Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung von Beamten und Angestellten der Finanzverwaltung zur Steuerberaterprüfung
Leitsatz (amtlich)
Es ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn bereits die Zulassung von Angehörigen der Finanzverwaltung zur Steuerberaterprüfung davon abhängig gemacht wird, daß der Bewerber vorher seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst beantragt hat.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; StBerG § 36 Abs. 2; St BerG § 37 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
FG München (Entscheidung vom 26.05.1983; Aktenzeichen IV 234/82) |
Tatbestand
§ 37 Absatz 1 Nummer 3 und § 36 Absatz 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 2735) sind mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit sie die Zulassung zur Steuerberaterprüfung davon abhängig machen, daß der Bewerber seine Entlassung aus dem Dienst der Finanzverwaltung beantragt haben muß.
A.
Die Vorlageverfahren betreffen eine Regelung des Steuerberatungsgesetzes, welche die Zulassung von Beamten und Angestellten der Finanzverwaltung zur Steuerberaterprüfung von ihrer vorherigen Entlassung aus dem Dienst abhängig macht.
I.
1. Das Steuerberatungsgesetz – StBerG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1975 (BGBl I S. 2735) regelt in seinen §§ 35 ff. die persönlichen Voraussetzungen für die Berufsausübung des Steuerberaters. Danach darf als Steuerberater nur bestellt werden, wer die Prüfung als Steuerberater bestanden hat oder wer von der Ableistung dieser Prüfung befreit worden ist (§ 35 StBerG).
Die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater setzt gemäß § 36 Abs. 1 StBerG entweder ein Hochschulstudium nebst dreijähriger Berufspraxis voraus (Nr. 1) oder aber nach Realschulabschluß und Lehrzeit eine zehnjährige hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens, davon mindestens fünf Jahre als Mitarbeiter bei den in § 58 bezeichneten Personen oder Einrichtungen (Nr. 2). Als Sonderregelung für Beamte und Angestellte des gehobenen Dienstes bestimmt das Gesetz:
„§ 36
(1) …
(2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 entfallen bei ehemaligen Beamten und Angestellten des gehobenen Dienstes der Finanzverwaltung, die mindestens sieben Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens als Sachbearbeiter oder mindestens in gleichwertiger Stellung tätig gewesen sind.”
Als weitere Voraussetzung für die Prüfung schreibt das Gesetz in bezug auf alle Laufbahnen der Finanzverwaltung vor:
„§ 37
(1) Die Zulassung zur Prüfung setzt ferner voraus, daß der Bewerber
1. bis 2 ….
3. nicht Beamter oder Angestellter der Finanzverwaltung ist, es sei denn, daß er seine Entlassung beantragt hat.
(2)…
(3)…”
Von der Steuerberaterprüfung sind gemäß § 38 Abs. 1 StBerG ehemalige Beamte und Angestellte der Finanzverwaltung zu befreien, die bereits längere Zeit auf dem Gebiet des Steuerwesens in bestimmten Stellungen tätig gewesen sind (vgl. dazu BVerfGE 55, 185 )).
2. Bei der „Bestellung als Steuerbevollmächtigter” ist gemäß der Übergangsvorschrift des § 156 Abs. 4 StBerG die zitierte Regelung des § 37 StBerG „sinngemäß anzuwenden”. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFHE 134, 384 )) ist diese Regelung verfassungskonform in dem einschränkenden Sinne auszulegen, daß der Bewerber seine Entlassung als Finanzbeamter erst mit dem Antrag auf Bestellung zum Steuerbevollmächtigten nach bestandener Prüfung und nicht schon als Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung beantragen muß. Dies genüge, um in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die gleichzeitige Tätigkeit als Finanzbeamter und als Steuerbevollmächtigter zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zu verhindern.
II.
1. Der Kläger des ersten Ausgangsverfahrens steht seit 1976 im höheren Dienst der bayerischen Finanzverwaltung. Die Kläger der beiden anderen Verfahren sind Angehörige des gehobenen Dienstes der rheinland-pfälzischen und der hessischen Finanzverwaltung; sie waren bei Klageerhebung seit mehr als sieben Jahren auf dem Gebiet des Steuerwesens als Sachbearbeiter oder in mindestens gleichwertiger Stellung tätig. Die Zulassung der Kläger zur Steuerberaterprüfung wurde von den Zulassungsausschüssen bei dem jeweiligen Finanzministerium abgelehnt, weil sie bislang noch keine Entlassung aus der Finanzverwaltung beantragt hätten; sie seien keine „ehemaligen” Beamten.
