Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollschuld aus einer Straftat, Beginn der Verjährungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Art. 221 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach die Verjährungsfrist, wenn die Zölle infolge einer Straftat nicht entrichtet worden sind, von dem Tag an zu laufen beginnt, an dem der Beschluss oder das Urteil, der oder das im Strafverfahren ergeht, rechtskräftig geworden ist.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 221 Abs. 3-4
Beteiligte
Agenzia Dogane - Ufficio delle Dogane di Alessandria |
Verfahrensgang
Commissione tributaria di Alessandria (Italien) (Urteil vom 28.01.2009; Abl.EU 2009, Nr. C 102/13) |
Tatbestand
„Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Art. 221 Abs. 3 und 4 ‐ Nacherhebung der Zollschuld ‐ Verjährung ‐ Strafbare Handlung“
In der Rechtssache C-75/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Commissione tributaria provinciale di Alessandria (Italien) mit Entscheidung vom 28. Januar 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2009, in dem Verfahren
Agra Srl
gegen
Agenzia Dogane ‐ Ufficio delle Dogane di Alessandria
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. şereŞ,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Agra Srl, vertreten durch C. D’Andria, avvocato,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio und F. Arena, avvocati dello Stato,
‐ der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, I. Bakopoulos und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 221 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung (ABl. L 311, S. 17, im Folgenden: Zollkodex).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Agra Srl (im Folgenden: Agra) und der Agenzia Dogane ‐ Ufficio delle Dogane di Alessandria (Zollbehörde ‐ Zollamt Alessandria, im Folgenden: Ufficio delle Dogane) wegen Nacherhebung einer Zollschuld.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 der Kommission vom 4. Juni 2002 zur Eröffnung und Verwaltung eines Zollkontingents für gefrorenes Rindfleisch des KN-Codes 0202 und Erzeugnisse des KN-Codes 0206 29 91 (1. Juli 2002 bis 30. Juni 2003) (ABl. L 147, S. 8) bestimmt:
„Für den Fall, dass im Einfuhr- bzw. Ausfuhrnachweis gemäß Absatz 2 zwei oder mehr Antragsteller mit ein und derselben Postanschrift eingetragen sind oder dass die Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung zu [Mehrwertsteuer]-Zwecken mit ein und derselben Postanschrift eingetragen sind oder dass Mitgliedstaaten aus anderen triftigen Gründen den Verdacht hegen, dass eine Verbindung zwischen Marktteilnehmern besteht, stellen die betreffenden Mitgliedstaaten sicher, dass diese Antragsteller nicht im Sinne des Artikels 143 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission [vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253 S. 1)] verbunden sind. Wird anschließend eine Verbindung zwischen Antragstellern festgestellt, so werden die betreffenden Anträge nicht berücksichtigt.
…“
Rz. 4
Art. 221 Abs. 3 und 4 des Zollkodex sieht vor:
„(3) Die Mitteilung an den Zollschuldner darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Diese Frist wird ab dem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem ein Rechtsbehelf gemäß Artikel 243 eingelegt wird, und zwar für die Dauer des Rechtsbehelfs.
(4) Ist die Zollschuld aufgrund einer Handlung entstanden, die zu dem Zeitpunkt, als sie begangen wurde, strafbar war, so kann die Mitteilung unter den Voraussetzungen, die im geltenden Recht festgelegt sind, noch nach Ablauf der Dreijahresfrist nach Absatz 3 erfolgen.“
Nationales Recht
Rz. 5
In Art. 11 des Decreto legislativo Nr. 374 vom 8. November 1990 zur Neugestaltung der Zolleinrichtungen und Überprüfung der Feststellungs- und Pr...