Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmer, Unternehmereigenschaft, Personengesellschaft, Handeln eines Personengesellschafters im eigenen Namen im Außenverhältnis, Steuerschuldnerschaft eines Personengesellschafters
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 9 Abs. 1, Art. 193
Beteiligte
Valstybinė mokesčių inspekcija (Contrat d'activité commune) |
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos |
Verfahrensgang
Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Litauen) (Beschluss vom 10.04.2019; ABl. EU 2019, Nr. C 220/19) |
Tenor
Art. 9 Abs. 1 und Art. 193 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass eine natürliche Person, die mit einer anderen natürlichen Person eine Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit geschlossen hat, mit der eine Personengesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit begründet wird, in deren Rahmen die erste Person im Namen aller Partner zu handeln befugt ist, jedoch im Verhältnis zu Dritten – wenn sie die Handlungen vornimmt, aus denen die mit dieser Personengesellschaft verfolgte wirtschaftliche Tätigkeit besteht – allein und im eigenen Namen auftritt, diese Tätigkeit selbständig ausübt und daher als „Steuerpflichtiger” im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 und als alleinige Schuldnerin der Mehrwertsteuer nach Art. 193 dieser Richtlinie anzusehen ist, da sie als Kommissionärin für eigene oder für fremde Rechnung im Sinne der Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28 dieser Richtlinie tätig wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht, Litauen) mit Entscheidung vom 10. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. April 2019, in dem Verfahren
XT
gegen
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Präsidentin der Dritten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters F. Biltgen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und V. Vasiliauskienė als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. April 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1, Art. 193 und Art. 287 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2013/43/EU des Rates vom 22. Juli 2013 (ABl. 2013, L 201, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XT und der Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (Staatliche Steuerinspektion beim Finanzministerium der Republik Litauen) wegen einer an XT gerichteten Aufforderung der Vilniaus apskrities valstybinė mokesčių inspekcija (Staatliche Steuerinspektion des Bezirks Vilnius, Litauen, im Folgenden: Steuerbehörde Vilnius) zur Zahlung der Mehrwertsteuer zuzüglich Verzugszinsen sowie einer Geldbuße wegen nicht angemeldeter Immobiliengeschäfte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 4
Art. 14 dieser Richtlinie legt Folgendes fest:
„(1) Als ‚Lieferung von Gegenständen’ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:
…
c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrages über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.
(3) Die Mitgliedstaaten können die Erbringung bestimmter Bauleistungen als Lieferung von Gegenständen betrachten.”
Rz. 5
Art. 28 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.”
Rz. 6
Art. 193 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig ...