Entscheidungsstichwort (Thema)
Schaden am „Sondervermögen” einer Einmann-GmbH
Leitsatz (amtlich)
Wird der Alleingesellschafter einer GmbH von einem Dritten schuldhaft verletzt und tritt der Schaden an seinem „Sondervermögen” seiner Gesellschaft, ein, so kann es nach Lage des Falles im Verhältnis zum Schädiger so angesehen werden, daß ihn persönlich ein Schaden getroffen hat.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats. des Oberlandesgerichts München vom 30. Dezember 1971 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, ein Finanzmakler, ließ sich in verschiedenen Prozessen von dem beklagten Rechtsanwalt vertreten. Nach Abschluß eines dieser Verfahren vollstreckte der Gegner jenes Rechtsstreits Anfang Mai 1969 gegen den Kläger wegen einer Kostenforderung von 62,19 DM, die der Kläger allerdings zwischenzeitlich, jedoch verspätet, gezahlt hatte. Der Gerichtsvollzieher vermerkte in seinem Protokoll, daß der Kläger ihm den Zahlungsbeleg vorgelegt habe. Die Vollstreckungskosten erhob er von dem Gläubiger. Dieser beantragte Mitte Mai 1969 bei dem Amtsgericht, den Kläger wegen der Forderung von 62,19 DM sowie der Vollstreckungskosten zur Ableistung des Offenbarungseides zu laden, beschränkte seinen Antrag aber später, als ihm der Eingang der vom Kläger gezahlten Hauptsumme bekannt wurde, auf die Vollstreckungskosten. Nach Erhalt der Ladung unterrichtete der Kläger den Beklagten am 20. Juni 1969 sofort von dem Offenbarungseidtermin. Dieser sagte dem Kläger zu, die Sache aufzuklären. Auf dessen Frage, was im Hinblick auf den Termin zu tun sei, antwortete der Beklagte, der Kläger brauche sich darum nicht zu kümmern.
Da in dem Offenbarungseidtermin weder der Kläger noch der Beklagte erschien, erließ der Vollstreckungsrichter gegen den Kläger Haftbefehl, was zu dessen Eintragung in die Schuldnerkartei führte.
Der Kläger wirft dem Beklagten vor, dies durch Verletzung seiner Anwaltspflichten verschuldet zu haben. Er hat von dem Beklagten Ersatz eines Schadens von 463.763,79 DM verlangt, der bei der ABC A… B… C… GmbH (im folgenden: ABC-GmbH genannt), dessen alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er war, dadurch entstanden sein soll, daß diese infolge seiner Eintragung in die Schuldnerkartei von einer h… Bank als kreditunwürdig angesehen worden sei und deshalb ein von ihr, der ABC-GmbH, zum Zwecke der Bebauung erworbenes Grundstück unbebaut habe verkaufen müssen, um den von jener Bank gewährten, jetzt aber gekündigten Ankaufskredit zurückzahlen zu können. Außerdem hat der Kläger von dem Beklagten Ersatz eines Betrages von 78.072 DM verlangt, der ihm als Maklerprovision zugeflossen wäre, wenn die ABC-GmbH auf dem Grundstück Eigentumswohnungen erbaut hätte, da diese Wohnungen dann über ihn verkauft worden wären.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger in erster Linie den Anspruch auf Zahlung von 463.763,79 DM weiter, hilfsweise den Anspruch auf Ersatz des entgangenen Maklerlohnes.
Entscheidungsgründe
I.
