Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör; Rügen mangelnder Sachaufklärung; Geschäftsführerhaftung und Mitverschulden des FA; Haftung ist akzessorisch
Leitsatz (NV)
1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann nur geltend gemacht werden, wenn sie vor dem FG gerügt worden ist.
2. Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung hinsichtlich angeblich übergangener Beweisantritte ist das Beweisthema anzugeben und die Stelle zu bezeichnen, wo der Beweisantritt erfolgt ist. Ferner muß dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung auf einem solchen Verfahrensfehler beruhen kann und was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre. Nur soweit das FG begründet hat, weshalb es einzelne Beweise nicht erhoben hat, genügt die schlichte Rüge der Nichtvernehmung.
3. Ein Beweisantrag darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil das FG das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits als erwiesen ansieht. Die Nichtvernehmung eines Zeugen ist aber gerechtfertigt, wenn die vom Zeugen etwa zu belegenden Tatsachen rechtsunerheblich waren. Einem unsubstantiierten Beweisantrag muß der Tatrichter keine Folge geben.
4. Die Geltendmachung der Haftung nach § 109 AO ist grundsätzlich nicht davon abhängig, daß kein Mitverschulden des FA vorliegt. Das Mitverschulden des FA kann allenfalls im Rahmen der vom FA zu treffenden Ermessensentscheidung eine Rolle spielen.
5. Die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers als Haftenden setzt voraus, daß eine Steuerschuld besteht; denn die Haftung ist im Regelfall akzessorisch.
Normenkette
AO §§ 109, 118 S. 1; FGO § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2, § 155; ZPO § 295
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war von 1970 bis Ende 1974 einziger und mit Alleinvertretungsmacht ausgestatteter Geschäftsführer einer GmbH. Diese stellte 1974 ihren Geschäftsbetrieb ein, Das Amtsgericht lehnte am 29. Mai 1974 die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse ab. Am 19. Dezember 1974 wurde die Auflösung der GmbH im Handelsregister eingetragen. Mit Bescheid vom 28. März 1974 nahm das FA den Kläger als Haftenden wegen Steuerrückständen der GmbH in Anspruch, und zwar für Umsatzsteuer 1971 bis 1974 einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 554 689,44 DM. Die für die GmbH eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen hatte der Kläger unterschrieben. Die nach diesen Anmeldungen vorauszuzahlenden Umsatzsteuern hatte die GmbH entrichtet. Aufgrund der Jahresabschlüsse und der Umsatzsteuererklärungen der GmbH sowie nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung bei der GmbH ergaben sich für 1971 und 1972 Umsatzsteuernachzahlungen in Höhe von 259 541,06 DM bzw. 245 353,25 DM. Für beide Jahre wurde die GmbH aufgrund der für sie eingereichten Umsatzsteuererklärungen erklärungsgemäß veranlagt. Beide Erklärungen hat der Kläger unterschrieben. Ihre Entwürfe waren von den Wirtschaftsprüfern der GmbH, die bei der Anfertigung der Erklärungen mitgewirkt hatten, handschriftlich auf den 22. Juni 1973 datiert, dem Kläger Ende Juni 1973 vorgelegt. Dem FA sind sie jedoch erst am 11. Dezember 1973 (Umsatzsteuererklärung 1971) bzw. am 25. Januar 1974 (Umsatzsteuererklärung 1972) zugegangen.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte den Haftungsbetrag auf 427 740,73 DM herab (Umsatzsteuer 1971: 218 073 DM; Umsatzsteuer 1972: 209 667,73 DM) und wies die Klage im übrigen ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der Kläger habe die steuerlichen Pflichten der GmbH, die ihm als deren Geschäftsführer obgelegen hätten, schuldhaft verletzt. Wegen der Umsatzsteuern für Dezember 1973 und Januar 1974 sowie wegen der zum Gegenstand des Haftungsbescheids gemachten Säumniszuschläge könne der Haftungsbescheid nicht aufrechterhalten werden. Sämtliche dieser Abgaben seien nach dem 5. Dezember 1973 fällig geworden. Für diese Zeit könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Bank die Verfügungsmacht der GmbH über ihren Zahlungsverkehr eingeschränkt gehabt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Der Kläger rügt Verletzung rechtlichen Gehörs. Er sieht eine solche Verletzung offenbar darin, daß das FG bestimmte Akten nicht beigezogen und ihm bzw. seinem Prozeßbevollmächtigten nur sehr kurz die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die vorhandenen Akten gewährt hatte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann aber nur geltend gemacht werden, wenn sie vor dem FG gerügt worden ist (§ 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. §§ 295, 531, 558 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Oktober 1967 V B 29/67, BFHE 90, 452, BStBl II 1968, 179, und vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 19 C, § 119 Anm. 1 C, § 120 Anm. 20). Zu einer ordnungsmäßigen Revisionsrüge gehört unter diesen Umständen, daß der Revisionskläger darlegt, wie er sich in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gegen die angebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs zur Wehr gesetzt hat (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO; BFHE 90, 452, BStBl II 1968, 179). Derartige Ausführungen sind in der Revisionsbegründung des Klägers nicht enthalten. Ob die Ausführungen des Klägers zu dieser Frage im Schriftsatz vom 7. August 1981 als ausreichende Rüge angesehen werden könnten, bedarf keiner Prüfung, weil dieser Schriftsatz nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim BFH eingegangen ist.
2. Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die Rüge des Klägers, das FG habe zu Unrecht nicht sämtliche Akten der GmbH beigezogen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 18. September 1979 das FG nur gebeten, bestimmte Unterlagen aus diesen Akten beizuziehen. Das FG hat den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 4. August 1980 mitgeteilt, welche von der Staatsanwaltschaft angeforderten Unterlagen dem FG vorliegen, und den Prozeßbevollmächtigten anheimgestellt, diese Unterlagen einzusehen. Dem Kläger war es also bis zur mündlichen Verhandlung und in der Verhandlung selbst möglich, zu rügen, daß nicht alle für die Entscheidung des Falles erforderlichen Akten beigezogen worden seien. Auch insoweit hätte zur ordnungsmäßigen Rüge die Darlegung gehört, daß der Kläger bzw. seine Prozeßbevollmächtigten die Beiziehung weiterer Akten beantragt hatten. Der Kläger hat dazu in der vor Ablauf der Begründungsfrist eingereichten Revisionsbegründung nichts ausgeführt.
3. Der Kläger hat ferner gerügt, das FG habe die von ihm beantragten Zeugenvernehmungen nicht vorgenommen. Auch insoweit entspricht die Rüge des Klägers nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO. Es müssen die Tatsachen, die den Mangel ergeben, genau dargelegt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muß daher bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung - um eine solche handelt es sich hier - hinsichtlich angeblich übergangener Beweisantritte das Beweisthema angegeben und die Stelle bezeichnet werden, wo der Beweisantritt erfolgt sein soll; bei umfangreichen Schriftsätzen muß sogar die Seite eines Schriftsatzes angegeben werden. Ferner muß dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung auf einem solchen Verfahrensfehler beruhen kann und was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (vgl. Gräber, a.a.O., § 120 Anm. 20, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des BFH). Die Angaben des Klägers in die Revisionsbegründung genügen diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung im wesentlichen nur global darauf hingewiesen, daß er in seinen Schriftsätzen, die vom August 1974 an eingereicht worden seien, zahlreiche Zeugen für die Richtigkeit seines Vorbringens benannt habe.
Nur soweit das FG selbst begründet hat, weshalb es einzelne Beweise nicht erhoben hat, ergeben sich die den angeblichen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen aus dem Urteil selbst und ist ihre Angabe in der Revisionsbegründung nicht erforderlich; es genügt die schlichte Rüge der Nichtvernehmung (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 18. Dezember 1957 IV C 267.57, BVerwGE 6, 69; Gräber, a.a.O., § 120 Anm. 20). Insoweit ist die Rüge des Klägers nicht wegen Verstoßes gegen § 120 Abs. 2 FGO unzulässig. Sie ist aber nicht begründet.
a) Das FG hat zu Recht den Beweisantrag des Klägers übergangen, den damaligen Direktor der Bank zu vernehmen. Nach den Feststellungen der Vorinstanz - die der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat - hat der Kläger diesen Zeugen dafür benannt, ,,in welcher Weise die Bank von ihren Rechten" aus Sicherungsübereignungsverträgen Gebrauch gemacht hat (Schriftsatz des Klägers vom 18. September 1979). Diesen Beweisantritt hat das FG zu Recht als nicht genügend substantiiert verworfen. Einem unsubstantiierten Beweisantrag braucht der Tatrichter in der Regel keine Folge zu geben (vgl. BVerwG-Beschluß vom 13. September 1973 II B 38.73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1974, 307).
Relevant für die Entscheidung konnten allenfalls Umstände sein, die Einschränkungen des Zahlungsverkehrs der GmbH durch Handlungen der Bank belegt hätten. Eine Beweisaufnahme allein über die Praxis der Bank hinsichtlich der Geltendmachung ihrer Rechte aus Sicherungsübereignungsverträgen konnte dazu nichts Sachdienliches beitragen. Es konnte vom Kläger erwartet werden, wenn er die Vernehmung des Direktors der Bank beantragte, diesen Antrag so zu begründen, daß sich daraus ergab, zu welchen relevanten Tatsachen der Zeuge vernommen werden sollte. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß sich dem FG ohne einen so substantiierten Beweisantritt die Vernehmung des Zeugen aufdrängen mußte. Das FG hat eingehend und plausibel begründet, wieso es aufgrund der Einlassungen des Klägers selbst und weiterer Tatsachen zum Ergebnis gelangt ist, tatsächliche Behinderungen durch die Bank seien vor dem 5. Dezember 1973 nicht vorgekommen.
b) Im Rahmen der Prüfung der Frage, ob ein Mitverschulden des FA an dem Steuerausfall gegeben sei, hat das FG begründet, warum es dem Beweisantrag des Klägers nicht gefolgt ist, den ehemaligen Sachgebietsleiter der Vollstreckungsstelle des FA als Zeuge zu vernehmen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Begründung des FG, es könne nicht angenommen werden, daß der Zeuge aus der Erinnerung andere Angaben machen würde, als dem FG aus den Vollstreckungsakten ersichtlich seien, die Nichtvernehmung des Zeugen begründen kann. Denn ein Beweisantrag darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Gericht das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits als erwiesen ansieht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11. Januar 1977 VII R 4/74, BFHE 121, 152, BStBl II 1977, 310). Die Nichtvernehmung des Zeugen war aber deswegen gerechtfertigt, weil die vom Zeugen etwa zu belegenden Tatsachen rechtsunerheblich waren.
