Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige "Rückwirkung" der für eine "wesentliche" Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ab 1999 gültigen Beteiligungsquote von 10%?
Leitsatz (redaktionell)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob bei Veräußerungen von zum Privatvermögen gehörenden Beteiligungen an Kapitalgesellschaften der durch das StEntlG 1999/2000/2002 erfolgten Absenkung der "Wesentlichkeitsgrenze" in § 17 Abs.1 EStG von 25 % auf 10 % eine Rückwirkung dergestalt zukommt, dass die Veräußerungen eines schon zum Jahresbeginn 1999 nur noch unter 10 % beteiligten Gesellschafters deswegen steuerpflichtig sind, weil er innerhalb des für § 17 EStG maßgeblichen Fünfjahreszeitraums vor 1999 noch mit über 10 % beteiligt war.
Normenkette
EStG 1999 § 17 Abs. 1 Sätze 4, 1; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; EStG 1999 § 52 Abs. 1; EStR 1999 R 140 Abs. 2
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen der Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einkommensteuer(ESt)-Vorauszahlungsbescheids für das Jahr 2000 die Auslegung des in § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthaltenen Tatbestandsmerkmals der wesentlichen Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre.
Die Antragstellerin (Astin) war seit Gründung der mit einem Stammkapital von 400.000 DM im September 1995 gegründeten Firma P. GmbH (GmbH) mit einem Anteil in Höhe von 60.000 DM – 15 % des Stammkapitals – an der GmbH beteiligt. Der Anteil wurde auf Grundlage der notariellen Vereinbarung vom … 1995 treuhänderisch von Herrn … gehalten. Im Dezember 1998 veräußerte die Astin Anteile in Höhe von 22.000 DM – 5,5 % des Stammkapitals –. Am 10.04.2000 veräußerte die Astin ihren restlichen Geschäftsanteil von 38.000 DM – 9,5 % des Stammkapitals –.
Der Antragsgegner (Ag) ging von der Einkommensteuerbarkeit der Veräußerung des 9,5%igen Anteils aus, weil die Astin 1998 noch zu 15 % beteiligt gewesen sei und damit eine wesentliche Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahren von mindestens 10 % nach der Fassung des EStG 1999 vorliege; ergänzend verweist er auf R 140 Abs. 2 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 1999. Der Ag setzte die ESt-Vorauszahlung mit Bescheid vom 26.07.2000 für das 3. und 4. Quartal 2000 zunächst auf jeweils … DM zuzüglich Kirchensteuer (KiSt) und Solidaritätszuschlag fest.
Auf den Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) half der Ag teilweise ab, berechnete die ESt-Vorauszahlung neu und setzte mit Vorauszahlungsbescheid vom 24.08.2000 die Vorauszahlungen zum 10.09.2000 und zum 10.12.2000 jeweils für die ESt auf … DM, für die evangelische KiSt auf … DM und für den Solidaritätszuschlag auf … DM fest. Den Antrag auf AdV sowie den Antrag auf Stundung lehnte der Ag mit gleichem Bescheid ab.
Mit beim Finanzgericht (FG) am 20.10.2000 eingegangenem Schreiben beantragte die Astin die AdV des ESt-Vorauszahlungsbescheides. Der Vorauszahlungsbescheid sei ernstlich zweifelhaft i.S.d. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO). Es bestünden insbesondere erhebliche Zweifel, ob der Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 10 % eine Rückwirkung zukomme (Hinweis auf Weber-Grellet, in: Schmidt, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl. 2000, § 17 Rz 35; Hörger/Mentel/Schulz, DStR 1999, 565, 568; Herzig/Förster, DB 1999, 711; Schweyer/Dannecker, BB 1999, 2375). Im Ergebnis sei die Frage, ob ein Beteiligter in den letzten fünf Jahren wesentlich i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligt gewesen sei, für den Zeitraum bis zum 31.12.1999 nach der alten Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % zu beantworten.
Die Astin beantragt,
- die Vollziehung des Vorauszahlungsbescheides für ESt, evangelische KiSt und Solidaritätszuschlag 3. Quartal 2000 vom 24.08.2000 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung in Höhe von … DM auszusetzen,
- hilfsweise die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zuzulassen.
Der Ag beantragt unter Hinweis auf seinen Bescheid vom 24.08.2000 sowie auf die EStR 1999, R 140 Abs. 2,
den Antrag abzulehnen.
Dem Gericht lagen folgende Akten vor:
- • 1 Band ESt-Akten, Steuernr. …
- • 1 Band allgemeine Akten, Steuernr. …
- • 1 Band Rechtsbehelfsakten, Steuernr. …
II.
Der Antrag ist begründet. An der Rechtmäßigkeit des Vorauszahlungsbescheides über die ESt bestehen ernstliche Zweifel, da nach der hier vertretenen Auffassung die Astin nicht wesentlich an der GmbH vertreten war, und ein Veräußerungsgewinn daher nicht einkommensteuerbar ist.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.v.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FG auf Antrag die Vollziehung eines Steuerverwaltungsaktes dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zut...