Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bedeutung des Fremdvergleichs bei ,,Zwangsaufwendungen"
Leitsatz (NV)
1. Einbußen, die ein Steuerschuldner dadurch erlitten hat, daß sein im Betrieb auf Grund eines Dienstvertrages mitarbeitender Ehegatte fortgesetzt heimlich Gelder aus der Geschäftskasse entnommen hat, können nur dann als Betriebsausgaben berücksichtigt werden, wenn man nach den gesamten Umständen davon ausgehen kann, daß sich auch ein ,,fremder" Mitarbeiter in vergleichbarer Weise Zugang zur Kasse hätte verschaffen können.
2. In einem solchen Fall können Organisationsmängel oder ein Überwachungsverschulden des Arbeitgeber-Ehegatten auch dazu führen, daß ihm die mit den Unterschlagungen verbundenen Wertabgaben als Entnahmen zuzurechnen sind.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann für die Streitjahre 1970 und 1971 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, betreibt unter der Firmenbezeichnung ,, . . ." als Einzelunternehmer in A einen Einzel- und Großhandel mit . . . Den Gewinn hieraus ermittelt sie nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Ehemann (B.), mit dem die Klägerin seit 1968 verheiratet war und im Güterstand der Gütertrennung lebte, war vom 1. August 1968 an im Geschäft seiner Ehefrau als kaufmännischer Angestellter mit eingeschränkter Bankvollmacht beschäftigt. Zu dieser Tätigkeit hat das Finanzgericht (FG) im einzelnen folgendes festgestellt:
,,Ab 1969 erhielt er eine Gewinnbeteiligung. Zunächst half er im Geschäft seiner Ehefrau dort aus, wo gerade jemand gebraucht wurde. Ab 1971 und 1972 kümmerte er sich verstärkt um den Import von Waren, später auch um die Großhandelsumsätze. Er half von Fall zu Fall an den Geschäftskassen aus. Der Ehemann der Klägerin war mit Ausnahme von Schlußverkaufs- und Weihnachtsverkaufstagen meist nur halbtags im Geschäft tätig, am Nachmittag arbeitete er als Landwirt."
Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann (B.) waren vom Beklagten und Revisionkläger (dem Finanzamt - FA -) für die Streitjahre 1970 und 1971 vorläufig zur Einkommensteuer veranlagt worden.
Bei einer im Jahre 1977 für die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1975 durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, daß die Betriebseinnahmen aus dem Gewerbebetrieb der Klägerin nicht vollständig erfaßt waren. Dies ergab sich für die Jahre 1974 und 1975 aus einem Vergleich der auf den Kassenstreifen des Kassenautomaten festgehaltenen Einnahmen mit den in der Buchführung ausgewiesenen Beträgen.
Für 1974 ermittelte der Prüfer anhand der Kassenrollen für April, Juli, September, Oktober, November und Dezember einen Fehlbetrag von insgesamt 68 335,05 DM. Für 1975 stellte er Differenzen von insgesamt 191 544,54 DM fest, und zwar für 46 Tage runde Differenzen von zusammen 64 100 DM sowie für 113 Tage ungerade Differenzen in Höhe von insgesamt 127 446,94 DM.
Der Prüfer verneinte die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Weil der verstorbene Ehemann der Klägerin auch für die Zeit vor 1974 - von 1969 bis 1973 - unerlaubte Entnahmen aus der Geschäftskasse gestanden hatte, für diese Zeit aber wegen der begrenzteren technischen Möglichkeiten der seinerzeit eingesetzten Registrierkasse eine genaue Ermittlung der Differenzen nicht möglich war, schätzte der Prüfer diese auf folgende Weise: Er rechnete die für 1974 und 1975 festgestellten tatsächlichen Differenzen auf den Gesamtumsatz um und ermittelte so den Anteil der nicht verbuchten Einnahmen am Gesamtumsatz für 1974 mit 4,4 v.H. und für 1975 mit 4,87 v.H. Mit Hilfe des Durchschnittssatzes von 4,4 v.H. ergab das für die Streitjahre folgende Hinzuschätzungen : für 1970 123 000 DM und für 1971 111 000 DM. Auf dieser Basis errechnete der Prüfer (unter Berücksichtigung von Rückstellungen wegen Mehrsteuern) für 1970 einen Mehrgewinn von 96 598 DM und für 1971 einen solchen von 91 035 DM (Mehrgewinne für 1969 bis 1975 insgesamt : 815 223 DM).
