Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Nachzahlungszinsen für die Einkommensteuer gemäß § 233a AO
Leitsatz (redaktionell)
- Der Erlass von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer – wegen unzutreffender Steuerfestsetzung – vorerst „freigestellt” war.
- Ein Liquiditätsvorteil ist auch dann anzunehmen, wenn der Stpfl. keine Kapitaleinkünfte erzielt, sondern – ungeachtet der Arrestierung seines Vermögens durch die Strafjustiz – aus den durch Einkommensteuerhinterziehungen erlangten finanziellen Mitteln eine Kaution zum Zwecke der Außervollzugsetzung eines bestehenden Haftbefehls aufbringen kann.
- Die Ablehnung des Erlasses von Nachzahlungszinsen widerspricht jedenfalls in Fällen, in denen die Finanzbehörde im Hinblick auf die Anrechnungsregelung des § 235 Abs. 4 AO von der Festsetzung gleich hoher Hinterziehungszinsen abgesehen hat, nicht der Wertung des Gesetzes.
Normenkette
AO §§ 227, 233a, 235 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 238 Abs. 1, § 370; FGO § 102
Streitjahr(e)
1995, 1996, 1997, 1998, 2000, 2001
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Erlass von Nachzahlungszinsen für die Einkommensteuer der Jahre 1995 bis 1998 und von 2000 bis 2001.
Der .... geborene Kläger gründete 1998 die A-GmbH, deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer er war. Außerdem war er zu 50% an der B- Handelsvertretung beteiligt. Ende 1998 beschlossen der Kläger und B die beiden Unternehmen A-GmbH und die C zu verschmelzen. Die B-Handelsvertretung wurde liquidiert, ihr Vermögen sowie die A-GmbH, die zwischenzeitlich als D-GmbH firmierte, an die C veräußert. Der Kläger und B hielten jeweils 25% an der C.
Im Sommer 1999 wurde die Verschmelzung rückabgewickelt. Der Kläger und B betrieben anschließend gemeinsam die D-GmbH, die anschließend in eine Aktiengesellschaft (D AG) umgewandelt wurde und deren Börsenzulassung erfolgreich im Januar 2000 betrieben worden war. 3,8 Millionen Aktien der D AG wurden zum Handel im früheren Marktsegment („Neuer Markt”) der Frankfurter Wertpapierbörse zugelassen.
Die Staatsanwaltschaft X erhob unter dem 10. Oktober 2003 gegen den Kläger und weitere Angeklagte Anklage, in der Zeit von 1998 bis 2002 als vertretungsberechtigtes Organ einer Kapitalgesellschaft die Verhältnisse der Kapitalgesellschaft im Jahresabschluss unrichtig dargestellt zu haben, unrichtige Angaben als vertretungsberechtigtes Organ einer Kapitalgesellschaft gegenüber einem Abschlussprüfer und verbotenen Insiderhandel mit Wertpapieren der D AG entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WPHG) betrieben zu haben.
Mit Anklageschrift vom 31. August 2004 erweiterte die Staatsanwaltschaft X die Anklage gegen den Kläger um die Vorwürfe der Steuerhinterziehung (§ 370 Abgabenordnung – AO –) in drei Fällen für die Jahre 1998 bis 2002 und des verbotenen Insiderhandels mit Wertpapieren in zwei Fällen.
Der Kläger war vorher auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts X vom 26. Juni 2003 vorläufig festgenommen worden und hatte bis zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls durch Beschluss des Amtsgerichts X vom 25. Juli 2003 in Untersuchungshaft eingesessen. Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls war gemäß Beschluss des Amtsgerichts X gegen die Stellung einer Kaution in Höhe von 650.000 EUR erfolgt. Mit Beschluss des Landgerichts X vom 9. Dezember 2004 war die hinterlegte Kaution in Höhe von 650.000 EUR wieder freigegeben worden
Bereits vor Anklageerhebung hatte das Amtsgericht X mit den Beschlüssen vom 17. Juni 2003 gemäß §§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d, 111e Abs. 1 StPO den dinglichen Arrest in Höhe von 409.033,50 EUR und durch weiteren Beschluss den dinglichen Arrest in Höhe von 1.183.000 EUR in das Vermögen des Klägers angeordnet.
Das Landgericht X verurteilte den Kläger mit Urteil vom 10. Mai 2005 wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen und wegen unrichtiger Darstellung in der Bilanz der D AG (§ 331 Nr. 1 HGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde rechtskräftig. Das Landgericht stellte fest, dass der Kläger durch Verschweigen von Kapitaleinkünften und durch Nichterklärung der gewerblichen Gewinne aus den Aktienveräußerungen der D AG in den Jahren 1998 bis 2001 Ertragsteuern in Höhe von etwa 1.430.000 DM hinterzogen hatte.
Der dingliche Arrest in das Vermögen des Klägers über eine Höhe von 409.033,50 EUR wurde am 3. Februar 2005 aufgehoben, der dingliche Arrest über den Betrag von 1.183.000 EUR in dessen Vermögen hatte bis zum Schluss der Hauptverhandlung Bestand.
Auf Grund der durchgeführten Steuerfahndungsprüfung gegen den Kläger erließ der Beklagte für die Streitjahre 1995 bis 2001 berichtigte Einkommensteuerbescheide. Gleichzeitig mit der Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzungen änderte der Beklagte die Zinsfestsetzungen gemäß § 233 a AO und setzte für die Jahre 1995 bis 1998 und f...