Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchgriffshaftung eines GmbH-Gesellschafters wegen Vermögensvermischung als Verhaltenshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs. Klagebefugnis des Insolvenzverwalters in Fällen des Haftungsdurchgriffs. Voraussetzungen des Durchgriffstatbestands. Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen. Darlegungs- und Beweislast für die Kapitalerhaltungsvorschriften missachtende Vermögensvermischung
Leitsatz (amtlich)
a) Der Insolvenzverwalter des Vermögens einer GmbH ist entsprechend § 93 InsO befugt, eine etwaige Durchgriffshaftung eines Gesellschafters für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (§ 128 HGB analog) wegen "Vermögensvermischung" geltend zu machen.
b) Die Durchgriffshaftung eines GmbH-Gesellschafters wegen "Vermögensvermischung", die zu einem Wegfall des Haftungsprivilegs gem. § 13 Abs. 2 GmbHG führt, ist keine Zustands- sondern eine Verhaltenshaftung; sie trifft einen Gesellschafter nur, wenn er aufgrund des von ihm wahrgenommenen Einflusses als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortlich ist (Klarstellung zu BGH v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [368 f.] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997).
c) Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer unkontrollierbaren Vermischung des Gesellschafts- mit dem Privatvermögen der Gesellschafter ist im Grundsatz der klagende Insolvenzverwalter; den oder die Gesellschafter trifft aber eine sekundäre Darlegungslast für das Gegenteil. Das bloße Fehlen einer "doppelten Buchführung" reicht als Nachweis für eine "Vermögensvermischung" nicht aus.
d) Der Insolvenzverwalter kann sich gegenüber einem aus Durchgriffshaftung in Anspruch genommenen GmbH-Gesellschafter, der keine Gelegenheit zu einem Widerspruch i.S.v. § 178 Abs. 1 InsO hatte, auf die Rechtskraftwirkung der Eintragung der Gläubigerforderungen in die Insolvenztabelle (§ 178 Abs. 3 InsO) nicht berufen.
Normenkette
GmbHG § 13 Abs. 2; HGB §§ 128-129; InsO §§ 93, 178
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 07.05.2003; Aktenzeichen 9 U 213/02) |
LG Hildesheim (Entscheidung vom 17.09.2002; Aktenzeichen 10 O 181/01) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Celle vom 7.5.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am 11.2.2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), die im Oktober 1995 mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründet worden ist. Die Beklagte war Gründungs- und ab 1997 Alleingesellschafterin der Schuldnerin; außerdem war sie deren Alleingeschäftsführerin in der Zeit von Oktober 1995 bis 12.1.1998. Anschließend war K. T. Geschäftsführer, der am 29.6.1998 durch eine Frau Kr. abgelöst wurde. In dem späteren Insolvenzverfahren wurden Forderungen i.H.v. 5.398.775,29 DM angemeldet, wovon 2.551.169,59 DM zur Tabelle festgestellt wurden, darunter 1.964.158,69 DM Steuernachforderungen.
Mit der Klage macht der Kläger eine "Durchgriffshaftung" der Beklagten in Höhe der festgestellten Forderungen - abzgl. eines bereits anderweitig ausgeurteilten Betrages von 24.607,68 DM - mit der Behauptung geltend, die Schuldnerin habe über keine ordnungsgemäße Buchführung verfügt und ihre Geschäfte großenteils in Form von Barzahlungen abgewickelt. Da der Verbleib der eingenommenen Gelder nicht nachvollziehbar sei, müsse davon ausgegangen werden, dass die Beklagte das Gesellschafts- mit ihrem Privatvermögen vermischt habe, weshalb sie (nach den in BGH v. 16.9.1985 - II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 [333 f.] = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78; v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [368] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997 aufgestellten Grundsätzen) entsprechend § 128 HGB für die Gesellschaftsschulden hafte. Die Klagebefugnis ergebe sich aus § 93 InsO.
