Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerbefreiung eines medizinischen Fußpflegers; ähnliche heilberufliche Tätigkeit bei fehlender berufsrechtlicher Regelung
Leitsatz (redaktionell)
Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verbietet eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidene Umsatzsteuerbefreiung.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1; UStG § 4 Nr. 14
Beteiligte
Rechtsanwälte Hans K. Lehne und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
1. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 1. September 1992 - V B 69/92 - sowie das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 18. November 1991 - 5 K 368/87 U - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluß des Bundesfinanzhofs wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.-I.
Streitig ist die Umsatzsteuerbefreiung für die unternehmerische Tätigkeit des Beschwerdeführers als medizinischer Fußpfleger.
1. Der Beschwerdeführer ist in Nordrhein-Westfalen als medizinischer Fußpfleger tätig. Er erhielt von der niedersächsischen Bezirksregierung Braunschweig die staatliche Anerkennung als medizinischer Fußpfleger auf Grundlage eines Runderlasses des niedersächsischen Sozialministers. Der Beschwerdeführer beansprucht für seine Umsätze aus medizinischer Fußpflege Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 14 UStG. Das Finanzamt zog ihn jedoch für diese Umsätze zur Umsatzsteuer heran. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs übe der medizinische Fußpfleger keine heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Da in Nordrhein-Westfalen, anders als in Niedersachsen, keine Regelungen über Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung von medizinischen Fußpflegern getroffen worden seien, komme hier eine Steuerbefreiung für medizinische Fußpfleger nicht in Betracht.
2. Mit der Klage wandte der Beschwerdeführer ein, das Umsatzsteuergesetz sei ein Bundesgesetz. Die gleiche Tätigkeit dürfe daher in verschiedenen Bundesländern nicht unterschiedlich besteuert werden.
3. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die Tätigkeit als medizinischer Fußpfleger sei nicht steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs übe ein medizinischer Fußpfleger keine „ähnliche heilberufliche Tätigkeit” in diesem Sinne aus (Hinweis auf Bundesfinanzhof, BStBl II 1975 S. 523; BStBl II 1976 S. 621). Für die Annahme einer „ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit” reiche es nicht aus, daß die Tätigkeit als solche der Behandlung und Linderung von Leiden diene. Die Vergleichbarkeit müsse auch im Hinblick auf die wesentlichen Berufsmerkmale gegeben sein. Hierzu gehörten neben der Ausbildung auch die Berufsausübungsregelungen. Die Vergleichbarkeit mit den Katalogberufen setze voraus, daß die Berufsausübung einer staatlichen Erlaubnis bedürfe und der Überwachung durch Gesundheitsämter unterliege (BFH/NV 1989, S. 201). Daran fehle es beim Beschwerdeführer, der seinen Beruf ohne eine staatliche Erlaubnis ausüben dürfe. Die staatliche Anerkennung als medizinischer Fußpfleger durch die Bezirksregierung Braunschweig ändere hieran nichts. Denn diese Anerkennung sei nicht Voraussetzung für die Ausübung des Berufes. Dies gelte erst recht für eine derartige Tätigkeit in Nordrhein-Westfalen. Der Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers stehe nicht im Einklang mit dem Gesetz und entfalte als verwaltungsinterne Vorschrift keine Bindungswirkung. Bei der Frage der Steuerbefreiung gehe es nicht um eine Ermessensentscheidung, so daß die Verwaltung sich auch nicht selbst binden könne. Auf eine dem widersprechende Verwaltungspraxis könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine Gleichstellung im Unrecht; dies gelte erst recht für eine Verwaltungspraxis lediglich in einzelnen Bundesländern (Bundesfinanzhof, BStBl II 1986 S. 418).
4. Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesfinanzhof zurück (BFH/NV 1993, S. 334). Nach den mittlerweile gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG und § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sei der Beruf des medizinischen Fußpflegers keine „ähnliche heilberufliche Tätigkeit”, weil die staatliche Anerkennung und Überwachung fehle. Es könne dahinstehen, ob und inwieweit in Bundesländern, die die Tätigkeit des medizinischen Fußpflegers durch staatliche Regelungen geordnet hätten, die Umsätze des medizinischen Fußpflegers nunmehr steuerfrei seien. Denn der Beschwerdeführer übe seine Tätigkeit in Nordrhein-Westfalen aus; dieses Bundesland habe keine entsprechenden Regelungen getroffen. Die Überwachung gemäß § 12a BSeuchG reiche hierzu nicht aus; diese sei auf die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten beschränkt und bestehe unabhängig von einer staatlichen Anerkennung.
