Leitsatz (amtlich)
Erhebt ein Gesellschafter Klage gegen einen Bescheid, durch den der Wert von GmbH-Anteilen nach den Grundsätzen des sogenannten Stuttgarter Verfahrens einheitlich und gesondert festgestellt wurde, so sind die Gesellschaft und die nach § 71 Nr. 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 BewDV klagebefugten Gesellschafter von Amts wegen nach § 60 Abs. 3 FGO dem Verfahren beizuladen, wenn die Klage den Wert aller Gesellschaftsanteile in gleicher Weise berührt.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 2; BewDV i.d.F. des § 174 FGO § 69; BewDV i.d.F. des § 174 FGO § 70; BewDV i.d.F. des § 174 FGO § 71
Tatbestand
Die Steuerpflichtige ist eine GmbH mit einem voll eingezahlten Stammkapital. An ihr waren zum 31. Dezember 1964 die Gesellschafter A (Klägerin und Revisionsklägerin), B, C, D und E gleich hoch beteiligt. Durch den Gesellschaftsvertrag wurden B und C zu Geschäftsführern der Gesellschaft bestellt. Beide sind zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft berechtigt.
Die GmbH beantragte, den gemeinen Wert ihrer Anteile zum 31. Dezember 1964 nach den Grundsätzen des sogenannten Stuttgarter Verfahrens (Abschn. 76 ff. VStR 1963) festzustellen. Sie meinte, der Wert sämtlicher Anteile sei nach Abschn. 80 VStR 1963 niedriger anzusetzen, da alle Gesellschafter im Hinblick auf ihre jeweils 20 %ige Beteiligung keinen maßgeblichen Einfluß auf die Geschäftsführung ausüben könnten. Sie minderte daher in der Erklärung den Wert ihres Vermögens um einen Abschlag von 20 v. H. und setzte den Ertragshundertsatz mit 0 DM an, da sie in absehbarer Zeit keine Dividenden ausschütten könne.
Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) stellte den gemeinen Wert der GmbH-Anteile zum 31. Dezember 1964 je 100 DM Stammkapital fest. Es hielt die Voraussetzungen für die Sonderregelung in Abschn. 80 VStR 1963 nicht für gegeben, da alle Gesellschafter den gleichen Einfluß auf die Geschäftsführung hätten und kürzte daher das Vermögen der Gesellschaft nach Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1963 nur um einen Abschlag von 10 v. H. Bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes ging es von einem geschätzten Durchschnittsertrag abzüglich eines Abschlags von 30 v. H. für den nichtausschüttungsfähigen Teil des Gewinnes aus (Abschn. 78 Abs. 3 VStR 1963). Das FA stellte den Bescheid der GmbH und den Gesellschaftern zu.
Die Gesellschafterin A focht den Feststellungsbescheid mit der Sprungklage an. Sie hielt die Ansicht der GmbH für zutreffend. Sie brachte vor, kein Gesellschafter könne bei einem Anteilsbesitz von nur 20 v. H. Einfluß auf die konkrete Geschäftsführung nehmen. Nach Nr. 6 des Gesellschaftsvertrages sei zwar zur Berufung eines alleinvertretungsbefugten Geschäftsführers ein einstimmiger Beschluß sämtlicher Gesellschafter erforderlich. Es handele sich insoweit aber um einen Beschluß auf der Gesellschafterebene, der nicht mit Maßnahmen auf der Geschäftsführungsebene verwechselt werden dürfe.
Gegen den Feststellungsbescheid legten die GmbH und die Gesellschafter B, C und E ebenfalls Rechtsmittel ein. Sie nahmen ihren Einspruch später jedoch zurück. In dem Schreiben vom ... wies der Bevollmächtigte der Gesellschafter darauf hin, daß er auf die ihm telefonisch erteilte Zusage des Sachbearbeiters vertraue, bei einem Obsiegen der Gesellschafterin A würden "automatisch die Bescheide gegen die drei anderen Gesellschafter korrigiert werden, damit bei diesen drei Gesellschaftern die gleichen Besteuerungsgrundlagen gegeben sind wie dann bei Frau ... (A)".
Das FG wies die Klage der Gesellschafterin A durch das in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1967 S. 276 veröffentlichte Urteil ab. Es ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.
