Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Einschränkung der erhöhten AfA in § 7 b Abs. 7 EStG 1963 ist verfassungsrechtlich einwandfrei und vor allem nicht wegen unzulässiger steuerlicher Rückwirkung oder wegen Verletzung des Vertrauensschutzes der Stpfl. nichtig.
Zum Begriff "Antrag auf Baugenehmigung" in § 7 b Abs. 7 EStG 1963.
Normenkette
EStG § 7b/7
Tatbestand
Der steuerpflichtige Ehemann (Steuerpflichtige - Stpfl. -) hat im Jahre 1963 ein Mietwohnhaus gebaut, das zu 70 v. H. Wohnzwecken dient. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1963 beantragte er Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 b Abs. 1 EStG 1963. Das Finanzamt (FA) lehnte den Antrag unter Hinweis auf § 7 b Abs. 7 EStG 1963 und Abschn. 53 Abs. 6 EStR 1963 ab, weil der Stpfl. die Baugenehmigung erst nach dem 9. Oktober 1962 beantragt habe. Der Stpfl. hatte bereits am 28. September 1962 auf Grund des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums des Innern Nr. IV C 7 - 9.200 A/58 vom 27. November 1956 betreffend "Förderung des sozialen Wohnungsbaues in Bayern durch öffentliche Baudarlehen - Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1957 (WFB 1957)" - Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums des Innern III S. 141 - einen Antrag gestellt. Auf Anfrage teilte die Stadt (Bauförderungsamt) dem FA mit, Vorverhandlungen über die Finanzierungsmöglichkeiten für das Bauvorhaben hätten bereits im Sommer 1962 stattgefunden; bei der Einreichung des Antrags auf Baudarlehen vom 28. September 1962 seien die Bauzeichnungen und technischen Berechnungen von den zuständigen Dienststellen (Stadtplanung, Tiefbauamt, Bauordnungsamt, Bauverwaltungsamt) bereits vorgeprüft gewesen.
Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1965 S. 115 veröffentlicht ist, gab der Berufung statt, weil es den Antrag auf Baugenehmigung als rechtzeitig gestellt ansah. Ein Antrag sei gestellt, wenn der Baubewerber der zuständigen Behörde seinen ernsthaften Entschluß zu bauen durch Einreichung entsprechender Unterlagen zu erkennen gegeben habe. Das treffe hier zu, weil der Stpfl. schon im Sommer 1962 Unterlagen für den geplanten Bau vorgelegt und am 28. September 1962 einen Antrag auf öffentliche Darlehen gestellt habe.
Mit der Rg., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, rügt der Vorsteher des FA unrichtige Anwendung des § 7 b EStG 1963. Er trägt vor, weil die neue Fassung des § 7 Abs. 5 EStG 1965 anwendbar sei, müsse die streitige Einkommensteuer auf 1.692 DM herabgesetzt werden. Der Stpfl. beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der BdF hat auf Bitten des Senats zu der verfassungsrechtlichen Frage einer unzulässigen Rückwirkung des Abs. 7 des § 7 b EStG 1963 im wesentlichen wie folgt Stellung genommen:
Die verfassungsrechtliche Frage, ob in der Festlegung des Stichtags für das Wirksamwerden der Aussetzung des § 7 b EStG auf den 9. Oktober 1962 eine unzulässige Rückwirkung liege, ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingehend geprüft worden. Beim ersten Durchgang des Gesetzes durch den Bundesrat befaßte sich dessen Rechtsausschuss mit der Frage und kam mit Mehrheit zu der Auffassung, daß der Gesetzentwurf keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung beinhalte. Der Bundesrat erhob demgemäß gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen (vgl. Bericht über die 250. Sitzung des Bundesrates am 9. November 1962 S. 212, 213). Auch im Finanzausschuß des Bundestages wurde die Frage erörtert. Dabei legte die Bundesregierung dar, daß nach ihrer Ansicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erkennen lasse, daß der dem § 7 b EStG anzufügende Abs. 7 verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Daraufhin verzichtete der Finanzausschuss auf eine Verfassungsrechtsdebatte. Im schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Bundestages (zu Drucksache IV/1006) vom 11. März 1963 führte dann der Berichterstatter aus:
