Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweigstellensteuer für Wareneinzelhandelsunternehmen verfassungswidrig
Leitsatz (amtlich)
§ 17 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes in der für die jeweiligen Erhebungszeiträume maßgebenden Fassung ist nichtig, soweit er zuläßt, daß für Wareneinzelhandelsunternehmen, die in einer Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten, ohne in dieser ihre Geschäftsleitung zu haben, der Hebesatz bis zu drei Zehnteln erhöht werden kann.
Normenkette
GewStG § 17 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
A.–I.
Nach § 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sind die Gemeinden berechtigt, eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer zu erheben. Besteuerungsgrundlagen für die Gewerbesteuer sind der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (§ 6 Abs. 1); daneben kann die Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage gewählt werden (§ 6 Abs. 2). Die Steuer wird in der Weise berechnet, daß auf den nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital oder nach der Lohnsumme ermittelten einheitlichen Steuermeßbetrag der Hebesatz angewendet wird, der von der hebeberechtigten Gemeinde durch Gemeindesatzung festgelegt ist (§§ 11, 12, 14, 16, 25). Der Hebesatz muß für alle in der Gemeinde vorhandenen gewerblichen Unternehmen gleich sein (§§ 16 Satz 2, 25 Abs. 4). Eine Ausnahme ist nur in § 17 GewStG vorgesehen. Diese Bestimmung ist in dem hier wesentlichen Teil seit Erlaß des Gesetzes unverändert geblieben (vgl. zuletzt Fassung vom 25. Mai 1965 – BGBl. I S. 459 –). Sie lautet:
(1) Für Bank-, Kredit- und Wareneinzelhandelsunternehmen, die in einer Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten, ohne in dieser ihre Geschäftsleitung zu haben, kann der Hebesatz hinsichtlich der in dieser Gemeinde belegenen Betriebsstätte bis zu drei Zehnteln höher sein als für die übrigen Gewerbebetriebe (Zweigstellensteuer) …
(2) …
(3) Die Zweigstellensteuer muß für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen der im Absatz 1 bezeichneten Art die gleiche sein.
Diese Regelung für die Steuer nach Gewerbeertrag und Gewerbekapital gilt entsprechend für die Lohnsummensteuer (§ 25 Abs. 5).
Die Zweigstellensteuer wird nicht von den in einer Gemeinde befindlichen Zweigbetriebstätten als solchen, sondern von dem Gesamtunternehmen hinsichtlich der einzelnen Zweigstellen erhoben. Deshalb finden bei ihrer Berechnung nicht die für das gesamte Unternehmen errechneten Steuermeßbeträge Anwendung. Vielmehr ist der einheitliche Steuermeßbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu zerlegen (§ 28 Satz 1). Bei Wareneinzelhandelsunternehmen wird der einheitliche Steuermeßbetrag zur Hälfte nach dem Verhältnis der gesamten Einnahmen eines Betriebes zu den in den einzelnen Betriebsstätten erzielten Betriebseinnahmen zerlegt; zur Hälfte wird der Zerlegungsmaßstab gebildet durch das Verhältnis der gesamten Arbeitslöhne des Unternehmens zu den Löhnen, die an die bei den einzelnen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind (§ 29 Abs. 1 Ziff. 3). Führt die auf solche Weise vorgenommene Zerlegung zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, so ist vom Finanzamt nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt (§ 33 Abs. 1 Satz 1).
II.
1. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen fünf Verfassungsbeschwerden richten sich – abgesehen von den Angriffen gegen die vorausgegangenen Verwaltungsakte und instanzgerichtlichen Entscheidungen – in zwei Fällen (Verfassungsbeschwerden zu I. und II.) gegen letztinstanzliche Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, in den übrigen Fällen (Verfassungsbeschwerden zu III. bis V.) gegen letztinstanzliche Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.
a) Die Beschwerdeführerin zu I), …, die eine Tageszeitung herausgibt, hat ihre Geschäftsleitung in Hamburg. Sie unterhält in Essen eine Betriebsstätte, in der die Westausgabe der Tageszeitung hergestellt und vertrieben wird. Die Stadt Essen zog die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer dortigen Betriebsstätte zur Zweigstellensteuer aus Gewerbeertrag und -kapital heran. Das Finanzamt entschied nach § 212 c Abs. 2 AO, die Beschwerdeführerin sei zweigstellensteuerpflichtig. Ihre Rechtsmittel blieben erfolglos (BFH BStBl. 1959 III, 336).