Daraufhin haben die Kläger Verpflichtungsklage auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung erhoben. Zwei von ihnen wurden einstweilen zur Teilnahme mit der Maßgabe zugelassen, daß sie aus einem etwaigen Prüfungserfolg erst nach Obsiegen in der Hauptsache Rechte herleiten dürften.
a) In seiner Klageerwiderung hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen ausgeführt, § 37 Abs. 1 Nr. 3 StBerG enthalte eine subjektive Berufszugangsvoraussetzung. Diese sei nicht nur an Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch an Art. 33 GG zu messen. Der Wechsel eines Finanzbeamten in den steuerberatenden Beruf werfe seiner Natur nach erhebliche Interessenkonflikte auf. Ein Beamter, der die Steuerberaterprüfung abgelegt habe, werde als „Steuerberater auf Abruf” in Loyalitätskonflikte geraten. Da die Steuerberaterprüfung ausschließlich Zugangsprüfung für eine freiberuflich ausgeübte Tätigkeit sei, könne den Bewerbern zugemutet werden, schon vor der Prüfungszulassung zu entscheiden, ob sie aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden wollten. Ihren Belangen werde dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß der Zulassungsausschuß es als ausreichend erachte, wenn als Entlassungstermin ein mit dem Abschluß der Prüfung in zeitlichem Zusammenhang stehender Termin gewählt werde. Das Risiko des Ausscheidens aus dem öffentlichen Dienst trotz möglichen Nichtbestehens der Prüfung müsse der Bewerber tragen. Im übrigen sei es nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber sich auch von der Erwägung habe leiten lassen, einer Abwanderung von Finanzbeamten entgegenzuwirken.
b) Auch nach Meinung des Ministeriums der Finanzen in Rheinland-Pfalz wird ein Beamter, der als „Steuerberater auf Abruf” in der Finanzverwaltung tätig sei, bewußt oder unbewußt in Loyalitätskonflikte geraten, wenn ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum sowohl Entscheidungen zugunsten als auch zuungunsten eines Bürgers ermögliche. Wer den Wechsel in den Beruf des Steuerberaters anstrebe, könne in die Versuchung geraten, sich den Ruf zu verschaffen, er sei für die Interessenlage der Steuerpflichtigen besonders aufgeschlossen. Jedenfalls könne dieser Eindruck in der Bevölkerung kaum vermieden werden, wodurch das Ansehen des Berufsbeamtentums in der Öffentlichkeit Schaden erleiden würde. Es entspreche dem Treueverhältnis des Beamten, daß dieser seinem Dienstherrn frühzeitig dartue, er wolle aus dem Dienst ausscheiden und in den steuerberatenden Beruf wechseln. Da die Steuerberaterprüfung anders als etwa das Zweite Juristische Staatsexamen ausschließlich Zugangsprüfung für einen freiberuflich ausgeübten Beruf sei, könne dem Kläger zugemutet werden, bereits vor Zulassung zur Steuerberaterprüfung zu entscheiden, daß er ausscheiden wolle. Diese Forderung treffe ihn nicht unverhältnismäßig, da er nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst nach wie vor seine berufliche Qualifikation behalte, die er auch ohne bestandene Steuerberaterprüfung als Angestellter bei einem privaten Unternehmen nutzen könne.
c) Der Hessische Minister der Finanzen hat in seiner Klageerwiderung die Auffassung vertreten, die einschlägigen Vorschriften verstießen nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Der nach seinem Wortlaut eindeutige und nicht auslegungsfähige Absatz 2 des § 36 StBerG stelle gegenüber dem Absatz 1 eine Erleichterung dar und erweitere damit den Zugang zum Beruf als Steuerberater. Während ein Bewerber, der aus der Laufbahn des gehobenen Dienstes der Finanzverwaltung hervorgegangen sei, grundsätzlich nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 StBerG ein zehnjähriges Berufspraktikum nachweisen müsse, verringere sich die Zeit der praktischen Tätigkeit nach § 36 Abs. 2 StBerG auf sieben Jahre Sachbearbeiterfunktion; zudem brauchten diese Bewerber nicht nach fünf Jahren aus dem Dienst der Finanzverwaltung auszuscheiden, um die Voraussetzungen einer gebundenen Mitarbeit bei einer in § 58 StBerG bezeichneten Person oder Einrichtung zu erfüllen. Wenn aber anerkanntermaßen die Einengung der Berufswahl durch Absatz 1 des § 36 StBerG keine Grundrechte des einzelnen verletze, könne für die Vergünstigung in Absatz 2 nichts anderes gelten. Darüber hinaus dürfe auch die Schutzfunktion des § 36 Abs. 2 StBerG im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen sowie das mögliche Ausscheiden einer größeren Anzahl von Finanzbeamten nicht außer acht bleiben.