"Die Suspendierung, von der Eigenheime, Eigensiedlungen und eigengenutzte Eigentumswohnungen, soweit sie bisher begünstigt waren, nicht betroffen werden, soll danach für alle Vorhaben gelten, für die nach dem 9. Oktober 1962 und vor dem 1. April 1964 die Baugenehmigung beantragt wurde bzw. wird. Diese Daten wurden gewählt, weil seit dem 9. Oktober 1962, dem Tag der Regierungserklärung zur Konjunkturlage, der Bauwille damit rechnen muß, daß für den Mietwohnungsbau die bisherige Steuerbegünstigung nicht mehr gewährt werden würde. Bedenken, daß mit dem Stichtag vom 9. Oktober 1962 eine rückwirkende Steuerverschärfung verfassungswidriger Art verbunden sein könnte, wurden eingehend geprüft. Der Ausschuß hat sich davon überzeugt, daß es sich im vorliegenden Fall juristisch nicht um eine rückwirkende Steuerverschärfung handelt, da der Steuertatbestand erst in der Zukunft verwirklicht wird: Die erhöhte Absetzung für Wohngebäude könnte erst nach Fertigstellung des Gebäudes in Anspruch genommen werden, und diese Abschreibungen könnten frühestens im Veranlagungszeitraum 1963 wirksam werden, der erst Ende 1963 endet .... Bei der abschließenden Beratung wurden Anregungen geprüft, wegen des eingetretenen Zeitablaufs für den Stichtag vom 9. Oktober 1962 einen späteren Zeitpunkt vorzusehen; sie wurden abgelehnt, um nicht Bauwillige zu begünstigen, die unter Mißachtung der durch die Regierungserklärung vom 9. Oktober 1962 entstandene Lage Bauanträge gestellt hatten, und weil sich bei Abwägung aller Gesichtspunkte die Beibehaltung des Stichtags gemäß dem Entwurf als die der Gerechtigkeit und der Rechtslage am besten entsprechende Regelung darstellt".
Gegen das am 13. März 1963 verabschiedete Gesetz rief der Bundesrat auf Antrag des Landes Schleswig-Holstein gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel an, in Art. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Gesetzes jeweils an Stelle der Worte " 9. Oktober 1962" die Worte "13. März 1963" zu setzen. Der Bundesrat begründete seinen Beschluß wie folgt:
"Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt den Grundsatz ausgesprochen, daß das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts solange schutzwürdig ist, bis der Bundestag ein änderungsgesetz beschließt. Durch die Festlegung des Stichtages für den Antrag auf Baugenehmigung auf den 9. Oktober 1962 greift das vorliegende Gesetz, das erst am 13. März 1963 vom Bundestag beschlossen worden ist, rückwirkend in bereits begonnene Tatbestände ein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts braucht der Gesetzgeber nur dann nicht auf das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts Rücksicht zu nehmen, wenn bei einer Abwägung die Bedeutung seines Anliegens für das Wort der Allgemeinheit den bei den Bürgern entstehenden Vertrauensschaden überwiegt. Nach Auffassung des Bundesrates ist diese Voraussetzung hier nicht gegeben, weil nicht zu erwarten ist, daß die durch Anträge nach dem 9. Oktober 1962 eingeleiteten Bauvorhaben durch das Gesetz unterbunden werden und deshalb durch die Rückwirkung des Gesetzes eine Dämpfung der Baukonjunktur nicht mehr erreicht wird". (Bundestags-Drucksache IV/1181).
