Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlustberücksichtigung bei Beendigung einer gewerbesteuerlichen Mehrmütterorganschaft
Leitsatz (redaktionell)
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die rückwirkende Änderung der Regelungen der § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 GewStG i. d. F. des UntStFG zur sogenannten "Mehrmütterorganschaft" und der Versagung des Verlustübertrags auf die Muttergesellschaft bei Beendigung der "Mehrmütterorganschaft".
Normenkette
GewStG 1999 § 2 Abs. 2 S. 3, § 36 Abs. 2 S. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 14, 20 Abs. 3; KStG 1999 § 14 Abs. 2; UntStFG Art. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein gerichtliches Verfahren wegen der rückwirkenden Änderung der gesetzlichen Regelungen zur sogenannten „Mehrmütterorganschaft” und der Versagung des Verlustübertrags auf die Muttergesellschaft bei Beendigung der „Mehrmütterorganschaft”.
Die Beschwerdeführerin, eine Aktiengesellschaft, war in den Streitjahren an einer Aktiengesellschaft und an einer GmbH jeweils im Rahmen eines „Joint-Venture” unmittelbar zu 75 beziehungsweise mittelbar zu 50 % beteiligt (Organgesellschaften). Sie beziehungsweise ihre Tochtergesellschaft hatten sich zum Zweck der Ausübung einer einheitlichen Leitungsmacht bei beiden Gesellschaften jeweils zu einem Konsortium in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR – Organträger) zusammengeschlossen. Das Finanzamt behandelte beide Gestaltungen als so genannte „Mehrmütterorganschaft” mit der Folge, dass die Gewerbeerträge und -verluste gewerbesteuerlich bei den beiden Gesellschaften des bürgerlichen Rechts berücksichtigt wurden. Eine Zurechnung der Verluste an die Beschwerdeführerin erfolgte nicht. Diese Behandlung entsprach der in den Streitjahren geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (Bundesfinanzhof, Urteile vom 25. Juni 1957 – I 22/55 U –, BFHE 66, 449, BStBl III 1958, S. 174; vom 8. Oktober 1986 – I R 65/85 –, BFH/NV 1988, S. 190 und vom 14. April 1993 – I R 128/90 –, BFHE 171, 223, BStBl II 1994, S. 124) und Verwaltungspraxis (Abschn. 52 Abs. 6 KStR 1995 und Abschn. 14 Abs. 6 GewStR 1998).
Beide Gemeinschaftsunternehmen erwirtschafteten Verluste. Diese wurden für Zwecke der Gewerbesteuer bei der jeweiligen GbR vorgetragen. In den Jahren 1986 und 1987 beendete die Beschwerdeführerin die „Mehrmütterorganschaften”, indem sie beziehungsweise ihre Tochtergesellschaft die Anteile des anderen Gesellschafters an der gemeinsamen Tochtergesellschaft erwarb und diese auf sich bzw. ihre Tochtergesellschaft verschmolz. Damit erlosch auch die jeweilige GbR. Im Rahmen ihrer Gewerbesteuererklärung 1987 machte die Beschwerdeführerin die in den Vorjahren aufgelaufenen anteiligen Verlustvorträge der beiden GbRs geltend, soweit diese ihrer Beteiligungsquote entsprachen. Das Finanzamt lehnte bei der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge die Berücksichtigung der geltend gemachten Verlustvorträge ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Finanzgericht München, Urteil vom 12. März 1997 – 7 K 2114/95 –, EFG 1997, S. 1036). Auf die Revision der Beschwerdeführerin wurde das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen (Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Juni 1999 – I R 43/97 –, BFHE 189, 518, BStBl II 2000, S. 695). Der Bundesfinanzhof entschied dabei unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung und in Abweichung zur Auffassung der Finanzverwaltung, dass bei einer „Mehrmütterorganschaft” die Beteiligungen der lediglich zur einheitlichen Willensbildung in einer GbR zusammengeschlossenen Gesellschaften an der nachgeschalteten Organgesellschaft nach der Lehre von der mehrfachen Abhängigkeit unmittelbar den Muttergesellschaften zuzurechnen seien. Die Organschaft bestehe zu den Muttergesellschaften und nicht zur jeweiligen GbR. Die den Muttergesellschaften anteilig zuzurechnenden Gewerbeerträge und -verluste seien einheitlich und gesondert festzustellen. Im zweiten Rechtsgang setzte das Finanzgericht das Verfahren aus, um dem Finanzamt die einheitliche und gesonderte Feststellung der in den Organgesellschaften aufgelaufenen Gewerbeverluste zu ermöglichen.
