Leitsatz (amtlich)
Unterläßt das FA in einem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von GmbH-Anteilen, das allein von der betroffenen Gesellschaft eingeleitet worden ist, die notwendige Zuziehung der Anteilseigner, so kann dieser wesentliche Mangel des Einspruchsverfahrens dadurch geheilt werden, daß das FG in dem anschließenden Klageverfahren die notwendige Beiladung der Anteilseigner beschließt und diese zum Klageverfahren hinzuzieht.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3, § 100 Abs. 2
Tatbestand
Das Stammkapital der Klägerin und Revisionsbeklagten, einer GmbH, betrug am 31. Dezember 1963 und am 31. Dezember 1964 100 000 DM. An diesem Stammkapital waren die Gesellschafter der GmbH wie folgt beteiligt:
A mit 64 v. H.
B mit 16 v. H.
C mit 5 v. H.
D mit 10 v. H.
E mit 5 v. H.
Zum 31. Dezember 1963 stellte das FA den gemeinen Wert der GmbH-Anteile nach einem Vermögenswert von 522 v. H. und einem Ertragshundertsatz von 103 v. H. einheitlich und gesondert auf 665 DM je 100 DM Stammkapital fest und zum 31. Dezember 1964 nach einem Vermögenswert von 829 v. H. und einem Ertragshundertsatz von 171 v. H. auf 1 073 DM. Die beiden vom FA am 10. Mai 1967 erteilten Feststellungsbescheide betreffend den gemeinen Wert der GmbH-Anteile zu den vorbezeichneten Stichtagen wurden an den geschäftsführenden Gesellschafter der GmbH (= A) als Zustellungsvertreter der GmbH gerichtet, ergingen aber zugleich auch mit Wirkung gegen die Gesellschafter der GmbH, denen sie ausweislich des bei den Akten des FA befindlichen Aktenvermerks auch zugestellt worden sind.
Die GmbH legte gegen die vorbezeichneten Bescheide Einspruch ein und beantragte unter Hinweis auf Abschn. 80 VStR 1963, für die Anteile der Frau C (5 v. H.) und der Eheleute D-E (10 v. H bzw. 5 v. H.) wegen ihrer Einflußlosigkeit auf die Geschäftsführung der GmbH eine Sonderbewertung unter Vornahme der in Abschn. 80 VStR 1963 vorgesehenen erhöhten Abschläge und unter Anwendung der für die Ermittlung des Ertragshundertsatzes vorgesehenen Berechnungsweise nach der Höhe der tatsächlich ausgeschütteten Gewinne durchzuführen.
Das FA, das über den Einspruch der GmbH ohne Zuziehung ihrer Gesellschafter zum Einspruchsverfahren entschied, lehnte die Anträge der Klägerin ab.
In dem anschließenden Klageverfahren beantragte die Klägerin erneut, die GmbH-Anteile von C, D und E wegen deren Einflußlosigkeit auf die Geschäftsführung niedriger zu bewerten, und zwar zum 31. Dezember 1963 mit 371 v. H., zum 31. Dezember 1964 mit 591 v. H. Zusätzlich beantragte sie außerdem, gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1963 einen weiteren Abschlag von 30 v. H. vom gemeinen Wert der Anteile vorzunehmen, weil das als Betriebsgrundstück dienende Fabrikgrundstück nicht der Klägerin, sondern einem ihrer Gesellschafter gehöre. Weiterhin wurde von der Klägerin noch der Antrag gestellt, die Zuziehung des Steuerberaters für das Vorverfahren als notwendig und das Urteil wegen der Kosten des Verfahrens für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Das FA räumte nunmehr zwar ein, daß nach den Grundsätzen des Urteils des BFH III R 12/67 vom 5. Juli 1968 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 93 S. 243 - BFH 93, 243 -, BStBl II 1968, 734) die Voraussetzungen für eine Bewertung der Minoritätsanteile nach Abschn. 80 VStR 1963 gegeben seien, bat aber trotzdem um Klagabweisung, weil eine Berichtigung der Feststellungsbescheide zugunsten der Anteilsinhaber aus anderen Gründen nicht in Betracht kommen könne. Die angefochtenen Anteilsbewertungen basierten auf den Bilanzwerten vom 30. Juni 1963 bzw. 30. Juni 1964, weil das Wirtschaftsjahr der Klägerin jeweils am 30. Juni ende. Stichtag für die Anteilsbewertung sei jedoch jeweils der 31. Dezember. In der Zeit zwischen dem Abschlußtag und dem Bewertungsstichtag eingetretene Änderungen seien jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie sich in erheblichem Ausmaß auf das Gesellschaftsvermögen ausgewirkt hätten. Das sei hier der Fall, da die GmbH in den Jahren 1964 und 1965 Gewinne von 700 000 DM bzw. 800 000 DM erzielt habe. Bei Berücksichtigung der auf die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember entfallenden anteiligen Gewinne könne sich auch für die GmbH-Anteile der Minderheitsbeteiligten kein niedrigerer Wertansatz ergeben. Die Klägerin könne auch keinen Wertabschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1963 verlangen, weil in Fällen der Betriebsaufspaltung die Gefahr einer einseitigen, den Betriebsablauf gefährdenden Kündigung der Pacht des Betriebsgrundstücks regelmäßig ausscheide.