Beide Vorinstanzen haben der Klage entsprochen. Dagegen richtet sich die - von dem Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zugelassene - Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Da der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz dessen ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu erkennen. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79 [82]).
II. Das Berufungsgericht meint, der Kläger sei entsprechend § 93 InsO befugt, die persönliche Haftung der Beklagten für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin geltend zu machen. Die Beklagte hafte für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (nach den in BGH v. 16.9.1985 - II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 [334] = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78 aufgestellten Grundsätzen) gem. § 128 HGB analog unter Verlust ihres Haftungsprivilegs gem. § 13 Abs. 2 GmbHG, weil sie nicht für eine klare Vermögensabgrenzung zwischen dem Gesellschafts- und ihrem Privatvermögen gesorgt und damit die Rechtsform der GmbH missbraucht habe. Nach ihrem eigenen Vortrag seien unter ihrer Ägide als Geschäftsführerin die Geschäfte der Schuldnerin nur überwiegend über deren Geschäftskonto abgewickelt worden. Nach dessen Kündigung seitens der Bank per 30.6.1998 habe die Schuldnerin ein neues Konto offenbar nicht mehr eröffnet; so habe die Geschäftsführerin Kr. im September 1999 ein Bauvorhaben der Schuldnerin über ihr Privatkonto abgerechnet. Entgegen § 41 GmbHG habe die Schuldnerin keine doppelte Buchführung besessen. Nach der Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen (im Zuge eines Steuerstrafverfahrens gegen den Ehemann der Beklagten) sei vergeblich versucht worden, eine neue Buchhaltung aufzubauen, was aber nur zu betriebswirtschaftlichen Auswertungen für die Monate Januar bis Mai 1998 geführt habe. Weiter habe die Beklagte selbst vorgetragen, dass die Geschäftsführerin Kr. seit Juli 1998 jede weitere Buchführung unterlassen und darüber hinaus eine Angestellte angewiesen habe, Buchungsvorgänge zu verfälschen und Kassenbücher nachträglich zu ändern. Die Tatsachen, dass teilweise Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden seien und angeblich teilweise ein Kassenbuch geführt worden sei, seien nicht von Belang. Die Geschäftspraxis, Außenstände durch sog. "Inkassofahrer" einzuziehen und diese damit zu betrauen, Gläubigerforderungen bar auszugleichen, habe ebenfalls einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft verhindert und die Abgrenzung ihres Vermögens vereitelt. Bilanzen und Inventare hätten nicht existiert, weshalb das Finanzamt im Oktober 1998 die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO habe ermitteln müssen. Unerheblich sei, dass die Beklagte nur bis 12.1.1998 Geschäftsführerin der Schuldnerin gewesen sei. Denn sie habe während ihrer 2 1/4-jährigen Geschäftsführertätigkeit die Abgrenzung zwischen ihrem und dem Vermögen der Gesellschaft verschleiert. Sie habe sich ihrer Verantwortung nicht dadurch entziehen können, dass sie einen anderen Geschäftsführer bestellt und im Übrigen den Dingen ihren Lauf gelassen habe. Als Alleingesellschafterin habe sie weiterhin eine Garantenstellung ggü. der Gesellschaft gehabt, für eine ordnungsgemäße Buchführung und Bilanzierung zu sorgen. Gegenüber den zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen könne die Beklagte weder die Einrede der Verjährung noch sonstige Einwände erheben. Die meisten Forderungen seien ohnehin schon vor Insolvenzeröffnung rechtskräftig tituliert gewesen; im Übrigen wirke die Rechtskraft der Eintragung in die Tabelle (§ 178 Abs. 3 InsO) entsprechend § 129 Abs. 1 HGB auch ggü. der Beklagten. Sie habe mit ihrer Inanspruchnahme durch den Kläger rechnen und deshalb für einen rechtzeitigen Widerspruch gem. § 178 Abs. 2 Satz 2 InsO - z.B. durch die Geschäftsführerin - sorgen müssen.
III. Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.
