Leitsatz (amtlich)
Zur Beurteilung der Verbindlichkeiten gegenüber Rückversicherern, die ihren Rechtsgrund in der vertraglich vereinbarten Einbehaltung eines Teils der Rückversicherungsprämien haben (sog. Bardepots), als Dauerschulden.
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte - eine Aktiengesellschaft - betreibt das Sachversicherungsgeschäft. Für einen Teil ihres Versicherungsgeschäfts hat sie Rückversicherungsverträge abgeschlossen. Nach der Darstellung des FG ist sie auf Grund vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen - BAV - erlassener Bestimmungen über die Erstellung und Bedekkung der technischen Reserven verpflichtet, zur Deckung künftiger Schäden ihr Aktivvermögen in bestimmter Form anzulegen. Danach muß sie die Verbindlichkeiten aus den Versicherungsverträgen in vollem Umfange einschließlich der in Rückdeckung gegebenen Summen selbst abdecken. Damit ergibt sich nach Ansicht des FG für die Erstversicherer auch die Pflicht, neben dem eigenen Anteil der gestellten technischen Reserven auch die zu Lasten der Rückversicherer fallenden Prämienüberträge und Schadensrückstellungen zu verwalten und vorschriftsmäßig anzulegen. In der Praxis werde - so führt das FG weiter aus - das Sicherheitsdepot in der Weise gebildet, daß die Klägerin die den Rückversicherern zustehenden Prämienteile solange einbehalte, bis mit diesen Mitteln das Sicherheitsdepot gebildet werden könne. Das Sicherheitsdepot bestehe aus einem Bardepot und einem Wertpapierdepot. Das Bardepot werde von der Klägerin im eigenen Namen und für eigene Rechnung angelegt; die Zinserträge aus dem Depot stünden ihr zu. Die Wertpapiere für das Wertpapierdepot erwerbe sie im eigenen Namen, handle jedoch für Rechnung der Rückversicherer; Zinsen und Dividenden müsse sie an den Rückversicherer abführen.
Bei der Feststellung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge für die Erhebungszeiträume 1959/60, 1961 und 1962 hat das FA - Beklagter und Revisionskläger - "die Zinsen für das Bardepot und Wertpapierdepot, auch soweit sie auf die Rückversicherer entfallen" gemäß § 8 Nr. 1 GewStG als Dauerschuldzinsen dem Gewinn aus dem Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) und die "von den Rückversicherern einbehaltenen Prämienteile" gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG dem Einheitswert des Betriebsvermögens als Dauerschulden hinzugerechnet.
Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das FG die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FA zurückverwiesen.
Mit der Revision rügt das FA, die angefochtene Entscheidung sei mit § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG nicht vereinbar. Die Behörde beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Revision des Beklagten wird das angefochtene Urteil aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Mangels ausreichender - in dem angefochtenen Urteil getroffener (§ 118 Abs. 2 Satz 1 FGO) - tatsächlicher Feststellungen ist der Senat weder in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO), noch ist es möglich, die Revision, weil sich die Entscheidung des FG aus anderen Gründen als richtig erweist, zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO).
Gemäß § 8 Nr. 1 GewStG werden u. a. dem Gewinn aus Gewerbebetrieb bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzte Zinsen für Schulden wieder hinzugerechnet, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Entsprechend werden gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG dem Einheitswert des gewerblichen Betriebes die Verbindlichkeiten hinzugerechnet, die den Schuldzinsen im Sinne des § 8 Nr. 1 GewStG entsprechen, soweit sie bei der Feststellung des Einheitswertes abgezogen worden sind.
1. In der Rechtsprechung des RFH ist der Dauerschuldcharakter der sog. baren Sicherheitsdepots der Rückversicherer im Sachversicherungsgeschäft bejaht worden (Urteile I 269/38 vom 9. Juni 1939, RStBl 1939, 1057; I 18/41 vom 13. Januar 1942, RStBl 1942, 683; I 120/43 vom 25. Januar 1944, RStBl 1944, 555).
Das FG hat sich für seine abweichende Ansicht auf das einen Lebensversicherer betreffende Urteil des BFH I 293/61 vom 21. Juli 1966 (BFH 89, 279, BStBl III 1967, 631) berufen und sie entscheidend auf die Erwägung gestützt, daß das Bardepot und das Wertpapierdepot im Sachversicherungsgeschäft ein Sondervermögen darstellten, das hauptsächlich im Interesse der Versicherten angesammelt werde; da die Mittel der Depots in erster Linie den Versicherten als Garantiekapital und nicht zuerst der Stärkung des Betriebskapitals dienten, handele es sich für die Klägerin nicht um Fremdmittel, die eigenes Kapital ersetzten.
