Leitsatz (amtlich)
Erteilt der Schuldner innerhalb des Zeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO einem Frachtführer unter Überlassung des Transportgutes einen neuen Frachtauftrag, gilt der Erwerb des Frachtführerpfandrechts auch für offene unbestrittene Altforderungen aus früheren Transportgeschäften als kongruent.
Normenkette
InsO § 131; HGB § 441
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 31.07.2001) |
LG Bonn |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 31. Juli 2001 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die ein Fuhrunternehmen betreibt, transportierte für H. H. (nachfolgend: Schuldner) Waren. Zuletzt blieben 17 Rechnungen der Klägerin, die vom 31. März bis 31. August 2000 datieren und zwischen dem 17. März und dem 29. August 2000 durchgeführte Transporte betreffen, im Gesamtbetrag von 19.359,40 DM offen.
Am 18. August 2000 beantragte ein Gläubiger des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Davon erfuhr die Klägerin zunächst nichts. Am 28. August 2000 übernahm sie aufgrund eines neuerlichen Transportauftrags Ware des Schuldners. Diesen Transport führte sie vorerst nicht aus, weil sie inzwischen von der am 29. August 2000 erfolgten Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter Kenntnis erhalten hatte. Die Klägerin berief sich dem Beklagten gegenüber darauf, ihr stehe im Hinblick auf die offenen 17 Rechnungen ein Frachtführerpfandrecht an der am 28. August 2000 übernommenen Ware zu; der Beklagte hielt dem entgegen, die Klägerin habe das Pfandrecht in anfechtbarer Weise erlangt. Schließlich einigten sich die Parteien, daß sich das Pfandrecht – vorbehaltlich der von dem Beklagten ausgesprochenen Anfechtung – an dem von dem Empfänger der Ware zu zahlenden Kaufpreis fortsetzen solle, worauf die Klägerin am 20. September 2000 die Ware an den Empfänger lieferte. Das Entgelt für diesen Transport hat der Beklagte aus der Masse bezahlt. Der an den Beklagten gezahlte Kaufpreis des Transportguts übersteigt den Gesamtbetrag der offenen Forderungen der Klägerin. Am 1. November 2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin den Beklagten als Insolvenzverwalter auf Zahlung von 19.359,40 DM nebst Zinsen in Anspruch. Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit seiner – zugelassenen – Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, der Klägerin habe an dem von ihr transportierten Frachtgut ein zur abgesonderten Befriedigung berechtigendes Pfandrecht gemäß § 441 HGB n.F. zugestanden. Nach Ablieferung des Frachtguts durch die Klägerin habe sich das Pfandrecht – vorbehaltlich der von dem Beklagten erklärten Anfechtung – „entsprechend der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung im Wege der Surrogation an dem erzielten Erlös fortgesetzt”.
Rechtsgeschäftliche Surrogate eines Pfandgegenstands begründen indes nur ausnahmsweise ein Absonderungsrecht (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49-52 Rn. 68). Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor. Mit der Ablieferung des Frachtguts ist das Frachtführerpfandrecht erloschen. Die der Ablieferung vorausgegangene Abrede der Parteien vom September 2000 enthielt jedoch eine Verpfändung des Anspruchs auf den Erlös, die unter der Bedingung erfolgte, daß bis zur Ablieferung ein unanfechtbares Frachtführerpfandrecht der Klägerin bestand. Mit der Einziehung des Erlöses durch den Beklagten entstand für die Klägerin ein Ersatzabsonderungsrecht entsprechend § 48 InsO. Nach dem beiderseitigen Vortrag ist anzunehmen, daß der Erlös auf einem der von dem Beklagten geführten Konten noch unterscheidbar vorhanden ist. Dafür genügt es, daß der Eingang durch Buchungen belegt (vgl. BGHZ 141, 116, 120 ff) und der positive Kontensaldo nicht durch Abbuchungen unter den Betrag der beanspruchten Leistung abgesunken ist.
II.