Die Bundesregierung hielt diese verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats für nicht durchschlagend. Die vorgesehene Regelung enthalte keine verfassungswidrige rückwirkende Steuerverschärfung. Durch die Neuregelung habe der übernachfrage auf dem Baumarkt entgegengewirkt und damit zur Preisstabilisierung auf diesem Sektor beigetragen werden sollen. Dieses Ziel sei nur zu erreichen gewesen, wenn die Einschränkung des § 7 b EStG mit ihrer Ankündigung sofort wirksam wurde. Andernfalls hätte die Maßnahme sogar zu einer Verstärkung der Nachfrage und damit der vorhandenen Preisauftriebstendenzen geführt. Die Bundesregierung sei deshalb gezwungen gewesen, wenn sie den Erfolg der beabsichtigten Maßnahme nicht von vornherein habe in Frage stellen wollen, das Inkrafttreten der Einschränkung des § 7 b EStG mit der Ankündigung des Gesetzes zu koppeln. Wenn sie als Stichtag den 9. Oktober 1962, den Tag, an dem die Maßnahme dem Deutschen Bundestag angekündigt wurde, gewählt und das Wirksamwerden der Maßnahme an den Zeitpunkt der Beantragung der Baugenehmigung geknüpft habe, so halte sich dies im Rahmen des Ermessensspielraums. Der Vermittlungsausschuß beschloß daraufhin vorzuschlagen, das Gesetz zur Einschränkung des § 7 b EStG in der vom Bundestag am 13. März 1963 beschlossenen Fassung zu bestätigen. Der Bundesrat stimmte nunmehr dem Gesetz zu.
Der Senat hatte ferner den BdF gebeten, sich zum Begriff "Antrag auf Baugenehmigung" in § 7 b Abs. 7 EStG 1963 zu äußern.
Der BdF hält den Begriff nicht für mehrdeutig. Der Wortbedeutung entsprechend sei als "Antrag auf Baugenehmigung" das Schreiben zu verstehen, mit dem die amtliche Genehmigung zur Errichtung eines Gebäudes bzw. zur Durchführung von Zubauten, Ausbauten oder Umbauten beantragt wird, also der formellen Bauantrag. Sogenannte Voranfragen, die nicht die Erlangung der Baugenehmigung, sondern nur die Klärung bestimmter, wenn auch für den beabsichtigten Bau bedeutsamer Vorfragen zum Ziel haben, stünden dem Antrag auf Baugenehmigung nicht gleich. Die Bundesregierung und der Bundesrat seien übereinstimmend dieser Auffassung, wie sich aus Abschn. 53 Abs. 6 EStR 1963 ergebe.
Der BdF ist der Auffassung, die Vorentscheidung, die einen Antrag auf Bewilligung öffentlicher Mittel dem Antrag auf Baugenehmigung gleichstelle, sei mit dem Wortlaut und der Zielsetzung des Gesetzes vom 16. Juni 1963 nicht zu vereinbaren.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Nach § 7 b Abs. 1 EStG 1963 können bei Gebäuden, die zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dienen, in den ersten zehn Jahren erhöhte AfA gemacht werden. Bei Gebäuden, für die der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 und vor dem 1. April 1964 gestellt wurde, sind gemäß § 7 b Abs. 7 EStG 1963 an Stelle des Abs. 1 a. a. O. die Vorschriften des § 54 EStG 1963 anzuwenden. § 54 EStG 1963 beschränkt die AfA-Möglichkeiten des § 7 b Abs. 1 EStG auf Eigenheime, Eigensiedlungen und eigengenutzte Eigentumswohnungen. Das im Jahre 1963 bezugsfertig gewordene Miethaus des Stpfl. fällt nicht unter die weiterhin begünstigten Wohngebäude.
Der Senat mußte von Amts wegen prüfen, ob der dem § 7 b EStG durch Gesetz vom 16. Mai 1963 (BStBl 1963 I S. 476) angefügte Abs. 7, der für den Antrag auf Baugenehmigung als Stichtag den 9. Oktober 1962 maßgebend sein läßt, verfassungsrechtlich einwandfrei ist. Denn wenn die Neuregelung wegen verbösernder Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig und deshalb nichtig wäre, müßte der Stpfl. nach dem ihm günstigeren älteren Gesetz behandelt werden, nach dem sein Antrag begründet wäre.