Dieses Ergebnis kontrollierte der Prüfer außerdem mit Hilfe einer ,,Nachkalkulation": Er errechnete für 1975, ausgehend von dem erklärten Bruttoumsatz, den tatsächlich festgestellten Kassendifferenzen sowie dem Wareneinsatz, eine Handelsspanne von 106,63 v.H. und stellte fest, daß sich bei Ansatz eines solchen Aufschlags für die übrigen Veranlagungszeiträume Hinzuschätzungen in doppelter Höhe ergeben hätten.
Im Verlauf der Prüfung fertigte der Prüfer mehrere Aktenvermerke, die zum Teil von B., zum Teil außerdem von der Klägerin selbst unterschrieben sind.
Im Aktenvermerk 1 bestätigte B. die Höhe der für 1975 festgestellten Kassendifferenzen (191 544,54 DM) und außerdem zu den häufigen negativen Aktionen mit dem Signal ,,STO" (=Storno, mit dessen Hilfe zugleich das fortlaufende Kassenzählwerk subtrahiert wird) in runden, höheren Beträgen, es gebe insoweit ,,keinerlei Hinweis oder Erklärung" dafür, daß es sich um geschäftliche Aktionen (Rücktritt vom Kauf, Fehler in der Eingabe, Umtausch oder ähnliche kundenbezogene Aktionen) gehandelt haben könne.
Im Aktenvermerk 2 vom 4. Mai 1977 bestätigte B. die vom Prüfer stichprobenweise für die einzelnen Monate ermittelten Differenzen und erklärte sein Einverständnis damit, daß diese für die anderen Monate eine Hochrechnungsbasis darstellten.
Im Aktenvermerk 3 vom gleichen Tage heißt es zu den Streitjahren:
,, . . . Für die Kj 1973 und früher war eine einfache Registrierkasse vorhanden, die nur positive Aktionen dokumentieren und addieren konnte. Am Tagesende mußte die Summe dieser Aktionen an einem Sichtfenster abgelesen und entsprechend auf dem Kassenbericht festgehalten werden. Bei Neueinstellung des Tagesdatums und des Aktionszählers sprang dieses Tagessummenzählwerk wieder auf DM ,,null". Um Ausgaben aus der Kasse tätigen oder Geldwechsel vornehmen zu können, mußte die Summe ,,00.00" eingegeben werden, damit die Kasse überhaupt zu öffnen war. Bei ,,Ausgabe" wurde der Registrierkassenstreifen etwas weitergedreht, um Platz im Sichtfenster für den handschriftlichen Eintrag ,,Ausgabe Betrag xyz" zu erhalten, dies ebenso bei ,,Wechseln" . . .
Die Anzahl der Drucke ,,00.00" auf dem Streifen beträgt in besagtem Zeitraum bis zu sechs pro Tag und insgesamt, z. B. 1972, 36. . . .
Ein Betrag, in welcher Höhe nicht verbuchte Einnahmen vorliegen, kann auch nicht annähernd wie in den Kj 1974 und 1975 . . . ermittelt werden.
Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß die Höhe der Beträge in den einzelnen Jahren geschätzt werden muß . . .
Keinesfalls können die konkreten Beträge an nicht verbuchten Einnahmen derart isoliert im Raume stehen, daß dies in den Vorjahren nicht geschehen sein sollte oder konnte. Dies wird im übrigen nicht bestritten . . ."