1. Das Berufungsgericht hat aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger den Beklagten am 20. Juni 1969 um anwaltlichen Beistand dahingehend ersucht hatte, ihn vor Schaden zu bewahren, der durch den nach seiner Meinung zu Unrecht auf den 4. Juli 1969 bestimmten Termin zur Leistung des Offenbarungseides entstehen konnte. Es hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe seiner Anwaltspflicht nicht damit genügt, daß er noch am 20. Juni 1969 über den gegnerischen Prozeßbevollmächtigten bei dem Bevollmächtigten des Gegners im Offenbarungseidverfahren mit dem Ziel interveniert habe, den Antrag auf Erlaß des Offenbarungseides zurückzunehmen, weil doch der Kläger gezahlt habe. Der Beklagte habe sich auch nicht damit begnügen dürfen, daß der gegnerische Prozeßbevollmächtigte ihm die Kopie seines Schreibens an die Anwälte seiner Partei im Offenbarungseidverfahren übersandte, in dem er diesen mitteilte, der Kläger habe die Kostenforderung von 62,19 DM an ihn gezahlt, die Zwangsbeitreibung müsse deshalb auf einem Irrtum beruhen. Er habe vielmehr für eine Vertretung des Klägers im Offenbarungseidtermin sorgen oder überwachen müssen, daß der Termin aufgehoben werde, zumindest aber eindeutig klarstellen müssen, daß er den Kläger im Offenbarungseidtermin nicht vertreten werde. Er habe ihm auch deutlich erklären müssen, daß der Termin erst aufgehoben werde, wenn der Gegner den Antrag zurücknähme. Er könne sich auch nicht damit entlasten, daß der Kläger ihm nicht gesagt habe, von ihm seien noch Kosten der Zwangsvollstreckung verlangt worden. Wenn er davon ausgegangen sei, daß die weitere Vollstreckung gegen den Kläger unzulässig oder aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt gewesen sei, so habe er umsomehr die Pflicht gehabt, dafür zu sorgen, daß der Termin zur Leistung des Offenbarungseids aufgehoben oder wahrgenommen werde.
2. Diese Würdigung des Berufungsgerichts wird von der Revision des Klägers naturgemäß nicht angegriffen. Sie läßt auch entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung keinen Rechtsfehler erkennen. Auf Grund der getroffenen Feststellungen konnte das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei zu der Überzeugung gelangen, zwischen dem Kläger und dem Beklagten sei ein Anwaltsvertrag zustande gekommen, der den Beklagten verpflichtet habe, die Interessen des Klägers im Zusammenhang mit der gegen ihn gerichteten Zwangsvollstreckung zu wahren. Zutreffend verlangt das Berufungsgericht im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von einem Rechtsanwalt, die Interessen immer bestmöglich zu wahren und bei mehreren Möglichkeiten den sichersten Weg zu wählen (BGH Urt. v. 22. September 1958 – III ZR 16/58 = LM BGB § 276 [Ci] Nr. 8). Es unterliegt deshalb auch keinen Bedenken, wenn das Berufungsgericht den Beklagten für verpflichtet gehalten hat, dafür zu sorgen, daß der Termin zur Ableistung des Offenbarungseides entweder aufgehoben oder wahrgenommen wurde, und zwar vor allem dann, wenn er davon ausging, die weitere Zwangsvollstreckung gegen den Kläger sei überhaupt nicht gerechtfertigt.
II.
1. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers bezüglich der jetzt in erster Linie noch verlangten 463.763,79 DM jedoch deshalb, weil der Schaden nicht beim Kläger, sondern bei einem Dritten, der ABC-GmbH, entstanden sei. Aus einem Vertrag könne aber nur derjenige Schadensersatz verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten sei. Der Ausnahmefall der sogenannten Drittschadensliquidation liege nicht vor. Von den in der Rechtsprechung anerkannten Gruppen dieses Rechtsinstituts scheide die mittelbare Stellvertretung und die sog. Gefahrentlastung hier aus. Die GmbH sei aber auch nicht in die Schutzwirkungen des Anwaltsvertrages einbezogen worden.