b) Die Beschwerdeführerin zu II), die …, wurde ebenfalls mit ihren auswärtigen Betriebsstätten, in denen sie die von ihr hergestellten Zeitungen vertreibt, durch die Städte Hagen und Wattenscheid zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital, durch die Stadt Wattenscheid gleichzeitig zur Zweigstellensteuer nach der Lohnsumme herangezogen. Die vom Finanzamt nach § 212 c Abs. 2 AO getroffene Feststellung, daß die Beschwerdeführerin zweigstellensteuerpflichtig sei, wurde durch zwei Urteile des Bundesfinanzhofs vom 21. November 1961 bestätigt.
c) Die Beschwerdeführerin zu III), die …, die in vielen Städten der Bundesrepublik Warenhäuser unterhält, wurde von der Stadt Dortmund hinsichtlich ihrer dortigen Filiale zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital herangezogen. Die gegen diese Heranziehungsbescheide gerichtete verwaltungsgerichtliche Klage wurde in letzter Instanz durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 1961 (BVerwGE 12, 140) zurückgewiesen.
d) Die Beschwerdeführerin zu IV), die …, die die von ihr hergestellten Metallwaren zum größten Teil in eigenen Ladengeschäften vertreibt, wurde von der Stadt Mönchengladbach hinsichtlich ihrer dortigen Filiale zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital herangezogen. Die verwaltungsgerichtliche Klage gegen zwei solcher Heranziehungsbescheide wurde in letzter Instanz durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 1961 (BVerwGE 12, 171) zurückgewiesen.
e) Die Beschwerdeführerin zu V), die …, die sich mit dem Fang von Fischen, deren Verarbeitung und dem Handel mit Fischen befaßt, vertreibt ihre Erzeugnisse in eigenen Filialen. Die Städte Krefeld, Düsseldorf, Velbert, Mülheim/Ruhr, Viersen und Grevenbroich zogen sie mit ihren dortigen Betrieben zur Zweigstellensteuer nach Gewerbeertrag und -kapital heran. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Heranziehung in sechs Urteilen vom 14. Juli 1961.
2. Die beiden oberen Bundesgerichte gehen im wesentlichen übereinstimmend davon aus, durch die Zweigstellensteuer solle aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen das ortsansässige mittelständische Gewerbe gegen die Konkurrenz auswärtiger, meist kapitalkräftiger Unternehmen geschützt werden. Diese zusätzliche Belastung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die großen auswärtigen mit Zweigstellen arbeitenden Unternehmen seien in der Regel steuerlich leistungsfähiger als ihre ortsansässige mittelständische Konkurrenz. Durch ihre große Ertragskraft und überlegene Wettbewerbsfähigkeit gefährdeten sie die Existenz der mittelständischen Betriebe. Zu deren Schutz habe der Gesetzgeber die Zweigstellensteuer einführen können. Diese Voraussetzung für ihre Erhebung sei auch dadurch nicht entfallen, daß sich die Inhaber örtlicher Einzelhandelsunternehmen zur Erlangung von Vorteilen beim Einkauf, zur allgemeinen Leistungssteigerung und Rationalisierung und zur Werbung zu Einkaufsgenossenschaften und zu sog. freiwilligen Ketten zusammengeschlossen hätten; diese Zusammenschlüsse hätten die ungleichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert.
Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Heranziehung zur Zweigstellensteuer die freie Berufswahl nicht berühre und die in der Erhebung möglicherweise liegende Berufsausübungsregelung durch Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Eine Verletzung von Art. 11 GG scheide aus. Die Regelung der Zweigstellensteuer gehöre auch zur verfassungsmäßigen Ordnung. Daß § 17 GewStG den Gemeinden die Entscheidung darüber überlasse, ob und mit welchem Satz sie innerhalb der zugelassenen Höchstgrenze Zweigstellensteuer erheben wollten, entspreche dem aus dem Grundgesetz herzuleitenden Grundsatz, daß die Gemeinden die Hebesätze nach ihrem Finanzbedarf festsetzen könnten (Art. 105 Abs. 2 Ziff. 3, 28 Abs. 2 GG).
