Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohlverhaltensphase. Selbstständig tätiger Schuldner. Auskunft. Abhängige Tätigkeit. Fiktives Nettoeinkommen. Gewinn. Obliegenheitsverletzung. Masseunzulänglichkeit. Offenlegung. Versagungsantrag. Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Kenntnis des Ankündigungsbeschlusses. Aufhebungsbeschluss. Einstellungsbeschluss. Abführungspflicht. Abtretungserklärung. Pfändbares Einkommen. Restschuldbefreiung
Leitsatz (amtlich)
a) In der Wohlverhaltensphase hat der selbständig tätige Schuldner auf Verlangen Auskünfte zu erteilen, aus denen die ihm mögliche abhängige Tätigkeit bestimmt und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermittelt werden kann, nicht jedoch Auskünfte über etwaige Gewinne aus seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit.
b) Verlangt ein Gericht eine solche - nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gedeckte - Auskunft, begründen die Nichterteilung der Auskunft, eine unvollständige oder verspätete Auskunft grundsätzlich keine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO oder nach § 296 Abs. 2 Satz 3 Fall 1 InsO.
Normenkette
InsO § 295 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 296 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 03.05.2011; Aktenzeichen 5 T 524/08) |
AG Münster (Entscheidung vom 19.02.2008; Aktenzeichen 77 IN 35/01) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Münster vom 3.5.2011 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1) als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Das auf Eigenantrag des selbständig tätigen Schuldners am 15.3.2002 eröffnete Insolvenzverfahren wurde wegen Masseunzulänglichkeit nach Ankündigung der Restschuldbefreiung am 18.4.2005 eingestellt. Im Februar 2007 beantragte die weitere Beteiligte zu 1), eine Gläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil dieser gegenüber dem Treuhänder seine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit nicht ausreichend offengelegt habe. In dem sich anschließenden Verfahren forderte das Insolvenzgericht den Schuldner unter Hinweis auf § 296 Abs. 2 InsO zur Auskunftserteilung auf. Ob dieser die angeforderten Auskünfte ausreichend und rechtzeitig erteilt hat, ist zwischen ihm und den weiteren Beteiligten streitig geblieben.
Rz. 2
Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Mit ihrer Rechtsbeschwerde möchte sie weiterhin erreichen, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt wird.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 7 InsO a.F., §§ 6, 296 Abs. 3 Satz 1 InsO, Art. 103 f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Der geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) ist nicht gegeben.
Rz. 4
1. Die Beschwerdeentscheidung beruht jedenfalls nicht auf dem geltend gemachten Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 5
a) Die Obliegenheiten des § 295 InsO treffen den Schuldner erst ab der Aufhebung (oder der Einstellung, vgl. § 289 Abs. 3 InsO) des Insolvenzverfahrens. Dies setzt die Kenntnis des Schuldners von diesen Umständen und damit die Kenntnis von dem Ankündigungsbeschluss und dem Aufhebungs- oder Einstellungsbeschluss voraus (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - IX ZB 249/07, NZI 2009, 191 Rz. 8; v. 14.1.2010 - IX ZB 78/09, ZInsO 2010, 345 Rz. 9). Vorliegend begann die Wohlverhaltensphase nicht vor Erlass des Einstellungsbeschlusses vom 18.4.2005 und endete am 15.3.2008. Maßgeblich ist insoweit § 287 Abs. 2 InsO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001 (BGBl. I, 2710), weil das Insolvenzverfahren nach dem 1.12.2001 eröffnet worden ist (Art. 103a EGInsO).
Rz. 6
In der Wohlverhaltensphase war der Schuldner nur selbständig tätig. Das hat zur Folge, dass seine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit grundsätzlich nicht unter die Abtretungserklärung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO fallen. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist daher insoweit nicht anzuwenden. Einnahmen, die ein Schuldner aufgrund einer wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit erzielt, müssen ihm uneingeschränkt zur Verfügung stehen, damit er seiner Abführungspflicht aus § 295 Abs. 2 InsO gerecht werden kann. Sie können deshalb - ungeachtet der Tatsache, dass auch der selbständig tätige Schuldner seinem Antrag eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO beizufügen hat - in aller Regel auch nicht als pfändbares Einkommen i.S.d. § 850 Abs. 2 ZPO angesehen werden (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2009 - IX ZR 234/08, NZI 2010, 72 Rz. 8 ff.). Zwar hat der BGH in dieser Entscheidung offen gelassen, ob dies auch dann gilt, wenn es sich bei dem Schuldner um einen Scheinselbständigen handelt (a.a.O. Rz. 18). Anhaltspunkte für eine bloße Scheinselbständigkeit hat das Beschwerdegericht aber nicht festgestellt (vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2011 - IX ZB 133/08, ZInsO 2011, 2101 Rz. 9).
Rz. 7
Ob der Schuldner als selbständig Tätiger einen Gewinn erzielt hat oder ob er einen höheren Gewinn hätte erwirtschaften können, ist unerheblich. Nach § 295 Abs. 2 InsO obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Vorschrift löst die zu berücksichtigenden Erträge vom tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ist dabei aus einem angemessenen Dienstverhältnis zu berechnen. Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit (BGH, Beschl. v. 5.4.2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413 Rz. 13; v. 19.5.2011 - IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rz. 6).