2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand.
a) Zwar nimmt das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum an, daß grundsätzlich aus einem Vertrag nur derjenige Schadensersatz beanspruchen kann, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten ist und dem er rechtlich zur Last fällt. Dies hat der Senat in BGHZ 51, 91, 93 erneut hervorgehoben. Der Schädiger haftet deshalb, wenn der Schaden bei einem Dritten eintritt. im Regelfall nur nach Deliktsrecht. Das Berufungsgericht verkennt auch nicht, daß die Fälle der sogenannten Drittschadensliquidation (oder Schadensliquidation im Drittinteresse) die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz darstellen. Ebenso zu Recht hat das Berufungsgericht erwogen, ob die ABC-GmbH etwa als Dritte in die Schutzwirkung des Anwaltvertrages einbezogen war. Gegen die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht getroffene rechtliche Würdigung könnten aber bereits Bedenken bestehen. Wenn nämlich die Rechtsprechung in bestimmten Fällen auch dritte Personen, die wirtschaftlich im wesentlichen selbständig sind, in den Schutzbereich eines Vertrages zwischen Gläubiger und Schuldner einbezieht (BGHZ 33, 247, 249; 49, 350, 353; vgl. auch BGHZ 51, 91, 96), dann könnte dies dafür sprechen, eine solche Einbeziehung erst recht dann zuzulassen, wenn der Gläubiger und der Dritte, wie hier, wirtschaftlich gesehen, identisch sind. Auf diese Frage kommt es jedoch nicht entscheidend an.
b) Der Kläger will nämlich nicht eigentlich den Schaden eines „Dritten” geltend machen. Er hat vielmehr schon in der Klageschrift und auch im Berufungsrechtszug die Auffassung vertreten, daßer selbst als der einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der ABC-GmbH der alleinige und eigentlich Geschädigte sei. Hätte das Berufungsgericht unter diesem Gesichtspunkt das Klagevorbringen geprüft, dann hätte es nicht zu dem Ergebnis gelangen dürfen, der Beklagte sei trotz schuldhafter Verletzung des mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsvertrages nicht verpflichtet, den bei der ABC-GmbH entstandenen Schaden zu ersetzen.
Grundsätzlich ist zwar dierechtliche Verschiedenheit zwischen der GmbH und ihrem Alleingesellschafter zu beachten. Über die Rechtsfigur einer juristischen Person darf deshalb nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden (BGHZ 20, 4, 11; 45, 204, 207; 54, 222, 224; 55, 20, 32), Demgemäß hat auch der Senat ausgesprochen, daß der Geschäftsführer, der zugleich alleiniger Gesellschafter einer Einmann-GmbH ist, im Falle einer unfallbedingten Dienstunfähigkeit wie jeder Arbeiter oder Angestellte den Schädiger auf Zahlung des (Brutto-) Arbeitsentgelts an seine Gesellschaft in Anspruch nehmen darf, wenn davon ausgegangen werden kann, daß dieser ein Ausfall in Höhe des weiterbezahlten Entgelts entstanden ist (Senatsurteil vom 9. März 1971. VI ZR 158/69 = LM BGB § 842 Nr. 8 = VersR 1971, 570). Dennoch kann nicht übersehen werden, daß der alleinige Gesellschafter einer GmbH unmittelbar wirtschaftlich berührt wird, wenn seine Gesellschaft einen Verlust erleidet oder einen Gewinn erzielt. Die Rechtsprechung hat bereits in einer Reihe von Fällen dentatsächlichen Gegebenheiten bei der Einmanngesellschaft, besonders der Einmann-GmbH, nämlich der Beherrschung der Gesellschaft durch ihren einzigen Gesellschafter, Rechnung getragen und die Einmanngesellschaft dem alleinigen Gesellschafter gleichgestellt, ohne daß damit dierechtliche Verschiedenheit der beiden Rechtssubjekte in Frage gestellt werden sollte (z.B. in den Fällen der sog. Durchgriffshaftung durch den verschleiernden Mantel der juristischen Person [RGZ 99, 232, 234; 129, 50, 53; BGHZ 20, 4, 11; 22, 226, 230; vgl. auch BGHZ 54, 222], bei der Irrtumsanfechtung [RGZ 143, 429, 431]; im Maklerrecht [BGH, Urt. v. 12. Mai 1971 – IV ZR 82/70 = LM BGB § 652 Nr. 41], bei Anwendung des § 47 Abs. 4 GmbHG [BGH, Urt. v. 29. März 1973 – II ZR 139/70 = LM GmbHG § 47, Nr. 20 = DB 1973, 864] und früher im Aufwertungsrecht [RGZ 130, 340]).