1. Entgegen der Ansicht der Revision ist das Berufungsurteil allerdings nicht schon deshalb aufzuheben, weil es die zweitinstanzlichen Parteianträge nicht wiedergibt. Eine wörtliche Wiedergabe ist nicht unbedingt erforderlich, wenn aus dem Zusammenhang noch erkennbar ist, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (BGH v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99 = MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629). Hier lässt sich aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung noch entnehmen, dass die Beklagte in zweiter Instanz weiterhin die Abweisung der Klage in vollem Umfang erstrebt hat.
Auch die tatsächlichen Grundlagen der angefochtenen Entscheidung, die gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die erstinstanzlichen Feststellungen Bezug nimmt, lassen sich aus ihr und dem in Bezug genommenen Parteivortrag noch soweit entnehmen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, BGHZ 158, 60 [62] = MDR 2004, 826 = BGHReport 2004, 759). Das heißt allerdings nicht, dass die Feststellungen ausreichen, um das angefochtene Urteil zu tragen (dazu unten 3).
2. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger als Insolvenzverwalter entsprechend § 93 InsO befugt ist, eine etwaige Durchgriffshaftung der Beklagten für die Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin (§ 128 HGB analog) klageweise geltend zu machen. Die entsprechende Grundsatzfrage ist inzwischen durch das Urteil des BAG vom 14.12.2004 (BAG, Urt. v. 14.12.2004 - 1 AZR 104/03, ZIP 2005, 1174) geklärt. Danach kann die etwaige persönliche Haftung eines GmbH-Gesellschafters, der wegen "existenzvernichtender Eingriffe" in das Gesellschaftsvermögen das Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG verloren hat (dazu BGH v. 24.6.2002 - II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder = BGHReport 2002, 879 m. Anm. Römermann), während eines laufenden Insolvenzverfahrens entsprechend § 93 InsO nur von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, um eine gleichmäßige Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger aus dem vorhandenen Vermögen des persönlich haftenden Gesellschafters zu gewährleisten. Im gleichen Sinn hat der Senat für Altfälle vor In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung entschieden (BGH v. 24.6.2002 - II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 [187] = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder = BGHReport 2002, 879 m. Anm. Römermann; Urt. v. 25.7.2005 - II ZR 390/03, BGHReport 2005, 1449 m. Anm. Ringstmeier = GmbHR 2005, 1425 m. Anm. Wackerbarth = ZIP 2005, 1734). Für den im vorliegenden Fall geltend gemachten Haftungsdurchgriff wegen angeblicher Vermögensvermischung gilt nichts anderes, zumal in solchem Fall nach ständiger Rechtsprechung des Senates die §§ 128 f. HGB entsprechend anzuwenden sind (BGH v. 16.9.1985 - II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 [332] = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78) und schon dies zur entsprechenden Anwendung des § 93 InsO führen muss.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich aus § 93 InsO nicht, dass der Gesetzgeber damit nur die Fälle einer unmittelbaren, nicht aber diejenigen einer analogen Anwendung des § 128 HGB regeln wollte, obwohl in diesen Fällen der Sinn und Zweck des § 93 InsO in gleicher Weise eingreift und es insolvenzrechtlich keinen Unterschied macht, ob die Haftung eines Gesellschafters für die Gesellschaftsverbindlichkeiten aus einer direkten oder einer analogen Anwendung des § 128 HGB folgt (BAG, Urt. v. 14.12.2004 - 1 AZR 104/03, ZIP 2005, 1174).