Ebenfalls am 4. Mai 1977 unterschrieb B. einen Aktenvermerk (Nr.4), in dem der Prüfer die runden und ungeraden Differenzen 1975 ermittelt und hochgerechnet hat.
Im Anschluß an ein Gespräch vom 6. Mai 1977 (Aktenvermerk 7) erklärte B. unter Berufung auf § 371 der Abgabenordnung (AO 1977) im Hinblick auf die festgestellten Differenzen für den Prüfungszeitraum ,,präjudizierend, also unter Ausschluß eines Rechtsbehelfs", daß er die Hinzurechnung zum erklärten Umsatz und Gewinn in Höhe von insgesamt 1 Mio DM anerkenne.
Die Klägerin nahm dies in einer unmittelbar anschließenden schriftlichen Erklärung vom gleichen Tag zur Kenntnis, übernahm die selbstschuldnerische Haftung für die daraus entstehenden Steuerschulden und machte deren ,,Präjudizierung" - ebenso wie zuvor ihr Ehemann - ,,von einem allseits tragbaren Zahlungsmodus abhängig".
Von diesem Aktenvermerk mit den beiden schriftlichen Erklärungen hat auch der juristische Berater der Klägerin und ihres Ehemannes Kenntnis genommen.
Im Klageverfahren . . . hat der verstorbene Ehemann der Klägerin seine Vorgehensweise wie folgt erläutert:
,,Verdeckte Entnahmen konnten von mir kassenmäßig nur in der Weise durchgeführt werden, daß Stornobuchungen vorgenommen wurden. Dabei bin ich in einschlägigen Fällen immer so vorgegangen, daß ich auf der Kassenrolle einen entsprechenden Stornobetrag gedrückt habe und im Anschluß daran die Rolle durch Heraustrennen der Buchung entfernt und anschließend die Rollenteile wieder zusammengeklebt habe. Das geschah natürlich erst dann, wenn bereits höhere Einnahmen vorgelegen hatten. Bei den von mir auf diese Weise manipulierten Beträgen handelt es sich immer um runde Hunderter-Summen, und zwar im allgemeinen um 1 000 DM, nicht um höhere Beträge. Ich habe auch an einem Tag höchstens einmal eine entsprechende Manipulation vorgenommen. Wieso es an einzelnen Tagen zu höheren Differenzen als 1 000 DM bei den Nachprüfungen gekommen ist, ist mir nicht erklärlich. Ich habe auch niemals in der Weise manipuliert, daß ich die Kassenrollen am Ende durch Abtrennen der Enddrucke und evtl. vorhergehender Positionen verändert habe, daß heißt, ich habe nie den Kassenenddruck entfernt. Dies konnte und mußte die Kassiererin Frau . . . gemacht haben - d.h., das Entfernen bzw. Abreißen der Kassenenddrucke -, weil diese den Kassenabschluß gemacht und meines Wissens die abgetrennten Kassenenddrucke zu den Kassenberichten genommen hat . . .
Ich kann nach meiner Erinnerung nur sagen, daß ich nicht öfters als einmal täglich die genannten Manipulationen durchgeführt habe . . . weil ich jeweils mittags bereits das Geschäft verlassen habe und mich dann meiner Arbeit als Landwirt gewidmet habe, das heißt, ich kam dann nachmittags und abends nicht mehr in das Geschäft. Nur in Ausnahmefällen war ich auch nachmittags bzw. abends im Geschäft, nämlich gelegentlich an langen Samstagen und dem Weihnachtsmonat.
Soweit ich mich erinnere, war eine Vertretung der Kassiererin durch mich im übrigen auch nicht notwendig, weil Frau X. meines Wissens seit Jahren nicht mehr krank war und während ihrer Urlaubszeit eine Vertretung tätig war. Ich weiß nichts darüber und kann mir auch nicht denken, wer sonst im Betrieb Manipulationen mit der Kasse durchgeführt haben sollte, und zwar weder von Familienangehörigen noch von fremden Angestellten. Ich darf ergänzend sagen, daß die Bedienung der Kasse nicht einfach ist und einiges Geschick erfordert, so daß auch Manipulationen der geschilderten Art nicht ohne weiteres möglich sind. Meines Wissens hatte im wesentlichen sonst nur Frau X. die einschlägigen Kenntnisse. Selbst ihre Vertretung durfte nur addieren, aber nicht stornieren.