3. Die Verfassungsbeschwerden werden im wesentlichen mit folgenden Erwägungen begründet:
Die Einführung der Zweigstellensteuer entspringe einer grundsätzlich „warenhausfeindlichen” Haltung, der auch ein bereits lange vor dem Nationalsozialismus zutage getretener antisemitischer Zug nicht fehle; die Warenhäuser und die Filialunternehmen würden hier als typische Verkörperungen des „jüdischen Großkapitals” bekämpft.
Die Zweigstellensteuer verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn der Gesetzgeber habe damit die von ihm für die allgemeine Gewerbesteuer geschaffene Sachgesetzlichkeit ohne überzeugende Gründe durchbrochen. Die auf Abwälzbarkeit angelegte Gewerbesteuer sei als Objektsteuer nur nach dem Ertrag und Kapital ausgerichtet und sei insoweit vom Äquivalenzprinzip getragen, als sie einen Ausgleich der einem Gewerbetreibenden durch gewerbefördernde Maßnahmen erwachsenden Vorteile und ein Entgelt für die der Gemeinde durch den Gewerbebetrieb entstehenden Lasten bringen soll. Damit sei es unvereinbar, daß lediglich auf Grund des subjektiven Elements der Organisationsform eine zusätzliche Belastung erfolge.
Die Erhebung der Zweigstellensteuer lasse sich auch nicht mit der größeren wirtschaftlichen Ertragskraft der Zweigstellenunternehmen und der sich daraus ergebenden Gefährdung des Mittelstandes rechtfertigen. Einmal gehöre der größere Teil der Zweigstellenunternehmen selbst zum Mittelstand, auf der anderen Seite unterhielten viele besonders ertragskräftige Unternehmen keine Zweigstellen und würden deshalb von der Steuer nicht erfaßt. Die Differenzierung nach Sitz der Geschäftsleitung und nach Wirtschaftszweigen sei ebenfalls willkürlich. Im übrigen hätten die mittelständischen Einzelhändler etwaige Wettbewerbsnachteile durch den Zusammenschluß zu Einkaufsgenossenschaften und durch die Bildung sog. freiwilliger Ketten ausgeglichen.
Die Zweigstellensteuer stelle wegen der Unterscheidung nach Herkunft und Geschäftsleitung eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Fremdensteuer dar.
Sie beschränke auch unzulässigerweise die Berufswahl, mindestens greife sie ohne ausreichenden Grund empfindlich in die Berufsausübung ein (Art. 12 Abs. 1 GG) und verletze das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG).
Die Regelung verstoße auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung, denn eine Maßnahme der staatlichen Wirtschaftslenkung, wie sie die Zweigstellensteuer darstellen solle, dürfe nicht von dem freien Belieben der Gemeinden abhängig gemacht werden. Die Ermächtigung zur Erhebung der Zweigstellensteuer entspreche nicht den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
4. Die Bundesregierung verneint eine Verletzung des Grundgesetzes. Nach ihrer Ansicht bildet die Zweigstellensteuer einen Ausgleich dafür, daß die Gemeinden mit Zweigstellen bei der Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages gegenüber den Gemeinden, in denen die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens ihren Sitz habe, benachteiligt würden. Außerdem rechtfertige sich die besondere Belastung der Zweigstellenunternehmen aus dem Gedanken des Schutzes des ortsansässigen mittelständischen Gewerbes gegen die überlegene Konkurrenz kapitalkräftiger auswärtiger Großunternehmen. Auf die im allgemeinen gesteigerte Wirtschaftskraft und die daraus folgende überlegene Wettbewerbsfähigkeit könne schon aus der Tatsache der Gründung und Unterhaltung von Filialen außerhalb des Sitzes der Geschäftsleitung geschlossen werden.
