Leitsatz (amtlich)
Zahlt das FA einen durch Fälschung von Lohnsteuerbescheinigungen erschlichenen Erstattungsbetrag an einen Dritten aus, an den der angebliche Erstattungsanspruch abgetreten wurde (Zessionar), so kann es einen Rückforderungsanspruch gegen den Zessionar geltend machen.
Normenkette
AO § 96 Abs. 2, §§ 159, 229 Nr. 7
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Kreditinstitut. Sie hat mit dem Steuerbevollmächtigten M eine Vereinbarung über die Vorfinanzierung von Lohnsteuer- und Einkommensteuer-Erstattungsansprüchen getroffen.
Auf Grund eines von dem Büro des Steuerbevollmächtigten eingereichten Antrags führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 für einen B (Antragsteller) durch. Dabei ergab sich ein Erstattungsbetrag von 703,96 DM. Mit dem Lohnsteuer-Jahresausgleichsantrag hatte der Steuerbevollmächtigte die Durchschrift eines Schuldscheins und einer Abtretungsurkunde eingereicht. Danach hat die Klägerin dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 500 DM gewährt. Der Antragsteller hat in der Urkunde seinen Anspruch auf Lohnsteuer- und Kirchensteuererstattung aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich in voller Höhe unwiderruflich an die Klägerin abgetreten und das FA angewiesen, Zahlungen nur auf sein Schuldkonto bei der Klägerin zu leisten. Nach der Vereinbarung sollte die Klägerin den das Darlehen übersteigenden Betrag dem Antragsteller postbar zustellen. Das FA stellte den Bescheid über die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs an den Steuerbevollmächtigten als Zustellungsbevollmächtigten zu. Den Erstattungsbetrag überwies es auf das angegebene Schuldkonto.
Im März 1975 erhielt das FA Kenntnis davon, daß die Angaben auf der Lohnsteuerkarte fingiert waren und daß der Antragsteller bei den angegebenen Unternehmen nie gearbeitet hatte, sondern während des ganzen Ausgleichsjahres arbeitslos gewesen war und Arbeitslosenhilfe bezogen hatte. Daraufhin forderte das FA den Erstattungsbetrag durch Bescheid nach § 96 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) von dem Antragsteller zurück. Ein Rechtsmittel wurde dagegen nicht eingelegt, der Betrag aber auch nicht gezahlt.
Mit einem weiteren gegen die Klägerin gerichteten Bescheid forderte das FA den Erstattungsbetrag von der Klägerin zurück mit der Begründung, daß es an einer wirksamen Abtretung einer Forderung gefehlt habe, weil eine nichtbestehende Forderung nicht abgetreten werden könne.
Einspruch und Klage gegen diesen Bescheid blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen folgendes aus: Das FA habe die Klägerin zu Recht durch Rückforderungsbescheid auf Rückzahlung des strittigen Betrags in Anspruch genommen. Es habe nicht etwa durch zivilrechtliche Bereicherungsklage gegen die Klägerin vorgehen müssen, da das streitige Rechtsverhältnis seine Grundlage im öffentlichen Recht habe. Der Erstattungsanspruch gehöre somit dem öffentlichen Recht an, so daß auch der Rückforderungsanspruch ein öffentlich-rechtlicher Anspruch sei. An dem öffentlichrechtlichen Charakter des Erstattungsanspruchs habe sich nicht etwa dadurch etwas geändert, daß der Anspruch an die Klägerin abgetreten worden sei. Die Rechtsnatur der abgetretenen Forderung werde dadurch nicht berührt.
