rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung der Kosten einer durch die Infertilität des Ehemanns verursachten künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastung trotz eines Lebensalters der Ehefrau von über 40 Jahren
Leitsatz (redaktionell)
Die Aufwendungen für eine allein durch die verminderte Beweglichkeit der Spermien des Ehemanns (Asthenozoospermie) verursachte künstliche Befruchtung (hier: Invitro-Fertilisation, IVF) können auch dann als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein, wenn die Krankenkasse der privat versicherten Eheleute die Übernahme der Kosten abgelehnt hat, weil die zum Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung 45-jährige Ehefrau älter als 40 Jahre war, wenn die Ehegatten bereits ein Kind (nach einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung) haben und wenn nicht vorab ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten über die medizinische Notwendigekeit der künstlichen Befruchtung eingeholt worden ist.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wird dahingehend abgeändert, dass die festgesetzte Einkommensteuer auf … EUR herabgesetzt wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Kosten einer künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastung.
I.
Der Kläger (Kl) wurde mit seiner Ehefrau (geb. … 07.1961) im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Die Eheleute hatten im Streitjahr ein gemeinsames leibliches Kind, das 2004 geboren wurde und nach Angabe des Kl aus einer künstlichen Befruchtung hervor ging. In ihrer ESt-Erklärung machten sie Aufwendungen der Ehefrau in Höhe von 9.492,40 EUR und des Kl in Höhe von 1.230,49 EUR, mithin insgesamt in Höhe von 10.723 EUR als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen geltend. Hierin waren u.a. auch Kosten für eine künstliche Befruchtung enthalten. Gemäß Attest des behandelnden Urologen vom 06.12.2007 liegt beim Kl eine die Fertilität beeinträchtigende Verminderung der Spermienbeweglichkeit vor. Da eine Befruchtung auf normalem Weg erschwert gewesen sei, seien Möglichkeiten der assistierenden Fertilisierung empfohlen worden. Der Kl und seine Ehefrau sind privat krankenversichert. Gemäß den Schreiben der Krankenversicherung der Eheleute vom 28.09.2005 und 31.08.2005 werden die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung wegen des Alters der Ehefrau und des vereinbarten Leistungsausschlusses nicht erstattet.
Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – erkannte mit Bescheid vom 30.11.2007 nur geschätzte 1.000 EUR als außergewöhnliche Belastung an, die jedoch wegen einer höheren zumutbaren Eigenbelastung nicht steuerwirksam wurden. Zur Begründung führte das FA aus, dass die Kosten der künstlichen Befruchtung mangels Kinderlosigkeit nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden könnten.
Hiergegen erhoben der Kl und seine Ehefrau Einspruch. Mit wegen eines anderen Punktes ergangenem Änderungsbescheid vom 14.01.2008 wurde die festgesetzte ESt auf 17.208 EUR herabgesetzt. Im Übrigen wies das FA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 26.05.2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass die künstliche Befruchtung angesichts des Alters der Ehefrau des Kl nicht mehr ausreichend erfolgversprechend gewesen sei und die Behandlung daher nicht mehr als notwendig erachtet werden könne.
Mit der hiergegen fristgerecht eingereichten Klage macht der Kl im Wesentlichen Folgendes geltend: Seine Zeugungsunfähigkeit sei ein anomaler Zustand mit Krankheitswert.Die durchgeführte künstliche Befruchtung erfülle die Merkmale einer Heilbehandlung. Dievom FA herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs – BGH– vom 21.09.2005(IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122) zur Erstattungsfähigkeit derartiger Kosten durch die private Krankenversicherung sei nicht einschlägig, da eine außergewöhnliche Belastunggerade die mangelnde Erstattung voraussetze. Die 2003 durch die künstliche Befruchtung bewirkte Schwangerschaft belege die überdurchschnittlichen Erfolgschancen einersolchen Behandlung bei der Ehefrau des Kl. Zudem seien Aufwendungen für eine Invitro-Fertilisation (IVF) als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, wenn die Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen würden. Insoweit ergäbe sich aus den einschlägigen Bestimmungen nicht, dasseine IVF ab einem bestimmten Alter nicht mehr zulässig sei. Eine Altersbegrenzung bestehe nur im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit derartiger Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Der Kl beantragt,
den ESt-Bescheid vom 14.01.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.05.2008 dahingehend abzuändern, dass weitere...