Leitsatz (amtlich)
Eine nach § 85 UStDB 1951 mit 1 v. H. zu versteuernde Geschäftsveräußerung im ganzen ist anzunehmen, wenn bei einer KG zu gleicher Zeit die bisherigen Komplementäre ihre Gesellschaftsanteile an die Kommanditistin (ebenfalls eine KG) abtreten und bei dieser ein vollständiger Gesellschafterwechsel stattfindet.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1; UStDB 1951 § 85; BGB § 738 Abs. 1 S. 1; HGB § 105 Abs. 2, §§ 138, 142 Abs. 3, § 161 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob ein nichtsteuerbarer Vorgang oder eine nach § 85 UStDB 1951 mit 1 v. H. zu versteuernde Geschäftsveräußerung im ganzen anzunehmen ist, wenn bei einer KG zu gleicher Zeit die beiden bisherigen Komplementäre ihre Gesellschaftsanteile an die Kommanditistin (ebenfalls eine KG) abtreten und bei dieser ein vollständiger Gesellschafterwechsel stattfindet.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige), eine KG, setzte sich bis zum ... aus zwei persönlich haftenden Gesellschaftern (A und B) mit einer Einlage von je ... DM und einer KG (im folgenden KG X) als Kommanditistin mit einer Einlage von ... DM zusammen. An der KG X waren A und B als persönlich haftende Gesellschafter und die Mitglieder einer Erbengemeinschaft als Kommanditisten beteiligt. Aufgrund eines Vertrages vom ... schieden A und B mit Wirkung vom ... unter Verzicht auf eine Liquidation aus der Steuerpflichtigen aus und überließen gegen Freistellung von ihrer persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der Steuerpflichtigen gegenüber Dritten ihre Anteile der KG X. Zum ... traten zwei natürliche Personen (C und D) ohne Übernahme von Vermögensanteilen und ohne Gewinnbeteiligung unter Einbringung lediglich ihrer Arbeitskraft als persönlich haftende Gesellschafter in die mit der KG X gebildete KG ein. Gleichzeitig erhöhte die KG X ihre Einlage auf ... DM.
Zur gleichen Zeit vollzog sich bei der KG X ein vollständiger Gesellschafterwechsel. Ebenfalls aufgrund des Vertrages vom ... schieden alle bisherigen Gesellschafter unter Verzicht auf eine Liquidation zum ... aus der KG X aus. An ihrer Stelle traten C und D zum ... ohne Übernahme von Vermögensanteilen und ohne Gewinnbeteiligung unter Einbringung lediglich ihrer Arbeitskraft als persönlich haftende Gesellschafter sowie eine GmbH (E) und eine OHG (F) unter Übernahme von je der Hälfte des gesamten auf ... DM erhöhten Gesellschaftsvermögens mit allen Aktiven und Passiven als Kommanditisten in die KG X ein. Die bisherigen Gesellschafter überließen ihre Anteile am Gesellschaftsvermögen mit allen Aktiven und Passiven gegen Freistellung von der persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der KG X gegenüber Dritten den beiden neuen Kommanditisten (E und F).
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) erblickte wegen des vollständigen Gesellschafterwechsels bei der Steuerpflichtigen und bei der KG X in dem entgeltlichen Übergang der Besitzposten der Steuerpflichtigen auf die neue Personengruppe (C, D, E, F) eine Geschäftsveräußerung im ganzen im Sinne des § 85 UStDB 1951 und zog daher die Steuerpflichtige gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 UStDB 1951 mit 1 v. H. zur Umsatzsteuer heran. Die hiergegen eingelegte Sprungberufung (jetzt Sprungklage) hatte Erfolg.
In der Vorentscheidung wird im wesentlichen ausgeführt: Die Steuerpflichtige habe, wie sich aus dem Vertrage vom ... ergebe, ihr Betriebsvermögen auf ihre Kommanditistin, die KG X, und nicht auf deren Gesellschafter oder einen von ihnen übertragen. An diese Rechtsgestaltung sei die Finanzverwaltung gebunden; denn die am wirtschaftlichen Verkehr Beteiligten könnten unter mehreren Möglichkeiten des Übergangs von Gegenständen auf andere jeweils diejenige auswählen, die für sie umsatzsteuerlich am günstigsten sei. Aufgrund der getroffenen Vereinbarungen sei die Steuerpflichtige zum ... aufgehoben und das Gesellschaftsvermögen auf die verbleibende, zum Alleininhaber gewordene KG X übertragen worden. Die Anteile der Komplementäre seien dem Anteil der bisherigen Kommanditistin, der KG X, zugewachsen (§§ 105 Abs. 2, 138, 142 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB, § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein steuerbarer Umsatz der Steuerpflichtigen an die KG X habe mithin nicht stattgefunden. Hieran könne der am ... stattgefundene vollständige Gesellschafterwechsel bei der KG X nichts ändern, weil die KG umsatzsteuerrechtlich ein selbständiges, von den ihr jeweils angehörenden Gesellschaftern unabhängiges Rechtsgebilde sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Rb. des Vorstehers des FA, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat hat in seinem Urteil V 192/65 vom heutigen Tage (BStBl II 1968, 760) über die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des vollständigen Gesellschafterwechsels bei der oben erwähnten KG X entschieden. Er hat in dem Urteil an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. das Urteil V 80/64 vom 21. März 1968, BFH 92, 351, BStBl II 1968, 595) festgehalten, nach der in dem gleichzeitigen Wechsel aller Gesellschafter einer Personengesellschaft unter Fortführung der Firma und des Handelsgeschäfts nicht ein Fortbestehen der bisherigen Gesellschaft unter Ausscheiden der alten und Eintritt neuer Gesellschafter, sondern eine Geschäftsveräußerung der alten an eine neue Gesellschaft im Sinne des § 85 UStDB 1951 zu erblicken ist. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt der genannten Urteile Bezug genommen.
