit allein darauf an, ob die durch die Schuldaufnahme eingetretene Verstärkung des Betriebskapitals nicht nur vorübergehender Natur war. Sie wäre dann vorübergehender Natur, wenn die fraglichen Verbindlichkeiten als "Schulden, die zum laufenden Geschäftsverkehr gehören", zu charakterisieren wären. Der VI. Senat hat in seinem Urteil VIR 289/67 eingehend dargelegt, daß und weshalb die von einem Pfandleihunternehmen aufgenommenen Darlehen keine Schulden sind, die zum laufenden Geschäftsverkehr gehören. Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat insoweit bei als, wie im Streitfall, nur Verbindlichkeiten zu beurteilen sind, die eine Laufzeit von mehr als einem Jahr haben. Der erkennende Senat stützt seine Überzeugung ergänzend auf folgende Überlegungen:
Im allgemeinen ist für die Beurteilung der Frage, ob eine Schuld, die zum laufenden Geschäftsverkehr gehört, oder eine Schuld, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dient, vorliegt, primär der Charakter der Schuld maßgebend. Als zweiter Beurteilungsmaßstab tritt das zeitliche Moment hinzu, und zwar in der Form, daß bei Schulden mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr in der Regel Dauerschulden anzunehmen sind (vgl. dazu bereits die Begründung zum Gewerbesteuergesetz vom 1. Dezember 1936, RStBl 1937, 693 [695-6]). Da im Streitfall die zu beurteilenden Verbindlichkeiten sämtlich eine Laufzeit von mehr als einem Jahr haben, kommt es ausschließlich darauf an, ob deren Charakter derart ist, daß sie danach als Schulden des laufenden Geschäftsverkehrs zu qualifizieren sind. Dies wollen die Vorentscheidung und ihr folgend die KG offenbar bejahen, wenn sie argumentieren, bei einem Kreditinstitut seien die hereingenommenen Gelder nicht Mittel der Finanzierung, sondern Gegenstand des Geschäftsbetriebs, deshalb seien die zur Refinanzierung von Ausleihungen (gleichgültig, ob kurzfristig oder langfristig) aufgenommenen Schulden ganz allgemein und unabhängig von ihrer Laufzeit, also insbesondere auch bei einer Laufzeit von weit mehr als einem Jahr stets Schulden des laufenden Geschäftsverkehrs. Dieser Argumentation kann der Senat nicht folgen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die von einem Kreditinstitut hereingenommenen und zur Finanzierung von Ausleihungen bestimmten Gelder der Ware eines Handels- oder Produktionsunternehmens gleichgesetzt werden können. Selbst wenn man dies unterstellt und annimmt, die Darlehnsschuld sei bei einem Kreditinstitut eine Schuld aus "Warenlieferungen", wäre doch die Eigenart der Ware "Geld" gebührend zu beachten. Schulden aus Warenlieferungen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr werden durch das Zeitmoment allenfalls dann nicht zu Dauerschulden, wenn sich der Absatz der Ware typischerweise über einen etwas längeren Zeitraum als ein Jahr erstreckt. Auf dieser Überlegung beruht das von der KG zitierte BFH-Urteil vom 18. August 1959 I 137/58 U (BFHE 69, 453, BStBl III 1959, 430) zur gewerbesteuerrechtlichen Beurteilung von Krediten, die der Finanzierung eines bestimmten Filmvorhabens durch den Filmhersteller dienen. Die Eigenart der Ware "Geld" besteht aber nun gerade darin, daß sie rascher umsetzbar ist als jede andere (wirkliche) Ware. Hieraus folgt, daß Darlehnsschulden eines Kreditinstituts ebenso wie die zur Refinanzierung von Ausleihungen bei anderen Unternehmen (z. B. Brauereien) bestimmten Darlehnsschulden, abgesehen von dem hier unstreitig nicht gegebenen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit bestimmten einzelnen Aktivgeschäften, nicht durch den Charakter der Schuld, sondern nur durch das Zeitmoment, nämlich eine Laufzeit von nicht mehr als einem Jahr als Schulden des laufenden Geschäftsverkehrs zu qualifizieren sind. Der Umstand, daß Kreditinstitute die aufgenommenen Darlehen zur Finanzierung sowohl kurzfristiger als auch langfristiger Ausleihungen verwenden, kann nicht dazu führen, diese Darlehen unabhängig von ihrer Laufzeit als Schulden des laufenden Geschäftsverkehrs zu beurteilen, weil dieser Umstand nicht durch die Eigenart der Ware "Geld" bedingt ist, sondern Ausfluß freier unternehmerischer Entscheidungen ist.
Daß die gegenteilige Auffassung der Vorentscheidung und der KG nicht richtig sein kann, wird besonders augenfällig, wenn man unterstellt, daß z. B. ein Pfandleihunternehmen ein Annuitätendarlehen mit einer Laufzeit von 30 Jahren aufnimmt und daraus dreißig Jahre lang einen erheblichen Teil seines Aktivgeschäfts z. B. Darlehen mit einer durchschnittlichen Laufzeit von neun Monaten finanziert. Schon vom allgemeinen Sprachgebrauch her erweist sich hier die Feststellung, das Annuitätendarlehen diene nur der "vorübergehenden" Verstärkung des Betriebskapitals, als schlechthin unmöglich.
Der Senat sieht sich in seiner Auffassung, daß die von einem Kreditinstitut aufgenommenen Schulden jedenfalls bei einer Laufzeit von mehr als einem Jahr an sich zurechnungspflichtige Dauerschulden sind, durch die Regelung im § 19 GewStDV bestärkt. Diese Vorschrift wäre weitgehend überflüssig, wenn die Auffassung der Vorentscheidung richtig wäre. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte des § 35c Nr. 2 Buchst. e GewStG und des § 19 GewStDV bieten irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß Sinn und Zweck der Regelung in ihrem Kernbereich nur eine Klarstellung sei und ihr konstitutive begünstigende Wirkung nur in relativ belanglosen Randfragen zukommen soll, z. B. der Finanzierung der Geschäftseinrichtung eines Kreditinstituts durch Fremdmittel.
Fundstellen
Haufe-Index 70381 |
BStBl II 1973, 407 |
BFHE 1973, 211 |