Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden. Keine Zuerkennung der Kosten des Vorverfahrens, wenn die Klage ohne Vorverfahren zulässig war und ein entsprechendes Vorverfahren nicht durchgeführt wurde
Leitsatz (redaktionell)
1. Verwaltungsakte sind nichtig, wenn sich das Finanzamt nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat, um über die Steuerbelastung den größtmöglichen Druck auf ihn auszuüben. Davon war im Streitfall auszugehen, da nicht ersichtlich war, dass die Besteuerungsgrundlagen nicht hätten ermittelt werden können, und die Schätzung des Finanzamts nicht nachvollziehbar und in sich unschlüssig war. Auch wurden feststehende Tatsachen, z.B. die beruflichen Möglichkeiten des Steuerpflichtigen und seine aus dem Vollstreckungsverfahren bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht berücksichtigt.
2. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit von Steuerbescheiden ist nicht fristgebunden und setzt keinen vorherigen Antrag nach § 125 Abs. 5 AO oder ein Vorverfahren beim Finanzamt voraus.
3. Eine Zuerkennung der Kosten des Vorverfahrens ist nicht möglich, wenn ein Vorverfahren nicht unmittelbar und verfahrensnotwendig vorausgegangen ist. Dadurch ist jedoch hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vor Klageerhebung zivilrechtlicher Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung nicht ausgeschlossen.
Normenkette
FGO § 41 Abs. 1, § 139 Abs. 3 Nr. 3; AO § 125 Abs. 1, 5, §§ 162, 88
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Einkommensteuerbescheid und der Umsatzsteuerbescheid für 2005, jeweils vom 15.05.2007 in Gestalt des Bescheides vom 18.09.2007 und der Einspruchsentscheidung vom 09.05.2008 nichtig sind.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet
Tatbestand
Streitig ist, ob Bescheide wegen offensichtlich willkürlicher Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nichtig sind.
Der Kläger bezog vom 28.6.2003 bis 31.5.2004 Arbeitslosengeld. Am 2.6.2004 meldete er zum 1.6.2004 ein Gewerbe an mit den Sparten Bautenschutz, Kleinsttransporte bis 3,5 t, Handel mit Tuning, Kfz-Teilen und -zubehör. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung vom 18.8.2004 hat der Kläger angegeben, dass die steuerliche Beratung durch die ASG in Riedering erfolgt, die voraussichtlichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb im laufenden Jahr 6.000 EUR und im Folgejahr 10.000 EUR sowie der geschätzte Gesamtumsatz im laufenden Jahr 7.000 EUR und 30.000 EUR im Folgejahr betragen würden.
Am 6.6.2005 meldete er durch Gewerbe Ummeldung, die am 7.6.2005 beim Finanzamt einging, dass bisherige gewerbliche Tätigkeiten zum 1.1.2005 aufgegeben wurden und „Trockenbau” betrieben werde.
Für 2004 erklärte er durch Umsatzsteuervoranmeldungen, deren letzte am 11.02.2005 beim Finanzamt einging, steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 2.741 EUR und einen Vorsteuerabzug in Höhe von 1.197,11 EUR.
Mit Umsatzsteuervoranmeldung vom 11.02.2005 erklärte er für Januar 2005 einen Vorsteuerabzug von 297,90 EUR. Wegen Nichtabgabe weiterer Voranmeldungen ging das Finanzamt im Schätzungswege für die Folgemonate von steuersteuerpflichtigen Umsätzen in Höhe von insgesamt 6.100 EUR und einem Vorsteuerabzug von insgesamt 550 EUR aus, woraus sich für 2005 eine Zahllast von 128,10 EUR ergab. Die letzte Zahlung auf diese Festsetzungen leistete der Kläger im Oktober 2006.
Am 4.10.2005 gingen beim Finanzamt die Steuererklärungen für 2004 ein. Darin sind ein Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 2.532 EUR erklärt und Umsätze zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von 2.741 EUR. Bei der Anfertigung dieser Steuererklärungen hat die Steuerberatungsgesellschaften R mitgewirkt, der allerdings keine Empfangsvollmacht erteilt wurde.
Als Anlage war dieser Erklärung der Aufhebungsbescheid des Arbeitsamtes R vom 8.6.2004 beigefügt, wonach der Kläger vom 28.6.2003 bis 31.5.2004 Arbeitslosengeld bezogen hatte.
Am 2. Februar 2006 hat die Veranlagungsstelle des Finanzamts auf Ersuchen der Finanzkasse die vom Kläger am 12.2.2005 mitgeteilte Bankverbindung für den Lastschrifteinzuggelöscht, da mehrere Rücklastschriften angefallen waren.
Am 5.9.2007 erfolgte die Dateneingabe für Steuerbescheide die am 15.05.2007 gegenüberdem Kläger ergingen.
Wegen Nichtabgabe der Steuererklärung setzte das Finanzamt aufgrund geschätzter Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 24.500 EUR Einkommensteuer für 2005 in Höhe von 4.073 EURzzgl. 20 EUR Zinsen, 200 EUR Verspätungszuschlag und 224,01 EUR Solidaritätszuschlags fest. Zugleich setzte es nachträgliche Einkommensteuervorauszahlungen für 2006 in Höhe von 4.050 Euro zuzüglich 224,01 Solidaritätszuschlag und Einkommensteuervorauszahlungen für das 1. und 2. sowie die folgenden Vierteljahre 2007 in Höhe von je 1.355 Euro zuzüglich 74 EUR Solid...