Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Klagebegehrens
Leitsatz (NV)
Bei der Auslegung eines Klageantrags ist das Vorbringen des Klägers in der Klagebegründung mit zu berücksichtigen.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte gegen den Einkommensteuerbescheid 1977 vom 28. März 1979 am 3. April 1979 Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens ging dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein Auszug aus einem Bericht über eine beim damaligen Arbeitgeber des Klägers durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung zu. Der Prüfer vertrat dort die Auffassung, der geldwerte Vorteil eines dem Kläger für Privatfahrten überlassenen Pkw sei für das Streitjahr 1977 nicht mit monatlich 1 v. H. des Listenpreises des Fahrzeugs, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtkosten des Kraftfahrzeugs zu berechnen. Das FA folgte der Ansicht des Prüfers und erließ am 21. Januar 1980 einen Änderungsbescheid für 1977. Darin setzte es den vom Prüfer errechneten geldwerten Vorteil wegen der Pkw-Überlassung mit 4 785 DM an; außerdem berücksichtigte es in Erledigung des Einspruchs vom 3. April 1979 weitere Werbungskosten in Höhe von 6 005 DM. Die Einkommensteuerschuld ermäßigte sich dadurch auf . . . DM.
Am 8. Februar 1980 legte der Kläger auch gegen diesen Änderungsbescheid Einspruch ein. In der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 1980 berücksichtigte das FA zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 1 621 DM; den Ansatz des geldwerten Vorteils aus der Pkw-Überlassung änderte es aber nicht. Danach ergab sich für das Streitjahr 1977 eine Einkommensteuerschuld in Höhe von . . . DM.
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 1980 beantragte der Kläger beim Finanzgericht (FG), ,,den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1977 vom 21. 01. 1980" und die ,,Einspruchsentscheidung des Finanzamts" aufzuheben. Mit diesem Antrag erstrebte der Kläger entsprechend der Begründung im gleichen Schriftsatz ausschließlich, den geldwerten Vorteil um 4 785 DM herabzusetzen.
Der Berichterstatter des FG regte wegen des Antrags eine Überprüfung des Klagebegehrens an. Er wies darauf hin, daß eine Aufhebung des Änderungsbescheids vom 21. Januar 1980 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung zu einer Verböserung führen würde, da in dem vorausgegangenen Bescheid vom 28. März 1979 die Steuer höher festgesetzt sei. Der Berichterstatter fügte hinzu, bei einer evtl. Änderung des Klageantrags sei ,,BStBl II 1982, 358" zu beachten.
Der Kläger änderte seinen Klageantrag nach Ablauf der Klagefrist deshalb dahin ab, er begehre, ,,das dem geänderten Einkommensteuerbescheid für 1977 vom 21. Januar 1980 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. 11. 1980 zugrunde gelegte zu versteuernde Einkommen um 4 785 DM herabzusetzen".
Das FG wies die Klage für das Streitjahr 1977 mit folgender Begründung als unzulässig ab: Entsprechend dem ursprünglichen Klageantrag, den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 21. Januar 1980 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, müsse die Klage abgewiesen werden. Es fehle das Rechtsschutzinteresse, da nach diesem Antrag sich die Einkommensteuerschuld für 1977 erhöhen würde. Die Klage könne nach Ablauf der Klagefrist nicht durch den neuen Klageantrag vom 9. September 1983 zulässig gemacht werden. Denn nach Ablauf der Klagefrist dürfe der Klageanmehr erweitert, also zugunsten des Klägers geändert werden.
Gegen dieses Urteil des FG richtet sich die Revision. Der Kläger rügt die Abweisung der Klage als unzulässig und die Erhöhung des zu versteuernden Einkommens um den geldwerten Vorteil in Höhe von 4 785 DM. Er führt u. a. aus:
Die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Januar 1982 VII R 85/77 (BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358) seien nur bei einem ziffernmäßig eindeutig begrenzten Klageantrag anzuwenden, da ein solcher keiner Auslegung zugänglich sei. Diese Entscheidung erfasse aber nicht den Streitfall, in dem sich der Umfang der erstrebten Änderung aus dem Gesamtzusammenhang ergebe. Er, der Kläger, habe in seinem zweiten Klageantrag nicht sein ursprüngliches Klagebegehren erweitert, sondern sein bisheriges, aus dem Zusammenhang klar erkennbares Klagebegehren - Wegfall des Ansatzes des geldwerten Vorteils in Höhe von 4 785 DM - präzisiert. Das FG habe es im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß es den ursprünglich gestellten Klageantrag für nicht sachgemäß halte. Aus dem Gesamtzusammenhang sei unverkennbar gewesen, daß die vom FG vorgenommene Auslegung des Antrags nicht seinem, des Klägers Willen entsprochen habe.