Diese Wettbewerbsvorteile hätten die Wareneinzelhändler durch den Zusammenschluß zu Einkaufsgenossenschaften und die Bildung freiwilliger Ketten noch nicht ausgleichen können. Die Beschränkung der Steuer auf einzelne
Geschäftszweige sei schon deshalb nicht willkürlich, weil diese Gewerbezweige unter dem Wettbewerb der Filialunternehmen am meisten zu leiden hätten. Art. 11 und 12 Abs. 1 GG seien nicht verletzt. Die Regelung der Zweigstellensteuer halte sich auch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, denn der Gesetzgeber habe den Schutz des einheimischen Gewerbes als typische Selbstverwaltungsaufgabe in dem vorgesehenen Rahmen den Gemeinden überlassen dürfen. Aus der Vorschrift des Art. 105 Abs. 2 Ziff. 3 GG, nach der der Bundesgesetzgeber die Hebesätze nicht festsetzen dürfe, könne entnommen werden, daß durch das Gewerbesteuergesetz eine Gleichmäßigkeit nur insoweit erreicht werden solle, wie es mit der in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltung der Gemeinden vereinbar sei. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG finde auf die Satzungsbefugnis der Gemeinden keine Anwendung.
5. Das Bundesverfassungsgericht hat beim Institut für Handelsforschung der Universität Köln eine Auskunft über die Wettbewerbslage zwischen selbständigen Einzelhandelsunternehmen und Filialunternehmen eingeholt. Ferner hat das Statistische Bundesamt die Ergebnisse der Handels- und Gaststättenzählung 1960 mitgeteilt und zu einzelnen Fragen, die den Vergleich zwischen Filialunternehmen und sonstigen Unternehmen betreffen, Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet.
I.
Die Gewerbesteuer ist dadurch charakterisiert, daß sie als Sachsteuer nach dem Gewerbeertrag und Gewerbekapital berechnet wird. Auch die Lohnsummensteuer knüpft an ein derartiges objektives Merkmal an. Somit ist bei gleichem Ertrag und gleichem Gewerbekapital – abgesehen von der hier nicht bedeutsamen Sonderregelung in § 11 Abs. 1 GewStG – die gleiche Steuer zu entrichten. Der Gesetzgeber hat die eine zusätzliche Belastung bildende Zweigstellensteuer als eine Sondergewerbesteuer ausgestaltet und Unternehmen, die auswärtige Betriebsstätten unterhalten, bei gleichem Ertrag und gleichem Kapital – auch bei gleicher Lohnsumme – eine höhere Steuer auferlegt als ortsansässigen selbständigen Unternehmen mit gleichgroßer Besteuerungsgrundlage. An sich war der Gesetzgeber nicht gehindert, von der allgemeinen Regel gleicher Hebesätze für alle Gewerbebetriebe in der Gemeinde Ausnahmen zuzulassen, wenn er dafür einleuchtende sachliche Gründe angeben konnte, insbesondere den Kreis der stärker zu belastenden Unternehmen nach sachlich vertretbaren Kriterien abzugrenzen in der Lage war (BVerfGE 12, 151 (164) und die dort angeführte Rechtsprechung; 12, 341 (349); 13, 31 (38); 18, 315 (334)). Ob sich für § 17 GewStG solche Gründe finden lassen, ist, da die Beschwerdeführerinnen Wareneinzelhandelsunternehmen im Sinne des § 17 Abs. 1 GewStG sind, nur für diese Unternehmen zu untersuchen. Die Regelung für die Wareneinzelhandelsunternehmen einerseits, die Banken und Kreditinstitute andererseits, bildet im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Teilnichtigkeit von Normen (BVerfGE 8, 274 (301)) keine untrennbare Einheit.
II.
Einleuchtende Gründe für die Erhebung einer Zweigstellensteuer bei Filialunternehmen des Wareneinzelhandels sind nicht gegeben.
1. Nach dem Wortlaut des § 17 GewStG war es die Absicht des Gesetzes, die Möglichkeit eines Schutzes der ortsansässigen Einzelhandelsunternehmen – ohne Rücksicht auf ihre Schutzbedürftigkeit im einzelnen – gegen die Konkurrenz durch Zweigstellen auswärtiger Unternehmen zu schaffen. Dies haben auch Rechtsprechung und Schrifttum übereinstimmend angenommen.
