Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafbarkeit von Steuerhinterziehungen bei nicht versteuerten Gewinnen aus Termingeschäften im Veranlagungszeitraum 2002 verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
1. Es besteht kein strukturelles Vollzugsdefizit, das zur Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EStG führt. Die Besteuerung der privaten Spekulationsgeschäfte für den Veranlagungszeitraum 2002 ist verfassungsgemäß.
2. Auch die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung aufgrund nicht erklärter Gewinne aus Termingeschäften im Vz 2002 ist verfassungsgemäß, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) steht dem nicht entgegen.
3. Seit 1998 hat der Gesetzgeber das im Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der Finanzbehörden kontinuierlich erweitert (z.B. Kontenabfrage, KWG, StEhrlFöG, StraBEG) und so nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen, die sich auch noch auf den Vz 2002 auswirken. Insbesondere kann das erst durch Gesetz vom 23.12.2003 mit Wirkung zum 1.4.2005 eingeführte Kontenabrufverfahren in die Bewertung eingestellt werden, ob im Hinblick auf den VZ 2002 ein strukturelles Vollzugsdefizit zu erkennen ist.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, § 93 Abs. 7-8, § 93b; EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2, 4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2; StEntlG 1999; StEntlG 2000; StEntlG 2002; StEhrlFöG Art. 2; StraBEG; KWG § 24c
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
A.
I.
1. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe. Nach den Feststellungen erzielte er aus privaten Spekulationsgeschäften – namentlich dem Optionsscheinhandel – im Veranlagungszeitraum 2002 nach Abzug aller Bankspesen sowie eines Verlustrücktrags aus dem Veranlagungszeitraum 2003 einen steuerpflichtigen Reingewinn von 10.774.312 Euro. Daneben erzielte er in geringem Umfang Zinserträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Dennoch gab er für den Veranlagungszeitraum 2002 keine Steuererklärung ab.
2. Die gegen die landgerichtliche Verurteilung gerichtete Revision des Beschwerdeführers verwarf der Bundesgerichtshof auf Antrag der Generalbundesanwältin gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG sowie deren Vollzug begegne jedenfalls im Veranlagungszeitraum 2002 keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen zwei in dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer ergangene Haftbefehle, die Verwerfung der hiergegen gerichteten Beschwerde durch das Oberlandesgericht, das Urteil des Landgerichts sowie die Verwerfung der hiergegen gerichteten Revision; mittelbar gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG selbst in der für den Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 23 Abs. 1 Nr. 4 EStG sowie die angegriffenen Entscheidungen. Aufgrund eines auch für den Veranlagungszeitraum 2002 fortbestehenden strukturellen Vollzugsdefizits im Bereich der Besteuerung von Gewinnen aus Spekulationsgeschäften sei deren Steuerbarkeit insgesamt mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren. Insbesondere könnten bei der Beurteilung des Normvollzuges Änderungen der Rechtslage in die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht einbezogen werden, die erst nach Abschluss der Veranlagungsarbeiten für den Veranlagungszeitraum 2002 im November 2004 eingetreten seien, namentlich das mit Wirkung zum 1. April 2005 eingeführte automatisierte Kontenabrufverfahren. Dies verstoße gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG).
III.
Die für den Veranlagungszeitraum 2002 maßgebliche Fassung des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG lautet, soweit für die vorliegende Verfassungsbeschwerde von Belang:
§ 23 Private Veräußerungsgeschäfte
(1) Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2) sind
- […]
- Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt;
- […]
- Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil nicht mehr als ein Jahr beträgt. Zertifikate, die Aktien vertreten, und Optionsscheine gelten als Termingeschäfte im Sinne des Satzes 1.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie genügt insbesondere den Anforderungen an ihre Begründung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 i.V.m. § 90 Abs. 2 BVerfGG). Der Beschwerdeführer legt die Möglichkeit einer strukturell gleichheitswidrigen Besteuerung in Anlehnung an das zum Veranlagungszeitraum 1998 ergangene Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02 – nachvollziehbar dar (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung einer Grundrechtsverletzung BVerfGE 77, 170 ≪215≫). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht hier auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer seine Revisionsrechtfertigung und die Gegenerklärung der Generalbundesanwältin nicht vorlegt. Denn der Bundesgerichtshof hat sich in den Gründen seiner Revisionsentscheidung eingehend mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der vom Beschwerdeführer angegriffenen Norm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG auseinandergesetzt. Dem kann das Bundesverfassungsgericht hier ausnahmsweise entnehmen, dass der Beschwerdeführer entweder den Anforderungen gerecht geworden ist, die sich aus dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde für die im Revisionsrechtszug zu erhebenden Rügen ergeben (vgl. BVerfGE 112, 50 ≪61 f.≫), oder die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf einem etwaigen Versäumnis des Beschwerdeführers jedenfalls nicht beruht.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht sowie die Verwerfung seiner hiergegen gerichteten Revision durch den Bundesgerichtshof verletzen ihn nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
1. Die Besteuerung privater Spekulationsgewinne gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG ist für den Veranlagungszeitraum 2002 mit dem Grundgesetz vereinbar.