Im Laufe des Klageverfahrens hat das FG die Anteilseigner der GmbH-Anteile A, B, C, D und E gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen. Es hat nach mündlicher Verhandlung die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben und dem FA die Kosten des Verfahrens auferlegt. Im übrigen hat es die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig und das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das FG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der GmbH-Anteile gemäß § 69 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BewDV zwar allein an den Zustellungsbevollmächtigten der Klägerin mit Wirkung auch gegen die Gesellschafter der GmbH hätten zugestellt werden können, daß aber schon im Einspruchsverfahren, das allein von der GmbH als Einspruchsführerin eingeleitet worden sei, die Anteilseigner gemäß § 241 Abs. 3 Satz 1 AO als Beteiligte hätten hinzugezogen werden müssen. Die Zuziehung der Anteilseigner zum Einspruchsverfahren sei jedoch unterblieben. Diese Unterlassung der notwendigen Zuziehung der Anteilseigner im Einspruchsverfahren stelle einen schweren Verstoß gegen die Grundordnung des außergerichtlichen Verfahrens dar, der von Amts wegen zu beeachten und der auch nicht durch die vom FG vorgenommene Beiladung der Anteilseigner nach § 60 Abs. 3 FGO geheilt worden sei. Da die Gesellschafter der GmbH auch nicht auf die notwendige Zuziehung nach § 241 Abs. 3 AO verzichten könnten, sei die Einspruchsentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, ohne daß das Gericht auf die materiell-rechtlichen Fragea des Verfahrens eingehen dürfe.
Mit der vom FA eingelegten Revision wird fehlerhafte Anwendung der §§ 241 Abs. 3 AO, 60 Abs. 3 und 100 Abs. 1 und 2 FGO gerügt. Sie wird damit begründet, daß der dem Einspruchsverfahren anhaftende Verfahrensmangel, der in der unterlassenen Zuziehung der Anteilseigner als Verfahrensbeteiligte zu erblicken sei, durch die mit Beschluß des FG vom 5. August 1969 erfolgte Beiladung zum gerichtlichen Verfahren geheilt sei. Die Aufhebung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf sei im übrigen, abgesehen von der Feststellung wesentlicher Verfahrensmängel, nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO nur dann möglich, wenn das Gericht eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit bedingende Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich halte. Das finanzgerichtliche Urteil enthalte keine diesbezügliche Feststellung. Es sei auch nicht ersichtlich, daß derartige einen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernden Ermittlungen im Streitfall notwendig seien.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.
Dem FG ist allerdings darin beizupflichten, daß die Nichtbeteiligung der Anteilseigner am außergerichtlichen Vorverfahren einen wesentlichen und von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel des Einspruchsverfahrens zumindest insoweit darstellt, als die Minderheitsbeteiligten gemäß § 241 Abs. 3 AO schon zum Einspruchsverfahren hätten hinzugezogen werden müssen. Denn Gegenstand des Einspruchsverfahrens war gerade, ob die Anteile der Minderheitsberechtigten wegen ihrer Einflußlosigkeit auf die Geschäftsführung der GmbH niedriger zu bewerten seien. Wie der Senat in dem Urteil III R 100/66 vom 21. März 1969 (BFH 95, 523, BStBl II 1969, 493) ausgeführt hat, kann die Entscheidung bei einem Streit über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Werts von GmbH-Anteilen gegenüber der GmbH und ihren Gesellschaftern nur einheitlich ergehen. Deshalb müssen zu einem Rechtsmittelverfahren, das die Bewertung von GmbH-Anteilen zum Gegenstand hat und das von der Gesellschaft allein eingeleitet worden ist, auch die Gesellschafter als notwendig am Verfahren Beteiligte hinzugezogen werden. Falls nur die Bewertung der GmbH-Anteile der Minoritätsberechtigten nach Abschn. 80 VStR streitig ist, kann die Beiladung auf die Minderheitsberechtigten beschränkt werden. Im Streitfall hätten also zumindest die Anteilseigner C, D und E bereits zum Einspruchsverfahren hinzugezogen werden müssen. Die Unterlassung ihrer Zuziehung stellt deshalb einen wesentlichen Mangel des Einspruchsverfahrens dar.