Die Parteien streiten ausschließlich darüber, ob vor der Ablieferung des Frachtguts ein unanfechtbares Frachtführerpfandrecht der Klägerin bestand. Insofern hat das Berufungsgericht ausgeführt:
Die Vorschrift des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO greife nicht ein. Die Klägerin habe keine inkongruente Deckung erlangt. Zwar habe sie am 28. August 2000 keinen Anspruch darauf gehabt, daß ihr Ware überlassen werde, um daran zur Abdeckung ihrer Altforderungen ein Pfandrecht gemäß § 441 HGB n.F. zu erwerben. Da jedoch die gesetzlichen Pfandrechte „automatisch”, mit dem bloßen Besitzerwerb, entstünden, obwohl in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle kein Sicherungsanspruch bestehe, sei daraus zu schließen, daß der Gesetzgeber die Gläubiger eines gesetzlichen Pfandrechts – also auch den Frachtführer – für besonders schutzwürdig erachte. Deshalb müsse die Sicherung anfechtungsrechtlich als kongruent angesehen werden, zumal sie in der Regel aufgrund alltäglicher Vorgänge entstehe, die nicht den Verdacht erweckten, einen Insolvenzgläubiger vor den anderen zu bevorzugen.
Eine Anfechtbarkeit gemäß § 130 InsO scheide aus, weil nicht feststehe, daß die Klägerin zum Zeitpunkt des Rechtserwerbs die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder den Eröffnungsantrag gekannt habe.
III.
Die Revision nimmt dieses Urteil hin, soweit die Voraussetzungen einer Anfechtung gemäß § 130 InsO abgelehnt worden sind, und greift nur die Ausführungen zu § 131 InsO an. Insofern hält das Berufungsurteil jedoch einer rechtlichen Überprüfung stand. Das von der Klägerin erlangte Frachtführerpfandrecht gemäß § 441 Abs. 1 HGB n.F. ist auch insoweit, als es Altforderungen sichert – das sind solche, die mit dem Frachtvertrag, zu dessen Erfüllung die Klägerin das Frachtgut übernommen hat, nichts zu tun haben und unbestritten sind –, nicht als inkongruente Deckung anfechtbar.
1. Nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO könnte die am 28. August 2000 im Einverständnis mit dem Schuldner erfolgte Inbesitznahme des Frachtguts durch die Klägerin zwar eine anfechtbare Rechtshandlung sein. Sie erfolgte nach dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und gewährte der Klägerin, einer Insolvenzgläubigerin, eine Sicherung, ohne daß die Klägerin zuvor einen Sicherungsanspruch gehabt hätte.
2. Indes hat das Berufungsgericht aus dem Schutzzweck des gesetzlichen Frachtführerpfandrechts mit Recht gefolgert, daß die das Pfandrecht begründende Inbesitznahme keine inkongruente Deckung darstellt.
a) Da das Entstehen eines gesetzlichen Pfandrechts nicht voraussetzt, daß der Begünstigte zuvor einen Sicherungsanspruch hatte, kann nicht schon das Fehlen dieses Sicherungsanspruchs zur Anfechtbarkeit der erlangten Sicherung führen. Andernfalls wäre das gesetzliche Pfandrecht, soweit es innerhalb der in § 131 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO genannten Fristen entsteht, durchweg anfechtbar. Das würde die Sicherheit in einer Weise entwerten, die der Gesetzgeber – wie sich aus § 50 Abs. 1 InsO ergibt – ersichtlich nicht gewollt hat.
b) Die Verschärfung des Anfechtungsrechts bei inkongruenten Deckungen soll solche Deckungen erfassen, die im Hinblick auf die nahe bevorstehende Insolvenz besonders verdächtig sind (BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 – IX ZR 337/97, ZIP 1998, 2008, 2011; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 1; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rn. 185, 224). Das gesetzliche Frachtführerpfandrecht (§ 441 Abs. 1 HGB n.F.) fällt nicht darunter.
aa) Dies gilt ohne weiteres, soweit konnexe Forderungen gesichert werden, also solche, die aus dem zugrundeliegenden Frachtauftrag herrühren.
