Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzte verfassungsrechtliche Nachprüfbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des BVerfG die Auffassung des BFH nachzuprüfen, daß „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht die Tatbestandsmerkmale einer begangenen Steuerhinterziehung vorliegen.
2. Die Vollziehung einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit unbedenklich, sofern sie durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gefordert wird; dem trägt § 69 Abs. 2 FGO Rechnung. Die dabei gebotene Abwägung ist ebenfalls grundsätzlich Sache des dafür zuständigen Gerichts.
Normenkette
FGO § 69; GG Art. 1 Abs. 1
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 19.04.1973; Aktenzeichen V B 1/73) |
Gründe
Der angegriffene Beschluß des Bundesfinanzhofs verletzt keine Grundrechte des Beschwerdeführers. Insbesondere verstößt die Entscheidung nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, auf dem sowohl die „Unschuldsvermutung” als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruhen (vgl. BVerfGE 19, 342 [347 ff.]). Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, daß „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht die Tatbestandsmerkmale einer vom Beschwerdeführer begangenen Steuerhinterziehung vorliegen. Diese – unabhängig von dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zulässige – Würdigung zu überprüfen, ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 15,219 [221]). Daß es sich dabei lediglich um eine summarische Würdigung handelte, ist im Rahmen des Aussetzungsverfahrens verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vollziehung einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit unbedenklich, sofern sie durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gefordert wird (vgl. BVerfGE 13, 174 [177]). Dem trägt § 69 Abs. 2 FGO Rechnung. Die bei Anwendung dieser Vorschrift gebotene Abwägung ist ebenfalls grundsätzlich Sache des dafür zuständigen Gerichts. Daß die Erwägungen des Bundesfinanzhofs auf Willkür beruhten, ist nicht ersichtlich. Schließlich wird auch die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht verletzt, wenn Steuergelder, die nach der Überzeugung des zuständigen Gerichts hinterzogen worden sind, durch sofortige Vollstreckungsmaßnahmen gesichert werden.
Fundstellen