Mit Erlass vom 4. Dezember 2000 – IV A 2 – S 2770 – 3/00 –, BStBl I S. 1571 ordnete zwischenzeitlich das Bundesministerium der Finanzen an, dass die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs bis auf weiteres nicht allgemein anzuwenden seien. Im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Neuregelung seien vergleichbare Fälle offen zu halten.
Nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3858) unter anderem die Vorschriften zur Organschaft im Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuergesetz im Sinne der bisherigen Verwaltungspraxis rückwirkend geändert hatte, nahm das Finanzgericht das Verfahren wieder auf und gab der Klage statt (Finanzgericht München, Urteil vom 19. November 2003 – 7 K 3723/03 –, EFG 2004, S 412). Die rückwirkenden Regelungen stünden einem Übergang von gewerbesteuerlichen Verlusten auf den verbleibenden Gesellschafter nicht entgegen. Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof das Urteil auf und wies die Klage ab. Im Rahmen der gewerbesteuerlichen Organschaft gelte die Besonderheit, dass Verluste der Organgesellschaft, die während der Dauer der Organschaft entstanden seien, auch nach deren Beendigung nur von dem maßgebenden Gewerbeertrag des Organträgers abgezogen werden könnten. Bei einer „Mehrmütterorganschaft” sei die GbR als Organträger anzusehen. Dies folge aus den gesetzlichen Neuregelungen. Diese bestimmten auch für das Jahr 1987, dass die GbR als gewerbliches Unternehmen anzusehen sei. Die Regelungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG und des § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG i.d.F. des UntStFG seien auch verfassungsgemäß und verstießen nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit seien nicht berührt. Der Steuergesetzgeber habe mit der gesetzlichen Regelung der „Mehrmütterorganschaft” im UntStFG die langjährige Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis aufgegriffen und festgeschrieben. Eine Verlustverrechnung sei danach auch bei Auflösung der „Mehrmütterorganschaft” nicht möglich. Es fehle an der erforderlichen Unternehmensidentität. Der Gewerbebetrieb der beiden BGB-Gesellschaften sei nicht mit dem Gewerbebetrieb der Beschwerdeführerin identisch. Die beiden BGB-Gesellschaften seien reine Innengesellschaften ohne eigenen Geschäftsbetrieb und ohne jegliche eigene Betätigung gewesen. Ihre Funktion habe sich darauf beschränkt, die Interessen ihrer Gesellschafter zu koordinieren und auf diese Weise eine einheitliche Willensbildung gegenüber der jeweiligen Organgesellschaft zu sichern. Keines der Merkmale der BGB-Gesellschaften finde sich nach der Beendigung der „Mehrmütterorganschaften” bei der Beschwerdeführerin wieder
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 14 und Art. 20 Abs. 3 GG durch das Urteil des Bundesfinanzhofs sowie mittelbar durch § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG jeweils i.d.F. des UntStFG.
Sie sei auf der Grundlage der bis 1999 gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtslage davon ausgegangen, dass die gewerbesteuerlichen Verlustvorträge zwar aufgrund der langjährigen Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis auf der Ebene der GbR eingeschlossen gewesen seien, im Fall der Beendigung der „Mehrmütterorganschaft” aber anteilig auf sie beziehungsweise ihre Tochtergesellschaft übergehen würden. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs habe die Neuregelung der § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG i.d.F. des UntStFG aber so ausgelegt, dass es bezüglich des anteiligen Verlustübergangs bei Beendigung der GbR zu einer Verschärfung gegenüber der früheren Rechtslage komme und diese Verschärfung auch rückwirkend für abgeschlossene Sachverhalte gelten solle. Sie habe auf den Fortbestand der bisherigen Rechtspraxis vertraut und entsprechende Dispositionen getroffen. Der Umstand, dass die Verlustvorträge bei Auflösung der GbR nach alter Rechtslage nicht untergegangen seien, sondern anteilig übergingen, sei ein wichtiger Entscheidungsfaktor bei Gründung der „Mehrmütterorganschaften” gewesen. Sie habe darauf vertraut, dass das Ausscheiden von Mitgesellschaftern unter Fortführung des Unternehmens durch einen Gesellschafter nicht zum Wegfall des (anteiligen) Verlustvortrags führe, soweit Unternehmeridentität vorliege. Nach dem vor den gesetzlichen Änderungen bestehenden Verständnis der „Mehrmütterorganschaft” habe ihre Beendigung durch Auflösung der Willensbildungs-GbR nicht zum Wegfall der Unternehmensidentität geführt. Erst die gesetzliche Änderung habe dazu geführt, dass die Unternehmensidentität zwischen ihr und der Willensbildungs-GbR verneint werde.
