Leitsatz (amtlich)
Durch Vereinbarung mit dem Zollbeteiligten nach § 79 Abs. 3 ZG kann die Verwaltung nicht auf die Führung des Nachweises innergemeinschaftlicher Beförderungskosten nach Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968 verzichten.
Normenkette
ZG § 79 Abs. 3; ZWVO 1968 Art. 8 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ in der Zeit vom 27. Januar 1975 bis 29. Dezember 1977 insgesamt 80 Sendungen aus Ungarn importierter Süßigkeiten bei einer dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –) unterstehenden Zollstelle zum freien Verkehr abfertigen. Zum Einfuhrzeitpunkt war die Klägerin alleiniger Bezieher derartiger Waren. Die Sendungen wurden mit LKW eines ungarischen Transportunternehmens vom ungarischen Verladeort bis zu den jeweiligen Bestimmungsorten in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) geliefert. Die Lieferungen erfolgten „franko Empfänger”. Die jeweiligen Rechnungsendbeträge waren aufgeschlüsselt in einen Wert franko deutsche Grenze, in die Fracht auf deutscher Strecke und in einen Wert franko Empfänger. Die Eingangsabgaben (Zoll, Teilbetragszoll, Währungsausgleich und Zuckersteuer) setzte die Zollstelle der Anmeldung entsprechend unter Abzug der jeweils aus den Rechnungen ersichtlichen innergemeinschaftlichen Beförderungskosten, hinsichtlich des Zollwertes vorläufig, fest. Später erhob sie mit der Begründung, der Abzug der innergemeinschaftlichen Beförderungskosten bei der Zollwertfeststellung müsse entfallen, durch endgültigen Änderungsbescheid vom 27. Februar 1978 34 539,80 DM Zoll nach.
Am 17. März 1980 schloß die Klägerin mit dem HZA X eine Vereinbarung über die Behandlung der Beförderungskosten. Danach sollte bei einheitlichen Preisen frei Bestimmungsort auf einen Nachweis über die Höhe der tatsächlich entstandenen innergemeinschaftlichen Frachtkosten verzichtet werden. Statt dessen sollte eine Frachtkostenpauschale von 1,50 DM/Lastzugkilometer berücksichtigt werden. Diese Vereinbarung sollte auch für die vorgenannten streitigen Einfuhren gelten. Dementsprechend berücksichtigte das HZA in seiner Einspruchsentscheidung vom 3. August 1981 innergemeinschaftliche Beförderungskosten in Höhe von 1,50 DM/Lastzugkilometer. Die in dem Änderungsbescheid vom 27. Februar 1978 geltend gemachten Nachforderungen an Zoll wurden, soweit die Zollermäßigung die innergemeinschaftlichen Beförderungskosten betraf, um 4 097,37 DM ermäßigt Diese Ermäßigung beruhte auch auf dem Einschluß weiterer, aus anderen Gründen veranlaßter Berichtigungen.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin über die Anwendung der Pauschale von 1,50 DM/Lastzugkilometer hinaus die volle Anerkennung der innergemeinschaftlichen Beförderungskosten, so wie sie von ihrem ungarischen Handelspartner berechnet worden waren. Die Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Ohne Rechtsfehler ist das FG davon ausgegangen, daß ein einheitlicher Preis frei Bestimmungsort i. S. des Art. 8 Abs. 2 Satz 1 ZWVO 1968 vorliegt, so daß nach Satz 2 dieser Vorschrift die Klägerin den Abzug der innergemeinschaftlichen Beförderungskosten vom einheitlichen Preis nur fordern kann, wenn sie einen bestimmten Nachweis führt. Zu Unrecht hat das FG aber entschieden, wegen der Regelung in der Vereinbarung vom 17. März 1980 (die Klägerin brauche diesen Nachweis nicht zu führen) komme es auf die von der Klägerin angetretenen Beweise nicht an. Die Vereinbarung vermag nämlich die Regelung des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968 nicht außer Kraft zu setzen.
2. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wird jede dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Bestimmung des innerstaatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar. Dieser Grundsatz entfaltet dort Wirkung, wo Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht miteinander kollidieren, im Einzelfall also sowohl eine entscheidungserhebliche Rechtsnorm des Gemeinschaftsrechts als auch eine von ihr abweichende, grundsätzlich ebenfalls entscheidungserhebliche nationale Rechtsnorm bestehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 92). Die Vorschrift des § 79 Abs. 3 ZG kollidiert in diesem Sinne mit Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968, soweit sie die Zollstellen ermächtigt, zur Vereinfachung der Zollbehandlung unter bestimmten Voraussetzungen eine Vereinbarung zu treffen, die einen Zollbeteiligten in den Genuß der Regelung des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968 auch ohne den dort vorgeschriebenen Nachweis gelangen läßt.
Der gegenteiligen Auffassung des FG folgt der Senat nicht. Die Meinung des FG, das Gemeinschaftsrecht verbiete die Ermächtigung des § 79 Abs. 3 ZG nicht, trifft nicht zu. Zwar befaßt sich das Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich mit dieser Frage. Die Rechtsmaterie aber, auf die sich die Vereinbarung vom 17. März 1980 in ihrem hier wesentlichen Teil bezieht, hat das Gemeinschaftsrecht geregelt, und zwar in der Weise, daß der Abzug der innergemeinschaftlichen Beförderungskosten vom einheitlichen Preis frei Bestimmungsort einen bestimmten Nachweis voraussetzt. Mit dieser Regelung in Widerspruch steht die Ermächtigung des § 79 Abs. 3 ZG an die Zollstellen zumindest insoweit, als sie es ermöglicht, im Wege einer Vereinbarung mit einem Zollbeteiligten auf diesen Nachweis zu verzichten.
Diese Kollision zwischen § 79 Abs. 3 ZG und Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968 kann nicht durch den Hinweis des FG ausgeräumt werden, auch dem Gemeinschaftsrecht seien die Grundsätze der Praktikabilität und der Verwaltungsökonomie immanent. Diese Grundsätze sind keine Rechtsnormen, die etwa Vorrang hätten vor Art. 8 Abs. 2 ZWVO 1968, zumal dessen Regelung, daß es ohne einen Nachweis beim Verbot des Abzugs innergemeinschaftlicher Beförderungskosten bleibt, nicht als unpraktikabel oder unökonomisch bezeichnet werden kann.
Danach ist die Vorschrift des § 79 Abs. 3 ZG insoweit unanwendbar, als sie die Regelung des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ZWVO 1968 zur Disposition der Zollstellen im Wege des Abschlusses von Vereinbarungen mit den Zollbeteiligten stellt. Ob § 79 Abs. 3 ZG auch darüber hinaus mit Gemeinschaftsrecht kollidiert, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der Vereinbarung fehlt es also wenigstens insoweit an einer Ermächtigungsgrundlage, als sie die Klägerin von der Führung des genannten Nachweises freistellte. Sie entfaltet danach insoweit keine Wirkung zwischen den Beteiligten und ist für die Gerichte nicht verbindlich.
Da das FG das verkannt hat, ist es zu Unrecht den von der Klägerin angebotenen Beweisen nicht nachgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Da die Sache nicht spruchreif ist, war sie zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Fundstellen
Haufe-Index 510616 |
BFHE 1985, 83 |