Ohne Erfolg beruft sich die Revision auf das Urteil des BGH vom 4.7.2002 (BGH, Urt. v. 4.7.2002 - IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 ff. = BGHReport 2002, 905 = MDR 2002, 1336), wonach die Ermächtigung des Insolvenzverwalters nach § 93 InsO sich "nur auf Ansprüche aus der gesetzlichen akzessorischen Gesellschafterhaftung erstreckt". Eine "gesetzliche" Haftung dieser Art besteht auch bei analoger Anwendung des § 128 HGB. Diese Vorschrift schließt auch die Haftung des Gesellschafters für Steuerschulden der Gesellschaft ein (Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 128 Rz. 2). Allerdings hindert die Sperrwirkung des § 93 InsO die Finanzverwaltung nicht, eine mit § 128 HGB konkurrierende, in einem eigenständigen Tatbestand erfasste Haftung eines geschäftsführenden Gesellschafters wegen Verletzung steuerrechtlicher Pflichten gem. §§ 34, 69 AO mit Haftungsbescheid gegen diesen Gesellschafter während des laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft geltend zu machen (BGH, Urt. v. 4.7.2002 - IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 [251 ff.] = BGHReport 2002, 905 = MDR 2002, 1336; BFH, Beschl. v. 2.11.2001 - VII B 155/01, ZIP 2002, 179). Nach eigenem Vortrag der Beklagten ist jedoch gegen sie in ihrer Eigenschaft als ehemalige Geschäftsführerin der Schuldnerin ein Haftungsbescheid der Finanzverwaltung nicht ergangen und kann wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO auch nicht mehr ergehen. Das berührt eine etwaige Haftung der Beklagten für die Steuerschulden der Gemeinschuldnerin entsprechend § 128 HGB indes nicht und führt - entgegen der Ansicht der Beklagten - gerade dazu, dass es auch insoweit bei der Klagebefugnis des Klägers entsprechend § 93 InsO verbleibt (Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 93 Rz. 18b).
3. Zu Recht rügt die Revision indessen, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Durchgriffstatbestand nicht rechts- und verfahrensfehlerfrei festgestellt hat.
a) Nach der Rechtsprechung des Senates kommt eine persönliche Haftung von GmbH-Gesellschaftern in Betracht, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf andere Weise verschleiert worden ist und deshalb die Kapitalerhaltungsvorschriften, deren Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich für die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG) ist, nicht funktionieren können (BGH v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [368] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997, m.w.N.). Insoweit handelt es sich im Grundsatz um einen auch im Schrifttum weithin anerkannten, wenn auch in Einzelheiten nicht unumstrittenen Durchgriffstatbestand (Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., § 13 Rz. 112; Altmeppen, ZIP 2002, 1553 [1557 ff.]; Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl., § 13 Rz. 86; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 13 Rz. 141; Ulmer/Raiser, GmbHG, § 13 Rz. 126 ff.), der durch die neuere Rechtsprechung des Senates zur Haftung eines GmbH-Gesellschafters wegen "existenzvernichtender Eingriffe" in das Gesellschaftsvermögen (BGH v. 17.9.2001 - II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 [16 f.] = MDR 2001, 1423 = AG 2002, 43 = GmbHR 2001, 1036 = BGHReport 2001, 917; v. 24.6.2002 - II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 [186 ff.] = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder = BGHReport 2002, 879 m. Anm. Römermann; Urt. v. 13.12.2004 - II ZR 206/02, MDR 2005, 343 = BGHReport 2005, 436 m. Anm. Mellert = GmbHR 2005, 225 m. Anm. Schröder; Urt. v. 13.12.2004 - II ZR 256/02, BGHReport 2005, 640 = GmbHR 2005, 299 = ZIP 2005, 117 [250]) nicht überholt ist. Denn es handelt sich hier um Fälle, in denen eine Kontrolle über die Verwendung des haftenden Gesellschaftsvermögens vereitelt wird (BGH v. 16.9.1985 - II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 [334] = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78). Das kann insb. dann in Betracht kommen, wenn es an einer Buchführung überhaupt fehlt (BGH v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [368] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997).