Es liegt auf der Hand, daß jemand nicht deshalb zu einer höheren Steuer herangezogen werden darf, weil er kein Einheimischer ist, denn in einer freiheitlichen Rechts- und Wirtschaftsordnung, die dem Einzelnen die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Freizügigkeit und freie Berufswahl grundsätzlich gewährleistet, steht es jedem auch frei, sich den Ort zu wählen, an dem er sich geschäftlich betätigen will. Für eine Schlechterstellung der Auswärtigen müßten vielmehr sachliche Gründe gegeben sein, die sich aus dem Wesen und Zweck der jeweiligen Steuer herleiten lassen.
2. Die Gewerbesteuer als eine besondere Steuer neben der Einkommen- und Körperschaftsteuer soll die besonderen Belastungen und Aufwendungen abgelten, die der Gemeinde aus dem Vorhandensein der Gewerbebetriebe erwachsen (Blümig-Boyens-Steinbring-Klein, GewStG, 7. Aufl. § 1 Anm. 5).
a) Angesichts dieser Zweckbestimmung könnte eine Zusatzsteuer für auswärtige Zweigstellenunternehmen dann sachgerecht sein, wenn deren Filialen den Gemeinden höhere Ausgaben verursachen würden oder das Interesse auswärtiger Filialunternehmen an gemeindlichen Veranstaltungen größer wäre als das ortsansässiger Unternehmen. Hierfür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Für die Entstehung der besonderen gemeindlichen Lasten sind allein die Größe und Struktur der einzelnen Betriebe von Bedeutung. Keine Rolle spielt jedoch der Umstand, ob die Betriebe ihre Geschäftsleitung in der Gemeinde haben oder ob sie Zweigstellen auswärtiger Unternehmen sind. Das Interesse von Zweigstellenunternehmen an gemeindlichen Veranstaltungen ist allenfalls nach der Größe des Betriebs oder der Zahl der Beschäftigten verschieden hoch. Keinesfalls aber nützen die gemeindlichen Einrichtungen den Unternehmen allein deswegen mehr, weil es sich um Zweigstellenbetriebe handelt.
b) Die besondere steuerliche Belastung der auswärtigen Zweigstellenunternehmen kann auch nicht damit begründet werden, bei diesen Unternehmen kämen die persönlichen Ausgaben der Inhaber nicht der Wirtschaft der Zweigstellengemeinde zugute; insbesondere wäre unter diesem Gesichtspunkt die Unterscheidung zwischen Zweigstellenunternehmen des Bank- und Kreditwesens und Wareneinzelhandelsunternehmen einerseits und den Filialunternehmen der übrigen geschäftszweige andererseits nicht zu rechtfertigen.
c) Das Argument, die Filialen auswärtiger Unternehmen seien weniger sichere Steuerzahler, weil sie insbesondere in Krisenzeiten rascher aufgegeben würden als ortsansässige Betriebe, läßt sich durch Erfahrungen des Wirtschaftslebens nicht belegen.
d) Schließlich wird zur Rechtfertigung der Zweigstellensteuer geltend gemacht, die Gemeinden erhielten durch die notwendige Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für eine in ihrem Bereich liegende Filiale weniger Gewerbesteuer als für eine gleichgroße selbständige Betriebsstätte, obwohl die Belastung der Gemeinde bei beiden Betrieben gleich sei; die in einer Filiale verkörperte Wirtschaftskraft erfahre durch die von der Zentrale ausgehende Einwirkung der dort tätigen Kräfte einen Zuwachs, der mit der Regelbesteuerung in Form der allgemeinen Gewerbesteuer nicht erfaßt werde. Obwohl die Tätigkeit der in der Zentrale beschäftigten Kräfte für den Ertrag der Filiale von Bedeutung sei, werde die auf diese Kräfte entfallende Lohnsumme bei der Zerlegung auch nicht zu einem Teil den Gemeinden zugerechnet.
