Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berechnung der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge
Leitsatz (amtlich)
Bei Auszahlung von Nettolohnbeträgen ist der Umfang der vom Arbeitgeber einbehaltenen Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge auch dann nach dem Bruttolohnbetrag zu berechnen, wenn die finanziellen Mittel des Arbeitgebers nur noch zur Auszahlung des Nettolohns ausreichen.
Normenkette
RVO § 529 Abs. 1, § 1428 Abs. 1; AFG § 225 Abs. 1; AVG § 150 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München II (Entscheidung vom 02.04.1981; Aktenzeichen 1 KLs 72 Js 12093/77) |
Gründe
Das Landgericht München II hat den Angeklagten am 2. April 1981 wegen vier rechtlich zusammentreffender Vergehen der Beitragsvorenthaltung unter Einbeziehung der vom Landgericht Kassel am 20. September 1979 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und das vom Landgericht Kassel ausgesprochene Berufsverbot aufrechterhalten. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die dieses Urteil mit der Sachrüge angreift, hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Firma B.u.S. F Nachfolger GmbH. Als diese Firma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, entschloß er sich, so lange nicht mehr Geld als zur Auszahlung der Nettolöhne an die Arbeitnehmer zur Verfügung stehen würde, keine Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherungen abzuführen. Er war sich dabei darüber klar, daß er bei Fehlen weitergehender Mittel die Arbeitnehmernettolöhne hätte entsprechend kürzen und die darauf entfallenden Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung abführen müssen (UA S. 5). In Ausführung dieses Entschlusses führte er für die Monate Dezember 1976 und Januar 1977 keine Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherungsträger ab (UA S. 6-8).
Die Höhe der dem Angeklagten strafrechtlich zurechenbaren Beitragsvorenthaltung hat das Landgericht nicht aus dem geschuldeten Bruttolohn, sondern aus dem tatsächlich ausgezahlten Entgelt berechnet (UA S. 9). Das wird von der Staatsanwaltschaft zu Recht beanstandet.
a) Einbehalten im Sinne der §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, 150 Abs. 1 AVG, 225 Abs. 1 AFG sind die Beitragsteile regelmäßig dann, wenn der Arbeitgeber die vertragliche Vergütung der Arbeitnehmer im Hinblick auf deren Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsleistungen um die entsprechenden Beiträge gekürzt auszahlt (vgl. RGSt 40, 42, 43; RG EuM 24, 298; BayObLGSt 1952, 178). Wenn ein Arbeitgeber daher den Arbeitnehmern nur den Nettolohn auszahlt (vgl. §§ 394, 397 RVO, 179 AFG, 119 AVG), so wird das vom Gesetz so angesehen, als hätten diese den Bruttolohn erhalten, ihre Beitragsanteile zur Sozialversicherung aber dem Arbeitgeber zur Weiterleitung an die Kassen der Sozialversicherung zurückgezahlt (BGH VersR 1963, 1034, 1035; Betrieb 1975, 1466, 1467).
Daraus folgt, daß der tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt, auf den es für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ankommt, der vom Arbeitnehmer erhaltene Betrag zuzüglich der vom Arbeitgeber zur Zahlung an die Kasse übernommenen Beitragsteile ist (RGSt 40, 42, 43; BayObLGSt 1952, 178). Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. April 1976 (1 StR 65/76; vgl. auch RGSt 30, 161, 162), auf die sich das Landgericht beruft, ergibt sich keine andere Beurteilung. Dort ist vielmehr nur dargelegt, daß der Arbeitgeber, wenn er nicht mehr in der Lage ist, die Arbeitnehmer zu entlohnen und zugleich die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, den auszuzahlenden Lohn entsprechend kürzen muß. Gerade eine solche Kürzung des Nettolohns hat der Angeklagte aber nach den Feststellungen nicht vorgenommen, weil er die Folgen einer solchen Maßnahme fürchtete (UA S. 5,6). Er kann sich daher nicht darauf berufen, weitere Geldmittel seien ihm nicht zur Verfügung gestanden (RGSt 30, 161, 162; BayObLG EuM 26, 125, 126; OLG Hamburg NJW 1953, 1807; vgl. auch RGSt 25, 194, 195).
Eine Berechnung der vorenthaltenen Beiträge aus dem ausgezahlten Nettolohn läßt sich demgegenüber auch nicht mit den Tatbeständen der §§ 529 Abs. 1, 1428 Abs. 1 RVO, 150 Abs. 1 AVG, 225 Abs. 1 AFG in Einklang bringen. Denn damit legt das Landgericht dem Angeklagten die Vorenthaltung von Beiträgen zur Last, die er gerade nicht einbehalten hat; das in allen angewandten Vorschriften enthaltene Tatbestandsmerkmal des Einbehaltens wäre damit nicht erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1952 - 2 StR 219/51; RGSt 39, 333, 335; 65, 398).
b) Darüber zu entscheiden, wie der Fall zu beurteilen ist, daß der Arbeitgeber nur noch geringe Abschlagzahlungen auf den Lohn leisten kann, die gerade den notwendigen Lebensbedarf des Arbeitnehmers decken, gibt der festgestellte Sachverhalt keinen Anlaß (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. April 1954 - 1 StR 565/53 - bei Herlan GA 1955, 81).
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils. Aus dessen Gründen läßt sich noch hinreichend deutlich entnehmen, daß der Angeklagte annahm, er sei in Anbetracht seiner finanziellen Notlage nur in der Höhe zu Beitragsabführungen an die Sozialversicherungsträger verpflichtet gewesen, wie sie sich bei einer Berechnung aus dem Nettolohn ergeben würden. Der weitergehende Schuldvorwurf war damit nicht von seinem Vorsatz umfaßt.
Fundstellen
BGHSt 30, 265-267 (LT1) |
BGHSt, 265 |
BB 1982, 313-313 (L1) |
NJW 1982, 588 |
NJW 1982, 588-589 (LT1) |
LM RVO § 529, Nr. 1 (LT1) |
NStZ 1982, 118-119 (LT1) |
NStZ 1982, 471-471 (LT1) |
wistra 1982, 73-73 (LT1) |
MDR 1982, 245-245 (LT1) |