Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb darf ein nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfreier Veräußerungsgewinn jedenfalls solange nicht zum Ausgleich mit einem Verlust aus Gewerbebetrieb herangezogen werden, als zum Ausgleich des Verlustes nach dem Tarif zu besteuernde Gewinne zur Verfügung stehen.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 2 S. 1, § 16 Abs. 4, § 34/2/1
Tatbestand
Zu entscheiden ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1961, ob ein nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfreier Veräußerungsgewinn mit einem für das Veräußerungsjahr festgestellten laufenden Verlust ausgeglichen werden darf.
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger - Stpfl. -) schied im Jahre 1961 aus einer KG aus, an der er mit 40 v. H. am Gewinn und Verlust beteiligt war. Das Betriebstätten-Finanzamt (FA) stellte für ihn einen unstreitig nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfreien Veräußerungsgewinn fest. Das Wohnsitz-FA rechnete den Veräußerungsgewinn auf den laufenden Verlust an, obwohl nach dem Tarif zu besteuernde Gewinne in ausreichender Höhe zur Verrechnung vorhanden waren. Es vertrat die Ansicht, daß Veräußerungsgewinne echte Gewinne seien und deshalb nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG mit laufenden gewerblichen Verlusten auszugleichen seien. Es stützte sich hierbei auf das Urteil des BFH VI 25/61 U vom 28. Juli 1961 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 73 S. 464 - BFH 73, 464 -, BStBl III 1961, 436).
Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung des FA nicht. Es führte zur Begründung aus, die in § 16 Abs. 4 EStG 1961 vorgesehene Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne würde gegenstandslos werden, wenn man der Ansicht des FA folge. Diese Ansicht sei weder mit dem Wortlaut des § 16 Abs. 4 EStG 1961 noch mit seinem Sinn und Zweck vereinbar. Es könne dahingestellt bleiben, ob das vom FA angeführte BFH-Urteil VI 25/61 U durch neuer Rechtsprechung überholt sei. Es behandele die nicht zu entscheidende Frage, wie sich die Steuerfreiheit des § 16 Abs. 4 EStG 1961 beim Verlustabzug nach § 10 d EStG, also in späteren Veranlagungszeiträumen, auswirke.
Mit der Rb. beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die am 12. November 1965 eingelegte Rb. war nach Inkrafttreten der FGO (1. Januar 1966) als Revision zu behandeln. Sie ist unbegründet.
Zutreffend lehnte das FG die Verminderung des laufenden Verlustes um den Veräußerungsgewinn ab. Die Feststellung der Höhe des Veräußerungsgewinns im einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid und die sich daraus ergebende Folge, daß dieser Veräußerungsgewinn steuerfrei ist, weil er die Freigrenze des § 16 Abs. 4 EStG 1961 nicht erreicht, bindet das Veranlagungs-FA. Fraglich kann sein, ob das Veranlagungs-FA eine Verrechnung des steuerfreien Veräußerungsgewinns mit dem laufenden Verlust überhaupt vornehmen durfte, nachdem das Betriebstätten-FA dies im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren unterlassen hatte. Einer abschließenden Stellungnahme des Senats zu dieser Frage bedarf es jedoch nicht, da weder im Gewinnfeststellungsverfahren noch im Veranlagungsverfahren ein unter der Freigrenze des § 16 Abs. 4 EStG 1961 liegender Veräußerungsgewinn mit laufenden Verlusten ausgeglichen werden darf, wenn die Möglichkeit besteht, Verluste mit einem nach dem Tarif zu besteuernden Gewinn auszugleichen.
Bei dem nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgeschriebenen Ausgleich von Gewinnen und Verlusten sind Veräußerungsgewinne als eine besondere "Abteilung" anzusehen. Diesen Grundsatz sprach bereits der Oberste Finanzgerichtshof im Urteil VI 3/46 S vom 16. April 1947 (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Finanzgerichtshofs Bd. 54 S. 204, Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1949/50 S. 325) für die nach § 34 EStG tarifbegünstigten Einkünfte aus. Der BFH bestätigte diese Entscheidung durch das Urteil IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959 (BFH 70, 195, BStBl III 1960, 72). Das gleiche gilt für die nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfreien Veräußerungsgewinne. Der Gesetzgeber sah die kleineren Veräußerungsgewinne als eine besondere "Abteilung" der Einkünfte aus Gewerbebetrieb an. Das zeigt deutlich der Gesetzeszweck. Die Sonderbestimmung über kleinere Veräußerungsgewinne findet sich schon im EStG 1925 und wurde eingeführt, um über die Tarifermäßigung des § 34 EStG hinaus bei geringen Veräußerungsgewinnen auftretende Härten durch Gewährung völliger Steuerfreiheit zu beseitigen (siehe Peters-Herrmann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, § 16 EStG, Anm. 84). Es wäre mit dem Gesetzeszweck unvereinbar, nach § 16 Abs. 4 EStG steuerfreie Veräußerungsgewinne mit Verlusten aus der gleichen Einkunftsart auszugleichen, solange zum Ausgleich des Verlustes nach dem Tarif zu besteuernde Gewinne aus Gewerbebetrieb zur Verfügung stehen. Damit würde im Ergebnis die vom Gesetzgeber gewollte Steuerfreiheit kleinerer Veräußerungsgewinne beseitigt, weil dann Gewinne nach dem Tarif versteuert werden müßten, die sonst wegen der Verrechnung mit Verlusten mit keiner Steuer belastet würden.
Da im vorliegenden Falle nach dem Tarif zu besteuernde Gewinne in einer Höhe vorhanden waren, die zum Ausgleich mit den laufenden Verlust ausreichten, verminderte das FG zu Recht das nach der Einspruchsentscheidung zu versteuernde Einkommen um den steuerfreien Veräußerungsgewinn. Es konnte deshalb dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des FA, auch steuerfreie Veräußerungsgewinne seien echte Gewinne und müßten deshalb nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG mit laufenden Verlusten ausgeglichen werden, zutreffend ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412218 |
BStBl III 1966, 544 |
BFHE 1966, 486 |
BFHE 86, 486 |