Mit meiner Frau habe ich niemals über die Manipulationen gesprochen. Sie wußte davon nichts. Meine Frau kümmerte sich nicht so sehr um die privaten Geldangelegenheiten, daß sie von dieser Seite aus Einblick in meine Handlungen hätte erhalten können . . ."
Die im finanzgerichtlichen Verfahren als Zeugin vernommene Hauptkassiererin der Klägerin hat im wesentlichen folgendes ausgesagt:
,,Ich bin seit 1957 . . . im . . . Laden beschäftigt. Auch im Jahre 1975 war ich Kassiererin in diesem Laden, obwohl ich auch andere Arbeiten mitgemacht habe. In erster Linie war ich aber Kassiererin. Die Aussage des B. über die Art seiner Manipulationen, die mir vorgelesen worden ist, ist für mich völlig neu. Für den Fall, daß ich mir so einen Vorgang . . . vorstellen kann . . ., möchte ich sagen, dies ist technisch dann möglich, wenn man dabei nicht gestört wird, z. B. durch Kunden . . . .
Storni sind unterschiedlich vorgekommen. Es hat Tage gegeben, da waren sie häufig, und Tage, an denen weniger Storni vorgekommen sind. Es hängt davon ab, wie hektisch der Betrieb verläuft.
Ich weiß nicht und habe auch nie gesehen, ob Herr B. und ggf. welche Beträge Herr B. aus der Kasse entnommen hat . . ."
Auf die Frage, wie oft Herr B. im Jahr an der Kasse gewesen sei, erklärte die Zeugin:
,,Höchstens dann, wenn Frau Y. mich nicht hat vertreten können. Vor allem war dies in der Weihnachtszeit und an langen Samstagen der Fall."
In der gleichen Verhandlung sagte die Zeugin Y., eine Angestellte der Klägerin, folgendes aus:
,,Ich war von 1974 bis 1979 im . . . Laden beschäftigt. In erster Linie war ich als Verkäuferin beschäftigt. Ich habe aber Frau X. bei der Kassenführung vertreten, wenn diese Tischzeit hatte, in Urlaub oder sonst abwesend war.
. . . Herr B. war gelegentlich an der Kasse, aber selten, nämlich dann, wenn Frau X. nicht da war und ich als die Vertreterin von Frau X. bedient habe.
Ich habe nicht bemerkt, daß Frau oder Herr B Geld aus der Kasse entnommen haben. Aber es sind schon z. B. Benzinrechnungen aus der Kasse beglichen worden. Das ist dann auf dem Kassenausweis erschienen. Wir mußten das aufschreiben. Es war ein normaler Ausgangsbeleg vorhanden wie viele andere auch."
B. ist durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts A vom 20. September 1977 zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 000 DM verurteilt worden, weil er fortgesetzt und vorsätzlich zum eigenen und zum Vorteil seiner Ehefrau bewirkt bzw. zu bewirken versucht habe, daß Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommensteuer (433 222 DM) von 1969 bis 1975 verkürzt wurden. In einem Aktenvermerk vom 20. Juli 1977 hat die Bußgeld- und Strafsachenstelle des FA A festgehalten, daß der Beschuldigte das Geld für den Ausbau des landwirtschaftlichen Anwesens in L., für den Kauf landwirtschaftlicher Maschinen sowie für die Pferdezucht verwendet und daß die Klägerin von den Kassenmanipulationen nichts gewußt habe.
Wegen der Gewinnerhöhungen hatte zunächst das FA C am 10. April 1978 Gewinnfeststellungsbescheide für 1969 bis 1975 erlassen, diese aber auf den Einspruch der Klägerin hin wieder aufgehoben. Dabei ist es geblieben, nachdem die Klägerin ihre Klage hinsichtlich der Jahre 1969 bis 1971 zurückgenommen hat.