a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm (BVerfGE 84, 239 ≪272≫; BVerfGE 110, 94 ≪113≫). Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BVerfGE 84, 239 ≪268 ff.≫; BVerfGE 110, 94 ≪112 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, www.bverfg.de; vgl. auch BVerfGE 96, 1 ≪6 ff.≫). Die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits im verfassungsrechtlichen Sinn hängt dabei ganz wesentlich davon ab, wieweit beim Vollzug einer bestimmten materiellen Steuernorm die Erhebungsform oder die Besteuerungspraxis im Rahmen gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der Finanzämter im Großen und Ganzen auf Gleichheit im Belastungserfolg angelegt ist und wieweit insbesondere auch unzulängliche Erklärungen der Steuerpflichtigen mit einem angemessenen Entdeckungsrisiko verbunden sind (BVerfGE 110, 94 ≪114≫).
b) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, www.bverfg.de), dass nach diesem Maßstab für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit nicht mehr festzustellen ist, das zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen könnte. Gegenüber dem Veranlagungszeitraum 1998, für den das Bundesverfassungsgericht ein strukturelles Vollzugsdefizit festgestellt hatte (BVerfGE 110, 94 ≪111 f.≫), folgt die geänderte verfassungsrechtliche Beurteilung aus der Änderung verschiedener tatsächlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die erweiterten Verlustverrechnungsmöglichkeiten durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I S. 402) sowie die negative Kursentwicklung an den Aktienmärkten seit dem Jahr 2000, die in ihrem Zusammenwirken einen erheblichen Anreiz für Steuerpflichtige schufen, Gewinne aus dem Veranlagungszeitraum 1999 und den Folgejahren zu erklären, da sie steuerlich oftmals weitgehend neutralisiert werden konnten und bei einer Deklaration allein der Verluste Nachfragen der Finanzbehörden zu befürchten gewesen wären. Zudem wirkte sich erheblich auf die Effektivität des Normvollzuges aus, dass der Gesetzgeber durch Art. 2 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2928 ≪2931≫) mit § 93 Abs. 7 und 8, § 93b AO die Rechtsgrundlagen für den automatisierten Abruf von Kontoinformationen schuf. Dieses Kontenabrufverfahren ermöglicht es den Finanzbehörden vom 1. April 2005 an, gezielt auf die Kontostammdaten im Sinne des § 24c KWG zuzugreifen. Dies macht zwar zunächst nur das Bestehen von Konten transparent, ermöglicht aber weitere Ermittlungen. Denn nur dann, wenn das Finanzamt erfahren hat, bei welchem Kreditinstitut der Steuerpflichtige ein Konto oder ein Depot unterhält, kann es vom Kreditinstitut nach § 93 Abs. 1 AO Auskunft über Konten- oder Depotbewegungen verlangen, während dies nicht möglich ist, wenn die Finanzbehörde von einem Konto keine Kenntnis hat. Deshalb führt auch die Kontenabfrage zur Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 112, 284 ≪294 f.≫).
c) Der Beschwerdeführer hat keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die tatsächlichen und normativen Rahmenbedingungen für den effektiven Vollzug des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 nicht mehr die Annahme eines strukturellen Vollzugsdefizits rechtfertigten, seither hinter den für diesen Veranlagungszeitraum erreichten Stand zurückgefallen wären. Im Gegenteil wirkt sich die Möglichkeit des automatisierten Kontenabrufs seit dem 1. April 2005 für den Veranlagungszeitraum 2002 typischerweise sogar stärker aus als für den Veranlagungszeitraum 1999. Denn die Finanzämter machen nach anfänglicher Zurückhaltung nunmehr intensiver von dieser Erkenntnismöglichkeit Gebrauch (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, www.bverfg.de). Insgesamt liegt daher jedenfalls für private Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren auch für den Veranlagungszeitraum 2002 kein solches Defizit vor. Für private Veräußerungsgeschäfte bei Termingeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG gilt hinsichtlich der Effektivität des Vollzugs der Besteuerung – wie der Beschwerdeführer selbst ausführt – grundsätzlich nichts anderes als für Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren gemäß Nr. 2 der Norm. Im Hinblick auf die Neigung zu pflichtgemäßer Erklärung von Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften kommt hier noch der folgende Aspekt hinzu: Selbst wenn eine seither eher positive Entwicklung an den Aktienmärkten sich negativ auf die Erklärungsmoral der Steuerpflichtigen in Bezug auf Geschäfte mit Wertpapieren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) ausgewirkt haben mag, so kommt dieser Entwicklung bei den vom Beschwerdeführer praktizierten Termingeschäften (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG) eine weitaus geringere Bedeutung zu als beim Aktienhandel, weil mit Optionsscheinen auch auf fallende Kurse spekuliert werden kann, sodass steuerpflichtige Gewinne bei entsprechendem Anlageverhalten auch bei negativer Kursentwicklung erzielt werden können.