Die Erwägung des FG trifft nicht den Kern der Sache. Sie ist in dieser Allgemeinheit für die Sachversicherung schon deshalb nicht richtig, weil in dieser dem Lebensversicherungsgeschäft vergleichbare geschäftsplanmäßige Deckungsrücklagen (Prämienreserven - §§ 11, 12, 65, 79 des Versicherungsaufsichtsgesetzes [VAG] -), die zu einem dem Lebensversicherungsgeschäft entsprechenden Deckungsstock (§ 66 VAG) führen, nach dem Gesetz nicht zu bilden sind (vgl. Fromm-Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, § 11 Anm. 11, § 12 Anm. 4; siehe auch RFH-Urteil I 18/41, a. a. O., S. 684; ferner Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen 1959 Nr. 1 S. 1).
2. Das FG hat festgestellt, in der Praxis werde das Versicherungsdepot für Rückversicherer in der Weise gebildet, daß die Klägerin die den Rückversicherern zustehenden Prämienanteile so lange einbehalte, bis mit diesen Mitteln das aus einem Bardepot und einem Wertpapierdepot bestehende Sicherheitsdepot gebildet werden könne. Das Bardepot werde von der Klägerin im eigenen Namen und für eigene Rechnung angelegt; ihr stünden auch die Zinserträge zu. Bei dem Wertpapierdepot erwerbe die Klägerin die Wertpapiere im eigenen Namen, handle jedoch für Rechnung der Rückversicherer; die angefallenen Zinsen und Dividenden habe sie an die Rückversicherer abzuführen.
Die Ausführungen des FG zum Wertpapierdepot sind unzureichend. Der Umstand, daß die Klägerin Wertpapiere im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Rückversicherer erwirbt, an die sie auch die daraus fließenden Zinsen und Dividenden abzuführen hat, gibt keine hinreichenden Aufschlüsse für die Qualifizierung entsprechender Verbindlichkeiten der Klägerin. Es ist weder festgestellt, ob diese Wertpapiere der Klägerin oder den Rückversicherern gehören und dementsprechend bilanzmäßig ausgewiesen sind, noch ist festgestellt, welcher Art die Verbindlichkeiten sind, die mit dem Ausdruck "Wertpapierdepot" umschrieben sind und wie diese Verbindlichkeiten abgewickelt werden.
3. Die Bemerkungen des FG zum Bardepot lassen zwar erkennen, nach welchen Grundsätzen das Bardepot gebildet wird. Sie ermöglichen aber kein Urteil darüber, ob die in Höhe des Depots bestehenden Verbindlichkeiten Dauerschulden sind. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die angefochtene Entscheidung ausreichende tatsächliche Feststellungen enthielte, die Erkenntnisse über den Charakter der dem Bardepot zugrunde liegenden Verbindlichkeiten und die Art der Abwicklung dieser Verbindlichkeiten vermittelten. Ohne solche Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob es sich hierbei um laufende Verbindlichkeiten handelt, die im gewöhnlichen Geschäftsgang entstehen und abgewickelt werden, oder ob sie sachlich der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, also Dauerschulden sind (vgl. die BFH-Urteile I 197/57 S vom 11. August 1959 und I 137/58 U vom 18. August 1959, BFH 69, 447, 453, BStBl III 1959, 428, 430).
a) Im Streitfall kann auf Grund der Darlegungen des FG davon ausgegangen werden, daß das Bardepot nicht durch Hinterlegung bestimmter Beträge (vgl. Cruciger, Die Praxis der Rückversicherung, S. 204; Hermannsdorfer, Technik und Bedeutung der Rückversicherung, 1927, S. 273; vgl. auch das RFH-Urteil I 269/38, a. a. O.), sondern aus einbehaltenen Teilen der Rückversicherungsprämien (Cruciger, a. a. O., S. 160 f., 203 f.; ders., Rückversicherung von heute, in Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Versicherungs-Wirtschaft, Heft 38, S. 303; Hermannsdorfer, a. a. O.) gebildet worden ist.