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt aber dafür nicht schon das Fehlen einer "doppelten Buchführung" gem. §§ 41 GmbHG, 238 HGB, solange sich die Vermögenszuflüsse und -abflüsse sowie die Trennung von Gesellschafts- und Privatvermögen der Gesellschafter noch aufgrund sonstiger vorhandener Unterlagen nachvollziehen lassen. Die Buchführungspflicht obliegt gem. § 41 GmbHG dem Geschäftsführer; ihre Verletzung kann Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihn aus § 43 Abs. 2 GmbHG auslösen (BGH, Urt. v. 9.5.1974 - II ZR 50/72, DB 1974, 1619; Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., § 41 Rz. 11), führt aber noch nicht ohne weiteres zu einer Durchgriffs- oder sonstigen Außenhaftung des Gesellschafters ggü. den Gesellschaftsgläubigern (BGH v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [377 ff.] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997). Haftungsgrund hierfür ist nicht die mangelhafte Buchführung, sondern der Tatbestand der von dem Gesellschafter zu verantwortenden, die Kapitalschutzvorschriften missachtenden "Vermögensvermischung". Ergibt sich unter diesen Voraussetzungen eine Unkontrollierbarkeit der Zahlungsvorgänge mit der Folge, dass die Vermögensmassen der Gesellschaft und des Gesellschafters nicht mehr unterschieden werden können, greift die Haftung des Gesellschafters ein. Darlegungs- und beweispflichtig dafür ist im Grundsatz der klagende Insolvenzverwalter, dem allerdings die Grundsätze über die sekundäre Behauptungslast zugute kommen, weil sich der Gesellschafter als derjenige, der die Verhältnisse der Gesellschaft kennen muss, nicht auf ein pauschales Bestreiten zurückziehen darf.
Wie die Revision zu Recht rügt, würdigt das Berufungsgericht das seiner Entscheidung zugrunde gelegte Vorbringen der Beklagten nur selektiv und unvollständig. Nach ihrem Vortrag gab es bei der Gemeinschuldnerin für die Jahre bis Ende 1997 Kassenbücher, Kassenordner und Umsatzsteuervoranmeldungen. Diese und zahlreiche andere Geschäftsunterlagen wurden im Zuge einer Steuerfahndung im November 1997 beschlagnahmt, wie sich aus dem vorgelegten Sicherstellungsprotokoll ergibt. Weder die vorinstanzlichen Gerichte noch auch nur der Kläger haben diese Unterlagen, die sich bei der Staatsanwaltschaft befinden sollen, überprüft bzw. sachverständig überprüfen lassen, obwohl die Beklagte eine unkontrollierbare Vermögensvermischung unter Hinweis auf die genannten Unterlagen bestritten und deren Beiziehung beantragt hat. Weiter hat sich die Beklagte auf das Vorhandensein betriebswirtschaftlicher Auswertungen für die Monate Januar bis Mai 1998 berufen, die sich bei den Akten eines Strafverfahrens gegen ihren Ehemann befänden. Auch diese Unterlagen durfte das Berufungsgericht nicht ohne deren Prüfung als unzureichend qualifizieren (§ 286 ZPO).
c) Soweit das Berufungsgericht der Beklagten Buchführungsversäumnisse in der Zeit nach ihrem Ausscheiden als Geschäftsführerin anlastet und ihr in diesem Zusammenhang auch Buchungsverfälschungen sowie die Abzweigung von Gesellschaftsmitteln durch die Geschäftsführerin Kr. zurechnet, überspannt es die Verantwortlichkeit der Beklagten. Die Durchgriffshaftung wegen Vermögensvermischung ist keine Zustands-, sondern eine Verhaltenshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs (Altmeppen, ZIP 2002, 1553 [1557]). Sie trifft einen Gesellschafter nur, wenn er aufgrund des von ihm wahrgenommenen Einflusses als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortlich ist (BGH v. 13.4.1994 - II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 [368] = GmbHR 1994, 390 = MDR 1994, 997). Wollte man anders entscheiden, liefe dies darauf hinaus, dass der durch einen ungetreuen Geschäftsführer geschädigte Gesellschafter neben dem Schaden "seiner" Gesellschaft auch noch die Folgen einer Durchgriffshaftung zu tragen hätte. Ein GmbH-Gesellschafter ist gem. § 46 Nr. 6 GmbHG im eigenen Interesse zur Überwachung der Geschäftsführung berechtigt, nicht aber dazu im Interesse der Gläubiger verpflichtet. Die Tatsache allein, dass sich ein Gesellschafter besser hätte informieren und dann hätte intervenieren können, begründet noch keine Haftung. Allenfalls § 826 BGB kommt in Betracht, wenn ein Gesellschafter sehenden Auges eine Gläubigerschädigung durch den Geschäftsführer geschehen lässt (Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 46 Rz. 113).