Zudem bleibe es auch nach dem Ausscheiden der Mitgesellschafterin bei der Beherrschung des Gemeinschaftsunternehmens durch sie, wenngleich nun nicht mehr gemeinschaftlich, sondern allein. Ebenso wenig wie ein zuvor gemeinschaftlich durch mehrere Gesellschafter betriebener Gewerbebetrieb seine Identität einbüße, wenn die Gesellschafter bis auf einen ausschieden, könne dies bei der Konzentration der Stimmrechtsbindung auf einen Gesellschafter einer Willensbildungs-GbR gelten. Selbst wenn man den Gesellschaftszweck der Willensbildungs-GbR in der Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten sehe, der nach der Auflösung der GbR nicht mehr zum Tragen komme, sei dieser Gesellschaftszweck nicht in der Lage, einen Unternehmensgegenstand im Sinne des Gewerbesteuergesetzes zu begründen. Für die Frage des Fortbestehens der Unternehmensidentität könne daher auf ihn nicht abgestellt werden. Dies sei auch im Schrifttum so vertreten worden und Auffassung der Finanzverwaltung gewesen. Anders als bisher gehe der Bundesfinanzhof im Rahmen der Neuregelung nunmehr von einer – durch gesetzliche Fiktion begründeten – originären Gewerblichkeit der Willensbildungs-GbR aus. Dies sei für den Fall der Beendigung der „Mehrmütterorganschaft” eine Verschärfung der bisherigen Rechtslage.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung und die mit Fragen des Gewerbesteuerrechts befassten Senate des Bundesfinanzhofs geäußert.
1. Das Bundesfinanzministerium ist der Auffassung, durch die gesetzliche Neuregelung sei keine Verschlechterung der bisherigen Rechtslage eingetreten. Der Verlustabzug richte sich nach den Grundsätzen des § 10a GewStG, die durch die gesetzliche Änderung nicht berührt worden seien. Eine Auflösung der als Organträger fungierenden Willensbildungs-GbR im Rahmen der Beendigung einer „Mehrmütterorganschaft” habe schon bisher mangels Unternehmensidentität nicht zum Übergang der Verluste auf die dahinter stehenden Gesellschafter geführt.
2. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ging auch unter der Geltung der Rechtslage vor Inkrafttreten des UntStFG bei Beendigung einer „Mehrmütterorganschaft” durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus der Willensbildungs-GbR ein noch nicht berücksichtigter Verlustabzug gewerbesteuerrechtlich nicht auf den verbleibenden Gesellschafter über. Einem Verlustabzug des verbleibenden Gesellschafters habe das nach § 10a GewStG bestehende Erfordernis der Unternehmensidentität entgegengestanden.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs, das die Beschwerdeführerin angreift, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Gegen die der Entscheidung zu Grunde liegenden Regelungen der § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 GewStG i. d. F. des UntStFG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit sie eine echte Rückwirkung anordnen (1.). Die Versagung der Verrechnung der vortragsfähigen Gewerbeverluste der beiden Gemeinschaftsunternehmen mit den laufenden Gewerbeeinkünften der Beschwerdeführerin begründet keine verfassungsrechtlich unzulässige rückwirkende Schlechterstellung der Beschwerdeführerin (2.).
1. Soweit § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG i. d. F. des UntStFG § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG auch für den Erhebungszeitraum 1987 für anwendbar erklärt und danach die gesetzlichen Regelungen der „Mehrmütterorganschaft” im Wege einer echten Rückwirkung auch für bereits abgeschlossene Erhebungszeiträume für anwendbar erklärt, enthält die Vorschrift keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2008 – 1 BvR 1138/06 –, BFH/NV 2009, S. 110 hat die 1. Kammer des Ersten Senats dies bereits entschieden. Dies greift die Beschwerdeführerin auch nicht an. Sie macht im Gegenteil geltend, sie habe sich in ihren betrieblichen Dispositionen an der Rechtslage ausgerichtet, auf die nach der zwischenzeitlichen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung die rückwirkende gesetzliche Regelung des UntStFG insoweit wieder hingeführt habe.
2. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, die Neuregelungen gingen infolge der Versagung der Verlustübertragung von der Willensbildungs-GbR bei deren Auflösung auf sie als Muttergesellschaft über die alte gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtslage zur „Mehrmütterorganschaft” hinaus und führten insoweit, jedenfalls in der Anwendung durch den Bundesfinanzhof, zu mehr als einer bloßen Wiederherstellung der bisherigen Rechtslage, greift ihr Vorbringen nicht durch. Bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung konnte nach der alten Rechtslage nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass die Auflösung der Mehrmütter-GbR zum (anteiligen) Untergang der Verlustvorträge führt. Die gesetzliche Rückwirkungsanordnung durch das UntStFG begründet insofern keine Schlechterstellung der Beschwerdeführerin (a). Der Bundesfinanzhof hat in Anwendung dieser Grundsätze die Unternehmensidentität zwischen Willensbildungs-GbR und Muttergesellschaft verneint und damit den Verlustübergang in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint (b).
a) Unter Geltung der alten Rechtslage zur „Mehrmütterorganschaft” konnte – entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin – nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass bei der Willensbildungs-GbR aufgelaufene gewerbesteuerliche Verlustvorträge bei Beendigung der GbR durch Ausscheiden des vorletzten verbleibenden Gesellschafters nicht anteilig beim verbleibenden Gesellschafter anwachsen. Eine Verrechnung der Verlustvorträge der Willensbildungs-GbR mit den Gewerbeerträgen der Muttergesellschaften war auch schon nach der damals geltenden Rechtslage aufgrund fehlender Unternehmensidentität nicht möglich.
(1) Auch unter Geltung der alten Rechtslage unterlag die Möglichkeit der Verlustnutzung den Beschränkungen des § 10a GewStG. Die Übertragung der Verluste setzte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Praxis der Finanzverwaltung sowohl Unternehmens- als auch Unternehmeridentität voraus. Unternehmensidentität bedeutet, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der im Jahr der Entstehung des Verlustes bestanden hat. Unternehmeridentität bedeutet, dass der Gewerbetreibende, der den Verlustabzug in Anspruch nehmen will, den Gewerbeverlust zuvor in eigener Person erlitten haben muss (vgl. u. a. BFH, Urteil vom 27. Januar 1994 – IV R 137/91 – und Abschn. 67 und 68 Abs. 1 Gewerbesteuerrichtlinien 1998).
(2) Die Finanzverwaltung vertrat und vertritt insoweit die Auffassung, bei Beendigung der „Mehrmütterorganschaft” durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus der Willensbildungs-GbR gehe ein noch nicht berücksichtigter Verlustabzug mangels Unternehmensidentität weder ganz noch anteilig auf den verbleibenden Gesellschafter über. Denn der Gewerbebetrieb der Willensbildungs-GbR werde gerade nicht fortgeführt, sondern diese werde ersatzlos aufgelöst. Der Gewerbebetrieb der Willensbildungs-GbR habe darin bestanden und sich darauf beschränkt, die Interessen ihrer Gesellschafter zu koordinieren und auf diese Weise eine einheitliche Willensbildung zu sichern. Das Unternehmen der Muttergesellschaft und damit hier der Beschwerdeführerin habe demgegenüber eine andere Funktion gehabt.