Das FA erließ auf der Grundlage der Feststellungen des Betriebsprüfers am 18. November 1977 für die Streitjahre geänderte Einkommensteuerbescheide.
Gegen diese Bescheide legten die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann Einspruch mit der Begründung ein, der Betriebsprüfungsbericht habe seine Grundlage verloren. Die Hinzurechnungen würden insoweit nicht mehr anerkannt. Angesichts der besonderen Verhältnisse des Streitfalls könnten 1970 nur 10 000 DM und 1971 nur 5 000 DM hinzugeschätzt werden. Es sei fehlerhaft, alle Kassendifferenzen dem verstorbenen Ehemann anzulasten. Echte Storni wie Warenrücknahme, nachträgliche Preisnachlässe, Tippfehler wie Zahlenverdreher oder Dezimalstellenfehler seien unberücksichtigt geblieben.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage führte zur Änderung der angefochtenen Bescheide und zur Festsetzung der Einkommensteuerschuld in der ursprünglichen Höhe.
Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 607 veröffentlicht.
Das FA rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist begründet. Die angefochtene Entscheidung wird von den festgestellten Tatsachen nicht gedeckt und ist nicht frei von Rechtsirrtum.
1. Zu Unrecht hat das FG nicht abschließend entschieden, ob und in welchem Umfang wegen (der) Unterschlagungen des verstorbenen Ehemanns die von der Klägerin für die Streitjahre erklärten Gewinne zu erhöhen sind.
Diese Frage hätte nicht offengelassen werden dürfen, weil die Annahme der Vorentscheidung, etwaige Gewinnerhöhungen seien durch Betriebsausgaben in gleicher Höhe wieder ausgeglichen worden, zumindest nach dem derzeitigen Sachstand nicht haltbar ist.
2. Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG).
Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift müssen nicht willentlich getätigt werden. Auch Wertabgaben, die den Steuerpflichtigen unfreiwillig treffen, sog. ,,Zwangsaufwendungen", können Betriebsausgaben oder Werbungskosten (zur Gleichbehandlung beider Aufwendungstypen vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, und vom 4. März 1986 VIII R 188/84, BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373, 375) sein (vgl. zur Abzugsfähigkeit unfreiwilliger Aufwendungen BFH-Urteile vom 25. Januar 1962 IV 221/60 S, BFHE 75, 271, BStBl III 1962, 366; vom 6. Mai 1976 IV R 79/73, BFHE 119, 156, BStBl II 1976, 560; in BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, und vom 9. Mai 1984 VI R 63/80, BFHE 141, 50, BStBl II 1984, 560).
Da in einem solchen Fall mehrere Ursachen für die Entstehung des Aufwands in Betracht kommen können und die subjektive Beziehung des Steuerpflichtigen zur Wertabgabe typischerweise fehlt, bedarf deren objektiver, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Betrieb zur Angrenzung von den nicht abziehbaren Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) besonders sorgfältiger Prüfung (vgl. dazu allgemein BFH-Beschluß vom 28, November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105, und BFH-Urteil vom 29. März 1979 IV R 103/75, BFHE 127,530, BStBl II 1979, 512).
Das gilt um so mehr, wenn die Straftat, die zu einem Verlust an Betriebsvermögen führt, aus einer Situation heraus begangen wurde, in der private und berufliche/betriebliche Momente eng miteinander vermischt sind oder einander überlagern. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn - wie hier - ein Arbeitnehmer-Ehegatte zum Nachteil seines Ehepartners und Arbeitgebers betrieblich vereinnahmte Gelder unterschlägt (vgl. auch Urteil in BFHE 75, 271, BStBl III 1962, 366). Die hiermit verbundenen Geldverluste darf der geschädigte Ehegatte nur dann als Werbungskosten/Betriebsausgaben abziehen, wenn einwandfrei feststeht, daß das auslösende Moment für die in Frage stehender Wertabgabe ausschließlich im betrieblich/beruflichen Bereich liegt (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., 1989, § 4 Anm. 7 b und § 4 Anm.99, zu den Stichworten ,,Strafen / Geldbußen" und ,,Verluste", jeweils m.w.N.).