Das ist auch hier erforderlich. Hat ein Gewerbetreibender sich nicht an einem fremden Unternehmen kapitalmäßig beteiligt, sondern seinem eigenen Unternehmen aus haftungs-, steuerrechtlichen- oder anderen Gründen die Rechtsform einer GmbH gegeben (vgl. BGHZ 21, 378, 381; BGH Urt. v. 11. November 1970 – VIII ZR 242/68 = BB 1971, 13 = WM 1971, 16, 17; insoweit nicht in BGHZ 55, 20 abgedruckt), dann ist diese Gesellschaft, jedenfalls in einem Fall der vorliegenden Art, haftungsrechtlich nur ein in besonderer Form verwalteter Teil seines Vermögens. Was der Gesellschafter in der GmbH durch seine Tätigkeit erarbeitet oder einbüßt, trifft ihn, den Alleingesellschafter, unmittelbar (so schon Senatsurteil vom 3. April 1962 – VI ZR 162/61 = VersR 1962, 622). Es ist dabei entgegen der Kritik von Ganssmüller (GmbH-Rundschau 1971, 149) ohne Bedeutung, daß die etwaige Schmälerung oder Vergrößerung des GmbH-Gewinns aus betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Gründen nicht völlig identisch mit dem sein kann, was auf ihn als Gewinn zufließt oder von ihm als Verlust zu tragen ist. Wird der Gesellschafter von einem Dritten schuldhaft verletzt und tritt ein Schaden an seinem „Sondervermögen” (vgl. die Hinweise in BGHZ 21, 378, 384) ein, so muß es, wenn zwischen Schadenszufügung und Schaden ein zurechenbarer Zusammenhang besteht, im Verhältnis zum Schädiger so angesehen werden, daß ihn persönlich ein Schaden getroffen hat. Eine andere Betrachtungsweise würde an der wirtschaftlichen Wirklichkeit vorbeigehen und den Schädiger auf dem Wege über formale Gegebenheiten ungerechtfertigt entlasten (so schon Senatsurteil vom 3. April 1962, a.a.O.).
3. Infolgedessen durfte das Berufungsgericht die Klage nicht schon mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn sich herausstellen sollte, daß der Schaden nicht beider ABC-GmbH, sondern bei der A… B… C… & Co., Bauträger KG, entstanden ist. Denn deren persönlich haftender Gesellschafter ist die ABC-GmbH, praktisch also der Kläger; deren alleiniger Kommanditist ist wiederum der Kläger. Daher muß das Berufungsurteil aufgehoben werden.
Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, da noch nicht feststeht, ob der ABC-GmbH überhaupt ein Schaden entstanden ist, und ob zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem etwa entstandenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Vor allem ist auch noch nicht – vom Standpunkt des Berufungsgerichts folgerichtig – geprüft, ob nicht dem Kläger ein erhebliches Mitverschulden an seinem Schaden zur Last fällt. Hierfür könnte sprechen, daß die Zwangsvollstreckung gegen ihn nur deshalb eingeleitet wurde, weil er den Hinweis des Beklagten nicht beachtete, Forderungen aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen müßten binnen einer Woche bezahlt werden (§ 798 ZPO). Auch wird noch zu klären sein, ob der Beklagte mit seiner Behauptung Recht hat, der Kläger habe ihm nichts davon gesagt, daß der Gerichtsvollzieher von ihm noch die Zahlung der Vollstreckungskosten verlangt habe. Der Rechtsstreit war deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 609611 |
BGHZ, 380 |
NJW 1974, 134 |
NJW 1974, 492 |
JR 1974, 203 |