Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung der Zollschuld, vorschriftswidriges Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft, Dienstgeber kann Mitschuldner der Zollschuld des Dienstnehmers sein
Leitsatz (amtlich)
Artikel 202 Absatz 3 des Zollkodex dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der des § 79 Abs. 2 ZollR-DG nicht entgegensteht, nach der im Fall vorschriftswidrigen Verbringens einer eingangsabgabenpflichtigen Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft der Dienstgeber Mitschuldner der Zollschuld des Dienstnehmers ist, der die Ware in Besorgung von Angelegenheiten des Dienstgebers verbracht hat, sofern diese Regelung voraussetzt, dass der Dienstgeber am Verbringen der Ware beteiligt war, obwohl er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass das Verbringen vorschriftswidrig war.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 202 Abs. 3
Beteiligte
Spedition Ulustrans, Uluslararasi Nakliyat ve. Tic. A.S. Istanbul |
Finanzlandesdirektion für Oberösterreich |
Verfahrensgang
VwGH Wien (Österreich) (Beschluss vom 06.11.2002) |
Tatbestand
„Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Artikel 202 ‐ Entstehung der Zollschuld ‐ Vorschriftswidriges Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft ‐ Begriff des Zollschuldners ‐ Mithaftung des Dienstgebers für die Schuld eines Dienstnehmers, der bei der Wahrnehmung zollrechtlicher Pflichten ein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat“
In der Rechtssache C-414/02
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,
eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 6. November 2002, eingegangen am 19. November 2002, in dem Verfahren
Spedition Ulustrans, Uluslararasi Nakliyat ve. Tic. A.S. Istanbul
gegen
Finanzlandesdirektion für Oberösterreich
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: A. Tizzano,Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐
der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich, vertreten durch F. Brenneis als Bevollmächtigten,
‐
der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
‐
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-C. Schieferer als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Mai 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 202 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Spedition Ulustrans, Uluslararasi Nakliyat ve. Tic. A.S. Istanbul (im Folgenden: Spedition Ulustrans) und der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (im Folgenden: Finanzlandesdirektion) über die Zahlung einer Zollschuld, die durch das vorschriftswidrige Verbringen von Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 201 des Zollkodex lautet:
„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
a)
wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wird oder
b)
wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in das Verfahren der vorübergehenden Verwendung unter teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben übergeführt wird.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die betreffende Zollanmeldung angenommen wird.
(3) Zollschuldner ist der Anmelder. Im Falle der indirekten Vertretung ist auch die Person Zollschuldner, für deren Rechnung die Zollanmeldung abgegeben wird.
Liegen einer Zollanmeldung für ein Verfahren im Sinne des Absatzes 1 Angaben zugrunde, die dazu führen, dass die gesetzlich geschuldeten Abgaben ganz oder teilweise nicht erhoben werden, so können nach den geltenden innerstaatlichen Vorschriften auch die Personen als Zollschuldner angesehen werden, die die für die Abgaben der Zollanmeldung erforderlichen Angaben geliefert haben, obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie unrichtig waren.“
4
Artikel 202 des Zollkodex bestimmt:
„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
a)
wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder
b)
wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.
Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.
(3) Zollschuldner sind:
‐
die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;
‐
die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wuss...