Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitliche und gesonderte Feststellung bei teilweisem Ablauf der Festsetzungsfrist - Steuergeheimnis zwischen Gesellschaftern einer Personengesellschaft im Rahmen einer nur einem Gesellschafter zuzurechnenden Steuerhinterziehung
Leitsatz (amtlich)
Eine einheitliche und gesonderte Feststellung ist grundsätzlich auch dann vorzunehmen, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (Anschluß an BFH-Urteile vom 18. Juli 1990 I R 39/89, BFH/NV 1991, 498, unter 6., und vom 8. Juni 1995 V R 20/94, BFHE 178, 297, BStBl II 1995, 822; Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381).
Orientierungssatz
Dem Steuergeheimnis stehen Offenbarungen an Gesellschafter einer Personengesellschaft generell nicht entgegen, soweit sie Gegenstand der einheitlichen und gesonderten Feststellung sind (im Streitfall: Feststellung von Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen aufgrund einer nur einem Gesellschafter zuzurechnenden Steuerhinterziehung).
Normenkette
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 181 Abs. 5, §§ 235, 30 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb mit seinem Vater Dr. H ... (Vater) eine zahnärztliche Praxisgemeinschaft, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte. Vom 1. Oktober 1979 an war die damalige Ehefrau des Klägers beteiligt. Der Vater verstarb am 17. Februar 1980 und wurde von den Kindern des Klägers beerbt.
Nach einer Selbstanzeige der "Praxisgemeinschaft H ..." stellte der Prüfer im Rahmen einer Außenprüfung fest, daß Zahlungen für die Hingabe von Altmaterial (Scheidegut) nicht als Betriebseinnahmen erfaßt worden waren; die Einnahmen wurden allein dem Kläger für die Jahre 1974, 1975, 1977 bis 1980 zugerechnet; die Gewinnfeststellungsbescheide wurden entsprechend geändert. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Die entsprechenden Einkommensteuerbescheide des Klägers und seiner Ehefrau ergingen 1984 und wurden unanfechtbar. Wegen Steuerhinterziehung bezüglich der Streitjahre 1974, 1975 und 1979 erging ein Strafbefehl über ... DM, der am 6. Mai 1988 rechtskräftig wurde.
Unter dem 30. Mai 1988 setzte das damalige Wohnsitz-Finanzamt Zinsen für hinterzogene Steuern gemäß §§ 235, 239 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) fest. Der Kläger erhob Klage; das Verfahren wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gesonderte Feststellung über die Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegen den Kläger ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 15. November 1995 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 179, 180 AO 1977 fest. Der Bescheid enthält einen Hinweis gemäß § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977. Die Einnahmen wurden wiederum allein dem Kläger zugerechnet; der Anteil der Ehefrau und der des Vaters wurden mit 0 DM angegeben. Der Kläger war der Auffassung, daß der Feststellungsbescheid nicht mehr habe ergehen dürfen, da die Festsetzungsfrist gegenüber der Ehefrau und dem Vater bereits abgelaufen gewesen sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) seien die hinterzogenen Beträge dem Kläger in zutreffender Höhe zugerechnet worden. Die einheitliche und gesonderte Feststellung habe vorgenommen werden dürfen, obwohl die Festsetzungsfrist gegenüber dem Vater (bzw. seinen Erben) und gegenüber der Ehefrau abgelaufen gewesen sei. Sollte des Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381) anders zu verstehen sein, sei dem nicht zu folgen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1144 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 181 Abs. 5 AO 1977. Die angefochtene Entscheidung weiche ab von dem BFH-Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. FA und FG haben zutreffend entschieden, daß auch dann noch eine einheitliche und gesonderte Feststellung vorzunehmen ist, wenn bei einzelnen Feststellungsbeteiligten die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist (so auch BFH-Urteile vom 18. Juli 1990 I R 39/89, BFH/NV 1991, 498, unter 6., und vom 8. Juni 1995 V R 20/94, BFHE 178, 297, BStBl II 1995, 822; Klein/ Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., 1995, § 181 Tz. 6; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Stand: Mai 1997, § 181 Tz. 24; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., 1996, § 181 Tz. 11; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., 1995, § 181 AO 1977 Anm. 4; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 24. Mai 1994 IV A 4 -S 0362- 3/94, BStBl I 1994, 302; a.A. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 181 AO 1977 Tz. 4; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand: November 1996, § 181 AO 1977 Rz. 43).
Gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO 1977 außer Betracht. Der Wortlaut der Regelung ("insoweit ... als") legt nahe, daß eine gesonderte Feststellung auch noch in den Fällen vorzunehmen ist, in denen teilweise bereits bei einzelnen Feststellungsbeteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Gestützt wird diese Interpretation durch die Gesetzesmaterialien. In der Begründung zu § 162 des Entwurfs einer AO (BTDrucks VI/1982 S. 157) heißt es: "Nach Absatz 4 kann trotz Ablaufs der Festsetzungsfrist für die gesonderte Feststellung noch eine gesonderte Feststellung ergehen, wenn diese für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, deren Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. In dieser Regelung zeigt sich, daß die gesonderte Feststellung nicht Selbstzweck ist. Sie hat gegenüber der Steuerfestsetzung nur dienende Funktion." Diese Ausführungen lassen erkennen, daß grundsätzlich auch dann gesonderte Feststellungen vorzunehmen sind, wenn die Feststellungen bei einzelnen Feststellungsbeteiligten nicht mehr zu Steuerfestsetzungen führen können. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde ihrem Zweck zuwiderlaufen. Wäre nur bei einem Feststellungsbeteiligten Festsetzungsverjährung eingetreten, wäre die einheitliche Feststellung vollends blockiert; weder eine erstmalige Feststellung noch eine Änderung einer Feststellung wären möglich. Gerade bei einer Vielzahl von Beteiligten würde diese Auslegung des § 181 Abs. 5 AO 1977 zu unhaltbaren Ergebnissen führen. Ob dieser Mangel über § 155 Abs. 2 AO 1977 beseitigt werden könnte, scheint zweifelhaft, da dieser Tatbestand einer vorläufigen Regelung möglicherweise nur erfüllt ist, wenn ein Grundlagenbescheid noch erlassen werden kann.
2. Der Senat sieht sich nicht --ebenso wenig wie bereits der V. Senat in dem Urteil in BFHE 178, 297, BStBl II 1995, 822-- an einer Entscheidung im vorbezeichneten Sinn durch das BFH-Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 gehindert. Trotz der teilweise allgemein gehaltenen Ausführungen hat diese Entscheidung nur den speziellen Fall der Feststellung in Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung zum Gegenstand. Für diesen Fall ist der IV. Senat der Auffassung, daß ein Feststellungsbescheid nur dann ergehen kann, wenn hinsichtlich einer Folgesteuer die Festsetzungsfrist noch für keinen Beteiligten abgelaufen ist. Dieser Auffassung zugrunde liegt die These des formellen Bilanzzusammenhangs, nach der Bilanzberichtigungen grundsätzlich erfolgswirksam vorzunehmen sind. Unter diesen Voraussetzungen geht der IV. Senat davon aus, daß die Feststellung, die die Bilanzberichtigung enthält, erst in dem Zeitraum vorzunehmen ist, in dem sie sich für alle Beteiligten erfolgswirksam auswirkt. Diese Besonderheit berücksichtigte bereits der Finanzausschuß des Deutschen Bundestags in seiner Stellungnahme zu § 181 AO 1977, BTDrucks 7/4292, S. 34: "Der Ausschuß ging bei Absatz 4 davon aus, daß eine unterbliebene gesonderte Feststellung bei Gewinneinkünften nur nachgeholt werden kann, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuern, die von der gesonderten Feststellung abhängen, für alle Beteiligten noch nicht abgelaufen ist." Der Ausschuß hebt damit die besondere Behandlung der Feststellung von Gewinneinkünften ausdrücklich hervor. Im Streitfall sind diese speziellen Voraussetzungen nicht gegeben. Hier geht es um die (einmalige) einheitliche und gesonderte Feststellung von Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen, die auch dann vorzunehmen ist, wenn für einzelne Feststellungsbeteiligte bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers steht das Steuergeheimnis (§ 30 AO 1977) der einheitlichen und gesonderten Feststellung nicht entgegen. Offenbarungen an Gesellschafter einer Personengesellschaft sind generell zulässig, soweit sie Gegenstand der Feststellung sind (Tipke/Kruse, a.a.O., Stand März 1996, § 30 AO 1977 Tz. 10).
Fundstellen
Haufe-Index 66886 |
BFH/NV 1998, 244 |
BFH/NV 1998, 244-245 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1997, 750 |
BFHE 183, 376 |
BFHE 1998, 376 |
BB 1997, 2418 (Leitsatz) |
DB 1997, 2364 (Leitsatz) |
DStR 1997, 1891-1892 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 975 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 141 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 89 |
StE 1997, 723 (Leitsatz) |