Andererseits folgt aus dem Umstand, daß sich der Rechtsstreit auf die Frage bezieht, ob "die von den Rückversicherern einbehaltenen Prämienteile" Dauerschulden sind, daß dieses Bardepot eine Mehrzahl von Verbindlichkeiten gegenüber Rückversicherern in der Bilanz des Erstversicherers zum Ausdruck bringt. Weder die Verwendung des Ausdruckes Bardepot noch die Feststellung des FG, daß das Bardepot Teil eines in dem angefochtenen Urteil als "Sicherheitsdepot" bezeichneten Ganzen ist, läßt indessen einen Schluß auf den Charakter der dem Bardepot zugrunde liegenden Schulden des Erstversicherers im Hinblick auf eine nicht nur vorübergehende Verstärkung des Betriebskapitals zu. Ein solcher Schluß kann auch nicht aus der im Rechtsbeschwerdeverfahren I 51/60 dem Senat vorgelegten Äußerung des BAV vom 21. Januar 1961 gezogen werden, die sich das FG in dem angefochtenen Urteil zu eigen gemacht hat. Danach ist die Depotstellung eine Sicherheitsleistung des Rückversicherers für künftige Forderungen des Erstversicherers gegen den Rückversicherer (vgl. hierzu auch Cruciger, Rückversicherung von heute, a. a. O., S. 303; ders., Die Praxis der Rückversicherung, S. 160; Hermannsdorfer, a. a. O., S. 273; BFH-Beschluß I B 263/64 vom 8. November 1967, BFH 90, 228, BStBl II 1968, 42); im übrigen vereinfache die Depotstellung den laufenden Verrechnungsverkehr zwischen Erstversicherer und Rückversicherer.
Diese Äußerung bezieht sich auf die Funktion der Depotgestellung im Verhältnis zwischen dem Erstversicherer und dem Rückversicherer. Es ist aber unmöglich, hieraus (mit dem FG) abzuleiten, das Depot stelle wirtschaftlich betrachtet für den Erstversicherer ein zugunsten der Versicherungsnehmer gebildetes Sondervermögen (wie der Deckungstock) dar, das in erster Linie den Versicherten als Garantiekapital und nicht der Verstärkung des Betriebskapitals des Erstversicherers diene. Das Bardepot (als Summe einer Mehrheit von Verbindlichkeiten) hat keine unmittelbare Beziehung zu besonders gebundenen Vermögenswerten des Erstversicherers, die mit vom Rückversicherer überlassenen Mitteln angeschafft worden sind. Es bringt nur eine Mehrheit von Verbindlichkeiten gegenüber dem oder den Rückversicherern zum Ausdruck. Hiervon abgesehen folgt aus dem oben dargestellten Zweck des Bardepots - Sicherheitsleistung, Erleichterung des Verrechnungsverkehrs - für sich allein nichts für die Frage der Eignung des Gegenwerts der durch das Bardepot ausgewiesenen Verbindlichkeiten zur nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals.
b) Das angefochtene Urteil bietet auch keinen Anhalt für die Frage, ob das Bardepot aus einbehaltenen Prämien bis zu einem im voraus bestimmten Betrag angesammelt wird, der dem Erstversicherer langfristig als Sicherheit dienen soll. Cruciger (Die Praxis der Rückversicherung, S. 204) bezeichnet diese Art der Depotgestellung als selten. Immerhin könnte bei dieser Ausgestaltung der Depotgestellung, die eine langfristig gegebene Kaution darstellen könnte, der Dauerschuldcharakter der dem Bardepot zugrunde liegenden Verbindlichkeiten gegenüber mehreren Rückversicherern schwerlich verneint werden (vgl. auch RFH-Urteil I 269/38, a. a. O.).
Nach dem Vortrag der Revisionsbeklagten, den diese im erneuten Verfahren zu präzisieren haben wird, scheint jedoch eine solches Verfahren nicht gewählt worden zu sein. Nach diesem Vortrag sind die Abrechnungen zwischen dem Erstversicherer und den Rückversicherern im Kontokorrentwege vierteljährlich aufgestellt worden; aus dieser Abrechnung können sich Änderungen in der Höhe der Depots ergeben. Dieser Umstand allein würde es indessen noch nicht ausschließen, die den von verschiedenen Rückversicherern gestellten Depots zugrunde liegenden Verbindlichkeiten als Dauerschulden zu qualifizieren, wenn dem Erstversicherer stets ein gewisser Mindestbestand verbleiben soll (vgl. hierzu RFH-Urteil I 18/41, a. a. O., RStBl 1942, 684, linke Spalte).
