Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung wegen Beibehaltung der Einkünfteprüfung bei behinderten Kindern nach Wegfall einer solchen bei volljährigen gesunden Kindern in Ausbildung
Leitsatz (redaktionell)
Die Neuregelung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG durch das StVereinfG 2011, welche nicht behinderten Kindern in Ausbildung nach Wegfall des sog. Jahresgrenzbetrags ermöglicht, unschädlich für das Kindergeld einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, begegnet nicht deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken, weil ein zeitlich unbeschränkter Kindergeldanspruch für behinderte Kinder gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG deren Unfähigkeit zum Selbstunterhalt und damit eine Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse erfordert. Ein Vergleich mit einkommensunabhängigen Kindern in Ausbildung scheidet wegen der maximal bis zum 25. Lebensjahr erfolgenden Kindergeldzahlung für gesunde Kinder aus.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Sätze 3, 1 Nr. 3, S. 2 Nr. 2 Buchst. a F: 2011-11-01; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater der am 26. Juni 1973 geborenen Tochter MW. Bei Frau W liegt eine 100 %-ige Schwerbehinderung vor (KiG, Bl. 150).
Frau W arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Dort erhält sie während der täglichen Arbeit an Werktagen eine für sie kostenfreie Verpflegung in Form des Mittagessens. Außerdem bezieht sie seit 1. September 2012 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit i.H. von 732,61 Euro monatlich (KiG, Bl. 154).
Mit Bescheid vom 15. November 2012 (KiG, Bl. 157) hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab November 2012 auf, weil sie zu der Auffassung gelangt war, der (erhöhte) Grenzbetrag zum Behalt von Kindergeld sei ab diesem Zeitpunkt überschritten.
Hiergegen legte der Kläger am 26. November 2012 Einspruch ein (KiG, Bl. 158). Nachdem der Kläger nachgewiesen hatte, dass Frau W ab 1. April 2013 einen Kostenbeitrag zum täglichen Mittagessen i.H. von 42,90 Euro zu leisten habe (KiG, Bl. 174), erließ die Beklagte am 14. Mai 2013 (KiG, Bl. 177) einen geänderten Bescheid, mit welchem dem Kläger ab 1. April 2013 Kindergeld zugesprochen wurde. Im Übrigen wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2013 als unbegründet zurückgewiesen (KiG, Bl. 179 ff.).
Am 24. Juli 2013 hat der Kläger Klage erhoben (Bl. 1 ff.).
Der Kläger beantragt (sinngemäß, Bl. 3),
den Bescheid vom 5. Dezember 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Tochter MW für den Zeitraum November 2012 bis März 2013 zu bewilligen.
Der Kläger macht geltend, Frau W sei im streitigen Zeitraum nicht imstande gewesen, sich selbst zu unterhalten. Ihre Einkünfte und Bezüge hätten unter dem um den behinderungsbedingten Mehrbedarf zu erhöhenden Grenzbetrag gelegen. Zwar sei die Berechnung der Beklagten zutreffend. Allerdings bestünde im Falle von Frau W eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung zu einem (nicht behinderten) Kind in Ausbildung, welches seit der gesetzlichen Neuregelung im Steuervereinfachungsgesetz einer weitgehend unschädlichen Erwerbstätigkeit nachgehen könne.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf ihre Berechnungen. Danach hätten die Einkünfte und Bezüge von Frau W den maßgeblichen Grenzbetrag überschritten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Es besteht kein Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum November 2012 bis März 2013, denn die Einkünfte von Frau W liegen diesbezüglich über dem für die Gewährung von Kindergeld maßgeblichen Grenzbetrag. Dementsprechend hat die Beklagte die Kindergeldfestsetzung insoweit zu Recht aufgehoben.
1. Gemäß §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist (zur Anwendung der früheren Altersgrenze vgl. § 52 Abs. 40 Satz 8 EStG).
Ob ein behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich der dem Kind zur Verfügung stehenden eigenen finanziellen Mittel einerseits und seinem existenziellen Lebensbedarf andererseits (BFH vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BStBl II 2007, 248; vom 26. November 2003 VIII R 32/02, BStBl II 2004, 588, m.w.N.). Bei gleichbleibenden monatlichen Einnahmen und einem monatlich gleichbleibenden behinderungsbedingten Mehraufwand kann es – wie hier – dahinstehen, ob insoweit auf den Kalendermonat oder das Kalenderjahr abzustellen ist. Denn in diesen Fällen führt der Vergleich zu demselben Ergebnis (BFH vom 12. Dezember 2012 VI...