Die Stellungnahme des BdF läßt erkennen, daß bei der Schaffung des § 7 b Abs. 7 EStG 1963 die verfassungsrechtlichen Probleme besonders gründlich bedacht worden sind. Der Senat erkennt mit der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestags und des Bundesrats die Verfassungsmäßigkeit des streitigen Abs. 7 des § 7 b EStG an.
Die Rechtssicherheit ist ein tragendes Prinzip des Rechtsstaats (Art. 20 GG). Der Bürger soll Eingriffe des Staates voraussehen und sich entsprechend einrichten können, besonders im Abgabenrecht. Der Bürger wird in seinem Vertrauen verletzt, wenn der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände ungünstigere Folgen knüpft als der Bürger sie bei seinen Entschließungen einrechnen konnte (vgl. Entscheidungen des BVerfG 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 13 S. 261, 270 f.; 2 BvL 4/59 vom 21. Mai 1960, BVerfGE Bd. 11 S. 139, 145/146, sowie die grundsätzlichen Erläuterungen der Rechtsprechung des BVerfG vom Bundesverfassungsrichter Henneka in "Finanz-Rundschau" 1966 S. 156 ff.).
Eine "echte" Rückwirkung, d. h. ein gesetzlicher Eingriff in abgeschlossene Tatbestände, liegt hier nicht vor; denn die erhöhten AfA nach § 7 b Abs. 1 EStG setzen voraus, daß ein Wohngebäude "errichtet", also fertiggestellt und bewohnbar ist (Entscheidungen des BFH IV 393/53 U vom 8. April 1954, BStBl 1954 III S. 175, Slg. Bd. 58 S. 692; VI 132/55 U vom 8. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 133, Slg. Bd. 64 S. 352). Solche Fälle trifft § 7 b Abs. 7 EStG 1963 für das Jahr 1962 nicht; denn Wohngebäude, für die der Antrag auf Baugenehmigung erst am 10. Oktober 1962 oder später gestellt wurde, können kaum bis zum 31. Dezember 1962 bezugsfertig geworden sein. Das Haus des Stpfl. wurde jedenfalls erst 1963 vollendet. Nach § 3 Abs. 5 Ziff. 1 c StAnpG entsteht die veranlagte Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Das bedeutet, daß das Gesetz vom 16. Mai 1963 auch insofern nicht grundgesetzwidrig ist, als der neue § 7 b Abs. 7 EStG 1963 zwischen dem 1. Januar und 16. Mai 1963 fertiggestellte Wohngebäude erfaßt; denn auch insoweit war der steuerliche Tatbestand, d. h. das Jahreseinkommen ( § 2 Abs. 1 EStG 1963), beim Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht verwirklicht.
Der Bürger kann nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zum Ende des Jahres unverändert bleibt (BVerfG-Urteil 2 BvR 1/60 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE Bd. 13 S. 274).
Neben der "echten" Rückwirkung auf der Vergangenheit angehörende Tatbestände gelten allerdings auch gewisse verfassungsrechtliche Grenzen für die "unechte" Rückwirkung. Von einer unechten Rückwirkung mit Nachteilen für den Steuerpflichtigen spricht man - allerdings ungenau -, wenn ein Bürger im Vertrauen auf die Gesetzeslage gewisse mit Unkosten und Verpflichtungen verbundene Vorbereitungen getroffen hat, die sich durch die spätere Gesetzesänderung als vergeblich erweisen. Der Gesetzgeber kann aus triftigen Gründen die bestehende Rechtslage ändern, auch wenn dadurch Tatbestände betroffen werden, die in der Entwicklung stehen und die der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage eingeleitet hat. Das gilt besonders für steuerliche Vergünstigungen, die aus volkswirtschaftlichen Gründen gewährt werden. Der Bürger kann nicht damit rechnen, daß solche Vergünstigungen uneingeschränkt für die Zukunft bestehen bleiben. Die Erörterung der beabsichtigten Zurücknahme von Steuervergünstigungen könnte, wie der BdF mit Recht darlegt, dazu führen, daß ein Mißstand, der durch die Rücknahme der Steuervergünstigung eingedämmt werden soll, sogar noch verschärft würde, weil zahlreiche Bürger bis zum Inkrafttreten der angekündigten Gesetzesänderung die bisherige Begünstigung noch auszuschöpfen versuchen würden. Aus diesen überlegungen muß dem Gesetzgeber eine Einwirkungsmöglichkeit auf noch nicht abgeschlossene, aber schon in der Entwicklung befindliche Tatbestände eingeräumt werden, wie das BVerfG im Beschluß 2 BvL 22 und 23/63 vom 7. Juli 1964 (BVerfGE Bd. 18 S. 135, 143 ff.) auch ausdrücklich anerkannt hat.