Rz. 8
Der selbständig tätige Schuldner hat deswegen nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dem Treuhänder oder dem Gericht auf Verlangen Mitteilung zu machen, ob er einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, wie seine Ausbildung und sein beruflicher Werdegang aussieht und welche Tätigkeit (Branche, Größe seines Unternehmens, Zahl der Angestellten, Umsatz) er ausübt, wobei seine Auskünfte so konkret sein müssen, dass ein Gläubiger danach die dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit bestimmen und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermitteln kann (vgl. Ahrens in FK/InsO, 7. Aufl., § 295 Rz. 60). Er hat jedoch keine Auskünfte über etwaige Gewinne aus seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu erteilen (AG Göttingen, ZInsO 2011, 1855 [1856]; Ahrens in FK/InsO, a.a.O.). Verlangen Treuhänder oder Gericht eine solche - nicht durch § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gedeckte - Auskunft, begründen die Nichterteilung der Auskunft, eine unvollständige oder verspätete Antwort keine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO (zu §§ 97, 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.2003 - IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167 [2169]; zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO vgl. Ahrens in FK/InsO, a.a.O., § 295 Rz. 59; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2012, § 295 Rz. 25).
Rz. 9
Für den Versagungsgrund des § 296 Abs. 2 Satz 3 Fall 1 InsO, den das Gericht auch ohne einen sich darauf beziehenden Antrag des Gläubigers zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 19.5.2011 - IX ZB 274/10, NZI 2011, 640 Rz. 12), kann grundsätzlich nichts anderes gelten. Nach dieser Vorschrift kann einem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werden, wenn er im Verfahren über den Antrag eines Gläubigers auf Restschuldbefreiung eine vom Gericht geforderte Auskunft schuldhaft nicht innerhalb einer gesetzten Frist erteilt, ohne dass es auf eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger ankäme (BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - IX ZB 169/08, ZInsO 2009, 2162 Rz. 6). Nach § 296 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 InsO hat der Schuldner allerdings lediglich über die Erfüllung seiner Obliegenheiten Auskunft zu erteilen, nur darüber darf er durch das Gericht (im Rahmen des Versagungsantrags) befragt werden. Deswegen darf das Gericht - wie bei § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO - den selbständig tätigen Schuldner beispielsweise nach den Umständen befragen, aus denen sich die ihm mögliche abhängige Tätigkeit und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ableiten lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.5.2009 - IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268 Rz. 9), nicht aber über seine Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit. Gehen die Fragen des Gerichts über den sich aus §§ 295, 296 Abs. 2 InsO ergebenden Rahmen hinaus, stellt die Nichtbeantwortung der Fragen keine Verletzung der Verfahrensobliegenheiten dar.
Rz. 10
b) Da dem Schuldner in den Tatsacheninstanzen wie auch in der Rechtsbeschwerde nur vorgeworfen wird, er habe Auskünfte über seine sich aus der selbständigen Tätigkeit ergebende Einkommenssituation in der Wohlverhaltensphase nicht erteilt, kann eine Obliegenheitsverletzung nach §§ 295 Abs. 1 Nr. 3, 296 Abs. 2 Satz 2 Fall 1 InsO aus Rechtsgründen nicht vorliegen. Es ist deswegen ausgeschlossen, dass die Berücksichtigung der Hinweise der Gläubigerin auf den Versagungsgrund des § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO bei richtiger Rechtsanwendung im Ergebnis zu einer anderen, für die Gläubigerin günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 17.9.1992 - IX ZB 45/92, NJW 1992, 3243 [3244]; v. 25.9.2003 - IX ZB 612/02, nv, Rz. 6; v. 25.9.2007 - VI ZR 162/06, ZMGR 2007, 141 Rz. 3).
Rz. 11
2. Auch der gerügte Willkürverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Zutreffend hat das Beschwerdegericht den Versagungsgrund nach § 295 Abs. 2 InsO als nicht glaubhaft gemacht angesehen (§ 296 Abs. 1 Satz 3 InsO). Im Rahmen des § 295 Abs. 2 InsO muss der Gläubiger glaubhaft machen, dass der Schuldner einen Betrag an den Treuhänder hätte abführen müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2011 - IX ZB 133/08, ZInsO 2011, 2101 Rz. 7). Diesen Anforderungen genügt der Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 1) nicht. Weder hat sie vorgetragen, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach dem üblichen Lohnniveau hätte abführen müssen, noch hat sie glaubhaft gemacht, welche abhängige Tätigkeit dem Schuldner möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 19.5.2011 - IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rz. 7; v. 12.7.2011 - IX ZB 270/11, NZI 2012, 721). Vielmehr ist das Beschwerdegericht - ohne dass dies von der Rechtsbeschwerde angegriffen wird - davon ausgegangen, dass der Schuldner nach seinem unbestrittenen Vortrag aufgrund seiner Insolvenz und der sich daraus ergebenen negativen Listung in der zentralen Auskunft über Versicherungskaufleute (AWAD) als Versicherungskaufmann keine Anstellung mehr gefunden hätte. In welchen anderen Branchen der zum Beginn der Wohlverhaltensphase 57-jährige, aufgrund mehrerer Herzinfarkte gesundheitlich schwer angeschlagene Schuldner zu welchen Bedingungen hätte Anstellung finden können, hat die Gläubigerin nicht dargelegt (vgl. BGH, Beschl. v. 19.5.2011, a.a.O., Rz. 8). Dass der Schuldner weiterhin notgedrungen einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen ist, ersetzt Vortrag über das angemessene Dienstverhältnis und die Glaubhaftmachung nicht.
Rz. 12
3. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 4 InsO, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 3657536 |
DB 2013, 16 |
DStR 2013, 12 |