Der Rückforderungsanspruch sei im Gegensatz zum Erstattungsanspruch in der Reichsabgabenordnung nicht geregelt. Dennoch sei in Rechtsprechung und Schrifttum ein allgemeiner Rückforderungsanspruch anerkannt, der der Rückgängigmachung von öffentlichen Leistungen diene, die die Steuerbehörde zu Unrecht erbracht habe. Im Streitfall sei der Betrag von Anfang an zu Unrecht erstattet worden, weil das FA den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich mit rückwirkender Kraft habe zurücknehmen können und auch wirksam zurückgenommen habe. Das FA habe den Rückforderungsanspruch auch gegen die Klägerin als Empfängerin des strittigen Betrages geltend machen können. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe zwar in seinem Urteil vom 20. März 1964 V 302/60 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 150, Rechtsspruch 17) entschieden, daß der Rückforderungsanspruch wegen zu Unrecht an einen Zessionar erstatteter Steuerbeträge nicht gegen den Zessionar, sondern gegen den Steuerpflichtigen (Zedenten) gerichtet sei. Anders als in diesem Falle habe im Streitfall aber kein wirksamer Erstattungsanspruch, sondern lediglich ein durch Täuschung erlangter Erstattungsanspruch und als dessen Kehrseite der Rückforderungsanspruch bestanden. Daher sei es gerechtfertigt und sinnvoll, den Rückforderungsanspruch gegen denjenigen zuzulassen, der tatsächlich den Erstattungsbetrag erhalten habe. Dem Rückforderungsanspruch des FA gegenüber könne sich die Klägerin nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Es sei allgemeine Meinung, daß die Vorschriften der §§ 812 ff. BGB, insbesondere § 818 Abs. 3 BGB, auf den steuerlichen Rückforderungsanspruch nicht anwendbar seien. Im übrigen wären die Voraussetzungen für den Wegfall der Bereicherung auch nicht gegeben. Treu und Glauben stehe der Rückforderung nicht entgegen, da die Klägerin selbst das Risiko geschaffen habe. Dem FA sei es in Massenverfahren nicht möglich, jeden Antrag mit letzter Genauigkeit darauf zu untersuchen, ob er in betrügerischer Absicht gestellt worden sei. Demgegenüber habe die Klägerin als Kreditinstitut es in der Hand, ob sie zu Kreditnehmern in geschäftliche Beziehungen treten wolle oder nicht. Wenn sie die im Kreditwesen üblichen Vorsichtsmaßnahmen außer acht lasse, vielmehr das Lohnsteuerberatungsbüro als ihren Beauftragten über die Kreditgewährung ohne Einschränkung entscheiden lasse, so sei es nicht unbillig, daß sie auch das Risiko letztlich trage.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt u. a. vor: Das FG setze sich in seinem Urteil in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BFH, insbesondere zu dem Urteil V 302/60. Die Sachverhalte seien durchaus vergleichbar. Dadurch, daß der Antragsteller über seinen Steuerbevollmächtigten einen Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs gestellt habe, sei ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem FA entstanden. Dabei spiele es keine Rolle, ob das öffentlich-rechtliche Verhältnis zu Recht zur Entstehung gelangt sei oder nicht und ob das Motiv für die Begründung des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses darin zu sehen sei, daß der Antragsteller die Absicht gehabt habe, den Fiskus zu betrügen und sich ungerechtfertigt zu bereichern. Das FA könne sich allein an den Antragsteller wenden, wenn die auf Grund der Täuschungshandlung vorgenommenen Verfügungen rückgängig gemacht werden sollen. Der Rückforderungsanspruch betreffe nur das Rechtsverhältnis zwischen dem FA und dem Antragsteller. Das Argument, daß ein solcher Steueranspruch nie bestanden habe, weil der Antragsteller gefälschte Unterlagen eingereicht habe, ändere daran nichts. Es sei abwegig, einen Erstattungsanspruch gegen denjenigen zuzulassen, der den Erstattungsbetrag erhalten habe. Gerade das solle, wie der BFH im Urteil V 302/60 ausgeführt habe, vermieden werden, weil dann gegen völlig unbeteiligte dritte Personen öffentlich rechtliche Rechtsverhältnisse konstruiert werden müßten. Das sei aber nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß das FA seine Erstattungsverfügung nach § 96 Abs. 2 AO mit rückwirkender Kraft zurücknehmen konnte, weil der Antragsteller die Erstattung durch unlautere Mittel, nämlich durch Täuschung, veranlaßt hatte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß Erstattungsverfügungen im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren grundsätzlich begünstigende Verwaltungsakte im Sinne von § 96 AO sind (Urteil des BFH vom 24. November 1965 VI 307/63 U, BFHE 84, 358, BStBl III 1966, 129). Die Änderungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab 1975 und der Abgabenordnung ab 1977 greifen im Streitfall noch nicht ein.