Schon die Annahme, daß die Gemeinden immer oder in der Regel bei Filialen im Vergleich zu selbständigen wirtschaftlich gleichwertigen Betrieben eine geringere Gewerbesteuer erhalten, trifft nicht zu. Vielmehr ist die Wirkung der Zerlegung von der Struktur des einzelnen Unternehmens abhängig, z.B. davon, ob es sich um ein kapitalintensives oder ein lohnintensives Unternehmen handelt. Zudem gibt es nach allgemeiner Auffassung keinen Maßstab, der dem Umfang der Belastung genau gerecht wird, den eine Betriebsstätte für eine Gemeinde mit sich bringt (Lenski-Steinberg, Komm, zum GewStG, § 29 Anm. 1). Unangemessene Ergebnisse im Einzelfall lassen sich bei einer generellen Regelung nicht vermeiden. § 33 GewStG sieht für alle Fälle unbilliger Zerlegungsergebnisse die Zerlegung nach Maßstäben vor, die den tatsächlichen Verhältnissen besser gerecht werden als die pauschalierende gesetzliche Regelung. Bei einer Gesamtbetrachtung kann daher nicht anerkannt werden, daß der Zerlegungsmaßstab des § 29 Abs. 1 GewStG die Zweigstellengemeinden hinsichtlich einer Zweigbetriebstätte in der Regel schlechter stellt, als wenn es sich um ein ortsansässiges Unternehmen handeln würde (Lenski-Steinberg, a.a.O., § 17 Anm. 1).
Es wäre auch mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der gleichmäßigen Belastung der Steuerzahler nicht zu vereinbaren, wenn eine mangelhafte Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Gemeinden dadurch ausgeglichen würde, daß die benachteiligten Gemeinden einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen zu einer höheren Steuerlast heranzögen. Der Gesetzgeber könnte diese Sonderbelastung auch nicht auf die in § 17 GewStG erfaßten Geschäftszweige beschränken, da insoweit bei überörtlichen Filialunternehmen jeglicher Art die gleichen Verhältnisse gegeben sind.
3. Die Entstehungsgeschichte zu § 17 GewStG ergibt Anhaltspunkte dafür, daß die Zweigstellensteuer auch dem Schutz der mittelständischen Unternehmen gegen größere überlegene Konkurrenzunternehmen dienen sollte. Trotzdem läßt sie sich auch unter diesem Gesichtspunkt nicht rechtfertigen.
a) Die Erwägung, wirtschaftlich stärkere Konkurrenzunternehmen zu einer höheren Gewerbesteuer heranzuziehen, um im Interesse des Mittelstandsschutzes die wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Betriebe konkurrenzfähig zu erhalten, kann im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG an sich nicht beanstandet werden. Der Gesetzgeber kann durch wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen das freie Spiel der Kräfte korrigieren und zu diesem Zweck auch Steuergesetze erlassen, soweit dieser Nebenzweck mit verfassungsrechtlich unbedenklichen Steuern erreicht wird (BVerfGE 4, 7 (19); 6, 55 (81); 13, 331 (345); 16, 147 (161)). Er konnte den mittelständischen Einzelhandel im Verhältnis zu den Zweigstellenunternehmen als besonders schutzbedürftig betrachten und sich daher veranlaßt sehen, ihn bei der Gestaltung der Gewerbesteuer zu fördern. Die ihn hierbei leitende Annahme, daß die Zweigstellenunternehmen im Durchschnitt eine größere Ertragskraft hätten, wird durch die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Feststellungen unterstützt.
Nach Auskunft des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln weisen die mit den ortsansässigen Betrieben in Wettbewerb stehenden Zweigstellen in der Regel eine über dem Durchschnitt liegende Größe auf, aus der sich allein schon Wettbewerbsvorteile ergäben, wie z.B. die Erzielung günstigerer Preise und Lieferungsbedingungen beim Warenbezug, die rationellere Umsatzgestaltung, die Möglichkeit leistungserhöhender Sachinvestitionen durch Abschreibungen und die in der Zentrale zusammengefaßte Verwendung von Spezialisten für Markterkundung, Werbung, Verkaufsschulung, Ladengestaltung, Lager- und Sortimentspolitik, wie sie für kleinere Einzelhandelsunternehmen nicht tragbar seien. Die Ergebnisse der Handels- und Gaststättenzählung für das Jahr 1960 durch das Statistische Bundesamt zeigen, daß z.B. im Nahrungs- und Genußmitteleinzelhandel in den höheren Umsatzgrößenklassen der prozentuale Anteil der Filialunternehmen größer ist als in den niedrigeren. Die