2. Die zuständigen Finanzgerichte haben das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 37 Abs. 1 Nr. 3 StBerG mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Soweit in den Ausgangsverfahren Beamte des gehobenen Dienstes als Kläger auftreten, haben die Finanzgerichte in die Vorlagen auch § 36 Abs. 2 StBerG einbezogen.
Die drei Finanzgerichte legen dar, daß die beanstandeten Vorschriften für die bei ihnen anhängigen Verpflichtungsklagen entscheidungserheblich sind. Sie beurteilen die Regelung in Anlehnung an das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Steuerbevollmächtigtenprüfung übereinstimmend als unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. im einzelnen unten B. I.).
3. Zu den Vorlagebeschlüssen haben sich der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung sowie der VII. Senat des Bundesfinanzhofs geäußert. Die Finanzminister von Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen hatten zwar Stellungnahmen in Aussicht gestellt, davon aber nach Eingang der Äußerung des Bundesministers Abstand genommen.
a) Der Bundesminister der Finanzen hat mitgeteilt, in Zukunft solle den geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden. Nach dem Referentenentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes solle § 37 Abs. 1 Nr. 3 StBerG ersatzlos entfallen. Außerdem sei beabsichtigt, eine entsprechende Anpassung des § 36 Abs. 2 StBerG vorzuschlagen. Im übrigen ergäben sich die Gründe, welche die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen rechtfertigen könnten, aus den beim Gesetzesvollzug aufgetretenen Gesichtspunkten.
b) Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat in seiner Äußerung die verfassungsrechtliche Beurteilung der vorlegenden Finanzgerichte geteilt. Er verweist auf seine Entscheidung über die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung, bei der den verfassungsrechtlichen Bedenken durch eine verfassungskonforme Auslegung habe begegnet werden können, da die strittige Regelung lediglich sinngemäß auf die Bestellung von Steuerbevollmächtigten anzuwenden sei.
Entscheidungsgründe
B.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken, welche die vorlegenden Gerichte in ihren zulässigen Vorlagebeschlüssen darlegen, sind begründet.
I.
In ihren Vorlagebeschlüssen gehen die drei Finanzgerichte in Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzhof (BFHE 134, 384) davon aus, daß der Gesetzgeber es verhindern darf, die Berufe des Finanzbeamten und des Steuerberaters nebeneinander auszuüben. Dies lasse sich dadurch erreichen, daß die Bestellung zum Steuerberater vom vorherigen Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst abhängig gemacht werde. Ein Berufswechsel und damit die Freiheit der Berufswahl werde aber unverhältnismäßig eingeschränkt, wenn bereits die Zulassung zur Steuerberaterprüfung voraussetze, daß Beamte im Unterschied zu anderen Bewerbergruppen zuvor ihre wirtschaftliche Basis aufgeben müßten. Diese weitreichende Vorverlegung des Schutzes der Allgemeinbelange lasse sich nicht durch überragende Gemeinschaftsinteressen rechtfertigen.
Nach Meinung des Finanzgerichts München ist kein vernünftiger Grund dafür erkennbar, daß einem Angehörigen des höheren Dienstes zwar während seiner Dienstzugehörigkeit die Teilnahme an der Bilanzbuchhalterprüfung oder der Steuerbevollmächtigtenprüfung sowie an sonstigen weiter- und fortbildenden Prüfungen zu gestatten sei, ihm aber die Teilnahme an der Steuerberaterprüfung versagt werde. Bedenken, daß ein Finanzbeamter nach bestandener Prüfung zum „Steuerberater auf Abruf” werde, könnten schon deshalb nicht durchschlagen, weil die entsprechende Qualifikation ohnedies nach zehnjähriger Sachgebietsleitertätigkeit erreicht werde. Die Teilnahme eines Beamten an einer Prüfung, deren Bestehen im Falle eines späteren Ausscheidens möglicherweise berufliche Vorteile mit sich bringe, verstoße auch nicht gegen die aus Art. 33 Abs. 4 GG folgende Treuepflicht. Grundsätzlich seien fast alle Arten von Prüfungen, selbst Laufbahnprüfungen innerhalb des öffentlichen Dienstes sowie andere weiterbildende Prüfungen, die sogar vielfach vom Dienstherrn gefördert würden, der späteren Berufsausübung dienlich, sei es im öffentlichen Dienst, sei es nach Ausscheiden in einem anderen Beruf. Mit dem Erwerb der für die Steuerberaterprüfung erforderlichen Kenntnisse verstoße ein Beamter ebensowenig gegen seine Dienst- und Treuepflicht wie durch die Teilnahme an der Prüfung, mit der er den entsprechenden Kenntnisstand beweise, der zugleich seiner Tätigkeit innerhalb der Finanzverwaltung zugute komme.