Das FA konnte seinen Anspruch auf Rückzahlung der zu Unrecht erstatteten Lohnsteuer auch durch einen Rückforderungsbescheid geltend machen. Zwar ist der Rückforderungsanspruch im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt; die Zulässigkeit eines Rückforderungsbescheides ergibt sich jedoch aus § 229 Nr. 7 AO. Denn nach dieser Vorschrift ist gegen Bescheide über Rückforderungen erstatteter oder vergüteter Beträge der Einspruch gegeben. Die Vorschrift läßt zugleich erkennen, daß der Rückforderungsanspruch ein öffentlich-rechtlicher Anspruch ist. Denn ein mit dem Einspruch anfechtbarer Rückforderungsbescheid kann seine Grundlage nur im öffentlichen Recht haben. Dies wird in Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend anerkannt (BFH-Urteile vom 5. Dezember 1958 III 133/57 U, BFHE 68, 472, BStBl III 1959, 179; vom 27. August 1965 VI 97/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 26 - HFR 1966, 26 -, StRK, Reichsabgabenordnung, § 144, Rechtsspruch 17; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., § 150 AO Anm. 15; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., vor §§ 150 bis 159 AO, Rdnrn. 2, 15 ff.).
Die Abtretung des vorgetäuschten Erstattungsanspruchs durch den Antragsteller an die Klägerin hat den öffentlich-rechtlichen Charakter dieses in Wahrheit nicht bestehenden Anspruchs nicht berührt. Zwar erfolgt eine Abtretung entsprechend den Vorschriften des § 159 AO - abgesehen von der zusätzlich vorgeschriebenen Anzeige an die Finanzbehörde - grundsätzlich nach den Regeln des bürgerlichen Rechts. Hierdurch wird aber der Charakter des abgetretenen Anspruchs nicht berührt. Da der Antragsteller sich mit der Stellung seines Erstattungsantrags in den Bereich des öffentlichen Rechts begeben hatte, gehörte somit auch das durch die Abtretung begründete Rechtsverhältnis zur Klägerin dem öffentlichen Recht an. Denn durch die Abtretung wird nicht ein abstrakter Zahlungsanspruch auf den Abtretungsempfänger übertragen, vielmehr geht der Anspruch in der rechtlichen Form über, die er vor der Abtretung hatte, im Streitfall also als (vorgetäuschter) öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch.
Dementsprechend ist das FG auch zu Recht davon ausgegangen, daß das FA den Rückforderungsanspruch als öffentlich-rechtlichen Anspruch gegenüber der Klägerin als der Empfängerin des strittigen Betrages geltend machen konnte. Das FA brauchte sich nicht etwa auf eine bürgerlich-rechtliche Bereicherungsklage vor den ordentlichen Gerichten verweisen zu lassen (BFH-Urteile III 133/57 U und VI 97/64).
Auch der Einwand der Klägerin, daß eine Rückforderung nur beim Antragsteller zulässig sei, greift nicht durch. Zwar hat, wie das FG zutreffend ausführt, der BFH im Urteil V 302/60 entschieden, daß eine nach Abtretung zu Unrecht erstattete Umsatzsteuer nur beim Zedenten zurückgefordert werden könne. Der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt vom Sachverhalt des Streitfalles. Denn im Urteilsfall V 302/60 lag den zu beurteilenden Vorgängen ein wirksames Steuerschuldverhältnis zugrunde. Es war lediglich zu entscheiden, an wen eine tatsächlich zuviel entrichtete Steuer zu erstatten war. Im Streitfall dagegen liegt nur ein durch Täuschung vom FA irrig angenommenes Steuerschuldverhältnis vor; die Erstattungsverfügung ist zudem wirksam nach § 96 Abs. 2 AO mit rückwirkender Kraft wieder zurückgenommen worden. In Fällen dieser Art erscheint es, wie das FG zutreffend ausführt, gerechtfertigt und sinnvoll, den Rückforderungsanspruch gegenüber demjenigen zuzulassen, der den vorgetäuschten Erstattungsbetrag tatsächlich erhalten hat.
Zu Recht verneint das FG im Anschluß an die Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 1. März 1974 VI R 253/70, BFHE 111, 457, BStBl II 1974, 369) die Anwendbarkeit von Grundsätzen des bürgerlichen Rechts im Falle einer ungerechtfertigten Bereicherung. Es ist somit nicht die Frage zu prüfen, ob sich die Klägerin ggf. auf einen Wegfall der Bereicherung berufen könnte.
Dem Rückforderungsanspruch des FA steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Das FA ist selbst getäuscht worden. Es ist nicht ersichtlich, daß es etwa offensichtlich gebotene Vorsichtsmaßnahmen außer Betracht gelassen hätte. Zudem wird die Klägerin nicht schlechtergestellt, als sie ohnehin schon bei Hingabe des Darlehens gestellt war. Denn schon zu diesem Zeitpunkt hat ein Erstattungsanspruch im wirtschaftlichen Sinne nicht bestanden.
Fundstellen
BStBl II 1978, 608 |
BFHE 1979, 343 |