Da im übrigen durch den Änderungsbescheid ,,die frühere Steuerfestsetzung unwirksam" werde (BFH-Beschluß vom 14. Mai 1969 VII B 180/67, BFHE 96, 5, BStBl II 1969, 538), könne bei der Aufhebung des Änderungsbescheides ein früherer Bescheid nicht wieder aufleben. Dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72 (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) lasse sich nichts Gegenteiliges entnehmen, da es dort um die Berichtigung eines Bescheides während des Revisionsverfahrens gegangen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und das dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1977 vom 21. Januar 1980 i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 12. Dezember 1980 zugrunde gelegte zu versteuernde Einkommen um 4 785 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Mit Recht wendet sich die Revision dagegen, daß das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Denn der Klage fehlte nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das Klagebegehren war vielmehr dahin auszulegen, daß der Kläger nicht eine Heraufsetzung, sondern eine Herabsetzung der Steuerfestsetzung im Einkommensteuerbescheid vom 21. Januar 1980 i. d. F. der Einspruchsentscheidung begehrte, und zwar durch Wegfall des Ansatzes eines geldwerten Vorteils in Höhe von 4 785 DM. Der Senat ist an die gegenteilige Auslegung des Klagebegehrens durch das FG nicht gebunden (BFH-Urteil vom 28. Juli 1987 VIII R 14/84, BFH / NV 1988, 241; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1. Juli 1975 VI ZR 251 /74, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 2013).
Der im finanzgerichtlichen Verfahren zu stellende Klageantrag (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist eine prozessuale Willenserklärung eines Beteiligten, die der Auslegung zugänglich ist (BFH-Urteile in BFH / NV 1988, 241, und vom 11. Oktober 1983 VII R 62/82, BFHE 139, 451), und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen beziffert gestellten Klageantrag oder um einen Klageantrag wie im Streitfall handelt. Bei der Auslegung eines Klageantrags sind die für die Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Grundsätze des bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar. Dabei ist entsprechend dem § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht an dem buchstäblichen Ausdruck der Erklärungen festzuhalten, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille des Klägers anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (Urteil in BFH / NV 1988, 241).
Hierbei muß das FG das Vorbringen des Klägers in der Klagebegründung mit berücksichtigen (BFH-Urteil vom 26. Juli 1984 IV R 214/80, nicht veröffentlicht - NV -). Wenn die Klagebegründung dazu Anlaß gibt, ist ein unklarer Antrag im Zweifel so auszulegen, daß das Ergebnis dem Willen eines verständigen Klägers entspricht (BFH-Urteile vom 10. November 1987 VIII R 94/87, BFH / NV 1988, 214, und vom 17. Dezember 1981 V R 48/76, NV). Ergibt sich aus der Klagebegründung, daß der Wortlaut des Klageantrags auf einem Denkfehler beruhen muß und der Kläger nach dem Inhalt seiner Klagebegründung nicht eine Heraufsetzung, sondern in Wirklichkeit eine Herabsetzung der Steuerfestsetzung begehrt, so ist von diesem Begehren auszugehen und es als Klageantrag zu behandeln. Anderenfalls würde der Rechtsweg in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise - und damit unter Außerachtlassung des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) - erschwert (Urteil in BFH / NV 1988, 241, m. w. N.).
Entscheidend ist daher im Streitfall für die Auslegung des Klageantrags vom 18. Dezember 1980, daß sich der Kläger in seiner Klagebegründung ausschließlich gegen die Hinzurechnung des geldwerten Vorteils in Höhe von 4 785 DM gewandt hat. Damit war das Ziel der Klage nicht nur ausreichend (BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, 102), sondern eindeutig erkennbar. Die Einkommensteuer 1977 sollte in einer Höhe festgesetzt werden, wie sie sich ohne Hinzurechnung eines zusätzlichen geldwerten Vorteils in Höhe von 4 785 DM ergibt. Das FG hätte von diesem erkennbaren Klagebegehren ausgehen müssen und nicht am Wortlaut des Klageantrags haften dürfen. Dem steht nicht entgegen, daß der Klageantrag im Streitfall von einem Angehörigen der rechts- bzw. steuerberatenden Berufe gestellt war.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von einer anderen Rechtsansicht ausgegangen ist. Die Sache ist zur Verhandlung und Entscheidung über das materiell-rechtliche Begehren des Klägers an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416415 |
BFH/NV 1990, 171 |