Die beiden anderen Finanzgerichte verweisen auf den Vorlagebeschluß des Finanzgerichts München und führen ergänzend aus, die beanstandete Regelung gehe weit über das hinaus, was zur Vermeidung von Interessenkollisionen und zum Schutz einer funktionstüchtigen Steuerverwaltung notwendig sei. Im Zeitpunkt der Zulassung des Beamten zur Prüfung stehe angesichts einer Durchfallquote von 50 % überhaupt nicht fest, ob der Kandidat die Prüfung bestehen werde und ob er im Falle des Bestehens die Absicht oder die Möglichkeit haben und wahrnehmen werde, aus dem öffentlichen Dienst auszuscheiden. Jedenfalls könne der zu vermeidende Interessenkonflikt frühestens nach bestandener Prüfung auftreten, weil der Kandidat vorher keine Möglichkeit habe, als Steuerberater tätig zu werden. Andere Gemeinschaftsgüter, deren Schutz den weitgehenden Eingriff in das Recht auf freie Berufswahl zu rechtfertigen vermöchten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere reiche der Gesichtspunkt nicht aus, Abwanderungstendenzen der Steuerbeamten in die steuerberatenden Berufe vorzubeugen. Zwar sei auch die Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung ein schutzwürdiges überragendes Gemeinschaftsgut. Dieser Schutz erfordere aber nicht das Ausscheiden des Beamten aus dem Dienst vor seiner Zulassung zur Prüfung, zumal dem Dienstherrn weniger einschneidende Mittel, etwa ein Hinausschieben des Entlassungszeitpunktes bis zur Einarbeitung eines Nachfolgers, zur Verfügung stünden. Das legitime Interesse, Ausbildungskosten nicht für künftige Steuerberater, sondern für den öffentlichen Dienst aufzuwenden, lasse sich erreichen, indem Ausbildung und Ausbildungsvergütung unter der Bedingung gewährt würden, daß eine bestimmte Zeit im öffentlichen Dienst abgeleistet werden müsse oder die Kosten zurückzuzahlen seien. Im übrigen habe der Gesetzgeber den Schutz der Finanzverwaltung gegen Abwanderung ihrer Beamten in den freien Beruf des Steuerberaters selbst nicht als besonders dringlich erachtet, da er sonst die Sondervorschrift des § 36 Abs. 2 StBerG für diese Personengruppe überhaupt nicht eingeführt hätte.
II.
Dieser verfassungsrechtlichen Beurteilung durch die vorlegenden Gerichte ist im Ergebnis beizupflichten.
1. Ob die in den beanstandeten Vorschriften geregelte Zulassung von Angehörigen der Finanzverwaltung zur Steuerberaterprüfung von einem vorherigen Antrag auf Entlassung aus dem öffentlichen Dienst abhängig gemacht werden darf, ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Indem die Regelung den Zugang zum freien Beruf des Steuerberaters mit der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen in der Person des Bewerbers verknüpft, schränkt sie die Freiheit der Berufswahl auf der Stufe einer subjektiven Zulassungsvoraussetzung ein. Solche Einschränkungen sind nur statthaft, soweit dadurch ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des einzelnen vorgeht, geschützt werden soll (vgl. BVerfGE 55, 185 [196]); sie dürfen nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung der Berufstätigkeit stehen und keine übermäßige unzumutbare Belastung enthalten (vgl. BVerfGE 7, 377 [406 f.]; 64, 72 [82]).
