Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch des Einspruchsführers gegen das Finanzamt auf Ruhen seines Einspruchs. Einkommensteuer 1997
Leitsatz (redaktionell)
1. Für ein Ruhen des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ist erforderlich, dass das anhängige verfassungsgerichtliche oder bundesgerichtliche Musterverfahren auch im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung noch nicht abgeschlossen ist. Zudem muss sich der Einspruchsführer in seiner Einspruchsbegründung auf das Musterverfahren stützen. Nicht erforderlich ist es, ein Aktenzeichen oder eine Fundstelle für das Musterverfahren zu benennen. Die gesetzliche Zwangsruhe setzt aber nur ein, wenn die Rechtsfrage über die in dem Musterverfahren entschieden wird, für die Entscheidung im Einspruchsverfahren präjudiziell ist.
2. Der Einspruchsführer hat keinen Anspruch gegen das Finanzamt auf Ruhen seines Einspruchs. Bei § 363 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AO 1977 handelt es sich um eine Vorschrift zur Entlastung des Verwaltungs- sowie des sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahrens. Die Regelung dient somit nicht dem Schutz des Einspruchsführers; auf dessen etwaige Verletzung kann er sich deshalb auch nicht berufen.
Der Einspruchsführer hat keinen Anspruch gegen das Finanzamt auf Ruhen seines Einspruchs. Bei § 363 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AO handelt es sich um eine Vorschrift zur Entlastung des Verwaltungs- sowie des sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahrens. Die Regelung dient somit nicht dem Schutz des Einspruchsführers; auf dessen etwaige Verletzung kann er sich deshalb auch nicht berufen.
Normenkette
AO 1977 § 363 Abs. 2 Sätze 2-4
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt) die Einspruchsentscheidung vom 23.08.2000 in Sachen Einkommensteuer der Kläger für 1997 erlassen durfte, anstatt den Einspruch der Kläger gemäß § 363 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) ruhen zu lassen.
Die Kläger sind Ehegatten, haben ein im Streitjahr minderjähriges Kind und werden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, wobei der Kläger zu 1) Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Klägerin zu 2) solche aus selbständiger Arbeit erzielt. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 29.06.1999 die Einkommensteuer der Kläger für das Streitjahr auf 17.652,– DM fest. Die Steuerfestsetzung erfolgte dabei gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung vorläufig wegen damals beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) rechtshängiger Verfassungsbeschwerden bzw. beim Bundesfinanzhof (BFH) rechtshängiger Revisionen hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge, der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach § 33 c Einkommensteuergesetz (EStG) beiderseits berufstätiger Ehegatten und der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen. Das Finanzamt erklärte die Steuerfestsetzung auch ausdrücklich für vorläufig wegen der Beschlüsse des BVerfG 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91 und 2 BvR 980/91 vom 10.11.1998 im Hinblick auf die Höhe der Kinderfreibeträge, der Abziehbarkeit des Haushaltsfreibetrags sowie der steuerlichen Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten.
Mit fristgerecht eingelegtem Einspruch hiergegen beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger – unter Verweisung auf eine dem Einspruch beigefügte standardisierte Anlage mit verschiedenen verfassungsrechtlichen Einwendungen und der Bezeichnung einer Reihe von Verfahren vor dem BVerfG und dem BFH unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen – das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 AO ruhen zu lassen. Der Einspruch blieb erfolglos und wurde mit Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 23.08.2000 in der Sache als unbegründet zurückgewiesen. Außerdem setzte das Finanzamt die der Höhe nach unverändert gebliebene Einkommensteuer der Kläger für das Streitjahr in der Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Anwendung des § 32c EStG erstmalig vorläufig im Sinne des § 165 Abs. 1 AO fest, erklärte hingegen die Steuerfestsetzung hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge, der Kinderbetreuungskosten gemäß § 33c EStG sowie der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen für endgültig.
Gegen die Einspruchsentscheidung richtet sich die mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 16.09.2000 fristgerecht erhobene Klage, die unter Bezugnahme auf das Einspruchsschreiben wie folgt begründet wird:
Das Finanzamt sei wegen verschiedener verfassungsgerichtlicher und bundesgerichtlicher Verfahren verpflichtet, den Einspruch ruhen zu lassen. Im Einzelnen verweisen die Kläger unter Nennung der jeweiligen Gerichtsaktenzeichen auf Verfahren beim BVerfG und beim BFH wegen 1.) der Begrenzung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen, 2.) der fehlenden Berücksichtigung freiwilliger Rentenversicherungen, 3.) der Nichtabzugsfähigkeit privater Schuldzinsen, 4.) der Nichtabzugsfähigkeit sog. gemischter Aufwendungen, 5.) der geltenden Zusammenveranlagungsregelung, 6.) der Regelung zum Kinderfreibetrag und den Kinderbetreuungskosten, 7.) der Zumutbarkeitsgrenze bei außergewöhnlichen Bela...