Danach ist trotz Beibehaltung der bisherigen Firma und Fortführung des Geschäftsbetriebes in Gestalt der KG X umsatzsteuerrechtlich an die Stelle des bisherigen Unternehmers ein neuer Unternehmer getreten. Es ist zwar richtig, daß im Umsatzsteuerrecht eine KG ebenso wie eine OHG als Unternehmer behandelt wird, der Umsätze mit Dritten und mit den eigenen Gesellschaftern tätigen kann. Dies hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob nicht durch einen gleichzeitigen und vollständigen Gesellschafterwechsel die Gesellschaft zu einem anderen Unternehmen wird. Aufgrund der (oben angeführten) Vorschriften, nach denen bei den Handelsgesellschaften die Anteile der ausscheidenden Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zuwachsen, haben RFH und BFH trotz im Schrifttum erhobener Bedenken (vgl. die Zusammenstellung bei Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 9. Auflage, Tz. 893) das Fortbestehen des Unternehmens angenommen, wenn die Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden, sofern mindestens einer der bisherigen Gesellschafter übrigbleibt. Diese Annahme läßt sich auf den Fall, daß alle bisherigen Gesellschafter aus der bisherigen Gesellschaft (hier KG X) ausscheiden, nicht ausdehnen. In diesem Falle bleibt kein Gesellschafter übrig, dem die Anteile der ausscheidenden Gesellschafter wirtschaftlich zuwachsen könnten. Es ändert sich die personelle Substanz des Unternehmens ebenso grundlegend, wie in dem Falle, daß ein Alleininhaber sein Unternehmen veräußert. Es würde dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zuwiderlaufen, wollte man in dem einen Falle (Veräußerung des Unternehmens durch einen Alleininhaber) den Unternehmer zur Umsatzsteuer heranziehen, im anderen (Veräußerung des Unternehmens durch eine Personengesellschaft) dagegen nicht.
Das Urteil des Senats V 249/61 U vom 12. März 1964 (BFH 79, 163, BStBl III 1964, 290), auf das das FG Bezug nimmt, betrifft einen anderen Sachverhalt. Es wird dort nicht die umsatzsteuerliche Folge eines von vornherein beabsichtigten Wechsels aller Gesellschafter behandelt, sondern die Frage entschieden, ob eine Anwachsung der Anteile am Gesellschaftsvermögen einer OHG beim zurückbleibenden Gesellschafter die Fortführung des Unternehmens voraussetzt. Die im Anschluß an eine Erbauseinandersetzung übriggebliebene Alleininhaberin der Firma und die Gesellschafterin der OHG, der die Mitgesellschafter ihre Anteile am Gesellschaftsvermögen übertragen hatten, waren personengleich, während sich im Streitfalle - wie oben dargelegt - infolge des vollständigen Gesellschafterwechsels die KG X in ihrer personellen Substanz grundlegend geändert hatte.
Auch das Urteil des BFH II 77/61 U vom 27. Juli 1962 (BFH 75, 578, BStBl III 1962, 478), in dem trotz vollständigen Gesellschafterwechsels das Fortbestehen der Gesellschaft angenommen wurde, kann nicht zum Vergleich herangezogen werden. Abgesehen davon, daß die Rechtslage zivilrechtlich unterschiedlich beurteilt wird (vgl. das oben angeführte Urteil V 80/64 vom 21. März 1968), ist für die Grunderwerbsteuer in der Regel die zivilrechtliche Beurteilung maßgebend, während es bei der Umsatzsteuer nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in erster Linie nicht auf die formale zivilrechtliche Gestaltung, sondern auf den wirtschaftlichen Inhalt der Vorgänge ankommt (BFH-Urteil V 205/61 U vom 14. Mai 1964, BFH 79, 450, BStBl III 1964, 395).
Dadurch, daß die Komplementäre der Steuerpflichtigen (A und B) gegen Freistellung von der Haftung für die Gesellschaftsschulden ihre Anteile an die Kommanditistin der Steuerpflichtigen (KG X) abtraten, bei der gleichzeitig ein vollständiger Gesellschafterwechsel stattfand (Ausscheiden der Komplementäre A und B und der aus den Mitgliedern der Erbengemeinschaft bestehenden Kommanditisten - Eintreten der Komplementäre C und D und der Kommanditisten E und F), und die neue KG X als Kommanditistin mit C und D als Komplementäre das Geschäft und die Firma der Steuerpflichtigen übernahm, ist - wirtschaftlich gesehen - nichts anderes geschehen, als daß die Steuerpflichtige (bestehend aus der Personengruppe A + B + Erbengemeinschaft) ihr Unternehmen an einen anderen Unternehmer (bestehend aus der Personengruppe C + D + E + F in der Form einer KG) veräußerte. Das Unternehmen der Steuerpflichtigen hat seinen wirtschaftlichen Eigentümer gewechselt. Dieser Vorgang erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1951 in Verbindung mit § 85 UStDB 1951. Das FA hat ihn zutreffend als Geschäftsveräußerung im ganzen mit 1 v. H. der Umsatzsteuer unterworfen.
Unter Aufhebung der Vorentscheidung war daher die Sprungklage der Steuerpflichtigen gegen den Umsatzsteuerbescheid des FA abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1968, 759 |
BFHE 1968, 196 |