Denkbar ist aber auch, daß das Wesen der Verpflichtung des Rückversicherers, ein Depot zu stellen, darin besteht, dem Erstversicherer Sicherheit für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Rückversicherungsvertrag zu leisten und zu diesem Zweck gleichsam Vorausleistungen auf Verpflichtungen zu erbringen, die mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit entstehen werden, und ihn aus Anlaß der Abwicklung von Versicherungsfällen durch den Erstversicherer treffen. Geht man davon aus, daß das Kalendervierteljahr Abrechnungszeitraum für das laufende Rückversicherungsgeschäft ist (Pfeiffer in Handwörterbuch des Versicherungswesens, Stichworte: Rückversicherungstechnik und Rückversicherungsvertrag, Spalten 1776 f. und 1786; Cruciger, Die Praxis der Rückversicherung, S. 161) und daß der Teil des Depots, der sich z. B. auf die technische Reserve für Prämienüberträge bezieht, ebenfalls vierteljährlich abgerechnet und dann neu berechnet wird, so ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die durch das Depot jeweils ausgewiesene Schuld auf den laufenden Geschäftsgang bezogen ist (vgl. BFH-Urteile I 197/57 S und I 137/58 U, a. a. O.). Dies würde für die Bardepots auch insoweit gelten, als sie sich auf Schadenrückstellungen und Rückstellungen wegen Rentenverpflichtungen beziehen.
Auch wenn man berücksichtigt, daß der Gegenwert der durch Depot jeweils ausgewiesenen Verbindlichkeiten dem Erstversicherer als Sicherheit für die Erfüllung der Verpflichtungen des Rückversicherers dienen soll, ist es denkbar, daß auf dem Einbehalt eines Teils der Rückversicherungsprämien beruhende Schulden im Rahmen der laufenden Abwicklung von Rechten und Pflichten aus dem Rückversicherungsverhältnis getilgt werden und somit keine Dauerschulden sind. Dies wird besonders deutlich in Fällen von Quoten-, Excedenten- und Schadenexcedentenverträgen, die auf einzelne Risiken bezogen sind; in diesen Fällen wird der Erstversicherer durch den Prämieneinbehalt in den Stand gesetzt, sich wegen der Verpflichtung des Rückversicherers, die auf ihn im Verhältnis zum Erstversicherer entfallenden Risiken zu decken, aus dem Erstversicherer überlassenen Mitteln des Rückversicherers ganz oder zum Teil zu befriedigen. Legt man diese Art der Gestaltung zugrunde, so liegt es nahe, die durch den Prämieneinbehalt begründeten Verbindlichkeiten nur mit der laufenden Abwicklung der einzelnen Versicherungsverhältnisse mit dem Rückversicherer in Verbindung zu bringen. Ob dies auch für die Jahresüberschadenversicherung gilt, kann mangels tatsächlicher Feststellungen hier nicht untersucht werden.
4. Das FG wird die bisher unterlassenen Feststellungen nachholen, die ein Urteil darüber ermöglichen, ob die dem Bardepot und dem Wertpapierdepot zugrunde liegenden Verbindlichkeiten Dauerschulden sind. Für diese Beurteilung ist es vor allem wesentlich, daß die Art des Abrechnungsverkehrs zwischen der Klägerin und dem oder den Rückversicherern im einzelnen festgestellt wird; hierbei wird auch zu berücksichtigen sein, ob das Depot in jeder Abrechnung freigegeben und danach ein neues Depot nach Maßgabe der vertraglich vorgesehenen Berechnung eingerichtet wird (vgl. einerseits Cruciger, Die Praxis der Rückversicherung, S. 204; andererseits Zank, Buchhaltung und Bilanz in "Deutsche Versicherungswirtschaft" Bd. II S. 336), oder ob das Depot mit variablem Bestand während der Dauer des Rückversicherungsvertrages bestehen bleibt und während dieser Zeit dem Erstversicherer als dauernde Sicherheit des Rückversicherers zur Verfügung gestellt sein soll.
Fundstellen
Haufe-Index 413120 |
BStBl II 1972, 908 |
BFHE 1973, 39 |