Mit dem Sachvortrag der Beklagten nicht in Einklang steht die Argumentation des Berufungsgerichts, die Beklagte habe sich ihrer Verantwortung für die während ihrer Geschäftsführertätigkeit praktizierte Vermögensvermischung nicht dadurch entziehen können, dass sie einen anderen Geschäftsführer bestellt und im Übrigen den Dingen ihren Lauf gelassen habe. Abgesehen davon, dass von einer unkontrollierbaren Vermögensvermischung während der Geschäftsführertätigkeit der Beklagten nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgegangen werden kann (vgl. oben 3b), fiel der Geschäftsführerwechsel, der nach dem Vortrag der Beklagten wegen ihrer Auslastung mit der Betreuung ihrer beiden Kinder erfolgte, in die Zeit kurz nach Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen. Dadurch wurde die Buchführung erschwert. Gegen die angebliche Fortsetzung eines objektiv rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Beklagten spricht, dass der Nachfolgegeschäftsführer T. offenbar angehalten wurde, eine neue Buchhaltung aufzubauen, woraus auch die bereits an anderer Stelle erwähnten betriebswirtschaftlichen Auswertungen für die Monate Januar bis Mai 1998 herrühren. Wegen des erneuten Geschäftsführerwechsels soll der Konsolidierungsversuch ins Stocken geraten sein. Jedenfalls ging damit die Primärverantwortung für eine ordnungsgemäße Buchführung gem. §§ 41 GmbHG, 238 HGB auf die Geschäftsführerin Kr. über. Sie soll nach dem unter Beweis gestellten - von dem Berufungsgericht wiederum nur selektiv gewürdigten - Vortrag der Beklagten in der "Klageerwiderung" (gemeint ist offenbar die Gegenäußerung auf das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers) durch den Zeugen T. eingearbeitet und von ihm sowie von dem Steuerberater der Schuldnerin mehrfach eindringlich ermahnt worden sein, die Buchhaltung sorgfältiger zu führen. Unterließ sie dennoch später jede weitere Buchführung, so rechtfertigt dies noch nicht die Annahme eines Rechtsformmissbrauchs auf Seiten der Beklagten, solange nicht nachgewiesen ist, dass sie diese Untätigkeit veranlasst oder gefördert oder durch verdeckte Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen hiervon profitiert hat. Nach dem zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten soll im Übrigen, worauf die Revision hinweist, die Geschäftsführerin Kr. vorhandene Buchführungsunterlagen bei ihrem Ausscheiden mitgenommen haben, um ihre Machenschaften zu verdecken.
d) Nach allem kann das angefochtene Urteil wegen unzureichender Feststellungen zum Haftungsgrund nicht bestehen bleiben. Eine abschließende Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat verwehrt, weil es dazu noch der im Einzelnen genannten tatrichterlichen Feststellungen bedarf.
Entgegen der Ansicht der Revision ist die Sache auch nicht deshalb zugunsten der Beklagten entscheidungsreif, weil nach den Ausführungen des Klägers in dem von ihm vorgelegten Insolvenzgutachten die Geschäfte der Schuldnerin faktisch von dem Ehemann der Beklagten geführt worden sein sollen. Ließ die Beklagte als Alleingesellschafterin der Schuldnerin zu, dass ihr Ehemann als faktischer Geschäftsführer agierte und eine Vermischung des Gesellschafts- mit seinem und ihrem Vermögen praktizierte, so wäre sie dafür auch verantwortlich. Durch eine interne Aufteilung der Funktionen eines Alleingesellschafters und eines von ihm eingesetzten faktischen Geschäftsführers kann eine Durchgriffshaftung des Gesellschafters nicht verhindert werden. Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht aber nicht getroffen.
