Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutz bei sog. doppelter Untätigkeit von Untätigkeitseinspruch und Untätigkeitsklage
Leitsatz (redaktionell)
Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch in den Fällen der doppelten Untätigkeit der Finanzbehörde lückenlos und trotz der Mehrstufigkeit grundsätzlich nicht unzumutbar ausgestaltet.
Normenkette
AO 1977 § 347 Abs. 1 S. 2; FGO § 44 Abs. 1, § 46 Abs. 1 S. 2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
Die Beschwerdeführerin rügt unter Berufung auf Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, weil der Bundesfinanzhof in dem angefochtenen Urteil die gegen eine doppelte Untätigkeit der Finanzbehörden – wegen Nichtbescheidung des Antrags und Nichtbescheidung des Untätigkeitseinspruchs – gerichtete Klage nach § 46 FGO als unzulässig angesehen hat, nachdem eine ablehnende Sachentscheidung des Finanzamts ergangen war. Dadurch hat sich nach Auffassung des Bundesfinanzhofs die Untätigkeitsklage jedenfalls erledigt.
Fragen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht entschieden sind, wirft die Verfassungsbeschwerde nicht auf (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 40, 237 ≪256 f.≫; 40, 272 ≪275≫; 54, 39 ≪41≫; 88, 118 ≪124≫). Es ist auch nicht erkennbar, dass der Bundesfinanzhof seiner Auslegung und Anwendung des einschlägigen Prozessrechts eine grundsätzlich unzutreffende Anschauung von der Bedeutung des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zugrunde gelegt hat.
Die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des einfachen Rechts durch die Fachgerichte können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu deren unverhältnismäßiger Beschränkung führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; stRspr). In Anwendung dieser Grundsätze lässt sich eine Verletzung von Verfassungsrecht durch das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs nicht feststellen.
Nach der vom Bundesfinanzhof vertretenen Auffassung erledigt sich eine zunächst zulässige doppelte Untätigkeitsklage, wenn während des Klageverfahrens ein ablehnender Bescheid des Finanzamts ergeht. Auch eine solche nach § 46 FGO erhobene Untätigkeitsklage ziele lediglich darauf ab, eine zeitnahe behördliche Entscheidung über den Einspruch herbeizuführen, nicht die behördliche Sachentscheidung über den Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes zu erzwingen. Gegen die zwischenzeitlich ergangene ablehnende Sachentscheidung durch das Finanzamt sei daher zunächst zwingend das erforderliche Vorverfahren durchzuführen. Zu dieser Einschätzung gelangt der Bundesfinanzhof durch die grundsätzlich ihm vorbehaltene Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Verfahrensbestimmungen (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; § 44 Abs. 1, § 46 Abs. 1, § 68 FGO).
Zu einer unzumutbaren Einschränkung der Möglichkeiten zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes führt diese Rechtsauffassung nicht. Ein Steuerpflichtiger ist auf ihrer Grundlage auch in Fällen so genannter doppelter behördlicher Untätigkeit weder rechtsschutzlos gestellt, noch – wie die Beschwerdeführerin meint – in unzumutbarer Weise einer etwaigen Verzögerungstaktik der Finanzbehörde ausgesetzt. Entscheidet die Finanzbehörde nicht über einen Antrag, kann der Steuerpflichtige mit Hilfe des Untätigkeitseinspruchs nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 und, falls auch hierüber nicht in angemessener Frist entschieden wird, durch Untätigkeitsklage nach § 46 FGO eine behördliche Entscheidung zunächst über den Untätigkeitseinspruch und damit auch über den beantragten Verwaltungsakt grundsätzlich hinreichend zeitnah erzwingen. Denn die in § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO vorgesehene 6-Monats-Sperrfrist kann für die Erhebung der Untätigkeitsklage wegen besonderer Umstände des Falles abgekürzt werden.
Ergeht während des Gerichtsverfahrens eine (ablehnende) Sachentscheidung durch die Ausgangsbehörde, haben sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in dem angegriffenen Urteil der Untätigkeitseinspruch und damit auch das Ziel der Untätigkeitsklage erledigt. Dem kann der Steuerpflichtige zur Vermeidung nachteiliger Kostenfolgen und weiterer Verzögerungen durch die Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits Rechnung tragen. Dass er, sofern er mit der Sachentscheidung der Finanzbehörde nicht einverstanden ist, hiergegen vor einer erneuten Klageerhebung zunächst Einspruch einlegen muss, ist dabei keineswegs stets und notwendig nur von Nachteil für ihn. Denn es eröffnet ihm nunmehr in der Sache die Chance eines Erfolgs außerhalb des grundsätzlich zeit- und kostenaufwändigeren Klageverfahrens. Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen ist danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch in den Fällen der doppelten Untätigkeit der Finanzbehörde lückenlos und trotz der Mehrstufigkeit grundsätzlich nicht unzumutbar ausgestaltet.
Soweit sich die Beschwerdeführerin demgegenüber auf die nach ihrer Auffassung effektiveren, weil schneller zu einem endgültigen Klageziel führenden Möglichkeiten der Untätigkeitsklage in anderen Verfahrensordnungen beruft, verkennt sie, dass dem zum einen eine dort im einzelnen anders ausgestaltete Rechtslage zugrunde liegt. So kennen weder das Verwaltungsprozessrecht noch das sozialgerichtliche Verfahren den “Untätigkeitswiderspruch” und folglich auch nicht die notwendige Beschränkung der Untätigkeitsklage auf die Entscheidung über das Vorverfahren (vgl. § 75 VwGO bzw. § 88 SGG einerseits und § 46 FGO andererseits). Zum anderen ist ein Kläger auch in diesen anderen Verfahrensordnungen vielfach gehalten, wenn die Ablehnung des begehrten Ausgangsbescheids nach Erhebung der Untätigkeitsklage erfolgt, dagegen zunächst noch das gebotene Vorverfahren durchzuführen (vgl. etwa BVerwGE 42, 108 ≪112≫; 100, 221 ≪224≫; BSG, Beschluss vom 20. Juni 2006 – B 9a SB 13/05 B – juris; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SSG, 8. Aufl. 2005, § 88 Rn. 12).
Dass das in diesen Fällen noch fehlende Vorverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 42, 108 ≪111 f.≫; 100, 221 ≪224≫) innerhalb des anhängigen, hierfür aber auszusetzenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über die Untätigkeitsklage durchgeführt werden kann, mag im Hinblick auf die Dauer bis zur endgültigen Entscheidung und das dabei einzugehende Prozesskostenrisiko von Vorteil für den Rechtsschutz Suchenden sein. Verfassungsrechtlich geboten ist eine solche Handhabung der Untätigkeitsfälle indes nicht. Der Bundesfinanzhof erschwert durch seine Annahme der Erledigung der Untätigkeitsklage den Rechtsschutz der Beschwerdeführerin nicht unzumutbar.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 1779375 |
BFH/NV Beilage 2007, 447 |
HFR 2007, 1023 |