Anlaß für die Schaffung des § 7 b Abs. 7 EStG 1963 war, wie die Bundesregierung dargelegt hat, das auf dem Baumarkt seit Jahren bestehende Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Die dadurch veranlaßten Preissteigerungen mit ihren Auswirkungen auf andere Wirtschaftsbereiche machten nach der Auffassung der Bundesregierung und des Bundestags eine Dämpfung der Nachfrage auf dem Baumarkt notwendig. Diesem Zweck diente auch die Einschränkung der steuerlichen Begünstigungen des Wohnungsbaus in dem streitigen Abs. 7.
Das Datum des 9. Oktober 1962 im § 7 b Abs. 7 EStG 1963 hat der Gesetzgeber gewählt, weil an diesem Tage die Bundesregierung der öffentlichkeit ihre Absicht mitteilte, § 7 b EStG durch eine Gesetzesänderung einschränken zu lassen. Eine solche Kundgabe der Bundesregierung hat zwar keine gesetzliche Wirkung und setzt die bisherige Regelung nicht außer Kraft. Wohl aber hat sie eine gewisse Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für die Steuerpflichtigen. Wer nach dem 9. Oktober 1962 noch einen Bau in Angriff nahm, mußte damit rechnen, daß er wahrscheinlich Vergünstigungen im bisherigen Umfang nicht mehr erwarten dürfe.
Als ein besonderes Moment kommt hier noch hinzu, daß die Suspendierung des § 7 b Abs. 1 EStG 1963 in Abs. 7 a. a. O. nur als eine übergangsregelung gedacht war. Die betroffenen Steuerpflichtigen sollten nicht endgültig benachteiligt werden. Nach der Regierungserklärung vom 9. Oktober 1962 sollte eine allgemeine Neuordnung der AfA auf Wohngebäude geschaffen werden (Bericht über die 39. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 9. Oktober 1962 635). Der Termin des 1. April 1964 im § 7 b Abs. 7 EStG 1963 wurde zweimal hinausgeschoben, nämlich durch das änderungsgesetz vom 25. März 1964 (BStBl 1964 I S. 251) auf den 1. Juli 1964 und durch das Gesetz "zur Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung bei Gebäuden" vom 16. Juni 1964 (BStBl 1964 I S. 384) auf den 1. Januar 1965. Für die vom § 7 b Abs. 7 EStG 1963 betroffenen Gebäuden ist unmittelbar der Anschluß an die neue AfA-Regelung im § 7 EStG hergestellt (§ 7 Abs. 5 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 16. Juni 1964, jetzt § 7 Abs. 5 EStG 1965 - Fassung vom 10. Dezember 1965, BStBl 1965 I S. 686 -). Nach der neuen Regelung, die auch für Gebäude gilt, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 gestellt worden ist (Art. 1 Ziff. 5 b des Gesetzes vom 16. Juni 1964, jetzt § 52 Abs. 6 EStG 1965), dürfen für die ersten zwölf Jahre jeweils 3,5 v. H., insgesamt also 42 v. H. abgeschrieben werden. Nach dem § 7 b Abs. 1 EStG 1963 konnten - bei Annahme einer Gesamtnutzungsdauer von 100 Jahren, wie bisher üblich - in der gleichen Zeit etwa 48,18 v. H. abgezogen werden; bei Zugrundelegung der neuen Nutzungsdauer von 50 Jahren würde die AfA für zwölf Jahre insgesamt 49,65 v. H. betragen. Daraus ergibt sich, daß durch den § 7 b Abs. 7 EStG 1963 nur eine andere Verteilung der AfA und damit der