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die noch erforderlichen Feststellungen zu treffen.
IV. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte sich eine Durchgriffshaftung der Beklagten dem Grunde nach ergeben, können ihr - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - Einwände gegen die von dem Kläger geltend gemachten Forderungen der Insolvenzgläubiger nicht schon wegen der Rechtskraftwirkung der Eintragung in die Insolvenztabelle gem. § 178 Abs. 3 InsO i.V.m. § 129 Abs. 1 HGB abgeschnitten werden. Zwar gilt § 129 Abs. 1 HGB im Fall der Durchgriffshaftung eines GmbH-Gesellschafters entsprechend (BGH v. 16.9.1985 - II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 = AG 1986, 15 = GmbHR 1986, 78). Er darf aber nicht schlechter gestellt werden als ein gem. § 128 HGB haftender Personengesellschafter, der nach dem Senatsurteil vom 30.1.1961 (BGH, Urt. v. 30.1.1961 - II ZR 98/59, KTS 1961, 72 [74] = WM 1961, 429) zur Gewährung rechtlichen Gehörs an den Forderungsfeststellungsverfahren zu beteiligen ist und Gelegenheit haben muss, der Forderungsanmeldung mit Wirkung für seine persönliche Haftung zu widersprechen (Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 209 Rz. 22, m.w.N.). Das gilt auch im Rahmen des § 93 InsO (Brandes in MünchKomm/InsO, § 93 Rz. 31, m.w.N.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl. Rz. 31.18). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte zur Zeit des ersten Prüftermins im Insolvenzverfahren im Mai 2000 ihre spätere Inanspruchnahme durch den Kläger vorhersehen konnte und sie deshalb für ihre Beteiligung an dem Feststellungsverfahren selbst hätte sorgen können und müssen. Zwar war ein Großteil der geltend gemachten Forderungen schon vor Insolvenzeröffnung rechtskräftig tituliert. Diese können von der Beklagten entsprechend § 129 Abs. 1 HGB nicht mehr bestritten werden (zu Steuerforderungen vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 179 Rz. 22). Hinsichtlich der übrigen Forderungen kann sich der Kläger ggü. der Beklagten aber auf die Feststellungswirkung des § 178 Abs. 3 InsO i.V.m. § 129 Abs. 1 HGB nicht berufen, weil andernfalls Art. 103 Abs. 1 GG verletzt würde.
2. Der Umfang der von dem Kläger entsprechend § 93 InsO geltend zu machenden Forderungen beschränkt sich im Ergebnis auf den Betrag, der zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Eine etwa vorhandene Masse ist abzusetzen (Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 93 Rz. 23; Brandes in MünchKomm/InsO, § 93 Rz. 25; Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 93 Rz. 21 f., 32), wie die Revision zu Recht rügt.
Fundstellen
Haufe-Index 1487688 |
BGHZ 2006, 85 |
BB 2006, 961 |
DB 2006, 604 |
DStR 2006, 808 |
DStZ 2006, 280 |
NJW 2006, 1344 |
BGHR 2006, 589 |
KTS 2007, 65 |
NZG 2006, 350 |
WM 2006, 573 |
WuB 2006, 477 |
ZAP 2006, 634 |
ZIP 2006, 467 |
DNotZ 2006, 367 |
DZWir 2006, 370 |
InVo 2006, 275 |
KÖSDI 2006, 15036 |
MDR 2006, 880 |
NZI 2006, 365 |
NZI 2007, 39 |
VersR 2006, 1259 |
ZInsO 2006, 328 |
ZInsO 2007, 507 |
BKR 2006, 207 |
GmbHR 2006, 426 |
NJW-Spezial 2006, 268 |
ZBB 2006, 206 |
ZNotP 2006, 194 |
ZVI 2006, 49 |