2. Bei der Prüfung, ob die beanstandete Regelung diesen Anforderungen genügt, ist davon auszugehen, daß an der Erhaltung einer funktionsfähigen Steuerrechtspflege ein hohes Allgemeininteresse besteht (vgl. BVerfGE 21, 173 [179]); 54, 301 [315]; 55, 185 [196]; 59, 302 [317]). Zum Schutze dieses Gemeinschaftsgutes ist die beanstandete Regelung aber schon nicht erforderlich. Um die Steuerrechtspflege vor den Gefahren zu schützen, die mit einer gleichzeitigen Tätigkeit als Finanzbeamter und als Steuerberater verbunden wären, würde – wie bereits der Bundesfinanzhof dargelegt hat (BFHE 134, 384 [387 f.]) – eine Inkompatibilitätsregelung des Inhalts ausreichen, daß der Bewerber vor seiner Bestellung zum Steuerberater aus der Finanzverwaltung ausgeschieden sein muß. Zum Schutze der Steuerrechtspflege vor Loyalitätskonflikten, die in der Person eines in der Steuerberaterprüfung erfolgreichen Angehörigen der Finanzverwaltung („Steuerberater auf Abruf”) zu befürchten sein könnten, genügt die bereits geltende Vorschrift des § 61 StBerG, wonach ehemalige Angehörige der Finanzverwaltung für die Dauer von drei Jahren nach ihrem Ausscheiden nicht für solche Auftraggeber tätig werden dürfen, mit deren Steuerangelegenheiten sie innerhalb der letzten drei Jahre vor ihrem Ausscheiden befaßt waren (vgl. dazu BT-Drucks. III/128 S. 33 zu § 33). Mildere Möglichkeiten bestehen nach den zutreffenden Ausführungen in den Vorlagebeschlüssen auch insoweit, als einer Abwanderung von Finanzbeamten aus ihrem bisherigen Beruf und dem damit verbundenen Verlust an Ausbildungsaufwendungen begegnet werden soll (vgl. dazu BVerfGE 55, 185 [200]).
Im übrigen hat der Gesetzgeber die Gefahren einer Abwanderung und von Loyalitätskonflikten selbst nicht für hinreichend gewichtig angesehen, um einen Berufswechsel durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen zu erschweren; denn beides hat er bei solchen Angehörigen der Finanzverwaltung in Kauf genommen, welche die in § 38 Abs. 1 StBerG genannten Voraussetzungen für eine prüfungsfreie Zulassung als Steuerberater erfüllen. Bei dieser Sachlage ergibt jedenfalls eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe, daß die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist. Angesichts der Unsicherheiten, die mit einer Prüfung und dem Wechsel in einen freien Beruf verbunden sind, wird es in den Vorlagebeschlüssen zu Recht als unzumutbar beurteilt, daß Angehörige der Finanzverwaltung bereits vor ihrer Zulassung zur Prüfung ihre Entlassung beantragen und damit im Unterschied zu anderen Berufsbewerbern ihre bisherige Existenzgrundlage aufgeben müssen.
3. Nach der zutreffenden Ansicht des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz und des Hessischen Finanzgerichts läßt sich den verfassungsrechtlichen Bedenken nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung gestellten Vorschriften oder durch eine geeignete Fassung des Entlassungsgesuchs begegnen. Der Wortlaut des § 37 Abs. 1 Nr. 3 StBerG ergibt eindeutig, daß der Beamte vor der Zulassung zur Prüfung seine Entlassung beantragt haben muß; § 36 Abs. 2 StBerG gilt ausdrücklich nur für „ehemalige” Beamte und Angestellte, wobei nach der nicht zu beanstandenden Ansicht des Hessischen Finanzgerichts der Begriff „ehemalige” übereinstimmend mit § 37 Abs. 1 Nr. 3 StBerG zu verstehen ist. Die Stellung des Entlassungsantrags hat zur Folge, daß die Entlassung für den beantragten Zeitpunkt ohne Rücksicht darauf auszusprechen ist, ob der Betroffene in der Zwischenzeit seine Steuerberaterprüfung erfolgreich bestanden hat. Dies läßt sich nicht dadurch vermeiden, daß eine Entlassung erst für den Zeitpunkt nach bestandener Prüfung beantragt wird; denn Entlassungsanträge unter einer aufschiebenden Bedingung sehen die Länderbeamtengesetze nicht vor. Die beanstandeten Vorschriften waren daher wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG für nichtig zu erklären, soweit sie die Zulassung zur Steuerberaterprüfung davon abhängig machen, daß der Bewerber seine Entlassung aus dem Dienst der Finanzverwaltung beantragt haben muß.
Fundstellen
Haufe-Index 1179083 |
BStBl II 1985, 471 |
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