Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweis auf § 68 FGO in der Rechtsbehelfsbelehrung des Änderungsbescheides
Leitsatz (NV)
1. Die Monatsfrist, innerhalb derer ein nach Klageerhebung ergangener Änderungsbescheid vom Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden kann (§ 68 Satz 2 FGO), wird durch eine Jahresfrist ersetzt, wenn der nach § 68 Satz 3 FGO erforderliche Hinweis nicht in der "Rechtsbehelfsbelehrung", sondern an anderer Stelle des Änderungsbescheides erfolgt.
2. Zu den Voraussetzungen eines landwirtschaftlichen Nebenbetriebes i. S. des § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG 1991.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 2 S. 1, § 68 Sätze 2-3, § 123 S. 2, § 127; UStG 1991 § 24 Abs. 2 S. 2, § 24a Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der "Tierhaltungsgemeinschaft A-Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung" (GbR) -- Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- ein Kürzungsanspruch nach § 24 a Abs. 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der im Streitjahr (1991) geltenden Fassung zusteht.
Im April 1991 gründeten drei Landwirte die Klägerin mit dem Ziel, die landwirtschaftlichen Primärproduktion für ihre Betriebe mit Hilfe des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu unterstützen. Die Klägerin bemühte sich insbesondere um Bereitstellung entsprechender Technik, einen koordinierten Einkauf sowie um den Absatz der Agrarprodukte, die in den Betrieben der Landwirte erzeugt wurden.
Abweichend von den Umsatzsteuervoranmeldungen der Klägerin versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit Umsatzsteuervoranmeldungsbescheiden für April bis Dezember 1991 die geltend gemachten Kürzungsbeträge.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage als unbegründet ab. Es führte zur Begründung aus, der Klägerin stehe der geltend gemachte Kürzungsanspruch für land- und forstwirtschaftliche Umsätze gemäß § 24 a Abs. 1 UStG nicht zu. Die Voraussetzungen des § 24 a Abs. 2 Satz 1 UStG seien nicht erfüllt. Die der Klägerin zuzurechnenden Umsätze seien nicht im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes i. S. des § 24 Abs. 2 UStG ausgeführt worden.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt u. a. vor: Die auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. März 1992 V R 55/88 (BFHE 168, 454, BStBl II 1992, 982) gestützte Auffassung des FG, ein Nebenbetrieb i. S. des § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG setze voraus, daß die Betriebsteile zum Unternehmen desselben Unternehmers gehörten, widerspreche dem BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 V R 129/84 (BFHE 156, 281, BStBl II 1989, 432), wonach insoweit im Umsatzsteuer- wie im Einkommensteuerrecht die gleichen Beurteilungsgrundsätze und Abgrenzungskriterien maßgebend seien.
Während des Revisionsverfahrens erließ das FA den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1991 vom 8. Mai 1995. In dem Bescheid heißt es in dem mit "Erläuterungen" überschriebenen Teil u. a.: ,Dieser Bescheid ändert die mit Klage angefochtenen Bescheide über die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate April bis Dezember 1991. Sie können innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheides beim Bundesfinanzhof beantragen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung), diesen Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Revisionsverfahrens zu machen; ein Einspruch erübrigt sich dann. Wird weder Einspruch eingelegt noch der Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung gestellt, wird mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ihre Revision unzulässig." Der nachfolgende Teil "Rechtsbehelfsbelehrung" enthält keinen Hinweis auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Am 6. Juli 1995 beantragte die Klägerin, den Umsatzsteuer-Jahresbescheid, der ihrem Prozeßbevollmächtigten am 10. Mai 1995 zugegangen war und gegen den kein Einspruch eingelegt worden ist, gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens zu machen. Gleichzeitig beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Antrag nach § 68 FGO bereits mit an die Geschäftsstelle des Senats gerichtetem Schriftsatz vom 29. Mai 1995 gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 127 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
1. Gegenstand des Verfahrens ist auf Antrag der Klägerin der Umsatzsteuerbescheid 1991 vom 8. Mai 1995 geworden.
a) Die Klägerin war berechtigt, den Umsatzsteuer-Jahresbescheid gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465). Diese Möglichkeit besteht auch im Revisionsverfahren (§ 123 Satz 2, § 127 FGO).