Aus diesem Grunde hätte sich das FG im Streitfall nicht mit allgemeinen Wendungen und mit der Feststellung begnügen dürfen, daß zwischen der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann ein von den Beteiligten anerkanntes Arbeitsverhältnis bestand. Es hätte vielmehr selbst eingehend zunächst den Vertragstext und wegen dessen geringer (formularhafter) Aussagekraft sodann vor allem die ,,Vertragswirklichkeit" prüfen, d.h. genau untersuchen müssen, ob die tatsächliche Durchführung den Wertungen eines Fremdvergleichs (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 24. Juli 1986 IV R 103/83, BFHE 147, 495, BStBl II 1987, 54, und vom 13. November 1986 IV R 322/84, BFHE 148, 168, BStBl II 1987, 121) in dem Sinne standhält, daß auch ein fremder Arbeitnehmer über Jahre hinweg in der festgestellten Art und Weise und im festgestellten Umfang an der Kasse hätte manipulieren können, wie dies hier der Fall gewesen ist. Wenn dies nicht mit der erforderlichen Sicherheit bejaht werden kann, muß davon ausgegangen werden, daß die Zugriffsmöglichkeit des Klägers nicht auf seine Stellung als Arbeitnehmer im Betrieb der Klägerin, sondern auf die Vertrauensstellung als Ehemann zurückzuführen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Zweifel in dieser Hinsicht zu Lasten der Klägerin gehen, zumal die Gestaltung einer solchen Ausgangslage maßgeblich in ihren Verantwortungsbereich fällt (vgl. BFH in BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373, 374, und Beschluß vom 9. Juli 1986 I B 36/86, BFHE 149, 375, BStBl II 1987, 487).
Dieser Frage weiter nachzugehen, bestand für das FG auch gerade deshalb besondere Veranlassung, weil zum einen der Kläger regelmäßig nur vormittags im Laden anwesend war und seine Manipulationen voraussetzten, daß schon einiges Geld in der Kasse war, und weil zum anderen offenbar nur recht selten betriebliche Notwendigkeit für eine ,,Aushilfstätigkeit" des Ehemannes der Klägerin an der Kasse bestand, wenn man dessen eigene Aussagen und diejenigen der beiden hauptamtlich an der Kasse tätigen Mitarbeiterinnen zugrunde legt.
Eine besonders gründliche Prüfung der vom verstorbenen Ehemann der Klägerin tatsächlich (vertragsgemäß) geleisteten Dienste einerseits und der Organisation der einzelnen Arbeitsabläufe im ,,. . .-Laden" (hauptsächlich an der Kasse) andererseits wäre nicht nur unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Veranlassung der Kassenmanipulationen (Zwangsaufwendung), sondern auch unter demjenigen der Entnahme unerläßlich gewesen: Die Feststellung von Organisationsmängeln oder eines Überwachungsverschuldens der Klägerin hätten nämlich auch dazu führen können, ihr die mit den Unterschlagungen verbundenen Wertabgaben als Entnahmen zuzurechnen.
Der Senat ist außerstande, den entscheidungserheblichen Sachverhalt unter einem der vorgenannten Kriterien anhand der vom FG festgestellten Tatsachen selbst zu würdigen.
3. Wegen der aufgezeigten Mängel war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG wird nunmehr im zweiten Rechtsgang die fehlenden Feststellungen nachzuholen und - vor allem unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der privaten / betrieblichen Veranlassung oder des Entnahmecharakters des Aufwands - (notfalls - unter Berücksichtigung der Erfüllung von Mitwirkungspflichten - nach den Grundsätzen der Feststellungslast) erneut zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 416726 |
BFH/NV 1990, 553 |