Auch der Bundesfinanzhof verneint den (anteiligen) Übergang eines in der Willensbildungs-GbR vorgetragenen Gewerbeverlusts nach Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters der Mehrmütter-GbR auf den verbleibenden Gesellschafter in Bezug auf die vor der gesetzlichen Änderung geltende Rechtslage, weil der Gewerbebetrieb des Gesellschafters der Willensbildungs-GbR regelmäßig nicht mit dem Gewerbebetrieb der Willensbildungs-GbR identisch sei und es mithin am Merkmal der Unternehmensidentität fehle. Dies folgt aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 27. November 2008 – IV R 72/06 –, DStR 2009, S. 849, die sich auf die Rechtslage vor 1999 bezieht und insoweit auch nicht die Rückwirkung in § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG i. d. F. des UntStFG zur Anwendung bringt. In Übereinstimmung hiermit weisen der I. und IV. Senats des Bundesfinanzhofs in ihren im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahmen darauf hin, dass die rückwirkende Wiederherstellung der alten Rechtslage durch das UntStFG nur die Organträgerstellung der Willensbildungs-GbR betreffe, nicht aber die schon damals geltenden Grundsätze zur Auslegung des § 10a GewStG im Hinblick auf die für einen Verlustübergang geforderte Unternehmer- und Unternehmensidentität
Diese Auffassung wird auch von der herrschenden Meinung im Schrifttum geteilt (vgl. Güroff, in: Glanegger/Güroff, GewStG, 6. Auflage, § 10a Rz. 9; Kleinheisterkamp, in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 10a GewStG (Mai 2009) Anm. 38 und 338).
(3) Zwar existiert danach keine ausdrückliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs oder der Finanzgerichte zur Frage des Verlustübergangs bei Beendigung der „Mehrmütterorganschaft” aus der Zeit vor der Rechtsprechungsänderung durch den Bundesfinanzhof im Jahr 1999. Es gibt aber auch keine höchstrichterliche Rechtsprechung, die die Auffassung der Beschwerdeführerin stützt. Die Rechtslage nach dem hier maßgeblichen § 10a GewStG war auf der Grundlage der allgemein hierzu in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Praxis der Finanzverwaltung entwickelten Grundsätze im Grunde eindeutig, wie auch die im vorliegenden Verfahren eingeholten Stellungnahmen bestätigen. Danach findet bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters einer Willensbildungs-GbR als Organträger ein Übergang der Verlustvorträge auf den verbleibenden Gesellschafter nicht statt. Diese Rechtslage wird von der rückwirkenden Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG nicht berührt. Auch die Interpretation des Merkmals der Unternehmensidentität in der angefochtenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs führt nicht zu einer anderen Auslegung dieses Begriffs als nach altem Recht.
Die Beschwerdeführerin wird daher durch die Neuregelung des § 36 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG nicht schlechter gestellt als sie unter der alten Rechtslage stand. Wäre die Auffassung der Beschwerdeführerin zutreffend, wonach unter Geltung der alten Rechtslage die in der Willensbildungs-GbR aufgelaufenen Verluste ohne weiteres bei Beendigung den Muttergesellschaften zuzurechnen seien, hätte es der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs und der damit verbundenen Rechtsprechungsänderung zur „Mehrmütterorganschaft” gar nicht bedurft. Denn dann hätte der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts im ersten Rechtszug bereits wegen fehlerhafter Anwendung des § 10a GewStG aufheben und die Beschwerdeführerin bereits im ersten Rechtszug gänzlich klaglos stellen können.
(4) Nichts anderes ergibt sich aus dem angegriffenen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. März 2006. Soweit sich der Bundesfinanzhof dort für seine Rechtsauffassung auch für den Fall der Auflösung der Willensbildungs-GbR auf § 36 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG und die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 14/6882, S. 41) beruft, geschieht dies nur zum Beleg dafür, dass es auch für diese Konstellation bei der alten Rechtslage verbleiben sollte, die das UntStFG wieder hergestellt hat. Dass nach § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG die Willensbildungs-GbR Organträger ist, entspricht der Rechtsauffassung vor der Rechtsprechungsänderung des Bundesfinanzhofs; dass ihre Funktion und Tätigkeit, wie der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Urteil feststellt, nichts mit der gewerblichen Tätigkeit der Muttergesellschaft zu tun hat, folgt hingegen nicht aus § 36 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG i. d. F. des UntStFG. Eine Verschlechterung gegenüber dem Rechtszustand vor der Rechtsprechungsänderung durch den Bundesfinanzhof war damit für die Beschwerdeführerin nicht verbunden.
b) Die Verneinung der Unternehmensidentität in dem angegriffenen Urteil betrifft die Auslegung einfachen Rechts – hier namentlich des § 10a GewStG – und wird von der Beschwerdeführerin insoweit auch nicht angegriffen. Ihr Angriffsgrund in diesem Zusammenhang ist allein die vermeintlich unzulässige Rückwirkung, die – wie dargelegt – nicht vorliegt.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2194390 |
BFH/NV 2009, 1768 |
HFR 2009, 1030 |