Daß dieser Verfahrensmangel heilbar ist, und daß er im Streitfall dadurch geheilt worden ist, daß das FG durch Beschluß vom 5. August 1969 sämtliche Anteilseigner zum Klageverfahren beigeladen hat, hat das FG verneint. Es kann sich hierbei nicht auf die von ihm angeführte Rechtsprechung des erkennenden Senats stützen, weil in den vom Senat bisher entschiedenen Fällen das FG selbst die notwendige Beiladung der zum Verfahren hinzuzuziehenden Personen unterlassen und weil der Senat gerade aus diesem Grunde die angefochtenen Urteile der FG aufgehoben hat (vgl. BFH-Urteile III 278/61 vom 8. Februar 1963, HFR 1963 S. 411; III R 100/66 vom 21. März 1969, a. a. O.; BFH-Beschluß III B 84/67 vom 13. September 1968, BFH 93, 508, BStBl II 1969, 38).
In dem im BFH-Urteil III 278/61 vom 8. Februar 1963 (a. a. O.) entschiedenen Fall hatte nicht nur das FA, sondern auch das FG die notwendige Zuziehung zum Verfahren unterlassen. Da eine Heilung des dem Einspruchsverfahren anhaftenden Mangels somit nicht hatte eintreten können, sah sich der Senat damals veranlaßt, nicht nur das Urteil des FG, sondern auch die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben. Dagegen hat der Senat in einem anderen Fall, in dem das FA gleichfalls die notwendige Zuziehung einer am Verfahren zu beteiligenden Person zum Einspruchsverfahren unterlassen hatte, diesen dem Einspruchsverfahren anhaftenden Mangel als geheilt angesehen, nachdem das FG durch Beiladungsbeschluß die vom FA unterlassene Zuziehung des Beteiligten zum Rechtsmittelverfahren nachgeholt hatte (BFH-Beschluß III B 82/67 vom 1. März 1968, BFH 91, 147, BStBl II 1968, 212). Daß dieser Beschluß die Erhebung von Lastenausgleichsabgaben betraf, ist nicht wesentlich; von Bedeutung ist allein, daß damals eine im Einspruchsverfahren unterlassene Zuziehung von Beteiligten durch Beiladung zum finanzgerichtlichen Verfahren als geheilt angesehen wurde. Hieran hält der Senat fest. Für diese Beurteilung ist entscheidend, daß die durch Beiladung zum finanzgerichtlichen Verfahren hinzugezogenen Personen in der gleichen Weise und in dem gleichen Umfang in die Lage versetzt wurden, etwaige Einwendungen gegen den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht uneingeschränkt und vollständig geltend zu machen, wie sie dies im Vorverfahren hätten tun können. Dadurch ist ihnen in ausreichendem Maße Gelegenheit zur Wahrung ihrer Rechte gegeben worden. Die Heilung des dem Einspruchsverfahren anhaftenden Mangels ist deshalb auch im Streitfall zu bejahen.
Im übrigen ist hier auch die weitere Voraussetzung dafür, daß das FG gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Entscheidung des FA über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, nicht erfüllt. Denn eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten bedingende Aufklärung des Sachverhalts war im Streitfall nicht mehr erforderlich, nachdem das FA bereits die Notwendigkeit einer Sonderbewertung der Minoritätsanteile ausdrücklich vor dem FG anerkannt hatte. Die weiteren im Verfahren vor dem FG neu aufgeworfenen Streitfragen betreffen die Gewährung eines Abschlags wegen fehlenden Eigentums der GmbH an Fabrikgrundstücken und die Vornahme eines Zuschlags für die zwischen dem Bilanzstichtag der GmbH und dem Bewertungsstichtag erzielten Betriebsgewinne. Sie hätten, da sie eine umfangreichere Ermittlungstätigkeit nicht mehr erfordern, ohne weitere Vorarbeit des FA vom FG unmittelbar entschieden werden können. Unter diesen Umständen hätte sich das FG nicht mit der Aufhebung der Einspruchsentscheidung des FA begnügen dürfen, sondern es hätte selbst in der Sache entscheiden müssen. Dies entspricht der Beurteilung des Großen Senats des BFH im Beschluß Gr.S. 3/68 vom 16. Dezember 1968 (BFH 94, 436, BStBl II 1969, 192).
Das Urteil des FG, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war daher aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück, das nunmehr die sachlichen Einwendungen der Klägerin gegen die Anteilsbewertung des FA zu prüfen und die Höhe des gemeinen Werts der Anteile an den beiden Stichtagen festzustellen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 69384 |
BStBl II 1971, 272 |
BFHE 1971, 28 |