Aus dem Umstand, daß die gesetzlichen Pfandrechte nach § 50 Abs. 1 InsO ein insolvenzbeständiges Absonderungsrecht begründen, hat das Schrifttum gefolgert, sie sollten als von Anfang an durch den zugrundeliegenden Vertrag gerechtfertigt gelten, also anfechtungsrechtlich unverdächtig sein (MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 24; ähnlich Nerlich/Römermann, InsO § 131 Rn. 36; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 130 Rn. 8; FK-Dauernheim, 3. Aufl. § 131 Rn. 21; zum früheren Recht vgl. Jaeger/Henckel, § 30 KO Rn. 224; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rn. 53 a, 53 b; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 30 KO Anm. 20). Durch dessen Durchführung erlangt der Schuldner einen Vorteil, weil der Wert der transportierten Ware zunimmt, wenn sie dorthin verbracht wird, wo sie benötigt wird, oder weil die Fälligkeit einer dem Schuldner zustehenden Forderung davon abhängt, daß er die Gegenleistung erbringt, indem er eine Ware ausliefert. Vielfach profitiert von diesem Vorteil auch noch die Masse.
bb) Kongruent ist das gesetzliche Frachtführerpfandrecht aber auch insoweit, als es – wie im Streitfall – inkonnexe Forderungen sichert.
Mit diesem Problem haben sich Rechtsprechung und Schrifttum bislang noch nicht befaßt, weil die meisten gesetzlichen Pfandrechte nur konnexe Forderungen abdecken.
Gemäß § 562 Abs. 1 BGB n.F. hat der Vermieter „für seine Forderungen aus dem Mietverhältnis” ein Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters. Forderungen aus früheren Mietverhältnissen erfaßt das Pfandrecht somit nicht. Entsprechendes gilt für den Verpächter (§§ 581 Abs. 2, 592 BGB n.F.). Gemäß § 647 BGB hat der Unternehmer ein Pfandrecht „für seine Forderungen aus dem Vertrag” an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers, wenn sie bei der Herstellung oder zum Zwecke der Ausbesserung in seinen Besitz gelangt sind. Gesichert werden nur Forderungen aus dem aktuellen Vertrag, nicht solche aus früheren Verträgen (BGHZ 87, 274, 280; Staudinger/Peters, BGB 13. Bearb. § 647 Rn. 3; BGB-RGRK/Glanzmann, 12. Aufl. § 647 Rn. 2).
Andererseits sichert das gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs (§ 397 HGB) unter anderem alle Forderungen „aus laufender Rechnung in Kommissionsgeschäften”, also auch solche aus anderen Kommissionsgeschäften (Baumbach/Hopt, HGB 30. Aufl. § 397 Rn. 4). Ferner sichern die gesetzlichen Pfandrechte des Spediteurs (§ 464 HGB n.F.), Lagerhalters (§ 475 b HGB n.F.) und Frachtführers (§ 441 HGB n.F.) neuerdings nicht nur die aus dem zugrundeliegenden Vertrag stammenden Forderungen, sondern darüber hinaus alle unbestrittenen Forderungen aus Lager-, Fracht- und Speditionsgeschäften mit dem Vertragspartner. Insofern hat das Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz – TRG) vom 25. Juni 1998 (BGBl. I 1588, berichtigt BGBl. 1999 I 42) die Rechtslage verändert (vgl. §§ 410, 421, 440 HGB a.F.).
Der Gedanke, das gesetzliche Pfandrecht werde von Anfang an durch den zugrundeliegenden Vertrag gerechtfertigt, kann hier nicht fruchtbar gemacht werden. Der Schuldner hat keinen Vorteil davon, daß dem Frachtführer im nachhinein für seine Forderungen aus bereits ausgeführten Transporten eine Sicherung zuwächst.
Indes ergibt sich die anfechtungsrechtliche Unverdächtigkeit gerade des Frachtführerpfandrechts – auch soweit es inkonnexe Forderungen sichert – aus einer spezifisch transportrechtlichen Sicht.