Es liege auch keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei nicht dadurch weiter klärungsbedürftig geworden, daß die Finanzverwaltung die Umsätze dann steuerfrei behandele, wenn in einem Bundesland Regelungen über Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung von medizinischen Fußpflegern ergangen seien (Hinweis auf Abschnitt 90 Abs. 7 UStR 1988/1992). Nach der Verwaltungsauffassung sei die Tätigkeit nur dann heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG, wenn die Tätigkeit in einem Bundesland mit entsprechenden Regelungen ausgeübt werde. Es sei nicht untypisch für das Umsatzsteuerrecht, daß Steuerbefreiungen von Vorschriften des Landesrechts abhängig seien, wie § 4 Nr. 21 Buchstabe a UStG zeige. Solche Regelungen könnten nach dem föderalen Staatsverständnis des Grundgesetzes nicht von vornherein unzulässig sein.
II.
Mit der dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 und Art. 12 GG.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde erhielten die gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
B.-I.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Bundesfinanzhofs und das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG begründet.
II.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 96, 1 ≪5 f.≫; 99, 88 ≪94≫; Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90 -) verlangt Art. 3 GG die Gleichbehandlung „aller Menschen” vor dem Gesetz. Der Gesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen. Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung trifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind.
2. Für den umsatzsteuerlichen Grundtatbestand folgt hieraus die Gleichstellung aller unternehmerischen Tätigkeiten. Eine Steuerermäßigung für Umsätze einzelner Berufsgruppen widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der überwälzbaren Umsatzsteuer nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht im Interesse einzelner Unternehmensgruppen (vgl. Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90 -). Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Steuerarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90 -).
III.
1. Nach diesem Maßstab verstoßen die angegriffenen Entscheidungen, wonach die berufliche Tätigkeit als medizinischer Fußpfleger erst die Umsatzsteuerbefreiung beanspruchen darf, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufgenommen oder ihre Ähnlichkeit durch eine Berufsregelung mit einem Katalogberuf bestätigt habe, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und verletzen den Beschwerdeführer in diesem Grundrecht.
a) Die angegriffenen Entscheidungen nehmen den Beschwerdeführer allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG aus, weil in Nordrhein-Westfalen keine berufsrechtlichen Regelungen für medizinische Fußpfleger bestehen. Die berufsrechtliche Regelung aber ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer „heilberuflichen Tätigkeit” im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte. Eine berufsrechtliche Regelung mag geeignet sein, die berufliche Qualifikationshöhe einzuschätzen. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt jedoch für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, eine Ähnlichkeit mit einem in § 4 Nr. 14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund erfaßt die entgeltliche unternehmerische Leistung unabhängig von der beruflichen Qualifikation des Unternehmers. Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 14 UStG zeichnet auch keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für medizinische Fußpfleger von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Erkennbarer Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG ist allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer (vgl. Weymüller, in: Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Kommentar ≪Stand: 1. Oktober 1997≫, § 4 Nr. 14 Rn. 1; Birkenfeld, Das große Umsatzsteuerhandbuch, 1996, II, Rn. 453; Lückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt ≪Stand: Januar 1983≫, § 4 Nr. 14 Rn. 4 ≪449/2≫; Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes, zu BTDrucks V/1581, S. 5, 12; Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90 -).
b) Im Ergebnis läßt die angegriffene Entscheidung keinen sachlich rechtfertigenden Grund erkennen, um dem Beschwerdeführer die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG zu versagen.
2. Das Verfahren war an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen. Der Zugang zur Revision ist aufgrund der mittlerweile vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 (Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts - 2 BvR 1264/90 -) für den Beschwerdeführer eröffnet, weil die angegriffene Entscheidung des Finanzgerichts von dieser Entscheidung im Sinne der nachträglichen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO abweicht (vgl. BVerfGE 99, 216 ≪245≫).
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Kirchhof, Jentsch
Fundstellen
BStBl II 2000, 158 |
DStZ 2000, 497 |