Die Klägerin begehrte mit der Revision, der BFH möge den Wert ihrer GmbH-Anteile zum 31. Dezember 1964 je 100 DM Stammkapital nach ihrem Antrag feststellen. Sie hielt an ihrem Vorbringen fest, daß "keiner der Gesellschafter allein (und darauf kommt es an!) Einfluß auf die Geschäftsführung" habe.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Verfahren vor dem FG richtete sich ab 1. Januar 1966 nach den Vorschriften der FGO. Nach § 60 Abs. 3 FGO muß das Gericht Dritte von Amts wegen dem Verfahren beiladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (notwendige Beiladung). Der Senat entschied hierzu durch Urteil III R 100/66 vom 21. März 1969 (BFH 95, 523, BStBl II 1969, 493), daß bei der Klage einer Gesellschaft wegen der einheitlichen und gesonderten Feststellung des gemeinen Werts ihrer Anteile die dem FA bekanntgewordenen Inhaber von Anteilen auch dann dem gerichtlichen Verfahren von Amts wegen beizuladen sind, wenn sie zur Vertretung der Gesellschaft bevollmächtigt sind. Er wies darauf hin, daß eine einheitliche und gesonderte Feststellung von GmbH-Anteilen nach §§ 64 ff. BewDV in der Regel auch einheitliche Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren gegen die Feststellungsbescheide erfordere. Erhebt nämlich die Gesellschaft Klage gegen einen solchen Bescheid und werden die Gesellschafter, die keine Klage erhoben haben, nicht dem Verfahren beigeladen, so wirkt das Urteil nicht gegen diese Gesellschafter. § 72 BewDV, der die Wirkung von Rechtsmittelentscheidungen auch auf die Gesellschafter erstreckte, gegen die die Rechtsmittelentscheidung nicht gerichtet war, ist durch § 174 FGO aufgehoben worden. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist vom Senat stets von Amts wegen zu beachten. Anders ist die Rechtslage, wenn die Klage der Gesellschaft die Herabsetzung des gemeinen Werts der Anteile einzelner Gesellschafter wegen geringen Einflusses auf die Geschäftsführung nach Abschn. 80 VStR 1963 bezweckt. Bei solchen Klagen sind nur die Gesellschafter beizuladen, für die eine solche Herabsetzung in Betracht kommen kann.
Erhebt nicht die Gesellschaft, sondern ein Gesellschafter Klage gegen den Feststellungsbescheid, weil das FA das Vermögen oder die Ertragsaussichten der Gesellschaft nicht zutreffend geschätzt habe, so sind entsprechend den obigen Grundsätzen die Gesellschaft und alle übrigen Klagebefugten, d. h. dem FA benannten oder ihm sonst bekannten Gesellschafter (§§ 69 Abs. 1, 71 BewDV), dem Verfahren notwendig beizuladen, da die Klage den Wert aller Geschäftsanteile betrifft. Das gegen einen Gesellschafter erlassene Urteil würde ohne Beiladung der Gesellschaft und der klagebefugten Gesellschafter sonst ihnen gegenüber nicht wirken. Nach Ansicht des Senats sind die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter ebenfalls dem Verfahren beizuladen, wenn ein Gesellschafter mit der Klage eine Herabsetzung seines Anteils wegen persönlicher Umstände des Anteilseigners begehrt und wenn diese Umstände im gleichen Ausmaß auch auf alle übrigen Anteilseigner zutreffen. Ein Rechtsstreit wegen einer solchen einheitlichen und für alle gleich hohen Minderung der Gesellschaftsanteile kann bezüglich der Beiladung nicht anders behandelt werden wie die Klage eines Gesellschafters gegen einen nach den Vermögens- oder Ertragsverhältnissen der Gesellschaft zu hohen gemeinen Wert der Anteile. Zur Frage, ob und gegebenenfalls wer dem Verfahren eines Gesellschafters beizuladen ist, wenn die Streitfrage nicht alle Anteile, sondern nur die Anteile einzelner Gesellschafter betrifft, braucht der Senat im Streitfall nicht Stellung zu nehmen.
Der Senat hebt die Vorentscheidung auf und verweist die Sache an das FG zurück, weil das FG nicht die übrigen Gesellschafter und die GmbH dem Verfahren beigeladen hat. Die Gesellschafterin A begehrte mit der Klage eine niedrigere Bewertung ihres Gesellschaftsanteils nach Abschn. 80 VStR 1963, weil sie bei einem nur 20 %igen Anteil am Stammkapital der Gesellschaft keinen Einfluß auf die Geschäftsführung habe. Diese Rechtsbehauptung trifft auch auf die Anteile der übrigen vier Gesellschafter zu, da sie ebenfalls nur zu jeweils 20 % am Stammkapital beteiligt sind. Drei von ihnen hatten aus diesem Grund ebenso wie die GmbH Einspruch gegen den einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid des FA eingelegt. Sie nahmen das Rechtsmittel nur im Hinblick auf die Zusage des Sachbearbeiters des FA zurück, er werde beim Obsiegen der Klägerin die GmbH-Anteile der Einspruchsführer gleichfalls niedriger feststellen. Die Gesellschafter B und C müssen, obwohl sie nach dem Gesellschaftsvertrag zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft bestellt sind, ebenfalls von Amts wegen beigeladen werden. Denn die Geschäftsführungsbefugnis hat keinen Einfluß auf den Wert ihrer Anteile. Gemäß dem Urteil des Senats III R 100/66 (a. a. O.) kann das FG von der Beiladung der vertretungsbefugten Gesellschafter nicht deshalb absehen, weil daneben noch die Gesellschaft selbst beizuladen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 68921 |
BStBl II 1970, 304 |
BFHE 1970, 122 |