Feststellungen des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft in dem am 29. April 1964 erstatteten Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft (BT-Drucks. IV/2320 und Anlagenband zu Drucks. IV/2320) ergeben, daß die Zahl der großen Lebensmittel-Filialunternehmen mit mehr als 10 Filialen seit dem Jahre 1950 um mehr als das Doppelte gestiegen ist. Sie haben ihre Anteile am Gesamtumsatz von 1950 bis 1960 von 5,9% auf 13,2% steigern können (Konzentrationsbericht S. 31; Anlagenband S. 242). Auch die vier Warenhauskonzerne, die zu den Filialunternehmen gehören, haben ihre Umsatzanteile gesteigert. Die bei ihnen festgestellten Zahlen über Gewinn und erwirtschaftete Abschreibungen und Zuführungen zu Pensionsverpflichtungen lassen die große Ertrags- und Finanzierungskraft der Warenhauskonzerne erkennen (Konzentrationsbericht S. 30). Bei dieser Sachlage ist es nicht evident unsachlich (BVerfGE 12, 326 (333)), wenn der Gesetzgeber den mittelständischen Einzelhandel im allgemeinen als schutzbedürftig betrachtet und deshalb zu seinem Schutz mit einer Steuer zugleich eine wirtschaftspolitische Maßnahme ergriffen hat, die Unternehmen belastet, von denen er annehmen konnte, daß sie auf Grund ihrer größeren wirtschaftlichen Ertragskraft für die zu schützenden Unternehmen eine bedrohliche Konkurrenz bildeten.
b) Indem der Gesetzgeber jedoch mit der Zweigstellensteuer lediglich die Zweigstellenbetriebe, unter ihnen grundsätzlich nur die Unternehmen mit überörtlichen Filialen belastet hat, hat er bei der Wahl seiner Mittel gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Er hat die das Gesetz rechtfertigende Motivation – Sonderbelastung der wirtschaftlich überlegenen Konkurrenten des mittelständischen Einzelhandels – nicht folgerichtig durchgeführt. Es mag schon zweifelhaft sein, ob es zulässig ist, den Mittelstand gegenüber der Konkurrenz von Zweigstellenunternehmen abzuschirmen, da ein erheblicher Teil der Zweigstellenunternehmen selbst zum Mittelstand gehört. Jedenfalls ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, daß der Gesetzgeber aus dem Kreis sämtlicher Großunternehmen nur die Zweigstellenunternehmen herausgegriffen hat und sie damit gegenüber den anderen Großunternehmen, die nach ihrer wirtschaftlichen Struktur und Ertragskraft in gleicher Weise eine belastende Konkurrenz für den mittelständischen Einzelhandel bilden, benachteiligt hat. Die Handels- und Gaststättenzählung für das Jahr 1960 hat ergeben, daß in der mit einer Million beginnenden Umsatzgrößenklasse die Filialunternehmen einschließlich der Warenhausunternehmen mit Filialbetrieben insgesamt noch nicht einmal die Hälfte dieser Großunternehmen ausmachen. Umsatzvergleiche zeigen, daß zwischen Großunternehmen ohne Filialen und Filialunternehmen, sowohl was den Umsatz im ganzen als auch was den auf den Kopf eines Beschäftigten entfallenden Umsatzanteil anlangt, keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Die Erfassung nur der Zweigstellenunternehmen läßt sich bei dieser Sachlage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Typisierung rechtfertigen, zumal die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geringer ist, wenn es sich, wie hier, um eine benachteiligende Typisierung handelt (BVerfGE 17, 1 (23)). Von den Zweigstellenunternehmen geht keine größere Bedrohung des mittelständischen, ortsansässigen Einzelhandels aus als von den anderen Großunternehmen. Auch Unterschiede in der wirtschaftlichen Ertragskraft sind nicht ersichtlich. Deshalb ist es mit dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar, daß eine den Schutz des mittelständischen Handels bezweckende Steuer nur einen Teil der Unternehmen erfaßt. Daß das Vorhandensein eines überörtlichen Filialnetzes für sich allein schon ein Indiz für eine anderen Großunternehmen überlegene Wirtschaftskraft darstelle, kann nicht anerkannt werden. Wie das Institut für Handelsforschung ausgeführt hat, hängen die Wettbewerbsvorteile der Zweigstellenunternehmen primär von der Betriebsgröße ab; insofern unterscheidet sich die Lage der Zweigstellenunternehmen nicht grundsätzlich von derjenigen der anderen Großbetriebe des Einzelhandels.
Ist es unter dem Gesichtspunkt des Mittelstandsschutzes schon nicht zulässig, Zweigstellenunternehmen schlechter zu stellen als wirtschaftlich gleich starke Unternehmen ohne Zweigstellen, so besteht erst recht kein einleuchtender Grund, danach zu unterscheiden, ob Zweigstellenunternehmen ihre Geschäftsleitung außerhalb oder innerhalb der hebeberechtigten Gemeinde haben. Dies gilt auch für die Fälle, in denen ein überörtliches Zweigstellenunternehmen den Schwerpunkt seines Filialnetzes am Ort seiner Geschäftsleitung in einer Großstadt hat, dort jedoch hinsichtlich dieser Betriebsstätten nicht zur Zweigstellensteuer herangezogen wird.
Der Gedanke des Schutzes des mittelständischen Einzelhandels vermag diese verschiedene Behandlung nicht zu motivieren. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es mit einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise unvereinbar, den mittelständischen Einzelhandel nur vor der von außen kommenden übermächtigen Konkurrenz kapitalkräftiger Unternehmen zu schützen und diese deshalb stärker zu belasten, ihn aber dem Wettbewerb der ortsansässigen, wirtschaftlich ebenso starken Betriebe unbeschränkt auszusetzen. Betrachtet man das Motiv der Erhaltung einer möglichst großen Zahl selbständiger mittelständischer Existenzen auf dem Gebiet des Einzelhandels als den die Zweigstellensteuer rechtfertigenden Grund und sieht man die Zweigstellenunternehmen wegen ihrer Betriebsstruktur und vermuteten Größe als existenzgefährdende Bedrohung dieses Teils des Mittelstandes an, so müßte eine zur Abwehr dieser Gefahr erhobene Sondersteuer von allen Betrieben dieser Art erhoben werden, gleichgültig, wo sie ihre Geschäftsleitung haben.
Die gesetzliche Differenzierung ließe sich nur dann zwanglos erklären, wenn die ortsansässigen Zweigstellenunternehmen sich in aller Regel von den überörtlichen Filialunternehmen in ihrer Struktur und Ertragskraft wesentlich unterschieden und wegen minderer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht in demselben Maße als bedrohliche Konkurrenz der übrigen Einzelhandelsunternehmen anzusehen wären. Nach der Auskunft des Instituts für Handelsforschung ist aber bei der die beiden Gruppen kennzeichnenden durchschnittlichen Situation mit wesentlichen Unterschieden zwischen Zweigstellenunternehmen mit Filialen nur am Ort der Geschäftsleitung und Zweigstellenunternehmen mit überörtlichem Verkaufsnetz nicht zu rechnen. Für ein Zweigstellenunternehmen mit Filialen nur am Sitz der Geschäftsleitung liege ein gewisser Vorteil in der strafferen Zentralisation, die sich besonders bei kurzfristig zu treffenden Dispositionen, vor allem im Hinblick auf den Warennachschub vom Zentrallager zu den Verkaufsstellen, positiv auswirken könne. Auch hinsichtlich der Transportkosten sei das örtliche Filialnetz günstiger gestellt als das regionale. Weiterhin seien Markterkundung und Werbung in der Durchführung leichter und in der Wirkung sicherer. Dem stehe als Nachteil gegenüber, daß der Absatzmarkt bei nur örtlichem Filialnetz auf das Gebiet einer Gemeinde einschließlich ihrer Randgebiete eingeschränkt bleibe. Bei dieser Sachlage läßt sich nicht allgemein feststellen, daß die überörtlichen Zweigstellenunternehmen für den ortsansässigen Mittelstand eine größere Gefahr darstellen als die rein örtlichen Zweigstellenunternehmen.
4. Da die angefochtene Bestimmung schon wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig ist, kommt es auf die weiteren Erwägungen, mit denen die Beschwerdeführerinnen die Verfassungswidrigkeit begründet haben, nicht mehr an.
Fundstellen
BStBl III 1967, 355 |
BVerfGE 18, 101 |
BB 1965, 1221 |
BB 1965, 820 |
BB 1965, 865 |
DB 1965, 1078 |