Nach der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des Transportrechtsreformgesetzes (BR-Drucks. 368/97 S. 79) wurde die – im Vergleich zum früheren Recht – beabsichtigte Ausdehnung des Frachtführerpfandrechts auf inkonnexe Forderungen gegenüber demselben Absender insbesondere im Hinblick auf die wachsende Umlaufgeschwindigkeit der Güter und die Tatsache, daß eine Rechnungsstellung durch den Frachtführer im Regelfall erst dann erfolgt, wenn dieser bereits wieder den Besitz an dem Gut verloren hat, gerechtfertigt. Zu dem zuletzt genannten Gesichtspunkt wurde darauf hingewiesen, daß das gesetzliche Frachtführerpfandrecht in vielen Fällen leerlaufe, soweit es auf konnexe Forderungen beschränkt bleibe. Durch die Neuregelung werde erreicht, daß der Frachtführer bei laufenden Geschäftsbeziehungen mit einem Absender seine durch laufende Rechnung aufgelaufenen Forderungen im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Absenders dinglich abgesichert wisse. Damit werde seinem berechtigten Sicherungsinteresse hinsichtlich aller nicht beglichenen Forderungen aus Frachtverträgen mit demselben Absender Rechnung getragen (wegen der entsprechenden Erwägungen zu § 463 und § 475 a HGB n.F. vgl. BR-Drucks. 368/97 S. 113 und 122).
Würde die Überlassung des Frachtguts an den Frachtführer, die dessen Pfandrecht zur Entstehung bringt, als inkongruente Deckung qualifiziert, wäre jene immer – selbst wenn der Frachtführer (wie vorliegend) Zahlungseinstellung und Insolvenzantrag nicht kennt – anfechtbar, sofern sie in die Zeiträume gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO fällt. Insofern liefe das Frachtführerpfandrecht für inkonnexe Forderungen in der Tat leer. Im übrigen gibt es im Transportrecht besondere Sachgründe, die das Entstehen eines gesetzlichen Pfandrechts des Frachtführers für seine Forderungen aus früheren Transportverträgen als anfechtungsrechtlich unverdächtig erscheinen lassen. Neben der bereits in der Amtlichen Begründung hervorgehobenen Umlaufgeschwindigkeit der Güter gehört dazu insbesondere das praktisch häufige Vorliegen einer Transportkette. Vielfach werden Güter nicht nur von einem Frachtführer transportiert, sonden es sind mehrere hintereinandergeschaltet. Dem trägt das Gesetz in §§ 442 Abs. 1, 443 Abs. 1 HGB n.F. Rechnung. Der rasche Umlauf der Güter ist hier nur gewährleistet, wenn jeder Frachtführer davon ausgehen kann, daß er mit der Übergabe an seinen Nachfolger seiner Rechte nicht verlustig geht (vgl. Baumbach/Hopt, § 442 HGB Rn. 1). Deswegen ist das Frachtführerpfandrecht kein Besitzpfandrecht mehr. Sind aber mehrere hintereinandergeschaltete Frachtführer wegen ihrer verschiedenen Forderungen gesichert, obwohl nur das letzte Glied der Frachtführerkette das Frachtgut im Besitz hat, ist es lediglich konsequent, daß sich das Pfandrecht auf frühere unbestrittene Forderungen desselben Frachtführers erstreckt.
Schließlich kann bei der Qualifizierung des Frachtführerpfandrechts als kongruente oder inkongruente Deckung auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß dem Frachtführer für jede Fuhrlohnforderung aus den früheren Geschäften ein gleichartiges Pfandrecht zustand, ehe er das Frachtgut bestimmungsgemäß an den Empfänger ablieferte und damit den Nutzen des Schuldners mehrte.
Zutreffend ist zwar, daß eine nachträgliche Besicherung inkongruent ist, wenn sie vertraglich vereinbart wird (vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 250; Ganter, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 90 Rn. 493). Daraus kann jedoch nicht – wie die Revision gemeint hat – hergeleitet werden, daß dies für gesetzliche Sicherheiten genauso gelten muß. Die nachträgliche Vereinbarung über die Besicherung einer bestehenden Forderung ist, wenn sie in der kritischen Zeit erfolgt, regelmäßig anfechtungsrechtlich verdächtig; daran fehlt es – wie ausgeführt – im vorliegenden Fall.
Unterschriften
Kreft, Kirchhof, Fischer, Ganter, Kayser
Fundstellen