Die Geltendmachung der Haftung nach § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) ist grundsätzlich nicht davon abhängig, daß kein Mitverschulden des FA vorliegt. Die Grundsätze über die Bedeutung des Mitverschuldens im Rahmen des Schadensersatzrechts nach § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) können im Rahmen der Geltendmachung einer Haftung nach § 109 AO allenfalls eine Rolle im Rahmen der vom FA nach § 118 AO zu treffenden Ermessensentscheidung spielen. Im vorliegenden Fall aber konnte das FG ein angebliches Mitverschulden des FA (Nichtbestehen auf früherer Einreichung der Steuererklärungen, Freigabe von gepfändeten Fässern auf Intervention der Bank) schon deswegen unberücksichtigt lassen, weil dem Kläger grobe Fahrlässigkeit zur Last fiel, was seine Inanspruchnahme auch dann ermessensfehlerfrei ermöglichte, wenn dem FA ein Mitverschulden zur Last zu legen wäre. Überdies ist nach den tatsächlichen Umständen ein solches Mitverschulden auszuschließen. Das FA hat Pflichten, die ihm gegenüber dem Kläger oblagen, nicht verletzt (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683). Das FA hatte dem Kläger gegenüber nicht die Pflicht, ihn auf die ihm nach dem Gesetz obliegende Verpflichtung zur rechtzeitigen Einreichung der Steuererklärungen hinzuweisen oder im Vollstreckungsverfahren auf Interventionen von Betroffenen wie der Bank nicht zu reagieren.
4. Keinen Erfolg hat auch die Rüge des Klägers, die errechneten Umsatzsteuersummen, für die er haften solle, seien ziffernmäßig nicht richtig. Der Kläger begründet dieses Vorbringen mit dem Hinweis, das FG habe seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht berücksichtigt, er habe seinen guten Willen hinsichtlich der Umsatzsteuer dadurch bewiesen, daß das FA noch im Jahr 1974 einen erheblichen Spirituosenbestand der GmbH in die Hand bekommen habe, der nicht der Bank übereignet gewesen sei. Daraus ist zu entnehmen, daß der Kläger nicht etwa behaupten wollte, die Umsatzsteuerschuld sei unrichtig festgesetzt worden, sondern darlegen wollte, man müsse ihm ein kooperatives Verhalten im Vollstreckungsstadium zugute halten. Das ist rechtlich jedoch nicht zutreffend. Es ist ohne Bedeutung, durch welche Handlungen der Kläger etwa nachträglich versucht haben sollte, dem FA wenigstens einen Teil der rückständigen Steuern zukommen zu lassen. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es ausschließlich um die Frage, ob der Tatbestand des § 109 Abs. 1 AO erfüllt ist. Das Gesetz sieht nicht vor, daß eine einmal entstandene Haftungsschuld durch ein bestimmtes nachträgliches Verhalten des Haftenden entfiele.
5. Die Revisionsbegründung des Klägers enthält zahlreiche tatsächliche Angaben, die in der Vorentscheidung keine Stütze finden. Da der Kläger keine zulässigen und begründeten Rügen vorgetragen hat, das FG habe unter Verletzung von Verfahrensvorschriften diese Fakten nicht festgestellt (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), kann er mit diesem neuen tatsächlichen Vorbringen in die Revisionsinstanz nicht gehört werden. Die Gesamtwürdigung durch das FG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des BFH, wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist, für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist.
6. Die Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden setzt voraus, daß eine Steuerschuld besteht; denn die Haftung ist im Regelfall akzessorisch. Ein Haftungsschuldner hat daher das Recht einzuwenden, die Erstschuld bestehe dem Grunde oder der Höhe nach nicht oder nicht mehr (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 191 AO 1977 Anm.25 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Der Kläger hat solche Einwendungen jedoch nicht erhoben. Die Steuerbescheide gegen die GmbH entsprechen nach den Feststellungen des FG den Jahreserklärungen, die der Kläger als Geschäftsführer unterschrieben hat. Der Kläger als Geschäftsführer der GmbH hat, wie der Vorentscheidung mittelbar zu entnehmen ist, Rechtsbehelfe gegen die Bescheide nicht eingelegt (vgl. § 119 AO, § 166 der Abgabenordnung). Der Senat läßt es daher dahingestellt sein, ob, da die Revision nur auf Verfahrensmängel gestützt worden ist, die Frage des Bestehens der Steuerschuld überhaupt seiner Prüfung unterliegt (vgl. § 118 Abs. 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413820 |
BFH/NV 1986, 136 |