b) Die Klägerin hat den Antrag nach § 68 Satz 1 FGO rechtzeitig gestellt. Sie hat zwar die Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO, die mit der Bekanntgabe des Jahresbescheides an ihren Prozeßbevollmächtigten am 10. Mai 1995 in Lauf gesetzt worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 24. Februar 1994 V R 74/92, BFH/NV 1995, 365; vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806) nicht eingehalten. Gleichwohl war die Antragstellung am 6. Juli 1995 nicht verspätet. Da die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 8. Mai 1995 nicht den nach § 68 Satz 3 FGO vorgeschriebenen Hinweis enthielt, konnte dieser Bescheid entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO noch innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH wird die Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO durch eine Jahresfrist ersetzt, wenn in einem Änderungsbescheid i. S. des § 68 FGO die nach Satz 3 der Vorschrift erforderliche Belehrung fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Im Streitfall enthält der Umsatzsteuer-Jahresbescheid vom 8. Mai 1995 den Hinweis auf die Möglichkeit, diesen Bescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, lediglich unter der Rubrik "Erläuterungen", nicht aber in der Rechtsbehelfsbelehrung. Dies genügt den Anforderungen des § 68 Satz 3 FGO nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift muß die Belehrung "in der Rechtsbehelfsbelehrung" erfolgen; eine Belehrung an anderer Stelle des Bescheides reicht mithin nicht aus. Dies entspricht dem Zweck des § 68 Satz 3 FGO, den Kläger zu schützen und zu verhindern, daß er gegen seinen Willen aus dem Verfahren gedrängt wird (vgl. BFH-Entscheidungen vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123; vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658; in BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Diesem Schutzzweck liefe eine nicht am Wortlaut des § 68 Satz 3 FGO haftende Aus legung zuwider. Überdies spricht der Vergleich mit § 356 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO -- für die nach diesen Vorschriften erforderlichen Belehrungen ist eine § 68 Satz 3 FGO entsprechende Anordnung nicht getroffen worden -- dafür, daß der Gesetzgeber im Falle von Änderungsbescheiden i. S. des § 68 FGO nur eine Belehrung in der Rechtsbehelfsbelehrung als ausreichend angesehen hat.
2. Der mithin wirksam zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1991 betrifft offenbar im Vergleich zu den bislang angefochtenen Vorauszahlungsbescheiden April bis Dezember 1991 noch weitere Sach- und Rechtsfragen. Die in dem Jahresbescheid festgesetzte Steuer entspricht nicht der Summe der Festsetzungen in den Vorauszahlungsbescheiden. Entsprechendes gilt für die als abziehbar anerkannten Vorsteuerbeträge. Überdies weichen die jeweils zugrunde gelegten Umsätze und Steuersätze voneinander ab. Die Sache ist mithin nicht spruchreif. Sie wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (vgl. auch BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 49/93, BFH/NV 1995, 52, m. w. N.; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 127 FGO Rz. 10, 11).
Aus prozeßökonomischen Gründen weist der Senat darauf hin, daß die Klägerin das BFH-Urteil in BFHE 168, 454, BStBl II 1992, 982 offenbar mißversteht. Nach dieser Entscheidung setzt die Anerkennung eines land- und forstwirtschaftlichen Nebenbetriebes i. S. des § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG einen land- und forstwirtschaftlichen Hauptbetrieb desselben Unternehmens voraus. Dabei beantwortet sich die Frage, wer Unternehmer ist und welchen Umfang das betreffende Unternehmen hat, allein nach umsatzsteuerrechtlichen Kriterien (§ 2 Abs. 1 UStG). Dem entspricht die Rechtsprechung des BFH, wonach die ertragsteuerrechtliche Nichtanerkennung einer Betriebsteilung für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung, wer mit dem abgeteilten Betriebsteil welche Umsätze ausgeführt hat, keine Bedeutung hat (vgl. BFH-Beschluß vom 22. August 1994 V B 179/93, BFH/NV 1995, 552). Liegt die für die Anwendung des § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG erforderliche Identität des Unternehmers beim Hauptbetrieb und beim Nebenbetrieb nicht vor, stellt sich die nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 156, 281, BStBl II 1989, 432 zu beurteilende Frage, ob von einem einheitlichen Betrieb oder von umsatzsteuerrechtlich (und einkommensteuerrechtlich) getrennten Betrieben auszugehen ist, nicht mehr.
3. Klägerin ist die GbR. Der Senat hat das anderslautende Rubrum des FG-Urteils entsprechend berichtigt.
Fundstellen