Einkünfte und Steuerbelastungen eingetreten ist, wobei der Unterschied in der AfA der ersten zwölf Jahre insgesamt keine 8 v. H. der Herstellungskosten beträgt. Damit hält sich die "Erhöhung" der Steuer, sofern sie überhaupt eintritt, in angemessenen Grenzen. Es ist dem Bürger zuzumuten, wenn eine schwerwiegende volkswirtschaftliche Entscheidung zu treffen ist, um des Gemeinwohls willen verhältnismäßig kleine Nachteile in Kauf zu nehmen. Die Grenzen des Vertrauensschutzes für den Bürger können nur im Einzelfall unter Abwägung aller berechtigten Belange der Allgemeinheit und der Bürger abgesteckt werden. Dabei ist vor allem auch dem Ermessen des Gesetzgebers ein Spielraum einzuräumen. Der Senat ist der Auffassung, daß sich gerade in diesem Fall alle an der Gesetzgebung beteiligten Organe die Entscheidung nicht leicht gemacht haben und bemüht waren, auch die Belange der Bürger angemessen zu würdigen. Der Gesetzgeber konnte im Rahmen seiner politischen Verantwortung zu der streitigen Neuregelung kommen, ohne das Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte der Bürger zu verletzen.
Da demnach § 7 b Abs. 7 EStG 1963 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, hängt die Entscheidung davon ab, was unter dem "Antrag auf Baugenehmigung" zu verstehen ist. Der Wortlaut ist, wie der BdF mit Recht ausführt, eindeutig. Der "Antrag" ist das Schreiben, mit dem der Baulustige die landesrechtlich vorgesehene Genehmigung für den Bau anstrebt. Anträge auf Finanzierung des geplanten Baues, selbst wenn sie wegen Erlangung öffentlicher Gelder an eine Stadtgemeinde gerichtet sind, sind keine Anträge auf "Baugenehmigung" ebensowenig wie Vorbesprechungen bei der zuständigen Baubehörde. Manche Bauordnungen kennen zwar ein Baugenehmigungsverfahren in mehreren Abschnitten. So kann nach Art. 92 der Bayerischen Bauordnung vom 1. August 1962 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1962 S. 179) "schon bevor der Bauantrag eingereicht ist", auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen ein schriftlicher Vorbescheid erteilt werden. Auch in solchen Fällen steht der eigentliche "Bauantrag" noch aus. Bei der Fassung des § 7 b Abs. 7 EStG 1963 kam es, gerade um eine "echte" Rückwirkung zu vermeiden, darauf an, eine klare Grenze zu setzen, von der ab § 7 b Abs. 1 EStG 1963 nicht mehr anzuwenden sein sollte. Der Gesetzgeber wählte hierfür den Zeitpunkt des Antrags auf Baugenehmigung. Dieser Zeitpunkt war auch besonders geeignet, weil er die Gewähr bot, daß mit tatsächlichen Baumaßnahmen noch nicht begonnen war, und weil er ein verhältnismäßig leicht zu ermittelnder Tatbestand war.
Der Stpfl. hat seinen Antrag auf Baugenehmigung erst nach dem 9. Oktober 1962 gestellt, so daß ihm die erhöhte AfA nach Abs. 1 a. a. O. nicht zusteht.
Das Urteil des FG, das auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war daher aufzuheben ....
Fundstellen
Haufe-Index 412066 |
BStBl III 1966, 454 |
BFHE 1966, 425 |
BFHE 85, 425 |