2. Auch ein Verstoß gegen das Verbot rückwirkenden Strafens gemäß Art. 103 Abs. 2 GG liegt nicht vor. Insbesondere kann das erst durch Gesetz vom 23. Dezember 2003 mit Wirkung zum 1. April 2005 eingeführte Kontenabrufverfahren in die Bewertung eingestellt werden, ob im Hinblick auf den Veranlagungszeitraum 2002 ein strukturelles Vollzugsdefizit zu erkennen ist.
a) Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG versagt von Verfassungs wegen sowohl die rückwirkende Anwendung neu geschaffener Straftatbestände als auch die Strafbegründung im Wege der Analogie oder des Gewohnheitsrechts (vgl. BVerfGE 26, 31 ≪42≫; 64, 389 ≪393≫; 81, 132 ≪135≫). Der Satz „nulla poena sine lege” begründet eine strikte Bindung der Strafgerichte an das geschriebene materielle Strafrecht. Die Strafgerichte sind gehalten, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen; ihn zu korrigieren, ist ihnen verwehrt. Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, zum Freispruch gelangen. Art. 103 Abs. 2 GG, der darüber hinaus hinreichend bestimmte Straftatbestände verlangt, will sicherstellen, dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 47, 109 ≪120 ff.≫; 48, 48 ≪56≫; 57, 250 ≪262≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 1993 – 2 BvR 292/93 –, NJW 1993, S. 2524).
b) Nach diesem Maßstab ist das strafrechtliche Rückwirkungsverbot nicht verletzt.
aa) Die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als solche blieb von Beginn des maßgeblichen Veranlagungszeitraums 2002 bis zum Tag der letzten fachgerichtlichen Entscheidung – hier des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 2007 – in Tatbestand wie Strafdrohung unverändert. Auch die diese Blankettstrafvorschrift ausfüllende materielle Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG ordnete die Steuerpflichtigkeit der Gewinne aus bestimmten privaten Veräußerungsgeschäften für den Veranlagungszeitraum 2002 durchgehend an. Damit konnte sich auch der Beschwerdeführer auf die – im Falle ihrer Verletzung strafbewehrte – Steuerpflichtigkeit seiner Gewinne einstellen.
bb) Soweit der Beschwerdeführer sich darauf verlassen haben mag, dass die gesetzliche Anordnung der Steuerpflicht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nichtig sei, ist dieses Vertrauen von Art. 103 Abs. 2 GG nicht geschützt. Denn ebenso wie jeder Normadressat darauf vertrauen darf, dass ein vom Wortlaut einer Strafnorm nicht erfasstes Verhalten auch nicht nach ihr strafbar ist, so muss er sich darauf einstellen, dass ein tatbestandlich erfasstes Verhalten auch tatsächlich mit Strafe bedroht ist. Jedenfalls darf er bis zu einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. § 31 BVerfGG) grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ein eindeutiger Normbefehl von Verfassungs wegen gleichwohl keine normative Geltung für ihn entfalte. Abweichendes mag allenfalls dann anzunehmen sein, wenn durch die Rechtsprechung der mögliche Wortlaut einer Strafnorm insoweit einschränkend ausgelegt wurde, dass eine Änderung der Rechtsprechung sich hier nicht nur als andere tatsächliche Beurteilung darstellen würde, sondern als eine Änderung des strafrechtlichen Unwerturteils insgesamt (zum Rückwirkungsverbot bei Änderungen der strafgerichtlichen Rechtsprechung vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juni 1990 – 2 BvR 752/90 –, NJW 1990, S. 3140 – „Promillegrenze”).
cc) Daher begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, bei der Beurteilung eines etwaigen strukturellen Defizits des Vollzugs des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 EStG auch auf das erst nach Abschluss des Veranlagungszeitraums 2002 geschaffene Ermittlungsinstrument des Kontenabrufverfahrens abzustellen. Denn dieses Gesetz betrifft nicht die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung oder auch nur die Steuerpflichtigkeit der Gewinne des Beschwerdeführers als solche, sondern allein bestimmte Rahmenbedingungen für deren effektive Durchsetzung. Da der Beschwerdeführer nicht darauf vertrauen durfte, dass seine Gewinne entgegen dem Wortlaut der maßgeblichen steuerlichen Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht der Steuerpflicht unterliegen, sind außerhalb dieses die Strafbarkeit unmittelbar begründenden Normzusammenhangs liegende Umstände im Lichte des Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 GG ohne Bedeutung, mögen sie auch für die Beurteilung der steuerlichen Norm als verfassungsmäßig Bedeutung gewinnen. Denn sie bestätigen nur diejenige Rechtslage, auf die sich der Beschwerdeführer nach Erlass des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG ohnehin einzustellen hatte.
3. Im Übrigen ist eine Verletzung von Verfassungsrecht durch die angegriffenen Entscheidungen weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2055428 |
DStRE 2009, 347 |
HFR 2008, 1283 |